Umsatzsteuer: Steuersatz für die Lieferung von Pferden
Instanzenzug:
Gründe
Mit ihrer Klageschrift beantragt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland durch die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf die Lieferung, die Einfuhr und den innergemeinschaftlichen Erwerb von bestimmten lebenden Tieren, insbesondere Pferden, die üblicherweise nicht dafür bestimmt sind, für die Zubereitung von Nahrungs- und Futtermitteln verwendet zu werden, gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 96 und 98 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1) in Verbindung mit deren Anhang III (im Folgenden: Anhang III) verstoßen hat.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Art. 96 der Richtlinie 2006/112 lautet:
"Die Mitgliedstaaten wenden einen Mehrwertsteuer-Normalsatz an, den jeder Mitgliedstaat als Prozentsatz der Bemessungsgrundlage festsetzt und der für die Lieferungen von Gegenständen und für Dienstleistungen gleich ist."
Art. 97 der Richtlinie 2006/112 bestimmt:
"(1) Vom bis zum muss der Normalsatz mindestens 15 % betragen.
(2) Der Rat entscheidet gemäß Artikel 93 des [EG-]Vertrags über die Höhe des nach dem geltenden Normalsatzes."
In Art. 98 dieser Richtlinie heißt es:
"(1) Die Mitgliedstaaten können einen oder zwei ermäßigte Steuersätze anwenden.
(2) Die ermäßigten Steuersätze sind nur auf die Lieferungen von Gegenständen und die Dienstleistungen der in Anhang III genannten Kategorien anwendbar.
...
(3) Zur Anwendung der ermäßigten Steuersätze im Sinne des Absatzes 1 auf Kategorien von Gegenständen können die Mitgliedstaaten die betreffenden Kategorien anhand der Kombinierten Nomenklatur genau abgrenzen."
Anhang III ("Verzeichnis der Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, auf die ermäßigte MwSt-Sätze gemäß Artikel 98 angewandt werden können") Nr. 1 lautet:
"Nahrungs- und Futtermittel (einschließlich Getränke, alkoholische Getränke jedoch ausgenommen), lebende Tiere, Saatgut, Pflanzen und üblicherweise für die Zubereitung von Nahrungs- und Futtermitteln verwendete Zutaten sowie üblicherweise als Zusatz oder als Ersatz für Nahrungs- und Futtermittel verwendete Erzeugnisse".
Anhang III Nr. 11 lautet:
"Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen, die in der Regel für den Einsatz in der landwirtschaftlichen Erzeugung bestimmt sind, mit Ausnahme von Investitionsgütern wie Maschinen oder Gebäuden".
Nationales Recht
§ 12 ("Steuersätze") des Umsatzsteuergesetzes 2005 (BGBl. 2005 I S. 386) in der durch das Gesetz vom (BGBl. 2009 I S. 1959) geänderten Fassung (im Folgenden: UStG 2005) sieht vor:
"(1) Die Steuer beträgt für jeden steuerpflichtigen Umsatz 19 Prozent der Bemessungsgrundlage (§§ 10, 11, 25 Abs. 3 und § 25a Abs. 3 und 4).
(2) Die Steuer ermäßigt sich auf sieben Prozent für die folgenden Umsätze:
1. die Lieferungen, die Einfuhr und den innergemeinschaftlichen Erwerb der in der Anlage 2 bezeichneten Gegenstände;
..."
In Anlage 2 ("Liste der dem ermäßigten Steuersatz unterliegenden Gegenstände") des UStG 2005 sind genannt:
"1. Lebende Tiere, und zwar
a) Pferde einschließlich reinrassiger Zuchttiere, ausgenommen Wildpferde, aus Position 0101
b) Maultiere und Maulesel, aus Position 0101
c) Hausrinder einschließlich reinrassiger Zuchttiere, aus Position 0102
d) Hausschweine einschließlich reinrassiger Zuchttiere, aus Position 0103
e) Hausschafe einschließlich reinrassiger Zuchttiere, aus Position 0104
f) Hausziegen einschließlich reinrassiger Zuchttiere, aus Position 0104
g) Hausgeflügel (Hühner, Enten, Gänse, Truthühner und Perlhühner), Position 0105
h) Hauskaninchen, aus Position 0106
i) Haustauben, aus Position 0106
j) Bienen, aus Position 0106
k) ausgebildete Blindenführhunde aus Position 0106
..."
Laut Randnr. 16 in Abschnitt B ("Erläuterungen zur Liste der dem ermäßigten Steuersatz unterliegenden Gegenstände") des unterliegen gemäß Nr. 1 Buchst. a der Anlage 2 des UStG 2005 dem ermäßigten Steuersatz Umsätze, die die folgenden Waren betreffen:
"Pferde einschließlich Kleinpferde (Hengste, Wallache, Stuten, Fohlen), auch Reit- und Rennpferde (aus Position 0101), nicht jedoch Wildpferde, z. B. Przewalski-Pferde oder Tarpane (Mongolei) (Position 0101) sowie Zebras und Zebroide (Kreuzung aus Zebrahengst und Pferdestute), obwohl sie zur Familie der Pferde (Equidae) gehören (Position 0106)".
In diesem Schreiben wird klargestellt, dass nach der Nr. 1 der Anlage 2 des UStG 2005 dem ermäßigten Steuersatz alle Arten von Hausschafen und Hausziegen sowie von Hauskaninchen, gleichgültig, ob sie ihres Fleisches oder Felles wegen oder für andere Zwecke aufgezogen werden, die ausdrücklich aufgeführten Geflügelarten sowie deren Küken und Kapaune, auch wenn sie zum Einsetzen in Käfige, Parks oder Wasseranlagen aufgezogen und gehalten werden, und alle Haustauben einschließlich Brief-, Zier- oder Hoftauben unterliegen.
Vorverfahren und gerichtliches Verfahren
Da die Kommission der Ansicht war, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch, dass sie einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz auf die Lieferung, die Einfuhr und den innergemeinschaftlichen Erwerb bestimmter lebender Tiere wie reinrassige Zuchttiere, Reit- und Rennpferde, Brieftauben sowie wegen ihrer Haare oder Haut aufgezogene Tiere anwende, auch wenn diese üblicherweise nicht dafür bestimmt seien, für die Zubereitung von Nahrungs- und Futtermitteln verwendet zu werden, gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 96 und 98 der Richtlinie 2006/112 in Verbindung mit deren Anhang III verstoßen habe, leitete sie das Verfahren nach Art. 226 EG ein. Mit Mahnschreiben vom forderte die Kommission diesen Mitgliedstaat zur Stellungnahme auf.
In ihrem Antwortschreiben vom 17. Dezember 2007 bestätigte die Bundesrepublik Deutschland, dass die nationale Regelung für Umsätze mit bestimmten lebenden Tieren einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz unabhängig davon vorsehe, für welche Verwendung diese Tiere bestimmt seien. Die Bundesrepublik Deutschland machte jedoch geltend, dass dies durch den Grundsatz der steuerlichen Neutralität gerechtfertigt sei, da gleichartige Waren steuerlich gleich belastet werden sollten. Die Bundesrepublik Deutschland führte weiter aus, dass lebende Tiere in der Richtlinie 2006/112 eine eigenständige Kategorie neben Nahrungs- und Futtermitteln bildeten. Schließlich verwies sie darauf, dass ein ermäßigter Steuersatz auf lebende Tiere wie Reit- und Rennpferde auch nach der Nr. 11 des Anhangs III angewandt werden dürfe, der zufolge ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz für Gegenstände zulässig sei, die in der Regel für den Einsatz in der landwirtschaftlichen Erzeugung bestimmt seien.
Am gab die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme ab, mit der sie die Bundesrepublik Deutschland aufforderte, innerhalb von zwei Monaten ab Zustellung der Stellungnahme die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um dieser nachzukommen. In der mit Gründen versehenen Stellungnahme führte die Kommission aus, eine vergleichende Auslegung aller Sprachfassungen der Richtlinie 2006/112 müsse zu dem Verständnis führen, dass ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz für lebende Tiere nur erlaubt sei, wenn diese üblicherweise für die Erzeugung von Nahrungs- und Futtermitteln verwendet würden. Gegen eine solche Auslegung spreche auch nicht der Grundsatz der steuerlichen Neutralität, da die Gruppe der Pferderassen, die als Dressur-, Spring- und Vielseitigkeitspferde oder auch Sportpferde verwendet würden, von der Gruppe derjenigen Pferderassen zu unterscheiden sei, die als Fleischlieferanten gehalten würden. Letztlich lasse sich die Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes für Reit-, Sport- und Freizeitpferde nicht durch den Einsatz in der landwirtschaftlichen Erzeugung rechtfertigen, denn darunter falle lediglich die Tierzucht in Verbindung mit der Bodenbewirtschaftung.
Nachdem die Bundesrepublik Deutschland mit Schreiben vom dieser rechtlichen Beurteilung widersprochen und es abgelehnt hatte, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um der mit Gründen versehenen Stellungnahme nachzukommen, hat die Kommission die vorliegende Klage erhoben.
Mit Beschluss vom hat der Präsident des Gerichtshofs die Französische Republik und das Königreich der Niederlande als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Bundesrepublik Deutschland zugelassen.
Zur Klage
Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
Die Kommission trägt vor, dass die deutsche Regelung gegen die Art. 96 und 98 der Richtlinie 2006/112 in Verbindung mit deren Anhang III verstoße, da sie die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf die Lieferung, die Einfuhr und den innergemeinschaftlichen Erwerb von lebenden Tieren, insbesondere von Pferden, vorsehe, auch wenn diese üblicherweise nicht dafür bestimmt seien, für die Zubereitung von Nahrungs- oder Futtermitteln verwendet zu werden.
Die Kommission verweist darauf, dass der ermäßigte Umsatzsteuersatz eine Ausnahme zum Mehrwertsteuer-Normalsatz gemäß Art. 96 der Richtlinie 2006/112 darstelle und dass daher die Vorschriften der Richtlinie über ermäßigte Steuersätze eng auszulegen seien.
Die Nr. 1 des Anhangs III verweise nach ihrer Systematik zuerst auf "Nahrungs- und Futtermittel", also auf Produkte, die zum menschlichen oder tierischen Verzehr geeignet seien. Danach enthalte sie eine Aufzählung weiterer Waren, darunter lebende Tiere, Saatgut, Pflanzen und "üblicherweise für die Zubereitung von Nahrungs- und Futtermitteln verwendete Zutaten". Auch diese Aufzählung sei eng auszulegen und nur im Zusammenhang mit dem Begriff "Nahrungs- und Futtermittel" zu verstehen, dessen genauerer Umschreibung sie diene.
Diese Auslegung ergebe sich auch aus der Prüfung des Wortlauts einiger anderer Sprachfassungen der Richtlinie 2006/112, insbesondere der spanischen, der englischen, der französischen, der italienischen, der niederländischen, der portugiesischen und der schwedischen Fassung, denen zu entnehmen sei, dass dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz nur Waren unterworfen werden dürften, die üblicherweise dafür bestimmt seien, für die Zubereitung von Nahrungs- und Futtermitteln verwendet zu werden.
Diese Beurteilung werde ebenso durch eine teleologische Auslegung bestätigt. Die Nr. 1 des Anhangs III diene nämlich der bevorzugten Behandlung aller Produkte, die der Nahrungs- und Futtermittelproduktion zugeführt würden. Die lebenden Tiere seien mit Saatgut, Pflanzen und anderen Zutaten deshalb gesondert, aber zusammengefasst, erwähnt worden, weil sie zwar nicht unmittelbar zum Verzehr geeignet seien, aber über einen Verarbeitungsschritt dem Verzehr zugeführt werden könnten.
Was speziell die Tierfamilie der Equiden angehe, zu der die als Pferde oder Esel bezeichneten Tierarten gehörten, stehe deren Nutzung als Last- und Reittiere eindeutig im Vordergrund. Daher sei die Gewährung des ermäßigten Steuersatzes auf Pferderassen wie das sardische Pony, Bardigiano, Baschkire und Kazakh zu beschränken, die üblicherweise für die Zubereitung von Nahrungs- und Futtermitteln verwendet würden.
Die deutsche Regelung sei mit den Vorschriften der Richtlinie 2006/112 nicht vereinbar, da sie einen ermäßigten Steuersatz auch für Umsätze von lebenden Tieren gewähre, die üblicherweise nicht dafür bestimmt seien, für die Zubereitung von Nahrungs- und Futtermitteln verwendet zu werden, so insbesondere im Hinblick auf Pferderassen, die üblicherweise als Dressur-, Reit-, Zirkus- oder Rennpferd verwendet würden.
Das Argument, dass auch solche Tiere der Schlachtung und damit der Nahrungs- und Futtermittelverarbeitung zugeführt werden könnten, sei unerheblich, weil dies nicht die übliche Verwendung dieser Tiere sei.
Schließlich dürften Umsätze mit Pferderassen, die üblicherweise als Dressur-, Reit-, Zirkus- oder Rennpferde verwendet würden, einem ermäßigten Steuersatz auch nicht gemäß Anhang III Nr. 11 unterworfen werden, da solche Pferderassen in der Regel nicht in der landwirtschaftlichen Erzeugung eingesetzt würden.
Die Bundesrepublik Deutschland macht zunächst geltend, dass die Klage der Kommission unzulässig sei, soweit die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf andere lebende Tiere als Pferde in Frage stehe. Die Kommission habe nämlich nur dargelegt, warum ihres Erachtens ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz nicht auf Umsätze mit lebenden Pferden angewandt werden dürfe.
Sie macht sodann in erster Linie geltend, dass "lebende Tiere" nach dem Wortlaut der Nr. 1 des Anhangs III innerhalb der Aufzählung für sich stünden und ein Sinn- oder Systematikzusammenhang mit "Nahrungs- oder Futtermitteln" nicht gegeben sei.
Keine der von der Kommission zitierten Sprachfassungen der Nr. 1 des Anhangs III bestätige, dass sich der Zusatz "die üblicherweise für die Zubereitung von Nahrungs- oder Futtermitteln verwendet werden" auf lebende Tiere, Saatgut und Pflanzen bezöge. Dagegen ergebe sich aus der deutschen Sprachfassung dieser Bestimmung, dass sich dieser Zusatz allein auf den Begriff "Zutaten" beziehe. Diese Auslegung sei die einzig mögliche, da es beispielsweise kein Saatgut gebe, das üblicherweise für die Zubereitung von Nahrungs- oder Futtermitteln verwendet werde. Daher fielen Pferde als lebende Tiere unabhängig davon unter Anhang III Nr. 1, ob sie üblicherweise dafür bestimmt seien, für die Zubereitung von Nahrungs- oder Futtermitteln verwendet zu werden, oder nicht.
Was die teleologische Auslegung der Nr. 1 des Anhangs III angehe, habe die Kommission keinen Beleg angeführt, aus dem sich ergäbe, dass es der Zweck dieser Bestimmung sei, eine bevorzugte Behandlung von Produkten sicherzustellen, die der Nahrungs- und Futtermittelproduktion zugeführt würden.
Das Argument der Kommission, dass es zur Bestimmung des aktuellen Steuersatzes auf den "konkreten aktuellen Verwendungszweck" ankomme, bewirke für die Steuerpflichtigen Rechtsunsicherheiten und ziehe einen erhöhten Verwaltungsaufwand nach sich.
Würde der anwendbare Steuersatz von der jeweiligen Verwendung des Pferdes durch den Käufer abhängig gemacht, liefe dies zudem dem mehrwertsteuerlichen Neutralitätsgrundsatz zuwider, dem zufolge gleichartige Waren steuerlich gleich belastet werden müssten.
Schließlich gehörten Pferde zu den Gegenständen, die in der Regel für den Einsatz in der landwirtschaftlichen Erzeugung bestimmt seien. Alle Lieferungen von Pferden könnten daher nach Anhang III Nr. 11 einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz unterworfen werden.
Die Französische Republik trägt vor, dass Art. 98 Abs. 2 der Richtlinie 2006/112 in Verbindung mit Nr. 1 ihres Anhangs III die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf Umsätze, die lebende Tiere beträfen, unabhängig vom Verwendungszweck dieser Tiere erlaube.
Aus dem Wortlaut der Nr. 1 des Anhangs III gehe nicht hervor, dass der Begriff "lebende Tiere" zwingend in Zusammenhang mit den Worten "für die Zubereitung von Nahrungs- und Futtermitteln" stehe. Da es insoweit an einer Klarstellung fehle, sei vielmehr jede in Anhang III aufgeführte Waren- oder Dienstleistungskategorie als eine eigenständige auszulegen.
Hilfsweise verweist die Französische Republik darauf, dass die Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes auf Umsätze, die Pferde beträfen, der Richtlinie 2006/112 nicht zuwiderlaufe, da Pferde jedenfalls "üblicherweise für die Zubereitung von Nahrungs- und Futtermitteln" verwendet würden.
Hierzu erläutert die Französische Republik, dass die Nr. 1 des Anhangs III lebende Tiere erfasse, die "üblicherweise" für die Zubereitung von Nahrungs- und Futtermitteln verwendet würden. Diese Formulierung erlaube die Anwendung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf alle Umsätze, die eine bestimmte Tierkategorie beträfen, sofern diese Tiere gewöhnlich für den Verzehr bestimmt seien. Auch wenn ein Pferd in seinem Lebenszyklus für andere Zwecke wie Freizeit- oder Rennsportaktivitäten verwendet werden könne, sei doch jedes Pferd unabhängig von seiner ursprünglichen Verwendungsweise gewöhnlich für die Verwendung als Schlachttier bestimmt. Insoweit sei auf Art. 20 der Verordnung (EG) Nr. 504/2008 der Kommission vom 6. Juni 2008 zur Umsetzung der Richtlinien 90/426/EWG und 90/427/EWG des Rates in Bezug auf Methoden zur Identifizierung von Equiden (ABl. L 149, S. 3) hinzuweisen, aus dem sich ergebe, dass ein Equide grundsätzlich als zur Schlachtung für den menschlichen Verzehr bestimmt gelte.
Im Übrigen könne ein Pferd einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz auch nach Nr. 11 des Anhangs III unterworfen werden, der die Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen betreffe, die in der Regel für den Einsatz in der landwirtschaftlichen Erzeugung bestimmt seien. Die Pferdewirtschaft decke nämlich ein breites Spektrum von Tätigkeiten ab, die zur Entwicklung des ländlichen Raums beitrügen, wie die Viehzucht, den Anbau von Pflanzen, die Abfuhr von Holz, die Weinlese, Tätigkeiten zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft, Freizeitaktivitäten (Pferdesport, Tourismus) und den Rennsport.
Das Königreich der Niederlande trägt vor, es werde weder durch die niederländische Fassung noch durch eine andere Sprachfassung der Nr. 1 des Anhangs III bestätigt, dass sich die Worte "üblicherweise für die Zubereitung von Nahrungs- und Futtermitteln" auf lebende Tiere, Saatgut und Pflanzen bezögen.
Überdies verletze die von der Kommission befürwortete Auslegung den Grundsatz der Rechtssicherheit. Der Steuerschuldner müsste ihr zufolge nämlich in jedem einzelnen Fall prüfen, ob die Lieferung eines Pferdes dem normalen Mehrwertsteuersatz oder dem ermäßigten Satz zu unterwerfen sei, obgleich der Bestimmungszweck des Tieres erst im Nachhinein festgestellt werden könne.
Würdigung durch den Gerichtshof
Mit der vorliegenden Klage wirft die Kommission der Bundesrepublik Deutschland vor, dass sie einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz auf die Lieferung, die Einfuhr und den innergemeinschaftlichen Erwerb bestimmter lebender Tiere, insbesondere von Pferden, anwende, die üblicherweise nicht dafür bestimmt seien, für die Zubereitung von Nahrungs- und Futtermitteln verwendet zu werden, und dass sie dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 96 und 98 der Richtlinie 2006/112 in Verbindung mit deren Anhang III verstoße.
Zunächst ist festzustellen, dass die Kommission, wie die Bundesrepublik geltend gemacht hat, ihr Vorbringen auf Umsätze beschränkt hat, die lebende Pferde betreffen, die nicht dafür bestimmt sind, für die Zubereitung von Nahrungs- und Futtermitteln verwendet zu werden.
Folglich ist die Klage so zu verstehen, dass die Kommission der Bundesrepublik Deutschland anlastet, dass diese auf die Lieferung, die Einfuhr und den innergemeinschaftlichen Erwerb von Pferden einheitlich einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz anwende.
Unter den Verfahrensbeteiligten ist zunächst die Auslegung der Nr. 1 des Anhangs III streitig, wobei sich jeder von ihnen für sein Vorbringen auf verschiedene Sprachfassungen dieser Bestimmung beruft.
Wie vom Gerichtshof festgestellt worden ist, hat diese Nr. 1 in den verschiedenen Amtssprachen der Europäischen Union nicht dieselbe Bedeutung (Urteil vom , Kommission/Niederlande, C-41/09, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 41).
Den Randnrn. 44 bis 54 des Urteils Kommission/Niederlande ist zu entnehmen, dass Anhang III Nr. 1 die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes nur für lebende Tiere gestattet, die üblicherweise dafür bestimmt sind, für die Zubereitung von Nahrungs- und Futtermitteln verwendet zu werden, und dass der Zweck dieser Vorschrift darin besteht, dem Endverbraucher den Kauf dieser Nahrungs- und Futtermittel zu erleichtern.
Durch die Verwendung des Adverbs "üblicherweise" im zweiten Satzteil der genannten Nr. 1 wollte der Unionsgesetzgeber auf Tiere abstellen, die gewöhnlich und allgemein dafür bestimmt sind, in die menschliche oder tierische Nahrungskette zu gelangen. Das gilt insbesondere für die in Anlage 2 des UStG 2005 genannten Rinder, Schweine, Schafe und Ziegen. Daher kann auf sämtliche Lieferungen von Tieren dieser Arten ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz angewandt werden, ohne dass dies für jedes einzelne Tier geprüft werden muss (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Niederlande, Randnr. 55).
Bei Pferden ist die Situation in der Europäischen Union jedoch bekanntermaßen anders als bei den vorgenannten Arten. Pferde sind nämlich, wie die Kommission dargelegt hat, nicht gewöhnlich und allgemein dafür bestimmt, für die Zubereitung von Nahrungs- und Futtermitteln verwendet zu werden, auch wenn einige von ihnen tatsächlich als Nahrungs- und Futtermittel dienen werden.
In Anbetracht dieser besonderen Situation von Pferden, die zwar üblicherweise nicht dafür bestimmt sind, für die Zubereitung von Nahrungs- und Futtermitteln verwendet zu werden, von denen aber gleichwohl manche für den Verzehr geliefert werden können, ist Anhang III Nr. 1 im Licht des vom Unionsgesetzgeber verfolgten Zwecks, die grundlegenden Güter für den Endverbraucher zu verbilligen, dahin auszulegen, dass auf die Lieferung eines Pferdes nur dann ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz angewandt werden kann, wenn das Pferd im Hinblick auf seine Schlachtung geliefert wird, um für die Zubereitung von Nahrungs- oder Futtermitteln verwendet zu werden (Urteil Kommission/Niederlande, Randnr. 57).
Dem ist hinzuzufügen, dass nach ständiger Rechtsprechung Bestimmungen, die Ausnahmen von einem allgemeinen Grundsatz darstellen, eng auszulegen sind (vgl. insbesondere Urteile vom , Oude Luttikhuis u. a., C-399/93, Slg. 1995, I-4515, Randnr. 23, und vom , Kommission/Frankreich, C-492/08, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 35). Die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf sämtliche Lieferungen von Pferden zuzulassen, würde aber bedeuten, Anhang III Nr. 1 weit auszulegen (Urteil Kommission/Niederlande, Randnr. 58).
Anhang III Nr. 1 erlaubt es somit einem Mitgliedstaat nicht, auf alle Lieferungen von lebenden Pferden unabhängig von ihrer Bestimmung einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz anzuwenden (Urteil Kommission/Niederlande, Randnr. 59).
Dieses Ergebnis kann durch das übrige Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland und der beiden zur Unterstützung ihrer Anträge dem Verfahren beigetretenen Mitgliedstaaten nicht in Frage gestellt werden.
Was erstens das Argument angeht, dass diese Auslegung des Anhangs III Nr. 1 dem Grundsatz der Mehrwertsteuerneutralität widerspreche, ist darauf hinzuweisen, dass dieser dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem innewohnende Grundsatz es verbietet, gleichartige und deshalb miteinander in Wettbewerb stehende Waren oder Dienstleistungen unterschiedlich zu behandeln (vgl. u. a. Urteil vom 11. Oktober 2001, Adam, C-267/99, Slg. 2001, I-7467, Randnrn. 36 und 41). Die Anwendung eines unterschiedlichen Mehrwertsteuersatzes je nach dem Bestimmungszweck eines Tieres läuft daher diesem Grundsatz nicht zuwider, da diesem unterschiedlichen Bestimmungszweck zwei verschiedene wirtschaftliche Sachverhalte zugrunde liegen, in denen die betreffenden Pferde nicht miteinander im Wettbewerb stehen.
Was zweitens die Verordnung Nr. 504/2008 betreffend Methoden zur Identifizierung von Equiden betrifft, hat der Gerichtshof entschieden, dass aus Art. 20 dieser Verordnung nicht abgeleitet werden kann, dass ein Pferd nach dem Willen des Unionsgesetzgebers üblicherweise dafür bestimmt ist, für die Zubereitung von Nahrungs- und Futtermitteln verwendet zu werden (Urteil Kommission/Niederlande, Randnr. 64).
Was drittens das Argument angeht, dass auf sämtliche Lieferungen von Pferden gemäß Anhang III Nr. 11 ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz angewandt werden sollte, ist hervorzuheben, dass Pferde in den Mitgliedstaaten nicht gewöhnlich und allgemein für den Einsatz in der landwirtschaftlichen Erzeugung bestimmt sind. Demzufolge gelten insoweit die gleichen Erwägungen wie im Rahmen von Nr. 1 dieses Anhangs, wonach ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz lediglich für die Lieferung von Pferden für den Einsatz in der landwirtschaftlichen Erzeugung gewährt werden kann. Ebenso wenig wie Anhang III Nr. 1 erlaubt daher dessen Nr. 11 die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf sämtliche Lieferungen von Pferden (Urteil Kommission/Niederlande, Randnr. 65).
Deshalb ist die von der Kommission erhobene Klage als begründet anzusehen.
Demzufolge ist festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland durch die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf sämtliche Lieferungen, Einfuhren und innergemeinschaftlichen Erwerbe von Pferden gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 96 und 98 der Richtlinie 2006/112 in Verbindung mit deren Anhang III verstoßen hat.
Kosten
Nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission die Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland beantragt hat und diese mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind dieser die Kosten aufzuerlegen.
Gemäß Art. 69 § 4 Abs. 1 der Verfahrensordnung tragen die Französische Republik und das Königreich der Niederlande, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Bundesrepublik Deutschland hat durch die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf sämtliche Lieferungen, Einfuhren und innergemeinschaftlichen Erwerbe von Pferden gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 96 und 98 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in Verbindung mit deren Anhang III verstoßen.
2. Die Bundesrepublik Deutschland trägt die Kosten.
3. Die Französische Republik und das Königreich der Niederlande tragen ihre eigenen Kosten.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BAAAD-86560