BVerwG Beschluss v. - 4 BN 42/10

Zu den Anforderungen an die Geltendmachung einer Rechtsverletzung im Rahmen des Normenkontrollverfahrens

Gesetze: § 47 Abs 2 S 1 VwGO

Instanzenzug: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Az: 1 N 07.3403 Urteil

Gründe

1Die Beschwerde ist mit dem Ergebnis der Zurückverweisung an die Vorinstanz begründet (§ 133 Abs. 6 VwGO).

21. Die Beschwerde macht zu Recht einen Verfahrensfehler im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO geltend. Der Verwaltungsgerichtshof hat, indem er den Normenkontrollantrag der Antragsteller mangels Antragsbefugnis als unzulässig angesehen hat, die Anforderungen an das Geltendmachen einer Rechtsverletzung im Sinne von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO überspannt und damit die prozessuale Bedeutung dieser Vorschrift verkannt.

3Erforderlich, aber auch ausreichend für die Antragsbefugnis ist, dass der Antragsteller hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch die Festsetzungen des Bebauungsplans in einem subjektiven Recht verletzt wird ( BVerwG 4 CN 1.03 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 165; stRspr). An die Geltendmachung einer Rechtsverletzung sind grundsätzlich auch dann keine höheren Anforderungen zu stellen, wenn es - wie hier - um das Recht auf gerechte Abwägung geht. Auch insoweit reicht es aus, dass der Antragsteller Tatsachen vorträgt, die eine fehlerhafte Behandlung seiner Belange in der Abwägung als möglich erscheinen lassen ( BVerwG 4 CN 2.98 - BVerwGE 107, 215 <218 f.>). Antragsbefugt ist hiernach, wer sich auf einen abwägungserheblichen privaten Belang, d.h. ein mehr als nur geringfügig schutzwürdiges Interesse des Betroffenen ( BVerwG 7 B 4.07 - juris Rn. 10 m.w.N.), berufen kann; denn wenn es einen solchen Belang gibt, besteht grundsätzlich auch die Möglichkeit, dass die Gemeinde ihn bei ihrer Abwägung nicht korrekt berücksichtigt hat (Urteil vom a.a.O.). Die bloße verbale Behauptung einer theoretischen Rechtsverletzung mag allerdings im Einzelfall dann nicht zur Geltendmachung einer Rechtsverletzung im Sinne von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO genügen, wenn diese Behauptung nur vorgeschoben erscheint, das tatsächliche Vorliegen einer Rechtsverletzung aber offensichtlich ausscheidet. Die Annahme eines solchen Falles ist aber ausgeschlossen, wenn seine Prüfung nennenswerten Umfang oder über Plausibilitätserwägungen hinausgehende Intensität erfordert; in jedem Fall ist die Prüfung nur auf der Grundlage der Darlegungen in der Antragsschrift, nicht unter Auswertung des gesamten Prozessstoffs vorzunehmen (Urteil vom a.a.O. <218>). Deswegen vermag die im Laufe des Verfahrens fortschreitende Sachverhaltsaufklärung durch das Normenkontrollgericht die Antragsbefugnis eines Antragstellers nicht nachträglich in Frage zu stellen.

4Hieran gemessen hat der Verwaltungsgerichtshof deutlich überzogene Anforderungen an das Geltendmachen einer möglichen Rechtsverletzung im Sinne von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO gestellt.

5Dass sich alle Antragsteller angesichts der planbedingt um mehr als 3 dB(A) erhöhten Lärmbelastung auf einen abwägungsrelevanten Belang berufen können, hat der Verwaltungsgerichtshof zutreffend bejaht. Auf dieser Grundlage konnte der Verwaltungsgerichtshof die Antragsbefugnis der Kläger nur verneinen, wenn das tatsächliche Vorliegen einer Rechtsverletzung offensichtlich ausscheidet. Das ist nach der vom Senat ohne Bindung an die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs vorzunehmenden Prüfung (vgl. nur BVerwG 6 C 10.78 - BVerwGE 57, 342 <344> m.w.N.) nicht der Fall.

6Das einschränkende Kriterium der "Offensichtlichkeit" des Ausscheidens einer Rechtsverletzung wendet der Verwaltungsgerichtshof nicht ausdrücklich an (UA Rn. 28). Auch der Sache nach entspricht die Prüfung durch den Verwaltungsgerichtshof nicht diesem Maßstab.

7Die in der Antragsbegründung vom vorgebrachten Einwände der Antragsteller gegen die Richtigkeit des Lärmgutachtens 2004 untersucht und widerlegt der Verwaltungsgerichtshof anhand einer ergänzenden Stellungnahme des Gutachters vom und mithin nicht auf der Grundlage der Darlegungen der Antragsteller, sondern unter Einbeziehung des erst im Laufe des Verfahrens entstandenen Prozessstoffes. Dass die Antragsteller diese Einwände nach der ergänzenden Gutachterstellungnahme ohnehin nicht mehr aufrecht erhalten hätten, lässt sich - anders als der Verwaltungsgerichtshof meint - ihrem Schriftsatz vom , der die Einwände nicht etwa zurückzieht oder durch andere ersetzt, sondern sie ausdrücklich und auch der Sache nach lediglich ergänzt, nicht entnehmen und ist auch sonst nicht ersichtlich.

8Dem weiteren Vorbringen der Antragsteller, die im Gutachten 2004 genannten vier in der Baugenehmigung festzuschreibenden Bedingungen hätten bereits im Bebauungsplan festgesetzt werden müssen, hält der Verwaltungsgerichtshof entgegen, insoweit werde kein möglicher Abwägungsfehler aufgezeigt, weil von vornherein auszuschließen sei, dass die Antragsgegnerin verpflichtet gewesen sein könnte, die durch die Planung aufgeworfenen Lärmschutzfragen vollumfänglich und abschließend im Bebauungsplan zu lösen. Dieser Maßstab ist schon deswegen zu eng, weil sich ein Abwägungsfehler bereits daraus ergeben könnte, dass die Lärmschutzfragen zwar nicht abschließend, wohl aber in größerem Umfang im Bebauungsplan zu bewältigen waren. Die Antragsbefugnis setzt darüber hinaus auch nicht voraus, dass der Antragsteller überhaupt geltend macht, die Gemeinde sei zu einem anderen Abwägungsergebnis verpflichtet gewesen. Denn ausreichend für einen Abwägungsfehler ist bereits, dass sich das Planungsergebnis als nicht hinreichend abgewogen erweist. Unabhängig davon hat der Verwaltungsgerichtshof den dargelegten Offensichtlichkeitsmaßstab jedenfalls dadurch verfehlt, dass er in der Sache selbst die Einwände der Antragstellerin - wiederum unter Einbeziehung der ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme - einer abschließenden materiellrechtlichen Prüfung unterzogen hat, die sich in Umfang und Intensität von einer Begründetheitsprüfung nicht unterscheidet. Bei einer solchen Prüfungspraxis ist es nahezu ausgeschlossen, dass die Antragsbefugnis mit Blick auf einen geltend gemachten Abwägungsmangel, der sich im Rahmen der Begründetheitsprüfung als nicht durchgreifend erweist, bejaht werden kann. Dies widerspricht nicht nur der Funktion des Normenkontrollverfahrens, weil damit die gebotene objektive Rechtskontrolle im Rahmen der Begründetheitsprüfung (vgl. hierzu BVerwG 4 CN 1.07 - BVerwGE 131, 100 Rn. 13) umgangen wird. Es steht auch im Gegensatz zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach es ausreichend ist, dass ein Antragsteller als Rechtsverletzung geltend macht, sein abwägungsrelevanter Belang sei in der Abwägung zu kurz gekommen ( BVerwG 4 CN 6.98 - Buchholz 406.11 § 214 BauGB Nr. 14 S. 3). Diese Anforderung haben die Antragsteller mit ihrem Vorbringen, die Lärmkonflikte seien in weitergehendem Umfang bereits im Bebauungsplan zu bewältigen, erfüllt. Dass diese von den Antragstellern weiter begründete Behauptung nicht lediglich vorgeschoben ist, lässt schon die eingehende inhaltliche Auseinandersetzung des Verwaltungsgerichtshofs mit den Argumenten der Antragsteller unter Heranziehung von Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erkennen (UA Rn. 31). Vergleichbaren Tendenzen zu einer weitergehenden "Durchprüfung" des Vorbringens zu Abwägungsfehlern, wie sie in der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs zum Ausdruck kommen, ist der Senat bereits mit seinem BVerwG 4 BN 66.09 - (Buchholz 406.25 § 50 BImSchG Nr. 7 Rn. 20) entgegengetreten, wenn er ausgeführt hat, dass es auf die Frage, ob eine vom Antragsteller geltend gemachte Verletzung des Abwägungsgebots, wenn sie vorläge, nach den Planerhaltungsvorschriften beachtlich wäre, für die Antragsbefugnis nicht ankommt.

92. Der somit vorliegende Verfahrensfehler kann sich auf die Entscheidung der Vorinstanz ausgewirkt haben. Da die Antragsbefugnis der Antragsteller nach dem Gesagten zu bejahen ist und auch im Übrigen keine Einwände gegen die Zulässigkeit des Normenkontrollantrages erkennbar sind, ist nicht auszuschließen, dass der Verwaltungsgerichtshof ohne Verfahrensfehler zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, weil er im Rahmen der Begründetheitsprüfung jedenfalls auch über die von den Antragstellern ausweislich des Tatbestandes der angefochtenen Entscheidung (UA Rn. 12) geltend gemachten objektiven Rechtsverstöße hätte entscheiden müssen. Da der Verwaltungsgerichtshof hierzu keine tatsächlichen Feststellungen getroffen hat, kann der Senat nicht feststellen, dass sich das Urteil aus anderen Gründen als richtig erweist (§ 144 Abs. 4 VwGO; vgl. zur Anwendbarkeit dieser Norm im Verfahren über die Zulassung der Revision BVerwG 4 BN 5.02 - BRS 65 Nr. 53 m.w.N.). Weil auch ein Revisionsverfahren deswegen nur zu einer Zurückverweisung an den Verwaltungsgerichtshof führen könnte, macht der Senat von seiner Befugnis nach § 133 Abs. 6 VwGO Gebrauch, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen.

Fundstelle(n):
LAAAD-86548