BGH Beschluss v. - V ZB 292/10

Freiheitsentziehungsverfahren: Statthaftigkeit der zulassungsfreien Rechtsbeschwerde mit dem Ziel, die Rechtsverletzung des Betroffenen durch die Zurückweisung des Antrags auf Haftaufhebung festzustellen; Auswirkung der rechtskräftigen Entscheidung über die Haftanordnung auf das Haftaufhebungsverfahren

Leitsatz

1. Die Rechtsbeschwerde ist auch dann ohne Zulassung statthaft, wenn sie sich gegen einen Beschluss des Beschwerdegerichts richtet, mit welchem die Beschwerde gegen die Zurückweisung eines Haftaufhebungsantrags zurückgewiesen worden ist .

2. Die formelle Rechtskraft der Entscheidung über die Haftanordnung kann nicht durch ein Haftaufhebungsverfahren durchbrochen werden; hat sich die Haftanordnung erledigt, kann deshalb das Rechtsmittelgericht die Rechtsverletzung erst ab dem Eingang des Haftaufhebungsantrags bei dem Gericht des ersten Rechtszugs feststellen .

Gesetze: § 45 FamFG, § 62 Abs 1 FamFG, § 70 Abs 3 S 1 Nr 3 FamFG, § 70 Abs 3 S 2 FamFG, § 426 Abs 2 S 1 FamFG

Instanzenzug: LG Osnabrück Az: 11 T 583/10 (15) Beschlussvorgehend AG Nordhorn Az: 11 XIV 4221 B Beschluss

Gründe

I.

1Der Betroffene reiste am von den Niederlanden kommend unerlaubt in die Bundesrepublik ein. Er hatte am in Griechenland einen Asylantrag gestellt.

2Auf Antrag der beteiligten Behörde ordnete das Amtsgericht am die Haft zur Sicherung der Zurückschiebung des Betroffenen nach Griechenland für die Dauer von längstens zwei Monaten an.

3Am hat der Betroffene bei dem Amtsgericht beantragt, den Beschluss vom aufzuheben und festzustellen, dass "die Inhaftierung in Abschiebungshaft" rechtswidrig gewesen ist. Nachdem der Betroffene am nach Griechenland zurückgeschoben worden war, hat er am die Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner Inhaftierung beantragt. Diesen Antrag hat das "abgelehnt". Das Landgericht hat die Beschwerde mit Beschluss vom zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde will der Betroffene im Ergebnis die Feststellung erreichen, dass die Haftanordnung ihn in seinen Rechten verletzt hat.

II.

4Nach Ansicht des Beschwerdegerichts war die Haftanordnung rechtmäßig. Es hätten die in § 62 Abs. 2 Nr. 1 und 5 AufenthG genannten Voraussetzungen vorgelegen. Gegen das Beschleunigungsgebot sei nicht verstoßen worden.

III.

5Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht vollständig stand.

61. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG statthaft und auch im Übrigen zulässig.

7a) Statthaft ist auch eine Rechtsbeschwerde mit dem Ziel, die Rechtsverletzung des Betroffenen durch die Zurückweisung eines Antrags auf Haftaufhebung nach § 426 Abs. 2 Satz 1 FamFG festzustellen.

8Für diesen Feststellungsantrag kann nichts anderes gelten als für entsprechende Anträge nach Erledigung gegen die Haftanordnung eingelegter Beschwerden, in denen Feststellungsanträge analog § 62 Abs. 1 FamFG auch im Rechtsbeschwerdeverfahren gestellt werden können, ohne dass es einer Zulassung des Rechtsmittels bedarf (std. Rspr.: vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 172/09, FGPrax 2010, 150, 151 Rn. 9, 10; Beschluss vom - V ZB 184/09, FGPrax 2010, 152, 153 Rn. 4). Die besonderen Rechtsschutzmöglichkeiten beruhen auf dem Rehabilitierungsinteresse des Betroffenen nach einem Eingriff in sein Freiheitsgrundrecht und hängen nicht von dem konkreten Ablauf des Verfahrens ab (vgl. BVerfGE 104, 220, 235).

9b) Die Rechtsbeschwerde ist auch dann ohne Zulassung statthaft, wenn - wie hier - das Beschwerdegericht über einen Feststellungsantrag nach § 62 Abs. 1 FamFG entschieden hat und in dem Rechtsbeschwerdeverfahren die Überprüfung dieser Entscheidung verlangt wird (Senat, Beschluss vom - V ZB 29/10, InfAuslR 2011, 27 Rn. 4).

102. In der Sache hat die Rechtsbeschwerde teilweise Erfolg. Die Zurückweisung des Aufhebungsantrags hat ab dessen Eingang bei dem Amtsgericht am den Betroffenen in seinen Rechten verletzt, weil schon kein zulässiger Haftantrag vorlag.

11a) Das Fehlen des nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG auch für die Zurückschiebung erforderlichen Einvernehmens der zuständigen Staatsanwaltschaft führt nicht nur zur Unzulässigkeit der Haft, sondern zur Unzulässigkeit des Haftantrags, wenn sich aus ihm oder den ihm beigefügten Unterlagen ohne weiteres ergibt, dass gegen den Betroffenen ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren anhängig ist und der Antrag zu dem Vorliegen des Einvernehmens keine Angaben enthält (Senat, Beschluss vom - V ZB 202/10, juris Rn. 7, 10 ff.).

12So ist es hier. In dem von der Beteiligten zu 2 am gestellten Haftantrag heißt es unter "III. Sachverhalt" u.a.: "Seitens der hiesigen Dienststelle wurde ein Strafverfahren wegen der unerlaubten Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet gegen den o.a. afghanischen Staatsangehörigen eingeleitet." Angaben dazu, ob das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft mit der Zurückschiebung vorliegt, enthält der Antrag nicht.

13b) Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen (Senat, Beschluss vom - V ZB 136/10, juris Rn. 6 mwN). Es ist deshalb unerheblich, dass der Betroffene das Fehlen dieser Verfahrensvoraussetzung weder in den Vorinstanzen noch in der Rechtsbeschwerdebegründung gerügt hat.

14c) Gleichwohl ist die Rechtsbeschwerde unbegründet, soweit es um die Feststellung der Rechtsverletzung durch die Haftanordnung von Anfang geht. Dieser Feststellung steht die formelle Rechtskraft des (Haftanordnung) entgegen.

15aa) Zwar ist vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Vorgaben, die an einen wirkungsvollen Rechtsschutz bei prozessualer Überholung zu stellen sind, ein Rechtsschutzinteresse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit einer freiheitsentziehenden Maßnahme regelmäßig gegeben (siehe nur BVerfGE 104, 220, 234; Senat, Beschluss vom - V ZB 116/10, juris Rn. 8 mwN). Dieses rechtliche Interesse erlaubt jedoch nicht die Stellung eines Feststellungsantrags losgelöst von dem jeweils bestehenden Rechtsschutzsystem, sofern es dem Betroffenen zumutbar und möglich war, eine von der Verfahrensordnung bereitgestellte Rechtsschutzmöglichkeit zu ergreifen; besteht eine solche Möglichkeit, kann von dem Betroffenen erwartet werden, dass er diese wahrnimmt (Senat, Beschluss vom - V ZB 116/10, juris aaO).

16bb) Diese Voraussetzung liegt hier vor. Gegen den Beschluss, mit dem das Amtsgericht die Haft angeordnet hat, hat der Betroffene kein Rechtsmittel eingelegt.

17d) Die formelle Rechtskraft der Entscheidung über die Haftanordnung kann auch nicht durch das Verfahren auf Aufhebung der Haft nach § 426 Abs. 2 Satz 1 FamFG durchbrochen werden. Zwar sind Entscheidungen über die Anordnung der Haft nicht der materiellen Rechtskraft fähig, so dass ein Betroffener den Haftaufhebungsantrag nicht nur auf neue Umstände, sondern auch auf Einwände gegen die erstmalige Anordnung der Haft stützen kann (Senat, Beschluss vom - V ZB 129/08, NJW 2009, 299, 300 zu § 10 Abs. 2 FEVG). Diese Berücksichtigung von Einwänden gegen die Haftanordnung bei der Prüfung der Haftaufhebung führt aber nicht dazu, dass die formelle Rechtskraft unterlaufen werden darf (OLG München, FGPrax 2005, 276, 277; Keidel/Budde, FamFG 16. Aufl., § 62 Rn. 5; offengelassen von KG, NVwZ-RR 2009, 222, 223).

18e) Begründet ist die Rechtsbeschwerde jedoch insoweit, als das Beschwerdegericht den Feststellungsantrag auch für den Zeitraum ab dem Eingang des Haftaufhebungsantrags bei dem Amtsgericht am zurückgewiesen hat. Insoweit sind seine Entscheidung und auf die Beschwerde des Betroffenen auch die Entscheidung des aufzuheben.

IV.

19Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 81 Abs. 1, 83 Abs. 2, 430 FamFG, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO. Unter Berücksichtung der Regelung in Art. 5 Abs. 5 EMRK entspricht es billigem Ermessen, die Bundesrepublik Deutschland, der die beteiligte Behörde angehört, zur Erstattung eines Teils der notwendigen Auslagen des Betroffenen zu verpflichten. Die Kostenquote entspricht dem Verhältnis des gesamten Haftzeitraums zu dem Zeitraum, für den die Rechtsmittel Erfolg haben.

20Der Gegenstandswert bestimmt sich nach §§ 30 Abs. 2, 128c Abs. 2 KostO.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
KAAAD-85105