BAG Urteil v. - 6 AZR 726/09

Anspruch auf Strukturausgleich - Herabgruppierung

Gesetze: § 12 Abs 1 S 2 TVÜ-Bund, § 12 Abs 1 S 3 TVÜ-Bund, § 29 Abschn B Abs 2 Nr 1 BAT, Anl 3 TVÜ-Bund

Instanzenzug: Az: 2 Ca 410/08 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Niedersachsen Az: 5 Sa 85/09 Urteil

Tatbestand

1Der Kläger verlangt vom Beklagten Strukturausgleich nach § 12 Abs. 1 des Tarifvertrags zur Überleitung der Beschäftigten des Bundes in den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) und zur Regelung des Übergangsrechts (TVÜ-Bund) vom .

Der am geborene, verheiratete Kläger ist seit dem bei dem Beklagten, einem von der Bundesrepublik Deutschland finanzierten Forschungszentrum, als Mitarbeiter im wissenschaftlichen Dienst beschäftigt. Im Arbeitsvertrag ist vereinbart, dass sich das Arbeitsverhältnis nach dem Haustarifvertrag des Beklagten iVm. dem Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) vom und den diesen ergänzenden und ändernden Tarifverträgen bestimmt. Zu den Stufen des Ortszuschlags heißt es im BAT ua.:

Der Beklagte zahlte dem Kläger ab Januar 2005 Grundgehalt gemäß der Vergütungsgruppe Ia, Fallgruppe 1a, Teil I der Anlage 1a zum BAT und Ortszuschlag der Stufe 4. Seit dem vergütet der Beklagte den Kläger nach dem TVöD. Zur Stufenzuordnung und zur Zahlung eines Strukturausgleichs regelt der TVÜ-Bund ua.:

5Der Kläger wurde zum der Entgeltgruppe 15 TVöD und einer individuellen Zwischenstufe zugeordnet. Mit Wirkung zum wurde er versetzt und gleichzeitig in die Vergütungsgruppe Ib, Fallgruppe 1a, Teil I der Anlage 1a zum BAT eingruppiert. Seit dieser Herabgruppierung vergütet der Beklagte den Kläger nach der Entgeltgruppe 14, Stufe 4, TVöD und zahlt ihm eine widerrufliche monatliche Zulage. Ohne Erfolg hat der Kläger vom Beklagten die Zahlung von Strukturausgleich iHv. monatlich 50,00 Euro brutto ab dem verlangt.

6Der Kläger ist der Auffassung, er habe am und damit am maßgeblichen Stichtag die anspruchsbegründenden Voraussetzungen für den von ihm geltend gemachten Strukturausgleich iHv. monatlich 50,00 Euro brutto erfüllt. Angesichts der Stichtagsregelung in § 12 Abs. 1 Satz 2 TVÜ-Bund hindere die zum erfolgte Herabgruppierung seinen Anspruch auf Strukturausgleich nicht. Auch der Umstand, dass er beim Ortszuschlag zur Stufe 4 gehört habe, stehe seinem Anspruch nicht entgegen. Bei den Angestellten der Stufe 3 und der folgenden Stufen habe es sich um Angestellte der Stufe 2 mit berücksichtigungsfähigen Kindern im Sinne von § 29 Abschn. B Abs. 3 BAT gehandelt. Wären verheiratete Beschäftigte aufgrund ihrer Verpflichtung, Kindern Unterhalt zu gewähren, vom Anspruch auf Strukturausgleich ausgenommen, verstieße dies gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG und das Verbot der Benachteiligung von Familien in Art. 6 GG.

Der Kläger hat sinngemäß beantragt:

8Der Beklagte hat zu seinem Klageabweisungsantrag unter Hinweis auf ein Rundschreiben des Bundesministeriums des Innern (BMI) vom (D II 2-220 210 1/12) die Auffassung vertreten, § 12 TVÜ-Bund finde nach der Herabgruppierung des Klägers keine Anwendung, weil der fiktive Verlauf des Arbeitsverhältnisses unterbrochen worden sei. Bei der gebotenen wertenden Betrachtung müssten die anspruchsbegründenden Voraussetzungen für den Strukturausgleich nicht nur am Stichtag , sondern darüber hinaus bis zum Beginn der Zahlung am vorgelegen haben. Im Übrigen habe der Kläger das anspruchsbegründende Merkmal „Ortszuschlag Stufe 2 bei In-Kraft-Treten TVÜ“ nicht erfüllt.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Beklagten das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Der Beklagte beantragt, die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Gründe

10Die Revision des Klägers hat Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Dem Kläger steht der beanspruchte Strukturausgleich in rechnerisch unstreitiger Höhe von monatlich 50,00 Euro brutto zu.

11I. Die Feststellungsklage ist zulässig. Das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse liegt vor. Das angestrebte Urteil ist trotz seiner lediglich feststellenden und einer Vollstreckung nicht zugänglichen Wirkung geeignet, den Streit der Parteien über den Anspruch des Klägers auf Strukturausgleich endgültig beizulegen und weitere Prozesse zwischen ihnen zu verhindern (vgl.  - Rn. 11 mwN, EzTöD 320 TVÜ-VKA § 11 Abs. 1 Nr. 14). Der Beklagte lässt ebenso wie eine juristische Person des öffentlichen Rechts erwarten, dass er bereits auf ein der Klage stattgebendes Feststellungsurteil hin dem Kläger den geltend gemachten Strukturausgleich in der beanspruchten Höhe zahlt, so dass eine erneute Inanspruchnahme der Gerichte zur Durchsetzung des Anspruchs ausgeschlossen werden kann (vgl. Zöller/Greger ZPO 28. Aufl. § 256 Rn. 8; zum Feststellungsinteresse bei einem Streit mit einem privaten Arbeitgeber über Urlaubsfragen vgl. auch  - BAGE 16, 293, 296). Der teilweise Vergangenheitsbezug des Feststellungsantrags steht dem Feststellungsinteresse nicht entgegen. Der von § 256 Abs. 1 ZPO verlangte Gegenwartsbezug wird dadurch hergestellt, dass der Kläger die Erfüllung konkreter Vergütungsansprüche aus einem in der Vergangenheit liegenden Zeitraum und damit einen gegenwärtigen rechtlichen Vorteil erstrebt (st. Rspr. Senat seit - 6 AZR 330/08 - Rn. 13, BAGE 131, 325).

12II. Die Klage ist begründet. Der Anspruch des Klägers auf monatlichen Strukturausgleich iHv. 50,00 Euro brutto folgt aus § 12 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-Bund iVm. Anlage 3 TVÜ-Bund. Die Parteien sind sich einig, dass der Beklagte nach den getroffenen Vereinbarungen verpflichtet ist, den Kläger gemäß den Bestimmungen des TVöD und des TVÜ-Bund zu vergüten. Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts und der Ansicht des Beklagten hat der Kläger am maßgeblichen Stichtag alle anspruchsbegründenden Voraussetzungen für den von ihm geltend gemachten Strukturausgleich erfüllt.

131. Der am geborene Kläger war zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des TVÜ-Bund in die Vergütungsgruppe Ia, Teil I der Anlage 1a zum BAT eingruppiert und hatte Anspruch auf Grundgehalt nach der Lebensaltersstufe 41. Die zum erfolgte Versetzung des Klägers und seine damit verbundene Eingruppierung in die Vergütungsgruppe Ib, Teil I der Anlage 1a zum BAT hat an der Erfüllung des auf die Vergütungsgruppe bezogenen anspruchsbegründenden Merkmals der Anlage 3 zum TVÜ-Bund nichts geändert.

14a) Die Herabgruppierung des Klägers erfolgte weder rückwirkend zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des TVÜ-Bund noch mit Rückwirkung zu einem noch früheren Zeitpunkt. In § 12 Abs. 1 Satz 2 TVÜ-Bund und in der Strukturausgleichstabelle haben die Tarifvertragsparteien angeordnet, dass für die Frage, ob die anspruchsbegründenden Voraussetzungen erfüllt sind oder nicht, grundsätzlich die Verhältnisse bei Inkrafttreten des TVÜ-Bund maßgebend sind. Die nach Auffassung des Beklagten gebotene wertende Betrachtung, dass die Anspruchsvoraussetzungen für den Strukturausgleich in der Zeit vom bis zum vorgelegen haben müssen, lässt der Wortlaut „Maßgeblicher Stichtag … ist der …“ nicht zu.

15b) Allerdings haben die Tarifvertragsparteien von dem Grundsatz in § 12 Abs. 1 Satz 2 TVÜ-Bund, dass für die anspruchsbegründenden Voraussetzungen der maßgebend ist, abweichende Ausnahmen geregelt. In der Protokollerklärung zu § 12 Abs. 4 TVÜ-Bund haben sie angeordnet, dass bei späteren Veränderungen der individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit des Beschäftigten sich der Strukturausgleich entsprechend ändert. In § 12 Abs. 5 TVÜ-Bund haben sie bestimmt, dass bei Höhergruppierungen der Unterschiedsbetrag zum bisherigen Entgelt auf den Strukturausgleich angerechnet wird. Damit haben die Tarifvertragsparteien festgelegt, dass bei einer späteren Veränderung der Arbeitszeit oder einer nachfolgenden Höhergruppierung der Anspruch auf Strukturausgleich zwar bestehen bleibt, die Höhe des Ausgleichsbetrags sich jedoch ändert. Wenn sie keine von dem in § 12 Abs. 1 Satz 2 TVÜ-Bund aufgestellten Grundsatz abweichende Ausnahme bei Herabgruppierungen geregelt haben, wird daraus ihr Wille deutlich, dass sie bei Herabgruppierungen keine Ausnahmeregelung wollten und damit der Anspruch auf Strukturausgleich weder entfallen noch sich die Höhe des Ausgleichsbetrags ändern sollte. Mit Herabgruppierungen nach dem maßgeblichen Stichtag haben die Tarifvertragsparteien auch gerechnet. Sie sind bei der Stufenzuordnung der Beschäftigten in § 6 Abs. 2 Satz 3 TVÜ-Bund ausdrücklich davon ausgegangen, dass Beschäftigte vor dem herabgruppiert werden. Wenn sie gleichwohl nur für nach dem Stichtag erfolgte Höhergruppierungen eine Ausnahmeregelung bezüglich der Höhe des Strukturausgleichs getroffen haben, zwingt dies im Umkehrschluss zu der Auslegung, dass eine nach dem Stichtag wirksam gewordene Herabgruppierung für den Anspruch des Beschäftigten auf Strukturausgleich und die Höhe des Ausgleichsbetrags ohne Bedeutung sein, es also bei dem in § 12 Abs. 1 Satz 2 TVÜ-Bund aufgestellten Grundsatz bleiben sollte. Dafür spricht auch, dass die Tarifvertragsparteien in § 12 Abs. 1 Satz 2 TVÜ-Bund mit der Formulierung „sofern in Anlage 3 TVÜ-Bund nicht ausdrücklich etwas anderes geregelt ist“ hervorgehoben haben, dass Ausnahmen einer ausdrücklichen Regelung bedürfen.

16c) Die Regelung in § 6 Abs. 2 Satz 3 TVÜ-Bund stellt das Auslegungsergebnis nicht in Frage. Die Bestimmung regelt die Stufenzuordnung bei einer Herabgruppierung des Beschäftigten in der Zeit nach der Überleitung bis zum . Darin erschöpft sich die Vorschrift. Zum Anspruch auf Strukturausgleich bei einer Herabgruppierung des Beschäftigten nach dem Inkrafttreten des TVÜ-Bund und vor dem verhält sie sich nicht. Wenn für die Stufenzuordnung bei einer vor dem wirksam gewordenen Herabgruppierung des Beschäftigten fiktiv auf eine im September 2005 erfolgte Herabgruppierung abzustellen ist, ändert dies nichts daran, dass es für die anspruchsbegründenden Voraussetzungen für den Strukturausgleich auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens des TVÜ-Bund ankommt. Deshalb führt eine nach dem Stichtag wirksam gewordene Herabgruppierung des Beschäftigten auch nicht dazu, dass durch die Herabgruppierung ein Anspruch auf Strukturausgleich oder einen höheren Ausgleichsbetrag begründet wird, wenn der Beschäftigte am Stichtag die anspruchsbegründenden Voraussetzungen noch nicht erfüllt hat.

17d) Soweit der Beklagte unter Hinweis auf das Rundschreiben des Bundesministeriums des Innern (BMI) vom (D II 2-220 210 1/12) meint, bei einer Herabgruppierung werde der fiktive Verlauf des Arbeitsverhältnisses unterbrochen, trägt dieses Argument nicht.

18aa) Die in § 12 TVÜ-Bund für den Strukturausgleich getroffenen Regelungen finden unter den in § 1 Abs. 1 TVÜ-Bund genannten Voraussetzungen für die Dauer des ununterbrochen fortbestehenden Arbeitsverhältnisses Anwendung. Diese Voraussetzungen sind auch nach der Versetzung und Herabgruppierung des Klägers erfüllt. Die Parteien haben im Zusammenhang mit der Versetzung des Klägers kein neues Arbeitsverhältnis begründet. Auf einen fiktiven Verlauf des Arbeitsverhältnisses stellt § 1 Abs. 1 TVÜ-Bund für die Anwendung der Vorschriften dieses Tarifvertrags nicht ab. Das sieht auch die Gewerkschaft ver.di so, wenn sie der Auffassung ist, dass bei einer Herabgruppierung der Anspruch auf Strukturausgleich nicht entfällt (vgl. TS Berichtet Nr. 055/2007 vom ), so dass ein übereinstimmender Regelungswille der Tarifvertragsparteien dazu fehlt, ob und gegebenenfalls wie sich eine nach dem Inkrafttreten des TVÜ-Bund wirksam gewordene Herabgruppierung auf den Strukturausgleich auswirkt.

19bb) Wäre entsprechend der Rechtsauffassung des Beklagten der fiktive Verlauf des Arbeitsverhältnisses maßgebend, wäre die Stichtagsregelung weitgehend sinnentleert. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind Stichtagsregelungen Typisierungen in der Zeit, die Ausdruck einer pauschalisierenden Betrachtung sind, ohne die eine Umstellung von Vergütungssystemen nicht durchführbar wäre und die aus Gründen der Praktikabilität ungeachtet der damit verbundenen Härten zur Abgrenzung des begünstigten Personenkreises sachlich gerechtfertigt sind, wenn sich die Wahl des Stichtags am gegebenen Sachverhalt orientiert (vgl.  - Rn. 30, AP BGB § 611 Lehrer, Dozenten Nr. 186; - 6 AZR 244/08 - Rn. 22, AP TVÜ § 6 Nr. 1 = EzTöD 320 TVÜ-VKA § 6 Nr. 1; - 6 AZR 287/07 - Rn. 22, BAGE 129, 93; - 6 AZR 746/06 - Rn. 31, BAGE 122, 215; - 6 AZR 64/03 - BAGE 109, 110, 120). Dass Stichtagsregelungen je nach individueller Fallgestaltung in Einzelfällen sowohl zu überproportional positiven Folgen als auch zu Härten führen können, war den Tarifvertragsparteien bei der Regelung der Anspruchsvoraussetzungen für den Strukturausgleich bewusst (Nr. 1 Satz 1 der Niederschriftserklärungen zu § 12 TVÜ-Bund). Im Interesse einer für eine Vielzahl von Fallgestaltungen angestrebten Abmilderung von Exspektanzverlusten haben sie Verwerfungen in Einzelfällen ausdrücklich hingenommen (Nr. 1 Satz 2 der Niederschriftserklärungen zu § 12 TVÜ-Bund). Wenn die Tarifvertragsparteien trotz möglicher überproportional positiver Folgen oder Härten grundsätzlich an der Stichtagsregelung festgehalten und nur bei späteren Veränderungen der individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit und bei nachfolgenden Höhergruppierungen bestimmt haben, dass und wie sich die Höhe des Ausgleichsbetrags ändert, zeigt dies, dass andere Änderungen nach dem Inkrafttreten des TVÜ-Bund für den Anspruch auf Strukturausgleich und die Höhe des Ausgleichsbetrags auch dann ohne Bedeutung sein sollen, wenn sie zu den in Kauf genommenen überproportional positiven Folgen oder Härten führen.

202. Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts und der Ansicht des Beklagten steht dem Anspruch des Klägers auf Strukturausgleich nicht entgegen, dass diesem zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des TVÜ-Bund der Ortszuschlag der Stufe 4 zustand. Wenn in der Spalte 4 der Strukturausgleichstabelle beim Ortszuschlag neben der Stufe 1 nur die (volle) Stufe 2 ausgewiesen ist, kann daraus nicht abgeleitet werden, dass Strukturausgleich nur den Beschäftigten zusteht, die bei Inkrafttreten des TVÜ-Bund Ortszuschlag der Stufe 1 (§ 29 Abschn. B Abs. 1 BAT/BAT-O) oder der Stufe 2 (§ 29 Abschn. B Abs. 2 BAT/BAT-O) erhalten haben.

21a) Als verheirateter Angestellter gehörte der Kläger gemäß § 29 Abschn. B Abs. 2 Nr. 1 BAT zur Stufe 2. Der Umstand, dass er aufgrund von zwei gemäß § 29 Abschn. B Abs. 3 BAT zu berücksichtigenden Kindern Ortszuschlag der Stufe 4 erhalten hat, schließt diese Annahme nicht aus (vgl. Fieberg in Fürst GKÖD Bd. IV Stand April 2011 TVÜ-Bund/VKA F § 12 Rn. 15). Dies zeigt schon die Formulierung in § 29 Abschn. B Abs. 3 Satz 1 BAT: „Zur Stufe 3 und den folgenden Stufen gehören die Angestellten der Stufe 2, denen Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz (EStG) oder nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) zusteht oder ohne Berücksichtigung des § 64 oder § 65 EStG oder des § 3 oder § 4 BKGG zustehen würde“. Dass der Anspruch des Angestellten auf Kindergeld und damit auf kinderbezogenen Ortszuschlag nach dem Verständnis der Tarifvertragsparteien des BAT an seiner Zuordnung zur Stufe 1 oder 2 des Ortszuschlags nichts geändert hat, wird darüber hinaus auch aus der Regelung in § 29 Abschn. B Abs. 4 Satz 1 BAT deutlich. Nach dieser Vorschrift erhielten Angestellte der Stufe 1, denen Kindergeld nach dem EStG oder nach dem BKGG zustand oder ohne Berücksichtigung des § 64 oder § 65 EStG oder des § 3 oder § 4 BKGG zugestanden hätte, zusätzlich zum Ortszuschlag der Stufe 1 den Unterschiedsbetrag zwischen Stufe 2 und der Stufe, die der Anzahl der berücksichtigungsfähigen Kinder entsprach.

22b) Wenn in Abs. 1 der Vorbemerkungen zur Strukturausgleichstabelle geregelt ist, dass Angestellte, deren Ortszuschlag sich nach § 29 Abschn. B Abs. 5 BAT/BAT-O bemisst, den entsprechenden Anteil erhalten, in jedem Fall aber die Hälfte des Strukturausgleichs für Verheiratete, zeigt dies, dass die Tarifvertragsparteien auch die Angestellten in die Gruppe der Anspruchsberechtigten einbezogen haben, denen bei Inkrafttreten des TVÜ-Bund nicht nur der Ortszuschlag der Stufe 1, sondern darüber hinaus der Unterschiedsbetrag zwischen der Stufe 1 und der Stufe 2 zugestanden hat. Mit der Formulierung in Abs. 1 der Vorbemerkungen zur Strukturausgleichstabelle „Angestellte, deren Ortszuschlag sich nach § 29 Abschn. B Abs. 5 BAT/BAT-O bemisst“ haben die Tarifvertragsparteien im Sinne von § 12 Abs. 1 Satz 2 TVÜ-Bund ausdrücklich klargestellt, dass allen Angestellten, die bei Inkrafttreten des TVÜ-Bund nach § 29 Abschn. B Abs. 5 BAT/BAT-O Anspruch auf Ortszuschlag hatten, grundsätzlich Strukturausgleich zustehen kann. Denn § 29 Abschn. B Abs. 5 BAT/BAT-O erfasst nicht nur Angestellte der Stufen 1 und 2 des Ortszuschlags. Die Vorschrift stellt auf den für den Angestellten maßgebenden Ortszuschlag ab und spricht vom Ortszuschlag der Stufe 2 oder einer der folgenden Stufen.

23c) Aus dem Wort „ausschließlich“ in § 12 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-Bund kann zwar abgeleitet werden, dass die Zahlung von Strukturausgleich Ausnahmecharakter hat ( - Rn. 22, EzTöD 300 TVÜ-Bund § 12 Nr. 1). Dies lässt jedoch nicht den Schluss zu, dass das Merkmal „Orts-Zuschlag Stufe 1, 2“ die Beschäftigten vom Strukturausgleich ausschließen soll, die Anspruch auf Ortszuschlag der Stufe 3 oder einer der nachfolgenden Stufen hatten. Ob es nach dem Willen der Tarifvertragsparteien mehr oder weniger Ausnahmefälle geben soll, in denen Strukturausgleich zu zahlen ist, erschließt sich aus § 12 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-Bund nicht ( - Rn. 22, aaO).

24d) Auch Sinn und Zweck des Strukturausgleichs geben das Auslegungsergebnis vor.

25aa) Mit dem Strukturausgleich wollten die Tarifvertragsparteien Erwartungen auf zukünftige Entgeltsteigerungen nach dem bisherigen Tarifsystem Rechnung tragen. Bei der Ermittlung der begünstigten Personengruppen war entscheidend, welche Einkommensentwicklung bei der bisher erreichten Vergütungsgruppe oder Lebensaltersstufe sowie dem jeweiligen Familienstand (Ortszuschlag der Stufe 1 oder Stufe 2) noch möglich gewesen wäre. Dies erklärt, warum die Strukturausgleichsbeträge innerhalb einer Vergütungsgruppe bei verschiedenen Lebensaltersstufen nicht stets gleich hoch sind ( - Rn. 25, EzTöD 300 TVÜ-Bund § 12 Nr. 1).

26bb) Mit diesem Ziel, nach dem bisherigen Tarifsystem bestehenden Exspektanzen im Hinblick auf eine Höhergruppierung Rechnung zu tragen und Exspektanzverluste aufgrund der Beseitigung des Aufstiegs nach dem Lebensalter abzumildern, wäre es nicht zu vereinbaren, verheiratete Beschäftigte vom Strukturausgleich nur deshalb auszuschließen, weil ihnen kinderbezogene Bestandteile des Ortszuschlags zustanden. Das Kriterium, ob ein verheirateter Angestellter Kindern Unterhalt geleistet hat oder nicht, ist ohne jede Bedeutung sowohl für auf die Karriere als auch auf den Aufstieg nach Lebensaltersstufen bezogene Exspektanzen.

27e) Ein Verständnis, dass nur ledigen Angestellten der Stufe 1 mit Anspruch auf kinderbezogenen Ortszuschlag (§ 29 Abschn. B Abs. 4 BAT), nicht jedoch verheirateten Angestellten der Stufe 3 oder einer der folgenden Stufen (§ 29 Abschn. B Abs. 3 BAT) Strukturausgleich zustehen kann, wäre nicht mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu vereinbaren und ließe die durch Art. 6 GG geschützten Belange von Ehe und Familie sachwidrig außer Betracht. Zwar sind die Tarifvertragsparteien nicht unmittelbar grundrechtsgebunden ( - BAGE 111, 8, 15) und deshalb verfassungsrechtlich nicht verpflichtet, familienbezogene Vergütungsbestandteile zu vereinbaren ( - Rn. 28, BAGE 128, 210). Bei der Regelung familienbezogener Vergütungsbestandteile müssen sie jedoch gemessen am Leistungszweck gleichheitswidrige Differenzierungen vermeiden und bei der Ausgestaltung die Wertentscheidung des Art. 6 GG hinreichend beachten ( - Rn. 22 ff., EzTöD 320 TVÜ-VKA § 11 Abs. 1 Nr. 14; - 6 AZR 682/07 - Rn. 28, BAGE 128, 210; ErfK/Schmidt 11. Aufl. Art. 6 GG Rn. 16). Hätten die Tarifvertragsparteien gemäß der Rechtsauffassung des Beklagten verheiratete Beschäftigte mit Kindern vom Anspruch auf Strukturausgleich ausnehmen wollen, hätten sie aufgrund der sachlich nicht zu rechtfertigenden Benachteiligung gegenüber ledigen Beschäftigten mit Kindern und verheirateten Beschäftigten ohne Kinder die Grenzen ihrer Regelungsbefugnis überschritten.

283. Nach § 286 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 1 BGB iVm. § 24 Abs. 1 Satz 2 TVöD und § 288 Abs. 1 BGB stehen dem Kläger die beanspruchten Zinsen zu.

III. Gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1, § 97 Abs. 1 ZPO hat der Beklagte auch die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Fundstelle(n):
BB 2011 S. 1075 Nr. 17
KAAAD-85546