BGH Beschluss v. - V ZB 140/10

Leitsatz

Leitsatz:

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Instanzenzug: LG Halle, 2 T 122/10 vom AG Halle/Saale, 70 XIV B 7/10 vom

Gründe

I. Der Betroffene reiste am ohne Aufenthaltstitel in das Bundesgebiet ein und wurde am in Halle festgenommen.

Er hatte 1994 erfolglos Asyl in der Bundesrepublik Deutschland beantragt. Durch Zuweisungsentscheidung vom war sein Aufenthalt auf den Kreis Aachen beschränkt worden. Die im Rahmen von Asylfolgeantragsverfahren erteilten Duldungen nach § 55 Abs. 2 AuslG (jetzt § 60a AufenthG) enthielten eine entsprechende räumliche Beschränkung. Im November 2009 war der Betroffene aufgrund einer bestandskräftigen Abschiebungsanordnung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (nachfolgend BAMF) vom durch die Städteregion Aachen nach Frankreich abgeschoben worden.

Auf Antrag der Stadt Halle (Beteiligte zu 2) ordnete das Amtsgericht am Sicherungshaft für die Dauer von längstens drei Monaten an. Am stellte der Betroffene einen Asylfolgeantrag bei dem BAMF.

Das Landgericht hat die gegen die Haftanordnung gerichtete Beschwerde durch Beschluss vom zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde will der Betroffene, der zwischenzeitlich (erneut) nach Frankreich zurückgeschoben worden ist, die Feststellung erreichen, dass die Haftanordnung und die Beschwerdeentscheidung ihn in seinen Rechten verletzt haben.

II. Das Beschwerdegericht hält den Haftgrund der unerlaubten Einreise gemäß § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG für gegeben, weil der Betroffene nicht glaubhaft gemacht habe, dass er sich der Abschiebung nicht entziehen werde. Der Haftantrag sei von der zuständigen Behörde gestellt worden. Wegen der in Halle erfolgten Festnahme sei dies nach § 88 Abs. 1 Satz 2 SOG LSA die Beteiligte zu 2 gewesen. Dem stehe nicht entgegen, dass der Betroffene zwischenzeitlich einen Asylfolgeantrag gestellt habe. Hierdurch sei, weil die letzte räumliche Beschränkung fortgelte, zwar wieder die Zuständigkeit der Ausländerbehörde der Städteregion Aachen begründet worden. Für ausländerrechtliche Maßnahmen nach § 71 Abs. 7 Satz 2 AsylVerfG sei daneben aber auch die Ausländerbehörde zuständig, in deren Bezirk sich der Ausländer aufhalte. Zudem habe die Beteiligte zu 2 in der Beschwerdeinstanz zugleich in Amtshilfe für die Städteregion Aachen gehandelt.

III. Die auch nach der Zurückschiebung des Betroffenen zulässige Rechtsbeschwerde (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 218/09, FGPrax 2010, 210 Rn. 9; Beschluss vom - V ZB 13/10, Rn. 7, [...]) ist begründet.

Die Haftanordnung des Amtsgerichts und die Entscheidung des Beschwerdegerichts verletzen den Betroffenen in seinen Rechten. Die Beteiligte zu 2 war für die Beantragung von Sicherungshaft nicht zuständig. Da § 417 Abs. 1 FamFG einen Haftantrag der zuständigen Behörde voraussetzt, fehlt es an einer rechtmäßigen Haftanordnung. Das Vorliegen eines wirksamen Haftantrags ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen (Senat, Beschluss vom - V ZB 194/09, FGPrax 2010, 156 Rn. 11). Darauf, ob die Sicherungshaft materiell zu Recht angeordnet worden ist, kommt es nicht an. Denn nach Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG darf die in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistete Freiheit der Person nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden (BVerfG, NVwZ-RR 2009, 304 Rn. 10 f. [zu § 3 u. § 11 FrEntzG]).

1. Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts war die Beteiligte zu 2 nicht deshalb für die Beantragung der Haft zuständig, weil der Betroffene in ihrem Bezirk aufgegriffen worden ist.

a) Zwar lässt sich aus § 62 Abs. 4 AufenthG in bestimmten Fällen eine Befugnis der für den Aufgriffsort zuständigen Ausländerbehörde ableiten, den Antrag auf Anordnung der Sicherungshaft zu stellen (dazu näher Senat, Beschluss vom - V ZB 194/09, aaO, Rn. 21 ff.). Auch weist die von dem Beschwerdegericht herangezogene Vorschrift des § 71 Abs. 7 Satz 2 AsylVfG die Zuständigkeit für ausländerrechtliche Maßnahmen der für den Aufenthaltsort eines Asylfolgeantragstellers zuständigen Ausländerbehörde zu.

Das Beschwerdegericht verkennt aber, dass sich die für den Aufgriffsbzw. Aufenthaltsort zuständige Ausländerbehörde nach den Regelungen des Landesrechts richtet und deshalb die Vorschrift des § 3 Abs. 1 Nr. 1 Allg-ZustVO-Kom LSA Anwendung findet. Sie bestimmt, dass für das gesamte Gebiet des Landes Sachsen-Anhalt Ausländerbehörde im Sinne des § 71 Abs. 1 Satz 2 AufenthaltsG für die Abschiebung und Zurückschiebung (§§ 57 und 58 AufenthaltsG) der Landkreis Halberstadt ist. Damit liegt auch die Zuständigkeit für die Beantragung von Abschiebungs- und Zurückschiebungshaft ausschließlich bei dem Landkreis Halberstadt (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Juni 2010, § 71 AufenthG Rn. 9 u. 12; GK-AufenthG/Gutmann, Stand März 2011, § 71 Rn. 19 u. 73).

Angesichts dieser Regelung lässt sich eine Zuständigkeit der Beteiligten zu 2 auch nicht aus § 88 Abs. 1 Satz 2 SOG LSA ableiten. Denn die für die Beantragung von Sicherungshaft örtlich zuständige Behörde wird nur dann durch die Polizeigesetze der Länder bestimmt, wenn für die Durchführung ausländerrechtlicher Maßnahmen landesrechtlich nichts anderes angeordnet worden ist (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 194/09, aaO, Rn. 17; Beschluss vom - V ZB 51/10, Rn. 9, [...]).

b) Ob die Beteiligte zu 2 im Rahmen einer aus § 3 Abs. 4 VwVfG i.V.m. der landesrechtlichen Verweisungsnorm (§ 1 Abs. 1 VwVfG LSA) abgeleiteten Not- oder Eilzuständigkeit hätte tätig werden können, bedarf keiner Entscheidung. Abgesehen davon, dass sie sich nicht auf Gefahr im Verzug berufen hat, hätte sich aus einer solchen Zuständigkeit nur die Befugnis zur Durchführung unaufschiebbarer Maßnahmen ergeben, also die Berechtigung, Haft für die Zeit zu beantragen, in der die zuständige Ausländerbehörde - der Landkreis Halberstadt - nicht erreichbar war. Tatsächlich ist auf der Grundlage des Haftantrags der Beteiligten zu 2 aber Sicherungshaft für die Dauer von drei Monaten angeordnet worden.

2. Schließlich kann offen bleiben, ob die Städteregion Aachen wegen der Zuweisungsentscheidung aus dem Jahr 1994 und der damit verbundenen Aufenthaltsbeschränkung nach § 56 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG (vgl. hierzu Senat, Beschluss vom - V ZB 194/09, FGPrax 2010, 156 Rn. 13; GK-AufenthG/Gutmann, aaO, Rn. 9.1) weiterhin örtlich zuständig war und ob die Beteiligte zu 2 für diese im Wege der Amtshilfe einen Haftantrag hätte stellen können (gegen eine solche Möglichkeit wohl OLG Frankfurt, Beschluss vom - 20 W 442/98, [...], Rn. 27; offen gelassen von OLG Karlsruhe, FGPrax 2008, 228, 229). Eine etwaige Antragstellung im Wege der Amtshilfe hätte offengelegt werden müssen (OLG Karlsruhe, aaO). Die Beteiligte zu 2 hat den Haftantrag jedoch unter Hinweis auf eine aus § 71 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 13 AllgZustVO-Kom LSA abgeleitete originäre Zuständigkeit gestellt. Dass sie im Beschwerdeverfahren in Amtshilfe für die Städteregion Aachen aufgetreten ist, führt im Hinblick darauf, dass der Mangel eines Haftantrags nicht nachträglich geheilt werden kann (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 218/09, FGPrax 2010, 210 Rn. 19), zu keiner anderen Beurteilung.

IV. Die Entscheidung über die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe folgt aus § 76 Abs. 1 FamFG, § 114 Satz 1 ZPO, § 78 Abs. 1 FamFG. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2 FamFG, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO.

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Fundstelle(n):
MAAAD-84611