Leitsatz
Leitsatz:
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Instanzenzug: LG Bremen, 10 T 92/10 (b) vom AG Bremen, 91 XIV 66/10 vom
Gründe
I. Die Betroffene ist nigerianische Staatsangehörige und reiste nach eigenen Angaben am 20. Januar 2010 mit dem Flugzeug von Spanien nach Deutschland ein. Sie wurde am 2. Februar 2010 in einem Bordell von der Polizei festgenommen.
Am beantragte die Beteiligte zu 2 die Haft zur Sicherung der Abschiebung. In dem Antrag heißt es u.a.: "Wegen des Verdachts der illegalen Erwerbstätigkeit (Prostitution) und des illegalen Aufenthalts wurde die Betroffene von der Polizei festgenommen". Dem Antrag beigefügt waren ein Personalbogen der Betroffenen, in dem sie als Beschuldigte geführt wird, sowie ihre Beschuldigtenvernehmung.
Mit Beschluss vom gleichen Tag hat das Amtsgericht dem Haftantrag entsprochen. Während des hiergegen gerichteten - erfolglosen - Beschwerdeverfahrens ist die Betroffene nach Spanien abgeschoben worden. Mit der Rechtsbeschwerde möchte die Betroffene unter Aufhebung der landgerichtlichen Entscheidung die Feststellung erreichen, dass die Anordnung der Abschiebungshaft rechtswidrig gewesen ist.
II. Nach Auffassung des Beschwerdegerichts war die Haftanordnung des Amtsgerichts rechtmäßig, denn die in § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 5 AufenthG genannten Haftgründe hätten vorgelegen.
III. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG, § 106 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ohne Zulassung statthaft (siehe nur Senat, Beschluss vom - V ZB 96/10, Rn. 10; Beschluss vom - V ZB 29/10, InfAuslR 2011, 27; Beschluss vom - V ZB 213/09, NVwZ 2010, 1520) und auch im Übrigen zulässig (§ 71 FamFG).
a) Der Zulässigkeit steht nicht entgegen, dass die Abschiebung der Betroffenen während des Beschwerdeverfahrens erstmals in dem Rechtsbeschwerdeverfahren vorgetragen worden ist. Eine Bindung des Rechtsbeschwerdegerichts an die insoweit fehlenden Feststellungen des Beschwerdegerichts (§ 74 Abs. 3 Satz 4 FamFG, § 559 ZPO) besteht nicht. Auch ohne Verfahrensrüge nach §§ 74 Abs. 3 Satz 3, 71 Abs. 3 FamFG müssen neue Tatsachen durch das Rechtsbeschwerdegericht dann berücksichtigt werden, wenn sie eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Zulässigkeitsvoraussetzung betreffen (Keidel/Meyer-Holz, FamFG, 16. Aufl., § 74 Rn. 41; vgl. auch , NJW-RR 2000, 1156 mwN zum Revisionsverfahren). Dies gilt auch für solche Tatsachen, die am Ende des Beschwerdeverfahrens bereits vorgelegen haben, aber von den Beteiligten bisher noch nicht vorgetragen worden sind (vgl. Schulte-Bunert/Weinreich/Unger, FamFG, 2. Aufl., § 74 Rn. 22). So verhält es sich hier. Die durch die Abschiebung eingetretene Erledigung der Hauptsache ist neben der Antragstellung und dem Feststellungsinteresse eine verfahrensrechtliche Voraussetzung der Feststellungsentscheidung nach § 62 Abs. 1 FamFG (vgl. Keidel/Budde, FamFG, 16. Aufl., § 62 Rn. 4, 7 f.).
b) Der in der Rechtsbeschwerdebegründung gestellte Antrag erfasst auch die Feststellung der Rechtsverletzung durch die Entscheidung des Beschwerdegerichts. Zwar hat die Betroffene die Aufhebung der Beschwerdeentscheidung beantragt. Dieser Antrag genügt ihrem Rechtsschutzziel jedoch nicht. Nach ihrem durch Auslegung zu ermittelnden Willen ist vielmehr im Zweifel dasjenige gewollt, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und dem recht verstandenen Interesse entspricht (vgl. Senat, Beschluss vom 27. März 2009 - V ZR 196/08, NJW 2009, 2132 Rn. 7). Unter Beachtung dieser Grundsätze ist nach der Begründung der Rechtsbeschwerde auch die Feststellung der Rechtsverletzung durch die Entscheidung des Beschwerdegerichts von dem Antrag der Betroffenen umfasst. Eine andere, allein an dem Wortlaut des Antrags orientierte Auslegung bedeutete eine Rechtswegverkürzung, die den Rechtsschutzanspruch der Betroffenen nach Art. 19 Abs. 4 GG verletzen würde (vgl. , InfAuslR 2008, 453, 455; vgl. auch Senat, Beschluss vom - V ZB 111/10, Umdruck S. 5).
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Die Haftanordnung des Amtsgerichts und die angefochtene Entscheidung des Beschwerdegerichts haben die Betroffene in ihrem Freiheitsgrundrecht (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) verletzt.
a) Die Haft hätte schon deshalb nicht angeordnet werden dürfen, weil der Haftantrag unzulässig war.
aa) Ob ein zulässiger Haftantrag vorliegt, ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 136/10, Rn. 6, zur Veröffentlichung bestimmt; Beschluss vom - V ZB 218/09, FGPrax 2010, 210, 211, jeweils mwN). Zu den unerlässlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen gehört es nach § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG, dass die Antragsbegründung insbesondere Angaben zu den Voraussetzungen und zur Durchführbarkeit der Abschiebung enthält (Senat, Beschluss vom - V ZB 226/10, [...] Rn. 8 f.).
bb) Diesen Anforderungen wird der Antrag der Beteiligten zu 2 vom nicht gerecht. Nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer, gegen den öffentliche Klage erhoben oder ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet ist, nur im Einvernehmen mit der zuständigen Staatsanwaltschaft ausgewiesen und abgeschoben werden. Liegt dieses Einvernehmen nicht vor, scheidet die Anordnung der Haft zur Sicherung der Abschiebung eines Ausländers aus (Senat, Beschluss vom - V ZB 49/10 Rn. 7, zur Veröffentlichung bestimmt; Beschluss vom - V ZB 323/10, [...] Rn. 7; Beschluss vom , aaO, Rn. 22; Beschluss vom - V ZB 211/10, InfAuslR 2010, 440; Beschluss vom - V ZB 93/10, NVwZ 2010, 1574 Rn. 9). Fehlen in dem Haftantrag Ausführungen zu dem Einvernehmen, obwohl sich aus ihm selbst oder aus den ihm beigefügten Unterlagen ohne weiteres ergibt, dass die öffentliche Klage erhoben worden ist oder ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren geführt wird, ist der Antrag unzulässig (Senat, Beschluss vom - V ZB 49/10, Rn. 6; Beschluss vom - V ZB 323/10, Rn. 8; Beschluss vom - V ZB 226/10, Rn. 9).
b) So ist es hier. Dem Haftantrag der Beteiligten zu 2 war die Beschuldigtenvernehmung der Betroffenen beigefügt. Dennoch fehlen Ausführungen zu einem generellen oder im Einzelfall erteilten Einvernehmen der Staatsanwaltschaft (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 49/10 Rn. 8, zur Veröffentlichung bestimmt; Beschluss vom - V ZB 323/10, [...] Rn. 25) mit der Abschiebung der Betroffenen.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, 83 Abs. 2 FamFG, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO. Unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5 Abs. 5 EMRK entspricht es billigem Ermessen, die Freie Hansestadt Bremen als die Körperschaft, der die Beteiligte zu 2 angehört, zur Erstattung der notwendigen außergerichtlichen Auslagen der Betroffenen zu verpflichten (Senat, Beschluss vom - V ZB 223/09, FGPrax 2010, 212 f. Rn. 19).
Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 KostO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
XAAAD-82565