BFH Beschluss v. - I B 152/10

Kein Erlass wegen sachlicher Unbilligkeit nach Mindestbesteuerung

Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2, AO § 227

Instanzenzug:

Gründe

1 I. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) einen Anspruch auf Erlass von Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag hat.

2 Die Klägerin, eine GmbH, betrieb im Streitjahr (2005) und in den Vorjahren Spielhallen mit Geldspielgeräten. Sie erzielte bis zum Jahr 2004 zumeist Verluste; auf den wurde für sie ein Verlustvortrag in Höhe von ca. 6,9 Mio. € festgestellt.

3 Der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt —FA—) zog die Klägerin mit ihren Umsätzen zur Umsatzsteuer heran. Die Klägerin legte gegen die Umsatzsteuerbescheide Rechtsmittel ein, da sie die Spielumsätze für umsatzsteuerfrei hielt, führte aber die festgesetzten Steuern an das FA ab. Nachdem der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) und der Bundesfinanzhof (BFH) im Hinblick auf die Umsatzsteuer die Ansicht der Klägerin bestätigt hatten ( und C-462/02 „Linneweber”, Slg. 2005, I-1131; , BFHE 210, 164, BStBl II 2005, 617), wurden der Klägerin die in den Vorjahren gezahlten Beträge erstattet. Die Erstattung von 2.911.167 € Umsatzsteuer und die Zahlung darauf entfallender Zinsen (480.803 €) führte bei ihr zu einem Gesamtbetrag der Einkünfte in Höhe von 2.834.319 €.

4 Das FA setzte im Körperschaftsteuerbescheid für das Streitjahr diesen Gesamtbetrag der Einkünfte an und gewährte der Klägerin einen Verlustabzug nur nach Maßgabe des § 10d Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bundesregierung zur Vermittlungsempfehlung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz vom (BGBl I 2003, 2840, BStBl I 2004, 14) —EStG 2002 n.F.—. Danach verblieb ein zu versteuerndes Einkommen in Höhe von 733.728 €; auf dieser Basis setzte das FA für das Streitjahr die Körperschaftsteuer und den Solidaritätszuschlag zur Körperschaftsteuer fest. Die betreffenden Bescheide wurden bestandskräftig.

5 Die Klägerin beantragte einen Erlass der festgesetzten Körperschaftsteuer und des Solidaritätszuschlages aus sachlichen Billigkeitsgründen. Diesen Antrag lehnte das FA ab. Auf die deshalb erhobene Klage hin verpflichtete das Finanzgericht (FG) das FA zum Erlass von Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag; die Revision gegen sein Urteil ließ es nicht zu (). Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 116 abgedruckt.

6 Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde macht das FA geltend, dass die Revision nach § 115 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zuzulassen sei.

7 Die Klägerin tritt der Nichtzulassungsbeschwerde entgegen.

8 II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet. Die vom FA geltend gemachten Gründe für eine Zulassung der Revision liegen, soweit sie ordnungsgemäß dargelegt worden sind, nicht vor.

9 1. Nach § 115 Abs. 2 FGO ist die Revision gegen ein Urteil des FG zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1) oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert (Nr. 2). Wird auf einen dieser Gründe eine Nichtzulassungsbeschwerde gestützt, so muss der Zulassungsgrund in der Beschwerdebegründung dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO). Bei der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde können nur die ordnungsgemäß dargelegten Zulassungsgründe inhaltlich gewürdigt werden.

10 2. Grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO hat eine Rechtssache, wenn im konkreten Fall eine Rechtsfrage entscheidungserheblich ist, die im Interesse der Allgemeinheit der Klärung bedarf. Daran fehlt es, wenn das Urteil des FG einen besonders gelagerten Sachverhalt betrifft, dessen rechtliche Beurteilung nur für den Einzelfall oder für wenige damit vergleichbare Fälle von Interesse ist. Diese Situation liegt im Streitfall vor:

11 Das FG hat seine Entscheidung auf die Überlegung gegründet, dass die Erhebung einer Körperschaftsteuer sachlich unbillig sei, wenn die Entstehung der Steuer auf einem Zusammenwirken der Mindestbesteuerung gemäß § 10d Abs. 2 EStG 2002 n.F. einerseits und einer rechtswidrigen Steuererhebung in den Vorjahren andererseits beruhe. Es hat zudem auf den europarechtlichen Bezug des Streitfalls verwiesen und gemeint, dass die durch das Gemeinschaftsrecht angeordnete Umsatzsteuerbefreiung nur unvollkommen verwirklicht werde, wenn eine dagegen verstoßende Festsetzung von Umsatzsteuer trotz einer erfolgreichen Anfechtung des Umsatzsteuerbescheids fortbestehende steuerliche Nachteile des Unternehmers zur Folge habe. Seine Argumentation bezieht sich mithin ausschließlich auf Sachverhalte, die dadurch gekennzeichnet sind, dass erstens das Europarecht eine bestimmte Besteuerung verbietet, zweitens tatsächlich zunächst eine gegen dieses Verbot verstoßende Besteuerung stattfindet und drittens die spätere Rückabwicklung der Besteuerung die in § 10d EStG 2002 n.F. vorgesehene Mindestbesteuerung auslöst und diese wiederum zu anderen steuerlichen Nachteilen führt. Die nicht näher begründete Vermutung des FA, dass ein solches Zusammenspiel der genannten Faktoren in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen auftrete, teilt der beschließende Senat nicht. Vielmehr geht er davon aus, dass es im Streitfall um einen atypisch gelagerten Sachverhalt geht, der im Wirtschaftsleben allenfalls in wenigen anderen Fällen gegeben ist. Das schließt die Annahme aus, dass die erlassrechtliche Beurteilung des Streitfalls grundsätzliche Bedeutung hat.

12 3. Aus ähnlichen Gründen ist die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO ausgeschlossen.

13 a) Entgegen der Ansicht des FA bedarf es keiner Rechtsfortbildung zu der Frage, ob durch die Gewährung einer Billigkeitsmaßnahme „die gesetzgeberische Typisierung zur Mindestbesteuerung im § 10d Abs. 2 EStG unterlaufen wird”. Denn es geht im Streitfall nicht darum, ob ein (ausschließlich) durch die Mindestbesteuerung ausgelöster Rechtsnachteil einen Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen rechtfertigen kann; einen dahin gehenden Rechtssatz hat namentlich das FG nicht aufgestellt. Vielmehr steht allein die Frage der sachlichen Unbilligkeit in einer Situation in Rede, in der die Mindestbesteuerung dadurch ausgelöst wird, dass frühere rechtswidrige Steuerfestsetzungen zunächst zu einem erhöhten verbleibenden Verlustabzug geführt haben und ihre spätere Rückabwicklung einen entsprechend erhöhten Ertrag auslöst. Der Streitfall bietet keinen Anlass, auf diese Problematik inhaltlich einzugehen. Denn er ist jedenfalls so untypisch gelagert, dass ein allgemeines Interesse an seiner rechtlichen Beurteilung nicht besteht. Eines solchen bedarf es indessen auch für eine Revisionszulassung zum Zweck der Rechtsfortbildung (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 41).

14 b) Eine Abweichung des angefochtenen Urteils von einer anderen Entscheidung, die ebenfalls zur Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO führen würde, hat das FA nicht dargelegt. Dasselbe gilt für das Vorliegen eines besonders schwer wiegenden Rechtsfehlers. Das bedarf gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO keiner Begründung.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
BFH/NV 2011 S. 1284 Nr. 8
PAAAD-85232