Vorliegen einer Überraschungsentscheidung (hier: Anerkennung von Fahrtkosten)
Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, FGO § 76
Instanzenzug:
Gründe
1Die Beschwerde ist begründet. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) leidet an einem Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Das Urteil der Vorinstanz beinhaltet eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) aufgrund einer Überraschungsentscheidung des FG soweit die Fahrtkosten der Kläger und die Verbrauchskosten des Fahrzeugs des Klägers betroffen sind.
21. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist eine Überraschungsentscheidung gegeben, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt gestützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der auch ein kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht rechnen musste (, BVerfGE 84, 188; , BFHE 186, 29, BStBl II 1998, 505; BFH-Beschlüsse vom IV B 152/97, BFH/NV 1998, 1511; vom I B 127/98, BFH/NV 1999, 1609; Senatsurteil vom VIII R 80/98, BFH/NV 2000, 978). Zwar hat das FG in der mündlichen Verhandlung vom die Frage der PKW-Kosten aufgegriffen und deutlich gemacht, der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) sei bei der Berechnung der Nutzungsdauer des PKW BMW . des Klägers fälschlicherweise von sechs und nicht von acht Jahren ausgegangen. Nur am Rande hat das FG in diesem Zusammenhang aber darauf hingewiesen, dass auch die vom Kläger angegebenen Verbrauchswerte einer Überprüfung unterzogen würden. In den Urteilsgründen hat das FG dann den Kraftstoffverbrauch des BMW unter Berufung auf die Internetseite www.fuel-pilot.de mit 8 Liter je 100 ... angesetzt. Angesichts der Tatsache, dass das FA den vom Kläger errechneten Kostenansatz von 1,51 € je Kilometer bereits in der Einspruchsentscheidung akzeptiert und diese Akzeptanz auch im FG-Verfahren mit Schriftsatz vom nochmals zum Ausdruck gebracht hatte, gab es für die steuerlich nicht vertretenen Kläger aus ihrer Sicht keinen Anlass, die Problematik des Kraftstoffverbrauchs nochmals zu vertiefen. Das gilt umso mehr, als der Kläger auf diese Bemerkung des FG entgegnet hat, der mit 11,8 ... auf 100 ... angegebene Verbrauch sei nicht zuletzt deshalb zutreffend, weil er überwiegend im Stadtverkehr unterwegs sei, ohne dass das FG daraufhin zu erkennen gegeben hat, es habe an dieser Darstellung Zweifel. In Anbetracht dieser Umstände hätte das FG die Kläger unmissverständlich darauf hinweisen müssen, die vom Kläger vorgetragenen —bislang unstreitigen— Verbrauchswerte seien fehlerhaft oder nicht richtig nachgewiesen. Demgemäß hätte es den Klägern aufgeben müssen, die Verbrauchswerte detailliert zu belegen und nachvollziehbar zu verifizieren. Wenn das FG stattdessen ohne vorherigen Hinweis auf Verbrauchswerte abstellt, die es der Internetseite www.fuel-pilot.de entnimmt, ohne den Klägern Gelegenheit zu geben, die nach ihrer Auffassung zutreffenden Verbrauchswerte zu belegen, liegt darin eine Verletzung des Rechts auf Gehör.
32. Nämliches gilt für die Nichtanerkennung der Fahrtkosten als Werbungskosten. Nach der Einspruchsentscheidung des FA vom und dem Schriftsatz des FA im FG-Verfahren vom waren die Fahrtkosten zwischen den Beteiligten außer Streit. Ausweislich des Sitzungsprotokolls vom hat das FG mit dem Kläger zwar über die von ihm gefertigte Aufstellung der Fahrten gesprochen. Das FG hat aber lt. Sitzungsprotokoll nicht zu erkennen gegeben, dass im Hinblick auf § 12 des Einkommensteuergesetzes irgendwelche Bedenken an der Anerkennung der Fahrtkosten bestehen könnten. Zudem geht das FG in den Urteilsgründen davon aus, der Kläger habe gemischte Fahrten unternommen, ohne dass auch nur im Ansatz eine Auseinandersetzung mit der Schilderung des Klägers hinsichtlich der Aufstellung der Fahrtkosten erfolgt wäre. Auch insoweit wäre das FG nach dem Untersuchungsgrundsatz (vgl. § 76 Abs. 1 FGO) verpflichtet gewesen, die Kläger zur Spezifizierung und zum Nachweis der Fahrtkosten anzuhalten, bevor es über diesen zwischen den Beteiligten unstreitigen Punkt eine Entscheidung zulasten der nicht vertretenen Kläger trifft.
43. Nach alledem hält der Senat es für angemessen, das angefochtene Urteil der Vorinstanz gemäß § 116 Abs. 6 FGO aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Lediglich vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass eine erneute Entscheidung die Änderung der Rechtsprechung gemäß den Grundsätzen des Beschlusses des Großen Senats des (BFHE 227, 1, BStBl II 2010, 672) zu berücksichtigen hat.
Fundstelle(n):
BFH/NV 2011 S. 1380 Nr. 8
SAAAD-85244