BGH Urteil v. - VI ZR 176/10

Verkehrssicherungspflicht im Hinblick auf Schussgeräusche einer Jagd

Leitsatz

Im Allgemeinen begründen Schussgeräusche einer Jagd für sich noch keine potentielle Gefahr für Rechtsgüter Dritter .

Gesetze: § 823 Abs 1 BGB, LwBerGenJUVV

Instanzenzug: LG Arnsberg Az: I-3 S 22/10 Urteilvorgehend AG Arnsberg Az: 12 C 499/09

Tatbestand

1Die Klägerin nimmt den Beklagten wegen eines Reitunfalls auf Zahlung von Schmerzensgeld in Anspruch.

2Am führte der Beklagte als Jagdleiter eine Treibjagd durch. Die Klägerin und ihre Freundin ritten auf einem Waldweg in der Nähe des Jagdgebietes. Nachdem sie etwa die Hälfte der geplanten Reitroute zurückgelegt hatten, hörten sie einen Schuss. Sie entschlossen sich, den Ausritt fortzusetzen. Kurze Zeit später scheute das Pferd, wodurch die Klägerin stürzte und sich dabei verletzte. Sie nimmt den Beklagten wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht in Anspruch und behauptet, Hinweis- oder Warnschilder an den Wegen zum Jagdgebiet hätten gefehlt. Ihr Pferd habe aufgrund eines weiteren Schusses gescheut, der von einem Teilnehmer der Treibjagd des Beklagten abgegeben worden sei.

3Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin blieb erfolglos. Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen zur Klärung der Frage des Umfangs der Verkehrssicherungspflicht eines Verantwortlichen einer Treibjagd im Zusammenhang mit Schussgeräuschen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Zahlungsbegehren weiter.

Gründe

I.

4Das Berufungsgericht hat Ansprüche der Klägerin gegen den Beklagten verneint. Eine Verkehrssicherungspflicht, die dem Zweck diene, andere vor den von Schussgeräuschen bei einer Treibjagd ausgehenden Gefahren zu schützen, bestehe nicht. Zwar treffe den Veranstalter einer Treibjagd die Pflicht, Verkehrsunfälle durch fliehendes Wild beim Überqueren von Straßen zu vermeiden. Auch müsse der grundsätzlichen Gefahr von Schussverletzungen dadurch begegnet werden, dass Standort bzw. Laufrichtung der Schützen und Treiber genau bestimmt und den Jagdteilnehmern die Standorte ihrer Nachbarn mitgeteilt würden. Hingegen müsse sich ein Geländereiter im Wald selbst darauf einstellen, dass dort Schussgeräusche möglich und deutlich hörbar seien und ein Pferd darauf schreckhaft und unberechenbar reagiere. Es liege in der Sphäre und im Risikobereich des Reiters, ein Pferd, das nicht an solche waldtypischen Geräusche gewohnt sei, im Gelände zu bewegen. Der Jagdleiter sei nicht verpflichtet, solche - mittelbaren - Gefahren auszuschließen.

II.

5Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält revisionsrechtlicher Überprüfung stand.

61. Erfolglos rügt die Revision, das Berufungsgericht habe überraschend ohne Beweisaufnahme die Berufung zurückgewiesen, obwohl es Zeugen geladen und das persönliche Erscheinen der Parteien mit Verfügung vom angeordnet habe. Es habe dadurch das rechtliche Gehör der Klägerin verletzt. Nach der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, auf die die Klägerin im Rahmen der Erörterung der Sach- und Rechtslage hingewiesen worden ist, war die Aussage der Zeugen für die Entscheidung nicht erheblich und mithin eine Beweisaufnahme nicht erforderlich. Mit Recht weist die Revisionserwiderung darauf hin, dass ein Überraschungsurteil des Berufungsgerichts schon deshalb nicht gegeben sei, weil bereits das Amtsgericht eine Verkehrssicherungspflicht des Beklagten verneint hatte.

72. Das Berufungsgericht hat im Streitfall eine Verkehrssicherungspflicht als Grundlage der Haftung des Beklagten mit Recht verneint.

8a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist derjenige, der eine Gefahrenlage - gleich welcher Art - schafft, grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern (vgl. etwa Senat, Urteile vom - VI ZR 447/00, VersR 2002, 247, 248; vom - VI ZR 155/02, VersR 2003, 1319; vom - VI ZR 294/03, VersR 2005, 279, 280; vom - VI ZR 332/04, VersR 2006, 233, 234; vom - VI ZR 274/05, VersR 2007, 659 Rn. 14 und vom - VI ZR 223/09, VersR 2010, 544 Rn. 5 ff.; vgl. auch , BGHZ 121, 367, 375 und Urteil vom - III ZR 40/95, VersR 1997, 109, 111). Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren.

9Zu berücksichtigen ist jedoch, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann. Ein allgemeines Verbot, andere nicht zu gefährden, wäre utopisch. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, ist im praktischen Leben nicht erreichbar. Haftungsbegründend wird eine Gefahr daher erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die nahe liegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 274/05, aaO Rn. 15 mwN). Deshalb muss nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden. Es sind vielmehr nur die Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, die Schädigung anderer tunlichst abzuwenden (vgl. Senat, Urteile vom - VI ZR 98/77 und - VI ZR 99/77, VersR 1978, 1163, 1165; vom - VI ZR 155/02, aaO und vom - VI ZR 332/04, aaO). Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ist genügt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält (vgl. Senat, Urteile vom - VI ZR 155/02, aaO und vom - VI ZR 332/04, aaO). Daher reicht es anerkanntermaßen aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise - hier: der Jagdveranstalter und -leiter - für ausreichend halten darf, um andere Personen - hier: Jagdbeteiligte, Reiter, Spaziergänger und Teilnehmer am allgemeinen Straßenverkehr - vor Schäden zu bewahren, und die den Umständen nach zuzumuten sind (vgl. Senat, Urteil vom - VI ZR 274/05, aaO, Rn. 15 mwN).

10Kommt es in Fällen, in denen hiernach keine Schutzmaßnahmen getroffen werden mussten, weil eine Gefährdung anderer zwar nicht völlig ausgeschlossen, aber nur unter besonders eigenartigen und entfernter liegenden Umständen zu befürchten war, ausnahmsweise doch einmal zu einem Schaden, so muss der Geschädigte - so hart dies im Einzelfall sein mag - den Schaden selbst tragen (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa Senat, Urteil vom - VI ZR 274/05, aaO, Rn. 16). So liegt der Fall hier.

11b) Der Beklagte war nicht verpflichtet, die Klägerin vor den unkontrollierbaren Reaktionen des Pferdes auf ein Schussgeräusch zu schützen.

12aa) Dass der Beklagte berechtigt war, die Treibjagd zu veranstalten, wird auch von der Klägerin nicht in Zweifel gezogen. Die bei der Treibjagd zu beachtenden Sorgfaltspflichten konkretisieren u.a. die Unfallverhütungsvorschriften Jagd (UVV Jagd). Zutreffend sieht das Berufungsgericht den Regelungsgehalt der UVV Jagd darin, dass der Veranstalter einer Treibjagd zu vermeiden hat, dass es zu Verkehrsunfällen durch fliehendes Wild beim Überqueren von Straßen kommt sowie dass Jagdteilnehmer und dritte Personen durch Schüsse verletzt werden. Insoweit präzisieren die Unfallverhütungsvorschriften das jagdgerechte Verhalten (vgl. MünchKomm/Wagner, BGB, 5. Aufl., § 823 Rn. 557, 558; Staudinger/J. Hager (2009), BGB, § 823 Rn. E 367, 368 und E 372). Sie regeln dazu jagdliche Verhaltenspflichten, die dem Schutz von Leben und Gesundheit dienen und sind auch außerhalb ihres unmittelbaren Geltungsbereiches Maßstab für verkehrsgerechtes Verhalten.

13bb) Eine allgemeine Verkehrssicherungspflicht des Beklagten, sich in der Nähe des Jagdgebiets aufhaltende Reiter vor Schussgeräuschen, auf die deren Pferde schreckhaft reagieren, zu schützen, ergibt sich daraus nicht. Zwar darf nach der Regelung in § 3 Abs. 4 UVV Jagd ein Schuss erst abgegeben werden, wenn sich der Schütze vergewissert hat, dass niemand gefährdet wird. Die Durchführungsanweisung zu dieser Regelung konkretisiert aber den Begriff der Gefährdung dahingehend, dass eine solche z.B. dann gegeben ist, "wenn Personen durch Geschosse oder Geschossteile verletzt werden können, die an Steinen, gefrorenem Boden, Ästen, Wasserflächen oder am Wildkörper abprallen oder beim Durchschlagen des Wildkörpers abgelenkt werden oder beim Schießen mit Einzelgeschossen kein ausreichender Kugelfang vorhanden ist". Die Vorschrift will mithin erkennbaren Risiken für Rechtsgüter Dritter durch die direkte Schusseinwirkung vorbeugen. Ihr Zweck ist nicht, Dritte schon vor dem Geräusch eines Schusses zu schützen.

14cc) Allerdings enthalten Unfallverhütungsvorschriften ebenso wie DIN-Normen im Allgemeinen keine abschließenden Verhaltensanforderungen (vgl. Senat, Urteil vom - VI ZR 155/02, aaO, 1319 f., mwN). Gebietet die Verkehrssicherungspflicht den Schutz vor anderen Gefahren als denen, die Gegenstand der Unfallverhütungsvorschrift sind, so kann sich der Verkehrssicherungspflichtige nicht darauf berufen, in Ansehung dieser Gefahren seiner Verkehrssicherungspflicht dadurch genügt zu haben, dass er die Unfallverhütungsvorschrift eingehalten hat. Vielmehr hat er die insoweit zur Schadensabwehr erforderlichen Maßnahmen eigenverantwortlich zu treffen (vgl. , VersR 1985, 781 und vom - VI ZR 270/95, VersR 1997, 249, 250 jeweils mwN).

15Besondere Maßnahmen zur Warnung vor Schussgeräuschen mussten danach vom Beklagten nicht getroffen werden. Im Allgemeinen begründen Schussgeräusche für sich keine potentielle Gefahr für Rechtsgüter Dritter. Es handelt sich um Lärmbeeinträchtigungen, mit denen allgemein in Waldgebieten gerechnet wird und die hinzunehmen sind. Die Warnpflicht vor solchen Geräuschen, die individuell sehr unterschiedlich aufgenommen werden, wäre mit einem vernünftigen praktischen Aufwand auch nicht erfüllbar. Die Wirkung von Schussgeräuschen auf Menschen und Tiere ist von vornherein kaum abschätzbar. Sie ist jedenfalls nur unter besonders eigenartigen und entfernter liegenden Umständen schadensträchtig, so wenn etwa der Schuss in unmittelbarer Nähe des Reiters abgegeben wird. Ein solcher Fall liegt dem von der Klägerin in Bezug genommenen ) zugrunde.

16Hingegen ist im Streitfall nicht festgestellt, dass der Schuss in unmittelbarer Nähe der Klägerin abgegeben worden sei. Dies wird von der Klägerin auch nicht behauptet. Nach ihrem eigenen Vortrag stürzte sie, nachdem sie nach dem ersten Schuss weiter geritten war und ihr Pferd aufgrund des zweiten Schussgeräusches scheute. Zum Unfall kam es, weil die Klägerin das Pferd nicht beherrschte.

Galke                          Zoll                                Diederichsen

               Pauge                           von Pentz

Fundstelle(n):
NJW 2011 S. 6 Nr. 13
NJW-RR 2011 S. 888 Nr. 13
SAAAD-73327