BFH Beschluss v. - II B 110/10

Entsprechende Anwendung von § 126 Abs. 4 FGO im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren; Verletzung des Rechts auf gesetzlichen Richter

Gesetze: FGO § 6, FGO § 63 Abs. 1 Nr. 3, FGO § 116 Abs. 6, FGO § 119 Nr. 1, FGO § 119 Nr. 2, FGO § 126 Abs. 4, FGO § 155, ZPO § 329 abs. 1, GG Art. 101

Instanzenzug: Verk

Gründe

1 I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist Halter eines Personenkraftwagens. Wegen Nichtzahlung der für dieses Fahrzeug vom FA G festgesetzten Kraftfahrzeugsteuer für den Entrichtungszeitraum bis versuchte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) die offene Steuerforderung beizutreiben. Mit seiner vor dem Finanzgericht (FG) erhobenen Feststellungsklage begehrte der Kläger die Feststellung, dass der der Steuerforderung zugrunde liegende Kraftfahrzeugsteuerbescheid wegen fehlender Bekanntgabe unwirksam sei und eine Kraftfahrzeugsteuerschuld nicht bestehe.

2 Durch Beschluss vom 8 K 1253/10 Verk übertrug das FG das Verfahren dem zuständigen Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung. Der Beschluss wurde mit einfachem Brief zur Post gegeben. Ebenfalls durch einfaches Schreiben vom teilte die Geschäftsstelle des FG dem Kläger auf richterliche Anordnung mit, es sei beabsichtigt, über die Klage nach § 94a Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden.

3 Durch das angefochtene Urteil des Einzelrichters verwarf das FG die Klage ohne mündliche Verhandlung als unzulässig. Das Urteil wurde dem Kläger am zugestellt. Dieser rügte mit Schreiben vom gegenüber dem FG, ihm sei weder der Beschluss über die Einzelrichterübertragung noch die Belehrung über die Möglichkeit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugegangen.

4 Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des FG wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde, mit welcher er einen Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO geltend macht.

5 Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

6 II. Die Beschwerde ist begründet; das angefochtene Urteil wird gemäß § 116 Abs. 6 FGO aufgehoben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen. Durch die nicht wirksam erfolgte Bekanntgabe des Beschlusses des FG über die Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter ist das Recht des Klägers auf den gesetzlichen Richter verletzt (Verstoß gegen § 119 Nr. 1 und 2 FGO, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes).

7 1. Das Recht auf eine Entscheidung durch den gesetzlichen Richter wird verletzt, wenn ein Einzelrichter entscheidet, obwohl ihm der Rechtsstreit nicht wirksam nach § 6 Abs. 1 FGO übertragen wurde (vgl. , BFH/NV 1998, 720, m.w.N.). Zur wirksamen Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter ist es erforderlich, dass der Übertragungsbeschluss den Beteiligten wirksam bekannt gegeben wird (vgl. , BFH/NV 2006, 1854). Zwar braucht er den Beteiligten nicht zugestellt werden, da er unanfechtbar ist (§ 6 Abs. 4 FGO); erforderlich ist aber zumindest eine formlose Bekanntgabe (§ 155 FGO i.V.m. § 329 Abs. 2 Satz 1 der Zivilprozessordnung; , BFHE 175, 19, BStBl II 1994, 862, m.w.N.). An einer solchen fehlt es nach den unwiderlegten Einlassungen des Klägers im Streitfall.

8 2. Nichts anderes folgt aus § 126 Abs. 4 FGO. Zwar ist die Norm im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde entsprechend anwendbar (BFH-Beschlüsse vom III B 296/95, BFH/NV 1998, 35; vom VII B 342/98, BFH/NV 2000, 194; vom IV B 21/02, BFH/NV 2003, 1431; vom X B 178/03, BFH/NV 2005, 1121; vom IV B 120/04, BFH/NV 2006, 727), dies gilt aber grundsätzlich dann nicht, wenn ein Verfahrensmangel i.S. des § 119 FGO vorliegt (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 126 Rz 9, m.w.N.).

9 3. Der Senat hält es für angezeigt, nach § 116 Abs. 6 FGO zu verfahren, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

10 Das FG wird bei seiner erneuten Entscheidung über den Rechtsstreit zu berücksichtigen haben, dass der Kläger seine Klage gegen den falschen Beklagten erhoben hat. Dies ergibt sich —wie das FG auch bereits im angefochtenen Urteil ausgeführt hat— daraus, dass er im Klageverfahren feststellen lassen will, dass ihm ein Kraftfahrzeugsteuerbescheid des FA G nicht wirksam bekannt gegeben geworden sei. Dieses Begehren richtet sich auf die Feststellung des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses gegenüber derjenigen Behörde, die den Bescheid erlassen hat (vgl. , BFH/NV 1999, 1117), wie sich dies eindeutig aus § 63 Abs. 1 Nr. 3 FGO ergibt. Ein Beklagtenwechsel auf Grund der zwangsweisen Beitreibung der dem Bescheid zugrunde liegenden Forderung durch eine andere Finanzbehörde findet insoweit nicht statt, weil sich diese Beitreibung auf das Bestehen oder Nichtbestehen des vorgenannten Rechtsverhältnisses in Form der wirksamen Bekanntgabe des Kraftfahrzeugsteuerbescheids nicht auswirken kann.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
BFH/NV 2011 S. 833 Nr. 5
LAAAD-79994