BAG Urteil v. - 9 AZR 686/09

Abgeltung von Reisezeiten im Außendienst der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung bei fester Arbeitszeit

Gesetze: § 6 Abs 2 TVöD, § 8 Abs 2 TVöD, § 7 TVöD, Art 3 Abs 1 GG, § 44 Abs 2 TVöD BT-V, § 47 Nr 10 Abs 5 TVöD BT-V

Instanzenzug: Az: 22 Ca 8836/07 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Az: 3 Sa 21/08 Urteil

Tatbestand

1Der Kläger begehrt von der Beklagten, Reisezeiten abzugelten.

2Die Parteien verbindet seit 1973 ein Arbeitsverhältnis. Das durchschnittliche monatliche Bruttoentgelt des Klägers betrug zuletzt 2.472,35 Euro. Im Beschäftigungsbereich des Wasser- und Schifffahrtsamts Stuttgart, dem der Kläger zugeordnet ist, besteht weder eine Dienstvereinbarung über Arbeitszeitkonten noch eine Vereinbarung über Gleitzeit.

Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft beiderseitiger Tarifbindung die Tarifvorschriften des öffentlichen Dienstes Anwendung. Der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst vom (TVöD) enthält ua. folgende Bestimmungen:

Der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst - Besonderer Teil Verwaltung (BT-V) - vom (TVöD-BT-V) regelt ua. Folgendes:

5Die Beklagte setzt den Kläger bei festen Arbeitszeiten als Schiffs- und Geräteführer im Außendienst ein. Der Kläger reist arbeitstäglich zum Dienstantritt zu wechselnden Einsatzorten an. Nach Dienstende kehrt er - außerhalb der festen Arbeitszeit - von einem der Schiffsliegeplätze zu seinem Wohnsitz zurück.

6Die Beklagte erfasst die Reisezeiten des Klägers von seinem Wohnsitz bis zu den Schiffsliegeplätzen. Unter hälftiger Berücksichtigung der tatsächlich angefallenen Reisezeiten rechnete die Beklagte für den Zeitraum von Oktober 2005 bis April 2006 69,82 Stunden und für den Zeitraum von Mai bis November 2006 53,95 Stunden Reisezeit ab.

7Mit Schreiben vom und forderte der Kläger die Beklagte erfolglos auf, insgesamt 123,77 Stunden Reisezeit abzugelten.

8Der Kläger hat die Rechtsansicht vertreten, die Beklagte sei verpflichtet, die über die durchschnittliche regelmäßige tarifliche Arbeitszeit hinaus geleistete Dienstreisezeit abzugelten. Die Befugnis der Beklagten, diese Zeiten durch die Gewährung von Freizeit auszugleichen, sei mit Ablauf des in § 6 Abs. 2 TVöD bestimmten Referenzzeitraums erloschen. Könne er eine Abgeltung der Reisezeiten nicht verlangen, sei er rechtlos gestellt.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

10Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Ansicht, sie schulde mangels einer tarifvertraglichen Abgeltungsregelung lediglich einen Ausgleich der Reisezeiten durch die Gewährung von Freizeit.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Der Kläger begehrt mit seiner vom Senat zugelassenen Revision die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Gründe

12A. Die Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat das klagestattgebende Urteil des Arbeitsgerichts im Ergebnis zu Recht abgeändert und die Klage abgewiesen. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, an den Kläger einen Bruttobetrag iHv. 1.809,51 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

13I. Das Landesarbeitsgericht hat seine klageabweisende Entscheidung ua. darauf gestützt, Dienstreisezeiten seien keine Arbeitszeiten, für die der Arbeitnehmer Arbeitsvergütung beanspruchen könne. Beschäftigte könnten weder nach dem TVöD noch nach dem TVöD-BT-V die Abgeltung von Reisezeiten im Außendienst der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes beanspruchen. Diese könnten gemäß § 47 Nr. 10 Abs. 5, § 44 Abs. 2 TVöD-BT-V lediglich Ausgleich durch Gewährung von Freizeit verlangen.

14II. Diese rechtliche Würdigung des Landesarbeitsgerichts hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

151. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft beiderseitiger Tarifbindung die Tarifvorschriften des öffentlichen Dienstes, insbesondere die Bestimmungen des TVöD und des TVöD-BT-V Anwendung (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG).

162. Die vom Kläger für Oktober 2005 bis November 2006 geltend gemachten weiteren 123,77 Stunden Reisezeit sind nicht als Arbeitszeit zu vergüten.

17Nach § 8 Abs. 2 TVöD erhält ein Beschäftigter für Arbeitsstunden, die keine Überstunden sind, je Stunde 100 vH des auf eine Stunde entfallenden Tabellenentgelts der jeweiligen Entgeltgruppe und Stufe, wenn die Arbeitsstunden aus betrieblichen/dienstlichen Gründen nicht innerhalb des in § 6 Abs. 2 TVöD bestimmten Zeitraums mit Freizeit ausgeglichen werden. Die vom Kläger geltend gemachten Reisezeiten sind keine vergütungspflichtigen Arbeitsstunden. Dies ergibt die Auslegung der Tarifvorschrift.

18a) Die Auslegung des normativen Teils von Tarifverträgen folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Grundsätzen. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Auf dieser Grundlage ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien zu ermitteln, soweit er sich in den tariflichen Regelungen niedergeschlagen hat. Der tarifliche Zusammenhang kann Aufschlüsse über den von den Tarifvertragsparteien verfolgten Zweck geben. Auch auf die Entstehungsgeschichte und die Tarifpraxis kann zurückgegriffen werden. Praktikabilität und Sinn des Auslegungsergebnisses sind im Auge zu behalten. Im Zweifel ist die Auslegung vorzugswürdig, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (Senat - 9 AZR 677/07 - Rn. 35, BAGE 129, 131) und mit dem Gesetzesrecht vereinbar ist (vgl. Senat - 9 AZR 510/09 - Rn. 23).

19b) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen, dass Reisezeit nicht unter den Tarifbegriff „Arbeitsstunde“ fällt.

20aa) Der Wortlaut des § 8 Abs. 2 TVöD ist nicht eindeutig. Semantisch können auch Zeiten, die auf Dienstreisen entfallen, dem Tarifbegriff „Arbeitsstunde“ unterfallen.

21bb) Es sind tarifsystematische Gründe, die dagegen sprechen, berücksichtigungsfähige, nicht anrechenbare Reisezeiten iSv. § 47 Nr. 10 Abs. 5 TVöD-BT-V als Arbeitsstunden iSv. § 8 Abs. 2 TVöD zu werten.

22Der Abschnitt II des TVöD beinhaltet allgemeine Bestimmungen über die Arbeitszeit, ohne Reisezeiten iSv. § 44 Abs. 2 bzw. § 47 Nr. 10 Abs. 5 TVöD-BT-V zu nennen. § 8 TVöD regelt ausweislich seiner Überschrift den Ausgleich von Sonderformen der Arbeit. § 7 TVöD zählt die tariflichen Sonderformen der Arbeit abschließend auf. Der TVöD kennt neben der Wechselschichtarbeit (Abs. 1), der Schichtarbeit (Abs. 2), dem Bereitschaftsdienst (Abs. 3) und der Rufbereitschaft (Abs. 4) die Nachtarbeit (Abs. 5), die Mehrarbeit (Abs. 6) und Überstunden (Abs. 7 und 8). Nicht anrechenbare Reisezeiten iSv. § 47 Nr. 10 Abs. 5 TVöD-BT-V sind nicht Teil dieses Katalogs.

23Nach § 44 Abs. 2 Satz 1 TVöD-BT-V gilt die auf die Zeit der dienstlichen Inanspruchnahme am auswärtigen Geschäftsort entfallende Dienstreisezeit als Arbeitszeit. Gemäß § 44 Abs. 2 Satz 2 TVöD-BT-V findet für jeden Arbeitstag, an dem der Beschäftigte eine Dienstreise unternimmt, die auf den Arbeitstag entfallende regelmäßige oder dienstplangemäße Arbeitszeit Berücksichtigung, wenn ohne Einbeziehung der Reisezeit die regelmäßige oder dienstplangemäße Arbeitszeit für den Tag nicht erreicht würde. Beider Regelungen bedürfte es nicht, wenn Reisezeit Arbeitszeit wäre (so zu Recht Breier/Dassau/Kiefer/Lang/Langenbrinck TVöD Stand November 2010 § 6 TVöD-V Rn. 13; vgl. Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese TVöD Stand November 2010 § 44 BT-V Rn. 51; Welkoborsky in Bepler/Böhle/Meerkamp/Stöhr TVöD Stand Oktober 2010 § 44 TVöD-BT-V Rn. 4; KomTVöD/Adam Stand November 2010 § 44 TVöD-BT-Verwaltung Rn. 5; siehe ferner Wahlers PersV 2007, 464, 465).

24cc) Die Tarifgeschichte bestätigt das von dem Landesarbeitsgericht gefundene Auslegungsergebnis. Die Tarifvertragsparteien haben mit § 44 TVöD-BT-V und den ergänzend geschaffenen Sonderregelungen die vormals ua. in § 17 Abs. 2 und §§ 42 - 44 BAT enthaltenen Regeln zu Dienstreisen, Umzügen und zum Trennungsgeld zusammengefasst (vgl. GKÖD/Fieberg Stand Dezember 2010 E § 6 Rn. 34; Wahlers PersV 2007, 464, 467). Nach damaligem Rechtsstand galt bei Dienstreisen nur die Zeit der dienstlichen Beanspruchung am auswärtigen Geschäftsort als Arbeitszeit. Die Reisezeit wurde nur insoweit berücksichtigt, als sie in die regelmäßige Arbeitszeit fiel (vgl.  - zu II 2 b der Gründe, ZTR 1991, 344). Hätten die Tarifvertragsparteien an diesem Befund etwas ändern wollen, hätten sie den Tarifvertragstext des TVöD entsprechend geändert.

253. Entgegen der Revision verpflichtet § 47 Nr. 10 Abs. 5 TVöD-BT-V auch nicht die Beklagte, dem Kläger, der in fester Arbeitszeit beschäftigt war, die angefallenen Reisezeiten abzugelten. Davon ist auch das Landesarbeitsgericht ausgegangen.

26a) Für den Kläger als Außendienstmitarbeiter iSv. § 47 Nr. 10 Abs. 1 TVöD-BT-V gelten die Sonderreglungen für Beschäftigte in der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes.

27b) Nach § 47 Nr. 10 Abs. 5 TVöD-BT-V wird Arbeitnehmern, die mit fester Arbeitszeit in der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes beschäftigt sind, abweichend von § 44 Abs. 2 Satz 3 TVöD-BT-V für nicht anrechenbare Reisezeiten Freizeitausgleich im Umfang von 50 vH gewährt. Der Kläger arbeitete im hier zu beurteilenden Zeitraum mit fester Arbeitszeit. Ihm steht somit Freizeitausgleich zu.

28c) Auf die Abgeltung des Freizeitausgleichs besteht bei fester Arbeitszeit kein Anspruch. Die Abgeltungsbestimmung des § 8 Abs. 2 TVöD findet auf den Freizeitausgleich nach § 47 Nr. 10 Abs. 5 TVöD-BT-V keine Anwendung.

29aa) § 47 Nr. 10 Abs. 5 TVöD-BT-V enthält eine in sich geschlossene vergütungsrechtliche Regelung. Die Bestimmung des § 47 Nr. 10 Abs. 5 TVöD-BT-V ist eine Sonderregelung zu § 8 TVöD, die einen Rückgriff auf die dem Allgemeinen Teil des TVöD zugehörige Bestimmung des § 8 Abs. 2 TVöD nicht zulässt.

30bb) Die im Besonderen Teil Verwaltung aufgeführten Tarifbestimmungen verdrängen die Vorschriften des Allgemeinen Teils im Wege der Spezialität, soweit beide Normbereiche gleiche Lebenssachverhalte regeln. Die Tarifvertragsparteien haben mit den „Sonderregelungen für die Beschäftigten des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung“ Normen geschaffen, mit denen sie den tatsächlichen wie rechtlichen Besonderheiten in diesem Tarifbereich Rechnung tragen. Griffe man ungeachtet einer bestehenden tariflichen Sonderregelung auf die für alle Beschäftigten des öffentlichen Dienstes geltenden Regelungen des TVöD zurück, unterliefe dies in unzulässiger Weise dem erklärten Regelungswillen der Tarifvertragsparteien.

31cc) Die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes sehen für den Ausgleich von Freizeit unterschiedliche Rechtsfolgen vor. Dies zeigen die einschlägigen Regelungen des TVöD und des TVöD-BT-V. Während § 6 Abs. 3 Satz 2 TVöD für die Arbeit an Vorfesttagen einen Freizeitausgleich binnen drei Monaten ohne Abgeltungsfolge vorsieht, regelt § 8 Abs. 1 Satz 2 Buchst. d TVöD bei Feiertagsarbeit einen besonders zu kennzeichnenden Freizeitausgleich, den der Arbeitgeber abzugelten hat, wenn er nicht gewährt wird. Leistet der Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in den Geltungsbereich des TVöD-BT-V fällt, Überstunden, hat der Arbeitgeber binnen dreier Monate Ausgleich durch Gewährung von Freizeit zu leisten, § 43 Abs. 1 Satz 1 TVöD-BT-V. Nur unter den in § 43 Abs. 1 Satz 2 TVöD-BT-V genannten Voraussetzungen ist der von dem Beschäftigten erworbene Freizeitanspruch abzugelten. Dieses differenzierte Regelungsgefüge käme nicht zum Tragen, wenn man - der Revision folgend - jeden Freizeitanspruch den Rechtsfolgen des § 8 Abs. 2 TVöD unterwürfe.

32dd) Das von dem Landesarbeitsgericht gefundene Auslegungsergebnis sichert darüber hinaus den Gleichlauf von tarifvertraglichen und beamtenrechtlichen Regelungen zum Reiserecht. Das mit dem TVöD geschaffene Tarifrecht orientiert sich an der für Bundesbeamte geltenden Rechtslage. § 44 Abs. 2 Satz 3 TVöD-BT-V erweitert gegenüber dem vormaligen Tarifrecht die Möglichkeit zur Berücksichtigung von Reisezeiten für Viel- oder Weitreisende im Wege des Freizeitausgleichs (vgl. § 17 Abs. 2 Unterabs. 2 BAT; GKÖD/Fieberg E § 6 Rn. 34). Das Beamtenrecht gewährt einen dem Freizeitopfer spiegelbildlichen Ausgleich im Wege der Dienstbefreiung, aber keinen Anspruch auf Abgeltung in Form einer zusätzlichen Vergütung (vgl. zu § 11 Abs. 3 der Verordnung über die Arbeitszeit der Beamtinnen und Beamten des Bundes:  OVG 6 N 2.08 - juris Rn. 7 f.).

33d) Das Recht, Abgeltung zu erlangen, ergibt sich nicht aus dem Rechtsstaatsprinzip. Entgegen der Revision stellt die Auslegung des Landesarbeitsgerichts den Kläger nicht rechtlos. Weigert sich der öffentliche Arbeitgeber, den infolge von Dienstreisen erworbenen Freizeitanspruch zu erfüllen, kann der Arbeitnehmer sein Recht im Wege der Leistungsklage vor den Gerichten für Arbeitssachen geltend machen (vgl.  - zu 1 der Gründe). Alternativ kann er - da das Freizeitguthaben werthaft ist - bei dauerhaft schuldhafter Nichtgewährung spätestens mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses Schadensersatz in Geld verlangen (vgl. für den Ausgleich von Freizeit  - zu II 3 der Gründe, AP TVG § 1 Tarifverträge: Arbeiterwohlfahrt Nr. 1 = EzA BGB § 611 Mehrarbeit Nr. 5).

34e) Die von dem Kläger verlangte Abgeltung ist auch nicht deshalb geboten, weil die tarifvertragliche Beschränkung auf den Freizeitausgleich gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt und der Kläger mit anderen Beschäftigten, die eine Abgeltung von Reisezeiten erhalten, gleichgestellt werden muss.

35aa) Der Senat braucht nicht darüber zu entscheiden, ob Tarifvertragsparteien als Normgeber unmittelbar an Art. 3 Abs. 1 GG gebunden sind oder sie dessen Grundsätze nur mittelbar beachten müssen (für eine lediglich mittelbare Grundrechtsbindung durch die Schutzpflichtfunktion der Grundrechte zB  - Rn. 26, AP GG Art. 3 Nr. 322). Für den Prüfungsmaßstab ist die dogmatische Herleitung bedeutungslos (vgl. Senat - 9 AZR 184/09 - Rn. 43, AP BAT-O § 23a Nr. 4).

36bb) Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG setzt voraus, dass die Tarifvertragsparteien bei der tariflichen Normgebung tatsächliche Gleichheiten oder Ungleichheiten außer Acht lassen, die so wesentlich sind, dass sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtung hätten berücksichtigt werden müssen (st. Rspr., vgl. Senat - 9 AZR 378/04 - zu B II 3 a der Gründe, AP TVG § 1 Gleichbehandlung Nr. 8 = EzA GG Art. 3 Nr. 103). Die aus dem Gleichheitssatz folgenden Grenzen sind überschritten, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie eine Ungleichbehandlung rechtfertigen können (Senat - 9 AZR 181/09 - Rn. 24, AP TVG § 1 Altersteilzeit Nr. 46 = EzA GG Art. 3 Nr. 110).

37(1) Die gerichtliche Kontrolle wird durch die von Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete Tarifautonomie begrenzt. Den Tarifvertragsparteien kommt eine Einschätzungsprärogative zu, soweit der tatsächliche Regelungsbedarf und insbesondere die betroffenen Interessen und die Rechtsfolgen zu beurteilen sind. Sie haben bei der inhaltlichen Gestaltung der Regelung einen Beurteilungsspielraum (vgl. Senat - 9 AZR 378/04 - zu B II 3 a der Gründe, AP TVG § 1 Gleichbehandlung Nr. 8 = EzA GG Art. 3 Nr. 103). Es ist nicht Aufgabe der Gerichte zu prüfen, ob die Tarifvertragsparteien die gerechteste und zweckmäßigste Lösung für den zu regelnden Sachverhalt gefunden haben. Die gerichtliche Kontrolle beschränkt sich darauf, ob die Tarifvertragsparteien ihren Gestaltungsspielraum überschritten haben (vgl. für die st. Rspr. Senat - 9 AZR 184/09 - Rn. 44, AP BAT-O § 23a Nr. 4). Es genügt regelmäßig, wenn ein sachlich vertretbarer Grund für die getroffene Regelung besteht (vgl. Senat - 9 AZR 378/04 - zu B II 3 a der Gründe, aaO).

38(2) Der Senat hat zu § 17 Abs. 2 BAT entschieden, dass es keine gleichheitswidrige Behandlung von Angestellten auf Dienstreisen gegenüber Angestellten innerhalb von Beschäftigungsbehörden darstellt, die Wegezeiten der reisenden Angestellten zum auswärtigen Geschäftsort nicht vollumfänglich zur Arbeitszeit zu zählen (Senat - 9 AZR 519/05 - Rn. 19 ff., BAGE 119, 41). Er hat dies im Wesentlichen darauf gestützt, dass die Tarifvertragsparteien über eine Einschätzungsprärogative verfügen, die es erlaubt, beim Reisezeitausgleich maßgeblich auf den Umstand abzustellen, dass und in welchem Ausmaß Freizeitopfer auszugleichen sind (Senat - 9 AZR 519/05 - Rn. 27, aaO). Diese Erwägungen gelten für die Nachfolgeregelungen des § 44 Abs. 2 und § 47 Nr. 10 Abs. 5 TVöD-BT-V entsprechend.

39(3) Die unterschiedliche Behandlung von Beschäftigten mit fester Arbeitszeit und Beschäftigten, die ihre Arbeitsleistung gemäß einer Gleitzeitvereinbarung erbringen, verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

40(a) Während nicht anrechenbare Reisezeiten bei fester Arbeitszeit zu 50 vH als Freizeitausgleich gewährt werden, werden diese Zeiten bei gleitender Arbeitszeit im Rahmen der jeweils geltenden Vorschriften als Arbeitszeit angerechnet, § 47 Nr. 10 Abs. 5 TVöD-BT-V. Die Vorschrift räumt Beschäftigten mit gleitender Arbeitszeit ebenfalls keinen Anspruch auf Abgeltung ein. Reisezeiten werden vielmehr in das Arbeitszeitkonto eingestellt, § 10 Abs. 3 TVöD. Ein Abgeltungsanspruch besteht erst unter der weiteren Voraussetzung, dass - entgegen dem Regelfall - das Arbeitszeitkonto ein Guthaben aufweist, das jenseits der durch Dienst- respektive Betriebsvereinbarung zu bestimmenden Grenzen liegt. § 47 Nr. 10 Abs. 5 TVöD-BT-V gibt Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnisse einer Gleitzeitvereinbarung unterfallen, lediglich die Chance auf eine Abgeltung von Reisezeiten, die sich erst bei Hinzutreten weiterer Umstände realisiert. Räumte man Arbeitnehmern mit fester Arbeitszeit einen Abgeltungsanspruch ein, der von keinen weiteren Voraussetzungen abhinge, mündete dies in eine Besserstellung gegenüber den Arbeitnehmern mit gleitender Arbeitszeit.

41(b) Im Übrigen haben die Tarifvertragsparteien mit der Setzung des § 47 Nr. 10 Abs. 5 TVöD-BT-V die Einschätzungsprärogative, die ihnen gemäß Art. 9 Abs. 3 GG zukommt, nicht überschritten. Gleitzeitvereinbarungen bewirken lediglich eine einheitliche Abbildung unterschiedlich begründeter Wertguthaben in Gestalt von abstrakten, vergütungsrelevanten Recheneinheiten (vgl.  - Rn. 15, DB 2010, 1130). Eine wertmäßige Verbesserung oder Verschlechterung verbindet sich damit grundsätzlich nicht. Zudem ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Tarifvertragsparteien mit der unterschiedlichen Ausgestaltung der Freizeitansprüche einen Anreiz schaffen, Arbeitszeiten durch Gleitzeitvereinbarungen zu flexibilisieren.

B. Der Kläger hat die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO.

Fundstelle(n):
IAAAD-81841