Leitsatz
Leitsatz:
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Instanzenzug: OLG Frankfurt/Main, 16 U 33/10 vom LG Frankfurt/Main, 2-8 O 229/09 vom
Gründe
I. Die im Jahre 1923 geborene Klägerin war Inhaberin eines 9/10 Anteils an einem mit einem Mehrfamilienhaus bebauten Grundstück in F. . Sie bewohnt eine der Wohnungen im Haus. Der Beklagte ist seit dem Jahr 2003 Mieter einer im Erdgeschoss des Hauses belegenen Gewerbefläche.
Mit vier notariellen Vereinbarungen vom , , und verkaufte die Klägerin ihren Miteigentumsanteil an dem Grundstück an den Beklagten. Dieser verpflichtete sich zu einer monatlichen Rentenzahlung von 600 €, zur Einräumung eines lebenslangen Wohnrechts an der von der Klägerin bewohnten Wohnung, zur Übernahme einer Restschuld von 14.800 € und zur Pflege der Klägerin im Rahmen seiner Möglichkeiten. Der Vertrag wurde vollzogen.
Die durch ihren im April 2009 von dem Amtsgericht bestellten Betreuer vertretene Klägerin hat die Bewilligung einer Berichtigung des Grundbuchs verlangt, weil sie bei Abschluss der notariellen Vereinbarungen nicht mehr geschäftsfähig gewesen sei. Das Land- und das Oberlandesgericht haben der Klage unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des § 138 Abs. 2 BGB stattgegeben. Mit der Beschwerde wendet sich der Beklagte gegen die Nichtzulassung der Revision.
II. Das Berufungsgericht meint, dass die Klägerin von dem Beklagten die Berichtigung des Grundbuchs (§ 894 BGB) verlangen könne, weil die Verträge nach § 138 Abs. 2 BGB nichtig seien.
Es liege ein grobes Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung vor, weil der Verkehrswert des veräußerten Miteigentumsanteils der Klägerin schon nach dem von dem Beklagten im Berufungsverfahren vorgelegen Privatgutachten mindestens 198.000 € betrage. Der Wert der Gegenleistungen des Beklagten belaufe sich demgegenüber auf insgesamt 65.012,80 €.
Die Klägerin sei auf Grund eines Mangels an Urteilsvermögen zur Zeit des Vertragsschlusses nicht mehr in der Lage gewesen, die beiderseitigen Leistungen zu bewerten und die Vor- und Nachteile des Geschäfts gegeneinander abzuwiegen. Die tatrichterliche Würdigung im landgerichtlichen Urteil, die auf einer Auswertung des im Verfahren über die Anordnung der Betreuung erstellten psychiatrischen Gutachtens und einer Anhörung der Klägerin beruhe, sei nicht zu beanstanden. Die von dem Beklagten beantragte Vernehmung des beurkundenden Notars sei nicht veranlasst, weil unterstellt werden könne, dass sich dieser von der Verständnisfähigkeit der Klägerin überzeugt habe. Das stelle jedoch lediglich die persönliche Einschätzung des Notars dar, welche die auf den Gesamtumständen beruhende Überzeugung des Gerichts davon, dass die nach außen souverän auftretende Klägerin die Sache letztlich nicht habe überblicken können, nicht zu erschüttern vermöge.
Der Beklagte habe den Mangel an Urteilsvermögen auch ausgebeutet. Dies sei bereits auf Grund des Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung zu vermuten. Zudem sei auf Grund der wechselnden Angaben des Beklagten zum Wert des Anwesens und den Umständen der vier Beurkundungen, in denen die Gegenleistung immer höher geworden sei, davon auszugehen, dass der Beklagte sowohl das Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung als auch das mangelnde Urteilsvermögen der Klägerin gekannt habe.
III. Das angefochtene Urteil ist nach § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben, weil das Berufungsgericht den Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt mit Recht eine Verletzung des Verfahrensgrundrechts durch die Zurückweisung des Beweisangebots des Beklagten, den beurkundenden Notar als Zeugen dafür zu vernehmen, dass die Klägerin die wirtschaftlichen Folgen ihrer Erklärungen einzuschätzen vermochte und der Vertrag ihrem wahren Willen entsprach.
a) Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots, die im Prozessrecht keine Stütze hat, verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG (, NJW-RR 2010, 1217, 1218 mwN - std. Rspr.). Das gilt insbesondere dann, wenn die Nichterhebung des Beweises auf vorweggenommener tatrichterlicher Beweiswürdigung beruht (vgl. , RuS 2010, 64; BVerfG, NJW 2009, 1585, 1587 - jeweils mwN - std. Rspr.).
b) Eine unzulässige Beweisantizipation liegt dann vor, wenn ein angebotener Zeugenbeweis deshalb nicht erhoben wird, weil das Gericht dessen Bekundungen wegen seiner bereits gewonnenen Überzeugung kein Gewicht mehr beimisst (vgl. BVerfG, NJW-RR 2001, 1006, 1007). So ist es hier. Das Berufungsgericht hat von der Vernehmung des Notars als Zeugen abgesehen, weil eine Bekundung der persönlichen Einschätzung des Notars die auf einer Gesamtwürdigung beruhende Überzeugung des Gerichts nicht mehr erschüttern könne. Die Nichterhebung eines angebotenen Beweises mit der Begründung, es sei bereits das Gegenteil erwiesen, ist grundsätzlich unzulässig (, BGHZ 53, 245, 259; vom - VI ZR 128/85, BGHR ZPO § 286 Beweisantrag, Ablehnung 1).
c) Daran ändert auch der Umstand nichts, dass das Berufungsgericht davon ausgegangen ist, dass der Notar von der Verständnisfähigkeit der Klägerin überzeugt gewesen sein mag. Es hat dabei nämlich nicht die unter Beweis gestellte Behauptung, dass die Klägerin die Verhältnisse überblickt und den Verkauf an den Beklagten gewollt habe, zu Gunsten des Beklagten als wahr unterstellt, sondern den Aussagen des Notars von vorneherein jeden Beweiswert abgesprochen, weil dieser nur seine persönliche Einschätzung über das Urteilsvermögen der Klägerin in dem maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses wiedergeben könne.
d) Das Berufungsgericht durfte den Beweisantritt auch nicht wegen Ungeeignetheit des Beweismittels für die zu beweisende Tatsache zurückweisen. Das ist allerdings ausnahmsweise dann zulässig, wenn der Unwert des Beweismittels feststeht, weil nach dem Ergebnis einer bereits durchgeführten Beweisaufnahme jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, dass der übergangene Beweisantrag Sachdienliches ergeben und die von dem Gericht bereits gewonnene Überzeugung erschüttern kann (, BGHR ZPO § 286 Beweisantrag, Ablehnung 1). Die Voraussetzungen dafür liegen ebenfalls nicht vor.
aa) Der Beweisantrag durfte schon deshalb nicht zurückgewiesen werden, weil eine Beweisaufnahme zu der streitigen Tatfrage gar nicht stattgefunden hat. Die Würdigung in dem angefochtenen Urteil beruht allein auf Schlussfolgerungen des Berufungsgerichts aus einem in dem Verfahren zur Bestellung eines Betreuers erstatteten Gutachten und aus den Erklärungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht zu ihrem persönlichen Verhältnis zu dem Beklagten und ihren Vorstellungen vom Wert der gegenseitigen Leistungen.
Das Berufungsgericht verfügte nicht auf Grund vorangegangener Beweisaufnahme über eine bessere Sachkunde für die Beurteilung des Urteilsvermögens der Klägerin in dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses als der von dem Beklagten als Zeuge angebotene Notar, der gemäß §§ 11, 17 BeurkG verpflichtet ist, die Geschäftsfähigkeit der Parteien festzustellen und sich darüber zu vergewissern hat, dass der Vertrag auch ihrem Willen entspricht.
bb) Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass die Vernehmung zu der Beweisfrage Sachdienliches ergeben kann. Das Berufungsgericht hat bei der Zurückweisung des Beweisantrags des Beklagten auf Vernehmung des Notars nicht berücksichtigt, dass nach dem von ihm vorgelegten Schreiben der Notar mit der Klägerin auch ein mögliches Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung und die Motive für einen Verkauf an den Beklagten zu diesen Konditionen erörtert hat. Diese Umstände betreffen aber gerade die für die Feststellung des Wuchers (§ 138 Abs. 2 BGB) entscheidenden tatsächlichen Umstände, ob bei der Klägerin ein Mangel an Urteilsvermögen vorlag.
2. Das übergangene Vorbringen betrifft auch einen entscheidungserheblichen Punkt. Die Verurteilung des Beklagten zu einer Bewilligung der Berichtigung des Grundbuchs nach § 894 BGB lässt sich auf der Basis der bisherigen Feststellungen nicht aufrechterhalten.
Dieser Anspruch ist unter den Voraussetzungen des Wuchers nach § 138 Abs. 2 BGB gegeben, bei dem sich die Nichtigkeit auch auf das Erfüllungsgeschäft erstreckt (Senat, Urteile vom - V ZR 47/87, NJW 1985, 3006, 3007 und vom - V ZR 147/05, NJW 2006, 3054, 3056). Die Ausschöpfung der angebotenen Beweise ist vor dem rechtlichen Hintergrund unverzichtbar, dass an die Feststellung der subjektiven Voraussetzungen des Wuchertatbestands (§ 138 Abs. 2 BGB) strenge Anforderungen gestellt werden müssen (vgl. , aaO; Senat, Urteil vom - V ZR 147/05, aaO). Hierzu wird daher den Beweisangeboten beider Parteien zu ihren entgegengesetzten Behauptungen, ob die Klägerin im Zeitpunkt der Beurkundungen noch ihren Willen frei bilden und die rechtliche und wirtschaftliche Tragweite ihrer Erklärungen einzuschätzen vermochte, nachzugehen sein.
IV. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass nach den Feststellungen über das auffällige Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung, auch ein Anspruch auf Rückübertragung nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1, § 138 Abs. 1 BGB begründet sein könnte.
Ein solches Missverhältnis ergäbe sich im Übrigen auch bei einer Einbeziehung der von dem Beklagten mit 600 € monatlich in Ansatz gebrachten Pflegeleistung, die bei dem Alter der Klägerin auf 28.350 € zu kapitalisieren wäre. Der Gesamtwert aller vertraglichen Gegenleistungen von 93.542,80 € läge auch dann immer noch unter der Hälfte des nach dem von dem Beklagten vorgelegten Gutachten auf 198.000 € zu bemessenden Werts des von der Klägerin verkauften Miteigentumsanteils. Es begründet die tatsächliche Vermutung eines Handelns des begünstigten Vertragsteils in verwerflicher Gesinnung; Folge ist die Nichtigkeit des schuldrechtlichen Vertrags nach § 138 Abs. 1 BGB (vgl. Senat, Urteil vom - V ZR 437/99, BGHZ 146, 298, 306).
Fundstelle(n):
CAAAD-83985