Leitsatz
Leitsatz:
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Instanzenzug: VG Cottbus, VG 1 K 665/06 vom
Gründe
1. Die Entscheidung über die Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt Sch. beruht auf § 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO.
2. Die allein auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde des Klägers hat mit dem Ergebnis Erfolg, dass auf seine Verfahrensrüge einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG; § 108 Abs. 2 VwGO) das angegriffene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen wird (§ 132 Abs. 2 Nr. 3, § 133 Abs. 6 VwGO).
Verfahrensfehlerhaft ist die Feststellung des Verwaltungsgerichts, es fehle an jedem Anhaltspunkt, dass die "Staatssicherheit" Einfluss auf die Entziehung des Grundstücks genommen habe, soweit sich diese Feststellung auf den Klagevortrag zur beabsichtigten Verwendung der entzogenen Fläche für die Sicherung des Staats-(Diplomaten-)Jagdgebiets und dessen Umfeld bezieht; denn für die Stichhaltigkeit dieses Vorbringens hat der Kläger mehrere Indizien vorgetragen, die das Gericht ausweislich der Entscheidungsgründe ersichtlich in seinem Urteil nicht in Erwägung gezogen hat.
Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gericht ist zwar nicht gezwungen, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen sowohl zur Kenntnis genommen als auch in seine Erwägungen einbezogen hat. Nur bei deutlichen gegenteiligen Anhaltspunkten kann ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs angenommen werden (vgl. z.B. Beschlüsse vom - BVerwG 7 B 300.98 - [...] und vom - BVerwG 7 B 38.00 - ZOV 2002, 290). Die wesentlichen, der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dienenden Tatsachenbehauptungen müssen in den Entscheidungsgründen verarbeitet werden ( - [...] Rn. 23 m.w.N.). Geht das Gericht auf der Grundlage seiner insoweit maßgeblichen materiellrechtlichen Auffassung (vgl. dazu Beschlüsse vom - BVerwG 7 B 52.98 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 156 und vom - BVerwG 7 B 398.98 - [...]) auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags eines Beteiligten zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (vgl. u.a. BVerfG, Beschlüsse vom - 1 BvR 426/77 - BVerfGE 47, 182 <189> und vom - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <146>; BVerwG 4 C 15.88 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 206 S. 38 Rn. 11 ff., vom - BVerwG 8 C 20.96 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 274 Rn. 10, vom - BVerwG 4 C 20.94 - BVerwGE 98, 235 = Buchholz 406.12 § 15 BauNVO Nr. 25 S. 9, 12 Rn. 11 und BVerwG 8 B 17.10 - [...]). So liegt der Fall hier.
Das Verwaltungsgericht ist in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts davon ausgegangen, dass ein Erfolg des auf § 3 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 3 VermG gestützten Restitutionsanspruchs des Klägers voraussetzt, dass es sich bei dem schädigenden Ereignis um eine als unlautere Machenschaft zu bewertende Maßnahme gehandelt hat, die zielgerichtet den Verlust des zurückgeforderten Vermögenswertes bezweckte; dies habe bei einem Zugriff auf Bodenreformeigentum dann der Fall gewesen sein können, wenn staatliche Stellen der DDR unter manipulativem Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften dem Landwirt die Neubauernstelle oder einzelne Bodenreformflächen entzogen haben, um diese dem Staat oder einer LPG als Volkseigentum oder einem anderen Landwirt als Bodenreformeigentum zu verschaffen. Auf dieser Grundlage ist das Verwaltungsgericht im angegriffenen Urteil zu der Schlussfolgerung gelangt, der Restitutionsanspruch des Klägers scheitere daran, dass das Vorliegen dieser Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 3 VermG nach Ausschöpfung der vorliegenden Erkenntnismittel, über die hinaus weder weitere ersichtlich noch von den Beteiligten aufgezeigt worden seien, nicht nachgewiesen sei. Für einen Einfluss des Ministeriums für Staatssicherheit auf den Vorgang der Entziehung des Grundstücks fehle es "an jedem Anhaltspunkt" (UA S. 21 2. Absatz).
Der Kläger rügt insoweit zu Recht, das Gericht habe zwar geprüft, ob sich eine speziell auf die Person seines Vaters gerichtete Maßnahme der "Staatssicherheit" - als Sanktion für ein damals 20 Jahre zurückliegendes individuelles Fehlverhalten - nachweisen lasse. Es habe aber sein entscheidungserhebliches Vorbringen nicht in Erwägung gezogen, dass es bei der am auf Ersuchen des Rates des Kreises K. vom in Eigentum des Volkes erfolgten Übertragung des in Rede stehenden Grundstücks (B., Flurstück ... der Flur ... <Größe 5 732 m2; früher: Parzellen ... der Flur ... und ... der Flur ...>, heute eingetragen auf Blatt ... des Grundbuchs von B.) nicht um die Sanktionierung individuellen Fehlverhaltens seines Vaters und schon gar nicht um die Sanktionierung eines Verstoßes seines Vaters gegen Verpflichtungen aus dem Bodenreformeigentum gegangen sei. Vielmehr sei der Entzug des Eigentums erfolgt, um die Kontrollmöglichkeiten der "Staatssicherheit" im Umfeld des Staats-(Diplomaten-)Jagdgebiets Märkisch-Buchholz zu perfektionieren. Der Entzug des Eigentums des Vaters des Klägers sei Teil der großen Enteignungsaktion gewesen, auf die sich der Rechtsträgernachweis vom beziehe. Um dieses Ziel zu erreichen, seien die damals in der DDR geltenden gesetzlichen Bestimmungen missachtet und gleichzeitig die realen Hintergründe und Zusammenhänge der Maßnahme verschleiert worden. Zwar ist das Verwaltungsgericht im angegriffenen Urteil auf einzelne Elemente im Vortrag des Klägers zum Diplomaten-Jagdgebiet eingegangen (UA S. 23 und 24). Die im Urteil daraus gezogene Schlussfolgerung, es fehle an "jedem" Anhaltspunkt für einen Einfluss des Ministeriums für Staatssicherheit auf den Vorgang der Eigentumsentziehung, lässt jedoch erkennen, dass wesentliche, der Rechtsverfolgung des Klägers dienende Tatsachenbehauptungen zur Einflussnahme des Ministeriums für Staatssicherheit nicht in Erwägung gezogen worden sind. Dies gilt zunächst für sein Vorbringen, das Ministerium für Staatssicherheit habe die Oberaufsicht in allen nach Auffassung dieses Ministeriums die Sicherheit des Diplomaten-Jagdgebiets betreffenden Fragen gehabt, was sich insbesondere aus den - von der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR übersandten - Anlagen 5, 11, 12, 24, 25, 16, 18 und 19 sowie aus der Bestellung eines "Offiziers im besonderen Einsatz (OibE)" als Leiter des Jagdgebiets ergebe, die aufgrund eines Vorschlags der Hauptabteilung II der "Staatssicherheit" erfolgt sei. Aus diesen Unterlagen folge ferner, dass sich das Interesse der "Staatssicherheit" nicht nur auf die unmittelbar der Jagd dienenden Forstgebiete beschränkt, sondern auf das gesamte als Staatsjagdgebiet ausgewiesene Terrain mit zahlreichen Ortschaften bezogen habe, zu dem auch das hier in Rede stehende Grundstück gehört habe. Das besondere Interesse der "Staatssicherheit" an diesem Hausgrundstück habe sich daraus ergeben, dass es in einer Entfernung von nur ca. 500 m vom Dienstsitz des Leiters des Staatsjagdgebiets und "Offiziers im besonderen Einsatz" belegen gewesen sei. Anfang der 1980er Jahre habe man, wie die vorgelegten Unterlagen zeigten, seitens der von der "Staatssicherheit" dominierten Leitung des Staatsjagdgebiets beschlossen, im engeren und weiteren Umfeld des Verwaltungszentrums eine Bereinigung der Eigentumsverhältnisse durch Entfernung der noch vorhandenen Eigentümer vorzunehmen. Das "Dienstleistungsamt für ausländische Vertretungen (DAV)" habe dann den Auftrag erhalten, dies verwaltungsmäßig durchzusetzen. Das Schreiben des DAV vom an die Außenstelle K. des Rates des Bezirks P. und das daraufhin ergangene Schreiben des Rates des Kreises K. an den Vater des Klägers vom belegten den entsprechenden zielgerichteten Willen der staatlichen Behörden im Rahmen der angelaufenen Aktion, von der auch das Nachbargrundstück erfasst worden sei, was der Rechtsträgernachweis vom ausweise. Dementsprechend habe die "Staatssicherheit" noch im Jahre 1985 in ihrem Maßnahmeplan das Umfeld dieses Hausgrundstücks als einen "Schwerpunkt(bereich) der militärischen Sicherheit" bezeichnet. Da sich bei den unter der Oberaufsicht der "Staatssicherheit" erfolgten Bemühungen der staatlichen Stellen herausgestellt habe, dass ein "Erwerb" des Bodenreformgrundstücks des Vaters des Klägers nach den damals geltenden Vorschriften nicht zulässig gewesen sei, habe man den - im Zusammenwirken des Ministeriums für Staatssicherheit, des DAV sowie der örtlichen Stellen - erfolgten Zugriff auf das Grundstück zu verschleiern versucht. Dies sei dadurch geschehen, dass man im Rechtsträgernachweis vom vage und unbestimmt lediglich eine "gegebene Veranlassung" als Grund für die Entziehung des Eigentums angegeben habe, was ungesetzlich gewesen sei. Mit diesen konkreten und entscheidungserheblichen Tatsachenbehauptungen des Klägers hat sich das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils nicht auseinandergesetzt. Anderenfalls wäre nicht erklärbar, aus welchem Grund das Gericht zum Ausdruck gebracht hat, es fehle "an jedem Anhaltspunkt" für einen Einfluss des Ministeriums für Staatssicherheit auf den Vorgang der Entziehung des Grundstücks.
Der festgestellte Verfahrensfehler einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör hat möglicherweise auch ein Aufklärungsdefizit nach sich gezogen. Denn hätte das Verwaltungsgericht das Vorbringen des Klägers in Erwägung gezogen, hätte es gegebenenfalls unter anderem der Frage weiter nachgehen müssen, wo das Archiv des in eine GmbH umgewandelten DAV geblieben ist, statt sich mit der telefonischen Mitteilung eines Bediensteten des Auswärtigen Amtes zufrieden zu geben, es sei nicht bekannt, wie diese GmbH geheißen habe (Vermerk Bl. 256 der Gerichtsakten). Zudem hätte man über das Auswärtige Amt - gegebenenfalls über dort vorhandene Personal- und Sachakten der DDR-Vorgängerbehörde - zumindest den ernsthaften Versuch unternehmen müssen, die von dort benannte Frau E. zu ermitteln, die das Archiv der GmbH verwaltet haben soll (Bl. 238 der Gerichtsakten).
Angesichts des festgestellten Verstoßes gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör kommt es für die vorliegende Entscheidung nicht (mehr) darauf an, ob auch eine Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes (§ 108 Abs. 1 VwGO), der es u.a. verbietet, von einem zweifelsfrei unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt auszugehen (vgl. Beschlüsse vom - BVerwG 9 B 710.94 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266 = [...] Rn. 7 und vom - BVerwG 2 B 6.98 - [...] Rn. 4; BVerwG 9 C 158.94 - BVerwGE 96, 200 <208 f.> = Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 174), sowie weitere vom Kläger geltend gemachte Verfahrensfehler vorliegen.
Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung macht der Senat von der ihm in § 133 Abs. 6 VwGO eingeräumten Möglichkeit Gebrauch, die angegriffene Entscheidung aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen. Anlass für eine Entscheidung gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO hat der Senat nicht gesehen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Fundstelle(n):
SAAAD-83060