BFH Beschluss v. - VIII B 63/10

Kein Aufklärungsbedarf i.S. von § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO wegen hoher Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit vor Einführung von § 193 Abs. 1 2. Alternative AO durch das Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz

Leitsatz

Für Veranlagungszeiträume vor 2010 konnte eine Aufklärungsbedürfnis im Sinne des § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO nicht allein aus dem Vorliegen außerordentlich hoher Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit abgeleitet werden.

Gesetze: AO § 193 Abs 1, AO § 193 Abs. 2 Nr. 2, EStG § 19

Instanzenzug:

Gründe

1 Die Beschwerde ist nicht begründet. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 115 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—) liegen nicht vor.

2 1. Soweit der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt —FA—) Einwendungen gegen die materielle Richtigkeit des angefochtenen Urteils geltend macht, führen diese grundsätzlich nicht zur Zulassung der Revision (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs —BFH— vom VIII B 260/02, BFH/NV 2003, 1336; vom IX B 119/02, BFH/NV 2003, 1289).

3 2. Nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO ist die Revision zuzulassen, wenn die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert. Eine die Rechtseinheit gefährdende Abweichung liegt nur vor, wenn das Finanzgericht (FG) bei gleichem oder vergleichbarem festgestellten Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Auffassung vertritt als der BFH (vgl. BFH-Beschlüsse vom XI B 119/99, BFH/NV 2000, 1239; vom III B 60/92, BFH/NV 1996, 74; vom XI B 71/99, BFH/NV 2000, 1180). Das FG muss seiner Entscheidung einen abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt haben, der mit den tragenden Rechtsausführungen in der Divergenzentscheidung nicht übereinstimmt (vgl. BFH-Beschlüsse vom III B 43/98, BFH/NV 1999, 1477; vom I B 121/99, BFH/NV 2000, 1477; vom VIII B 78/99, BFH/NV 2000, 1201).

4 Im Streitfall macht das FA zu Unrecht geltend, das FG sei in dem angefochtenen Urteil von der Rechtsprechung des BFH abgewichen, indem es im Ergebnis ein konkretes Aufklärungsbedürfnis als Voraussetzung der rechtmäßigen Anordnung einer Außenprüfung nach § 193 Abs. 2 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) fordere, während der BFH in diesem Zusammenhang ein abstraktes Aufklärungsbedürfnis habe ausreichen lassen (Bezugnahme auf , BFHE 134, 395, BStBl II 1982, 208; vom VIII R 123/86, BFHE 148, 426, BStBl II 1987, 248; vom VIII R 25/89, BFHE 169, 305, BStBl II 1993, 146).

5 Die so behauptete Divergenz des angefochtenen Urteils von der BFH-Rechtsprechung lässt sich nicht feststellen. Vielmehr hat das FG (in Bezug auf Kapitaleinkünfte) zunächst kein konkretes Aufklärungsbedürfnis gesehen, darüber hinaus auch ein abstraktes Aufklärungsbedürfnis geprüft, aber auch dieses verneint. Es hat hierzu ausgeführt, dass das Aufklärungsbedürfnis nicht allein aus dem Vorliegen außerordentlich hoher Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit abgeleitet werden könne, was nach der für das Streitjahr geltenden Rechtslage zutrifft.

6 Dass das FG im Übrigen keine Anhaltspunkte für unvollständige oder unrichtige Steuererklärungen gesehen hat (zu dieser Voraussetzung für eine Prüfung nach § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO vgl. , BFHE 218, 35, BStBl II 2009, 338; in BFHE 169, 305, BStBl II 1993, 146), ist das Ergebnis seiner Sachverhaltswürdigung. Mit Einwendungen gegen die Sachverhalts- oder die Beweiswürdigung des FG und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen wird falsche materielle Rechtsanwendung geltend gemacht, die grundsätzlich nicht zur Zulassung der Revision führt (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2003, 1336; in BFH/NV 2003, 1289).

7 Hiervon abgesehen könnte das FG allenfalls die Rechtsprechungsgrundsätze fehlerhaft auf die Besonderheiten des Streitfalls angewendet haben. Auch das würde aber nicht die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO gebieten (ständige Rechtsprechung, s. u.a. BFH-Beschlüsse vom VIII B 61/94, BFH/NV 1996, 137, m.w.N.; vom I B 34/99, BFH/NV 2000, 677, unter II.b der Gründe).

8 3. Die Rechtssache ist nicht von grundsätzlicher Bedeutung. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn eine Frage zu entscheiden ist, an deren Beantwortung ein allgemeines Interesse besteht (sog. Klärungsbedürftigkeit) und die im angestrebten Revisionsverfahren gegen das angefochtene Urteil geklärt werden kann (sog. Klärungsfähigkeit; vgl. dazu , BFH/NV 2009, 1078, m.w.N.).

9 Die vom FA für grundsätzlich bedeutsam gehaltene Frage, „wann die Voraussetzungen für die Prüfung von Fällen mit bedeutenden Einkünften ('bE-Fälle', sog. 'Einkommensmillionäre') erfüllt sind und diese Fälle im Rahmen einer Außenprüfung geprüft werden dürfen”, ist so allumfassend gestellt, dass sie in einem Revisionsverfahren nicht klärungsfähig wäre.

10 Die Frage, „ob konkrete oder abstrakte Anhaltspunkte für eine Prüfungsanordnung nach § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO erforderlich sind” ist nicht klärungsbedürftig, da der BFH bereits mehrfach zur Auslegung und Anwendung des § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO erkannt hat (vgl. hierzu , BFH/NV 2008, 189, m.w.N.).

11 Die Frage schließlich, ob bei der Beurteilung des Aufklärungsbedürfnisses „eine ausschließlich auf Umstände des Prüfungszeitraums beschränkte bzw. isolierende Betrachtungsweise heranzuziehen” sei, ist im Streitfall nicht klärungsfähig, weil das FG seiner Entscheidung keinen entsprechenden tragenden Rechtssatz zu Grunde gelegt hat.

Fundstelle(n):
AO-StB 2012 S. 155 Nr. 5
AO-StB 2014 S. 277 Nr. 9
BFH/NV 2011 S. 964 Nr. 6
YAAAD-82154