BAG Urteil v. - 5 AZR 153/10

Auslegung einer einzelvertraglichen Vergütungsabrede - Tarifsukzession

Gesetze: TVöD, § 2 TVÜ-VKA, § 21 TVÜ-VKA, § 1 TVG

Instanzenzug: ArbG Bochum Az: 5 Ca 1525/08 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen) Az: 19 Sa 399/09 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über Einmalzahlungen und die Vergütungshöhe.

Die Klägerin ist auf der Grundlage des Arbeitsvertrags vom als Altenpflegerin bei der Beklagten bzw. der früheren Betriebsinhaberinnen tätig. Die Parteien regelten in Ziffer 4 des Formulararbeitsvertrags:

3Bis 2005 gaben die jeweiligen Arbeitgeberinnen die Vergütungserhöhungen des öffentlichen Dienstes, zuletzt die nach dem 35. Änderungstarifvertrag zum BAT/VKA vom , an die Klägerin weiter. 2005 ging das Arbeitsverhältnis auf die Beklagte über.

4Der BAT in der für den Bund und die Länder geltenden Fassung wurde für den Bereich des Bundes und der Kommunen zum durch den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) vom ersetzt, für den Bereich der Länder zum durch den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) vom . Die Beklagte wandte keinen dieser Tarifverträge auf das Arbeitsverhältnis an. Einmalzahlungen leistete die Beklagte in den Jahren 2006 und 2007 nicht.

5Mit der am erhobenen Klage hat die Klägerin für die Kalenderjahre 2006 und 2007 Einmalzahlungen iHv. jeweils 300,00 Euro brutto sowie ab die tarifliche Vergütungserhöhung von 50,00 Euro als Sockelbetrag und darüber hinaus eine prozentuale Erhöhung iHv. 3,1 % für die Zeit bis zum geltend gemacht. Mit einer der Beklagten am zugestellten Klageerweiterung hat sie Differenzvergütung für die Zeit vom 1. Juli bis zum geltend gemacht. Zinsen hat sie jeweils ab Rechtshängigkeit beansprucht. Sie hat die Auffassung vertreten, der Arbeitsvertrag enthalte hinsichtlich der Vergütung eine dynamische Bezugnahme der jeweils gültigen Tarifverträge des öffentlichen Dienstes des Bundes und der Kommunen.

Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

7Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, es sei weiterhin der BAT anzuwenden.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Gründe

9Die Revision der Beklagten ist hinsichtlich eines Teils der zugesprochenen Prozesszinsen begründet. Im Übrigen ist sie zurückzuweisen, denn das Landesarbeitsgericht hat die Beklagte zu Recht zur Leistung von Einmalzahlungen für die Jahre 2006 und 2007 und monatlicher Differenzvergütungen für die Zeit vom 1. Januar bis zum verurteilt.

10I. Die Klägerin hat gegen die Beklagte Anspruch auf die geltend gemachten Einmalzahlungen für die Jahre 2006 und 2007 iHv. insgesamt 600,00 Euro. Das ergibt eine ergänzende Auslegung von Ziffer 4 des Arbeitsvertrags.

111. Gemäß Ziffer 4 des Arbeitsvertrags erfolgt die Vergütung für Mitarbeiter im Angestelltenverhältnis „in Anlehnung an BAT/Bund/Land“. Sie besteht aus Grundvergütung, Ortszuschlag und einer allgemeinen Zulage. Nach Ziffer 4.3 des Arbeitsvertrags werden die künftigen für den öffentlichen Dienst ausgehandelten Lohn- und Vergütungserhöhungen im Bereich der Grundvergütung, Ortszuschlag und der Allgemeinen Zulage übernommen. Diese Vereinbarungen enthalten nach der revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Auslegung des Berufungsgerichts eine kleine dynamische Bezugnahme.

122. In den Ziffern 4 und 4.3 des Vertrags knüpfen die Parteien die Vergütung pauschal und ohne Nennung fester Beträge an die für den öffentlichen Dienst des Bundes und der Länder im Angestelltenbereich tariflich vereinbarten Regelungen an und gestalten sie dynamisch. Das ergibt sich deutlich aus dem Wortlaut der Vereinbarung. Damit haben die Parteien einen einzelvertraglichen Entgeltanspruch nach dieser Vergütungsgruppe begründet. Dabei stellt die Formulierung „in Anlehnung an“ keine Einschränkung dar, sondern ist als Hinweis der Beklagten auf ein von ihr praktiziertes Vergütungssystem zu verstehen. Danach hat der Angestellte Anspruch auf Vergütung nach der vertraglich vereinbarten Vergütungsgruppe, und zwar dynamisch. Diese Auslegung entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach Bezugnahmen im Arbeitsvertrag auf normative Regelungen in der Regel dynamisch zu verstehen sind ( - 5 AZR 633/09 - ZTR 2011, 150; - 5 AZR 888/08 - AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 73 = EzA TVG § 3 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 44; - 5 AZR 128/05 - BAGE 116, 185; - 4 AZR 351/01 - zu III 1 b bb der Gründe, BAGE 103, 338).

133. Allerdings trägt der Wortlaut der Bezugnahmeklausel eine Erstreckung auf den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) und den Tarifvertrag zur Überleitung der Beschäftigten der kommunalen Arbeitgeber in den TVöD und zur Regelung des Übergangsrechts (TVÜ-VKA), beide vom , nicht. Beide Tarifverträge werden nicht von der vertraglichen Verweisung auf den BAT erfasst, denn Ziffer 4 und 4.3 des Arbeitsvertrags sind zeit- und nicht inhaltsdynamisch ausgestaltet. Der Zusatz, dass auch die den „BAT ersetzenden Tarifverträge“ Anwendung finden sollen, wurde entgegen der im öffentlichen Dienst üblichen Formulierung, die in dem seit 1981 vom Arbeitgeberkreis der BAT-Kommission gebilligten Musterarbeitsvertrag enthalten war, nicht in den Arbeitsvertrag der Parteien aufgenommen (vgl. dazu  - Rn. 38, AP BGB § 157 Nr. 38).

144. Dass sich die Vergütung der Klägerin nach den Nachfolgetarifverträgen des BAT richtet, ergibt eine ergänzende Auslegung des Arbeitsvertrags.

15a) Es ist nachträglich eine Regelungslücke entstanden. Der BAT wurde für den Bereich der Kommunen zum durch den TVöD ersetzt (§ 2 TVÜ-VKA), für den Bereich der Länder zum durch den TV-L (§ 2 TVÜ-Länder). Bei der im öffentlichen Dienst erfolgten Ablösung des BAT durch den TVöD und den TV-L handelt es sich um eine Tarifsukzession: Gewerkschaft und Arbeitgeberseite ersetzten übereinstimmend ein Tarifwerk durch ein anderes Tarifwerk. Dadurch ist die zeitdynamisch ausgestaltete Bezugnahme auf den BAT im Arbeitsvertrag zur statischen geworden, weil das Objekt der Bezugnahme von den Tarifvertragsparteien nicht mehr weiterentwickelt wird ( - ZTR 2011, 150; - 5 AZR 122/09 -; - 5 AZR 888/08 - AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 73 = EzA TVG § 3 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 44).

16b) Die mit der Tarifsukzession entstandene nachträgliche Regelungslücke ist im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen.

17aa) Die Vertragsergänzung muss für den betroffenen Vertragstyp als allgemeine Lösung eines stets wiederkehrenden Interessengegensatzes angemessen sein. Es ist zu fragen, was die Parteien bei einer angemessenen Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragsparteien vereinbart hätten, wenn ihnen die Unvollständigkeit ihrer Regelung bekannt gewesen wäre ( - ZTR 2011, 150; - 5 AZR 888/08 - mwN, AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 73 = EzA TVG § 3 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 44).

18bb) Aus der dynamischen Ausgestaltung der Bezugnahme auf das tarifliche Regelungswerk ergibt sich zum einen der Wille der Parteien, die Vergütung nicht in einer bestimmten Höhe bis zu einer Vertragsänderung festzuschreiben, sondern sie - dynamisch - an der jeweiligen Höhe der Vergütung der Angestellten im öffentlichen Dienst auszurichten. Deshalb hätten die Parteien redlicherweise für den Fall einer Tarifsukzession das dem im Arbeitsvertrag benannten tariflichen Regelungswerk nachfolgende tarifliche Regelungswerk vereinbart, weil ein „Einfrieren“ der Vergütung auf den Zeitpunkt der Tarifsukzession nicht ihren Interessen entsprach ( - ZTR 2011, 150; - 5 AZR 122/09 -; - 4 AZR 796/08 - AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 76 = EzA TVG § 3 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 48; - 5 AZR 888/08 - AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 73 = EzA TVG § 3 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 44).

19cc) Zum anderen haben sich die Parteien mit der dynamischen Ausgestaltung der Bezugnahme auf das tarifliche Regelungswerk für die Zukunft der Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien des öffentlichen Dienstes anvertraut. Die mit der Tarifsukzession verbundene Änderung der Tarifwerke wirkt nicht anders auf den Arbeitsvertrag ein als eine (tiefgreifende) inhaltliche Änderung des im Arbeitsvertrag benannten Tarifvertrags. Mit dem Nachvollziehen der Tarifsukzession auf arbeitsvertraglicher Ebene werden die Parteien nicht anders gestellt, als sie stünden, wenn die Tarifvertragsparteien des öffentlichen Dienstes den BAT reformiert und ihm einen neuen Inhalt gegeben hätten. Dem steht auch nicht entgegen, dass im Arbeitsvertrag die Zusammensetzung der Vergütung (Grundvergütung, Ortszuschlag und Allgemeine Zulage) ausdrücklich benannt war. Dies hatte nur klarstellende Bedeutung bezüglich der Anwendung der Regelungen des BAT. Das gilt auch hinsichtlich des Passus in Ziffer 4.2 des Arbeitsvertrags: „Die Grundvergütung erhöht sich nach je zwei Jahren um den Steigerungsbetrag“. Diese Klausel entspricht der tariflichen Regelung in § 27 Abs. 1 Abschnitt B BAT (Erhöhung der Grundvergütung nach Lebensaltersstufen). Schließlich ist es unerheblich, dass die Parteien lediglich die Vergütung nach dem BAT ausrichteten und in anderem Zusammenhang Entgeltfragen wie zB das Weihnachtsgeld und die Schichtzulage individuell regelten. Die ergänzende Vertragsauslegung bezieht sich nur auf die Teile der Vergütung, die in Anlehnung an den BAT bestimmt wurden.

20dd) Der von der Beklagten erhobene Einwand der Verletzung ihrer negativen Koalitionsfreiheit geht fehl. Die Auslegung und die Wirksamkeit einer individualrechtlichen Bezugnahme auf Tarifverträge in ihrer jeweiligen Fassung als Ausdruck privatautonomer Gestaltungsmacht berührt die negative Koalitionsfreiheit dessen, der das Arbeitsverhältnis vertraglich der einschlägigen tarifvertraglichen Ordnung unterstellen wollte und dies auch durch die Zustimmung des Arbeitnehmers erreicht hat, nicht. Ein Verstoß gegen die negative Koalitionsfreiheit kommt nur dann in Betracht, wenn es um die von arbeitsvertraglichen Vereinbarungen unabhängige kollektiv-rechtliche Wirkungsweise von tariflichen Normen geht. Denn nur in diesem Bereich lässt sich die Verbindlichkeit von Rechten und Pflichten mit der Wahrnehmung von negativer oder positiver Koalitionsfreiheit begründen. Bei der ergänzenden Vertragsauslegung spielt weder die Mitgliedschaft oder Nichtmitgliedschaft in einer tarifschließenden Koalition noch die Position als Tarifvertragspartei eine Rolle ( - ZTR 2011, 150; - 4 AZR 691/08 - Rn. 47, 48, AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 75 = EzA TVG § 3 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 47).

21c) Die Annahme des Berufungsgerichts, gerade der TVöD und nicht der TV-L sei an die Stelle des BAT getreten, ist in der Revision nicht angegriffen worden.

5. Der Anspruch auf die geltend gemachten Einmalzahlungen ergibt sich aus Ziffer 4 des Arbeitsvertrags iVm. § 21 TVÜ-VKA. Diese Norm lautet auszugsweise wie folgt:

23Die Einmalzahlungen sind Vergütung iSd. Ziffer 4 des Arbeitsvertrags. Die zeitdynamische Verweisung umfasst auch tarifliche „Einmalzahlungen“, die an die Stelle einer (prozentualen) Erhöhung der im Arbeitsvertrag genannten Vergütungsbestandteile treten. Bei den Einmalzahlungen handelt es sich um pauschalierte Vergütungserhöhungen, die die in den Jahren 2006 und 2007 ausgebliebene Erhöhung der Vergütungs- bzw. Entgelttabellen kompensieren sollten und die - wie § 21 Abs. 2 TVÜ-VKA zeigt - keine von einem unmittelbaren Gegenleistungsbezug unabhängige Sonderzahlung sind (vgl.  - Rn. 32, AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 73 = EzA TVG § 3 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 44). Soweit keine Konkretisierung im Arbeitsvertrag erfolgt, erfasst der Begriff Vergütung alle finanziellen Leistungen des Arbeitgebers, die das in Bezug genommene tarifliche Regelungswerk als Gegenleistung für die vom Angestellten erbrachte Arbeitsleistung vorsieht (vgl.  - ZTR 2011, 150; - 5 AZR 888/08 - Rn. 41, aaO). Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts erfüllte die Klägerin 2006 und 2007 die tariflichen Voraussetzungen für die Einmalzahlungen.

24II. Die Klägerin hat gemäß Ziffer 4 des Arbeitsvertrags Anspruch auf die vom Landesarbeitsgericht zugesprochene Entgelterhöhung für die Zeit vom 1. Januar bis zum iHv. 72,69 Euro brutto monatlich. Nach der Tarifeinigung für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes von Bund und kommunalen Arbeitgebern vom , Teil A (Gemeinsame Regelungen für Bund und VKA) erhöhten sich die Tabellenentgelte ab dem um 50,00 Euro sowie anschließend um 3,1 %. Insoweit gelten die Ausführungen zu I. der Entscheidungsgründe entsprechend.

25III. Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Prozesszinsen ist begründet, §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2, § 187 Abs. 1 BGB. Allerdings hinsichtlich der Einmalzahlungen (600,00 Euro) und der Differenzvergütungen Januar bis Juni 2008 (436,14 Euro) nicht ab 8. Juli, sondern erst ab und der Monate Juli bis September 2008 (218,07 Euro) nicht ab , sondern erst ab . Die Klage ist am zugestellt worden, die Klageerweiterung am . Die Verzinsungspflicht beginnt an dem auf den Zustellungstag folgenden Tag ( - BAGE 96, 228, 233; - 5 AZR 715/07 - EzA BGB 2002 § 615 Nr. 27; - 9 AZR 645/08 - NZA-RR 2010, 271).

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1, § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

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Fundstelle(n):
UAAAD-85949