Kein Ursprungserzeugnis, wenn die Voraussetzungen für eine buchmäßige Trennung von Vormaterialien nicht erfüllt sind; irrtümliche Bewilligung buchmäßiger Trennung durch HZA
Leitsatz
Da der Ursprungsnachweis grundsätzlich waren- und nicht mengenbezogen zu führen ist, können Erzeugnisse, zu deren Herstellung Vormaterialien mit und ohne Ursprungseigenschaft verwendet wurden, insgesamt nicht als Ursprungserzeugnisse angesehen werden. Sie sind vielmehr unbekannten Ursprungs, wenn die Vormaterialien unterschiedlichen Ursprungs nicht voneinander getrennt gelagert und verarbeitet wurden.
Eine Bewilligung der buchmäßigen Trennung von Vormaterialien mit und ohne Ursprungseigenschaft kommt nur in Betracht, wenn die Vormaterialien hinsichtlich ihrer Handelsqualität und Art gleich sind, dieselben technischen und materiellen Eigenschaften aufweisen und nach ihrer Verarbeitung im Enderzeugnis ihre Trennung für Ursprungszwecke nicht mehr möglich ist. Auf die zolltarifliche Einreihung der Vormaterialien kann dabei nicht abgestellt werden.
Hat das Hauptzollamt die buchmäßige Trennung von Vormaterialien irrtümlich erteilt, ist von einer Nacherhebung des gesetzlich geschuldeten Zolls aus Gründen des Vertrauensschutzes gemäß Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 1 ZK abzusehen, wenn der Zollschuldner den Irrtum des Hauptzollamts nicht erkennen konnte.
Gesetze: ZK Art. 220 Abs. 2 Buchstabe b
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
1 I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) stellte Garne unter Verwendung synthetischer Spinnfasern aus Polyester sowohl mit Ursprung in der Gemeinschaft als auch mit Ursprung in Drittländern her. Auf Antrag der Klägerin erteilte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt —HZA—) unter dem die Bewilligung, die Ursprungseigenschaft der verwendeten Spinnfasern buchmäßig nachzuweisen. In der Bewilligung heißt es (u.a.):
2 „1. Ich bewillige hiermit widerruflich, dass Sie den Ursprung der unter 2. bezeichneten Ware unter Verzicht auf die physische Trennung anhand ihrer Buchführung bestimmen, soweit sie gleichartig und austauschbar sind, das heißt nach Beschaffenheit und Handelsqualität sowie ihren technischen und physischen Eigenschaften übereinstimmen.
3 2. Von dieser Bewilligung werden umfasst synthetische Spinnfasern der HS-Position 5503 zur Herstellung von Garnen aus synthetischen Spinnfasern der HS-Position 5509.
(...)”
4 Im März 2004 widerrief das HZA die Bewilligung mit der Begründung, dass ein Bedürfnis für diese nicht mehr bestehe.
5 Während der Gültigkeit der erteilten Bewilligung führte die Klägerin ihre Garne in die Slowakische und in die Tschechische Republik aus, wobei sie die Garne in den ausgestellten Rechnungen als Ursprungswaren der Gemeinschaft bezeichnete. Die mit ihr verbundenen Unternehmen in der Slowakischen und Tschechischen Republik stellten aus den Garnen Gewebe her, die nach Deutschland ausgeführt, von der Klägerin zur Abfertigung zum freien Verkehr angemeldet und aufgrund der vorgelegten Warenverkehrsbescheinigungen EUR.1 zum Zollsatz „frei” abgefertigt wurden.
6 Nach einer Außenprüfung vertrat das HZA die Ansicht, dass die Garne keine Ursprungswaren der Gemeinschaft gewesen seien, weil die zur Herstellung verwendeten Fasern mit und ohne Ursprungseigenschaft nach Beschaffenheit und Handelsqualität nicht gleich und austauschbar gewesen seien, und erhob mit Bescheid vom den auf die im Zeitraum 8. bis eingeführten Waren entfallenden Zoll nach. Der Einspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg.
7 Die hiergegen erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) ab. Das FG urteilte, dass für die Einfuhrsendungen keine Zollpräferenz gemäß dem Europa-Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Slowakischen Republik andererseits sowie dem entsprechenden Europa-Abkommen mit der Tschechischen Republik und dem jeweils dazugehörigen Protokoll Nr. 4 (Protokoll Nr. 4) über die Bestimmung des Begriffs „Erzeugnisse mit Ursprung in” oder „Ursprungserzeugnisse” und über die Methoden der Zusammenarbeit der Verwaltungen in der Fassung des Beschlusses Nr. 1/2003 des Assoziationsrates EU-Slowakische Republik vom (Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 166/1) bzw. in der Fassung des Beschlusses Nr. 2/2001 des Assoziationsrates EU-Tschechische Republik vom (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften —ABlEG— Nr. 64/36) habe gewährt werden dürfen. Die bei der Einfuhr der in der Slowakischen bzw. der Tschechischen Republik hergestellten Gewebe vorgelegten Warenverkehrsbescheinigungen EUR.1 seien unrichtig gewesen, weil die Gewebe nicht unter Verwendung von Vormaterialien mit Ursprung in der Gemeinschaft gemäß den Bestimmungen des Protokolls Nr. 4 hergestellt worden seien. Da die Klägerin bei der Garnherstellung Fasern mit Ursprungseigenschaft und Fasern ohne Ursprungseigenschaft gemischt habe, seien keine Garne mit Gemeinschaftsursprung hergestellt worden. Die Bewilligung zur buchmäßigen Trennung ändere hieran nichts, weil der zugrunde liegende Art. 20a Abs. 1 des Protokolls Nr. 4 voraussetze, dass die Vormaterialien mit und ohne Ursprungseigenschaft gleich und untereinander austauschbar seien, was bedeute, dass sie hinsichtlich ihrer Handelsqualität und Art gleich sein und dieselben technischen sowie materiellen Eigenschaften aufweisen müssten. Dies ergebe sich auch aus der der Klägerin im April 2003 erteilten Bewilligung. Unter deren Nr. 2 sei nur ihr allgemeiner Geltungsbereich umschrieben worden, ohne dass damit auf das aus Art. 20a Abs. 1 des Protokolls Nr. 4 folgende Erfordernis der Gleichheit und Austauschbarkeit der Vormaterialien verzichtet worden sei. Die im Streitfall zur Herstellung der Garne verwendeten Fasern erfüllten diese Voraussetzung jedoch nicht; sie seien hinsichtlich ihrer Handelsqualität und Art nicht objektiv gleich und untereinander austauschbar gewesen.
8 Von der Nacherhebung der Einfuhrabgaben sei auch nicht aus Gründen des Vertrauensschutzes abzusehen, weil die inhaltlich unrichtigen Warenverkehrsbescheinigungen auf einer unrichtigen tatsächlichen Darstellung seitens der Ausführer beruht hätten. Die Klägerin habe in unzutreffender Weise die zur Herstellung der Gewebe verwendeten Garne als Ursprungswaren der Gemeinschaft bezeichnet, ohne dass die Unrichtigkeit dieser Erklärung offensichtlich gewesen sei.
9 Mit ihrer Revision macht die Klägerin geltend, dass entgegen der Auffassung des FG eine objektive und vollkommene Identität der Vormaterialien für eine buchmäßige Trennung nicht erforderlich sei. Vielmehr werde mit dem Begriff der „Austauschbarkeit” ein Bezug zu dem aus den Vormaterialien herzustellenden Erzeugnis geschaffen. Welche Polyesterfasern zur Herstellung von Garnen der Pos. 5509 des Harmonisierten Systems (HS) verwendet würden, sei irrelevant; insoweit seien alle Vormaterialien der Pos. 5503 HS gleichartig und austauschbar. Jedenfalls habe sie (die Klägerin) nach der ihr im April 2003 erteilten Bewilligung annehmen dürfen, dass die Bewilligung für sämtliche verarbeiteten Fasern gelten sollte, zumal das HZA im Rahmen der Antragsprüfung vorgelegte Abrechnungsvorschläge, die eine solche „Gesamt-Faserabrechnung” enthalten hätten, nicht beanstandet habe. Dem HZA seien Muster und Proben der verschiedenen Fasern zur Verfügung gestellt und hierzu mitgeteilt worden, dass sämtliche hergestellten Garne solche der Pos. 5509 HS seien.
10 II. Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung sowie des angefochtenen Verwaltungsakts in Gestalt der Einspruchsentscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Der Bescheid vom ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die eingeführten Gewebe sind zwar zu Unrecht zum Zollsatz „frei” abgefertigt worden. Von der Nacherhebung der gesetzlich geschuldeten Abgaben ist jedoch aus Gründen des Vertrauensschutzes abzusehen.
11 1. Das FG ist aufgrund seiner Feststellungen, dass bei der Herstellung der Garne der Klägerin synthetische aus der Gemeinschaft stammende Spinnfasern mit Spinnfasern drittländischen Ursprungs gemischt wurden, sowie des seitens der Klägerin nicht erbrachten Nachweises einer i.S. des Protokolls Nr. 4 ursprungsbegründenden Be- oder Verarbeitung drittländischer Spinnfasern bzw. ihres Anteils von nicht mehr als 10 % zu Recht davon ausgegangen, dass eine solche Verarbeitung drittländischer synthetischer Spinnfasern zu Garnen nicht deren Gemeinschaftsursprung gemäß Art. 6 des Protokolls Nr. 4 begründen konnte, weil diese Verarbeitung die für die Pos. 5508 bis 5511 HS vorgeschriebenen Bedingungen der Liste in Anhang II des Protokolls Nr. 4 i.V.m. der Bemerkung 5 des Anhangs I des Protokolls Nr. 4 nicht erfüllte.
12 Das FG hat auch zu Recht geurteilt, dass der Ursprungsnachweis grundsätzlich waren- und nicht mengenbezogen zu führen ist, weshalb Erzeugnisse, zu deren Herstellung Vormaterialien mit und ohne Ursprungseigenschaft verwendet wurden, insgesamt nicht als Ursprungserzeugnisse angesehen werden können, sondern unbekannten Ursprungs sind, wenn die Vormaterialien unterschiedlichen Ursprungs —wie im Streitfall geschehen— nicht voneinander getrennt gelagert und verarbeitet wurden (vgl. Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union —EuGH— vom C-153/94 und C-204/94 —Faroe Seafood u.a.—, Slg. 1996, I-2465, Rz 50 bis 55, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern —ZfZ— 1997, 12).
13 2. Unter den Voraussetzungen des Art. 20a des Protokolls Nr. 4 kann zwar anstelle der physischen Trennung der Vormaterialien eine sog. buchmäßige Trennung bewilligt werden. Diese Voraussetzungen, auf die in der der Klägerin im April 2003 erteilten Bewilligung auch hingewiesen wurde, erfüllten die von ihr bei der Garnherstellung verwendeten Vormaterialien jedoch nicht.
14 Die buchmäßige Trennung von Vormaterialien mit und ohne Ursprungseigenschaft kommt nur für gleiche und untereinander austauschbare Vormaterialien in Betracht. Nach Abs. 3 der Erläuterungen „Buchmäßige Trennung” zum Protokoll Nr. 4 der Europa-Abkommen (ABlEG 2002 Nr. C 49/8) bedeutet dies, dass die Vormaterialien mit und ohne Ursprungseigenschaft hinsichtlich ihrer Handelsqualität und Art gleich sein und dieselben technischen und materiellen Eigenschaften aufweisen müssen und dass nach ihrer Verarbeitung im Enderzeugnis ihre Trennung für Ursprungszwecke nicht mehr möglich sein darf. Auf die zolltarifliche Einreihung der Vormaterialien kann dabei —worauf das FG zutreffend hingewiesen hat— nicht abgestellt werden. Anders als die Klägerin meint, ist es daher nicht erheblich, dass sämtliche zur Herstellung ihrer Garne verwendeten Vormaterialien zur Pos. 5503 HS gehörten; dadurch wurden sie nicht i.S. des Art. 20a des Protokolls Nr. 4 gleich und untereinander austauschbar.
15 Aus der vom HZA erteilten Bewilligung vom ergibt sich nichts anderes. Das FG hat hierzu ausgeführt, dass mit der Regelung unter Nr. 2 der Bewilligung nur ihr allgemeiner Geltungsbereich habe umschrieben werden sollen, ohne dass damit die Regelung unter Nr. 1 der Bewilligung, wonach sie nur für solche Vormaterialien gelten sollte, die gleichartig und austauschbar sind, eingeschränkt oder auf das Erfordernis der Gleichheit und Austauschbarkeit verzichtet worden sei. Diese vom FG vorgenommene Auslegung der Bewilligung vom ist möglich und somit revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Klägerin durfte daher in Anbetracht der ihr erteilten Bewilligung nicht davon ausgehen, dass sämtliche synthetischen Spinnfasern der Pos. 5503 HS als gleichartig und untereinander austauschbar anzusehen seien.
16 3. Mit der Revision kann zwar davon ausgegangen werden, dass eine vollkommene Identität der Vormaterialien für eine buchmäßige Trennung nicht erforderlich ist und im Übrigen in der Praxis auch selten zu finden sein wird und dass insbesondere das Merkmal der „Austauschbarkeit” die Berücksichtigung des mit den Vormaterialien jeweils herzustellenden Erzeugnisses erfordert. Allerdings hat das FG keine vollkommene Identität gefordert, sondern ist mit seiner Auffassung, dass die Vormaterialien „objektiv” gleich und untereinander austauschbar sein müssten, lediglich der seitens der Klägerin vertretenen Ansicht entgegengetreten, es reiche, wenn verwendete Vormaterialien für die Wünsche ihrer Kunden und damit für sie (die Klägerin) gleichartig und austauschbar seien. Dieser Ansicht ist das FG zu Recht nicht gefolgt. Wenn nämlich, je nachdem, welche synthetischen Sinnfasern verwendet werden, Garne unterschiedlicher Festigkeit, Dehnungsfähigkeit oder ggf. Entflammbarkeit produziert werden, so mögen zwar diese Unterschiede für die Bedürfnisse des einen oder anderen Kunden ohne Belang sein; gleichwohl wird man in einem solchen Fall aber nicht davon sprechen können, dass die verwendeten Vormaterialien hinsichtlich ihrer Handelsqualität und Art gleich sind und dieselben technischen und materiellen Eigenschaften aufweisen.
17 4. Das FG hat in für den Senat bindender Weise (§ 118 Abs. 2 FGO) festgestellt, dass die von der Klägerin zur Garnherstellung verwendeten synthetischen Spinnfasern hinsichtlich Farbe und Glanz sowie Festigkeit, Dehnungsfähigkeit und Entflammbarkeit nicht gleiche technische und materielle Eigenschaften aufwiesen und dass es für die Herstellung bestimmter Garne dementsprechend erforderlich war, die Vormaterialien gezielt auszuwählen. Damit waren die Voraussetzungen für eine buchmäßige Trennung der Vormaterialien mit und ohne Ursprungseigenschaft nicht erfüllt.
18 5. Da somit die von der Klägerin hergestellten Garne keine Ursprungserzeugnisse der Gemeinschaft i.S. des Art. 2 des Protokolls Nr. 4 waren, konnten die aus ihnen in der Slowakischen bzw. der Tschechischen Republik hergestellten Gewebe nicht nach Art. 6 des Protokolls Nr. 4 als Ursprungserzeugnisse dieser Länder angesehen werden, weil eine solche Verarbeitung die für die Pos. 5407 und 5408 HS vorgeschriebenen Bedingungen der Liste in Anhang II des Protokolls Nr. 4 nicht erfüllte. Des Weiteren lagen —wie das FG zutreffend ausgeführt hat— auch die Voraussetzungen des Art. 4 Abs. 1 und 4 des Protokolls Nr. 4 für eine Kumulierung in der Slowakischen bzw. der Tschechischen Republik nicht vor, weil die als Vormaterialien verwendeten Garne nicht in der Gemeinschaft nach den Bestimmungen des Protokolls Nr. 4 hergestellt worden waren.
19 Die in den Ausfuhrländern für die dort hergestellten Gewebe ausgestellten Warenverkehrsbescheinigungen EUR.1 sind daher als zu Unrecht ausgestellt anzusehen. Für diese Feststellung bedarf es keines Nachprüfungsverfahrens durch die Behörden der Ausfuhrländer gemäß Art. 32 des Protokolls Nr. 4, weil die hierfür erforderlichen Feststellungen, ob die in der Slowakischen bzw. der Tschechischen Republik zur Herstellung der Gewebe verwendeten, von der Klägerin gelieferten Vormaterialien nach den Bestimmungen des Protokolls Nr. 4 hergestellt worden sind, nicht in diesen Ausfuhrländern getroffen werden können (vgl. —Huygen u.a.—, Slg. 1993, I-6381, Rz 27).
20 6. Die Folge einer nachträglichen Überprüfung von Warenverkehrsbescheinigungen mit negativem Ergebnis ist zwar grundsätzlich die Nachforderung der bei der Einfuhr nicht gezahlten Zölle durch den Einfuhrstaat (EuGH-Urteil in Slg. 1993, I-6381, Rz 19). Im Streitfall ist jedoch von der Nacherhebung der Einfuhrabgaben gemäß Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex (ZK) abzusehen.
21 Zwar hat das FG zutreffend ausgeführt, dass sich die Klägerin nicht auf die besonderen, für Fälle der Nacherhebung wegen unrichtiger Präferenzbescheinigungen durch die Verordnung (EG) Nr. 2700/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABlEG Nr. L311/17) eingeführten Vertrauensschutzregelungen des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 2 bis 5 ZK berufen kann, weil die Ausstellung der unrichtigen Warenverkehrsbescheinigungen EUR.1 auf den unzutreffenden Angaben der Klägerin über den Ursprung der von ihr in die Slowakische bzw. Tschechische Republik gelieferten Garne beruhte, ohne dass es —wie das FG festgestellt hat— offensichtlich war, dass die ausstellenden Behörden wussten oder hätten wissen müssen, dass die Waren die Voraussetzungen für eine Präferenzbehandlung nicht erfüllten (Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 3 ZK). Allerdings waren schon diese unzutreffenden Ursprungserklärungen der Klägerin durch einen Irrtum seitens der Zöllbehörde veranlasst, den die Klägerin nicht erkennen konnte, weshalb die Vertrauensschutzvorschrift des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 1 ZK zu ihren Gunsten eingreift.
22 Die Klägerin hat bereits im finanzgerichtlichen Verfahren unwidersprochen vorgetragen, sie habe dem HZA mit dem Antrag auf Erteilung der Bewilligung der buchmäßigen Trennung umfangreiche Muster von Fasern und Garnen übermittelt, auf welche die buchmäßige Trennung habe angewandt werden sollen, und es sei —was sich im Übrigen auch aus der Einspruchsentscheidung des HZA vom ergibt— zwischen Antragstellung und Bewilligungserteilung zu mehreren Besuchen eines Prüfers des HZA in den Geschäftsräumen der Klägerin gekommen, bei denen dieser Gelegenheit gehabt habe, sämtliche Verfahrensabläufe und Antragsvoraussetzungen zu untersuchen. Gegenstand dieser Prüfung waren aber offensichtlich nur die Fragen, ob auf Seiten der Klägerin ein zu berücksichtigendes Bedürfnis für eine buchmäßige Trennung der Vormaterialien bestand und in welcher Weise der buchmäßige Nachweis der Verwendung der Vormaterialien zu führen sei. Obwohl Art. 20a Abs. 1 des Protokolls Nr. 4 für die Erteilung der Bewilligung (u.a.) voraussetzt, dass die verwendeten Vormaterialien mit und ohne Ursprungseigenschaft gleich und untereinander austauschbar sind, und Abs. 7 der Erläuterungen „Buchmäßige Trennung” zum Protokoll Nr. 4 dementsprechend für die Bewilligungserteilung von der Zollbehörde die Prüfung der Aufzeichnungen fordert, um zu entscheiden, ob und in welcher Höhe Vormaterialien mit und ohne Ursprungseigenschaft getrennt buchmäßig erfasst werden können, hat das HZA bei den der Bewilligung vorangegangenen Prüfungen —anders als bei der späteren Außenprüfung, welche zur Nacherhebung der hier streitigen Einfuhrabgaben führte— keine Feststellungen zur Gleichartigkeit und Austauschbarkeit der übersandten Muster bzw. der im Betrieb der Klägerin vorhandenen Vormaterialien getroffen. Vielmehr hat das HZA eine Bewilligung erteilt, mit der unter Nr. 1 lediglich Teile des Verordnungstexts des Art. 20a Abs. 1 des Protokolls Nr. 4 sowie des Abs. 3 der Erläuterungen „Buchmäßige Trennung” wiedergegeben wurden, ohne dass diese Anforderungen in Bezug auf die seitens der Klägerin verwendeten Vormaterialien konkretisiert wurden.
23 Da —wie sich durch die spätere Außenprüfung herausgestellt hat— die Voraussetzungen für eine buchmäßige Trennung hinsichtlich der Gleichartigkeit und Austauschbarkeit der Vormaterialien in Wahrheit nicht vorlagen, hat das HZA die Bewilligung vom irrtümlich erteilt, denn es fehlte mangels Gleichartigkeit und Austauschbarkeit der für die Garnherstellung verwendeten Spinnfasern mit und ohne Ursprungseigenschaft jedenfalls an dem nach Art. 20a Abs. 1 des Protokolls Nr. 4 erforderlichen Bedürfnis für eine buchmäßige Trennung. Da keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass die Klägerin anlässlich der Vorprüfung unzutreffende Angaben über die Beschaffenheit der von ihr verwendeten Spinnfasern gemacht hat, geht der Senat davon aus, dass das HZA im Sinne der Rechtsprechung des EuGH selbst die Grundlage geschaffen hat, auf der das Vertrauen der Klägerin beruhte, dass die verwendeten Vormaterialien die Voraussetzungen für eine buchmäßige Trennung erfüllten (vgl. —Covita—, Slg. 1998, I-7711, ZfZ 1999, 86).
24 Die Klägerin durfte in Anbetracht der dem HZA präsentierten Vormaterialien sowie der beschriebenen und vorgeführten Verarbeitungsprozesse und der anschließenden Bewilligungserteilung durch das HZA annehmen, dieses habe die Gleichartigkeit und Austauschbarkeit der Vormaterialien als gegeben anerkannt. Diesen Irrtum des HZA —d.h. die Bewilligungserteilung ohne Feststellungen zur Gleichartigkeit und Austauschbarkeit der verwendeten Spinnfasern— konnte sie vernünftigerweise nicht erkennen. Wie der Streitfall zeigt, handelt es sich bei den in Art. 20a Abs. 1 des Protokolls Nr. 4 genannten Tatbestandsvoraussetzungen „gleich und untereinander austauschbar” um unbestimmte Begriffe, die der Deutung und Bewertung bedürfen, für welche es seinerzeit aber keine Erfahrungswerte, geschweige denn gerichtliche Entscheidungen gab, weil das erst später in das Protokoll Nr. 4 eingefügte Verfahren der buchmäßigen Trennung relativ neu war. Das HZA hat in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat bestätigt, dass auch die Zollverwaltung seinerzeit unsicher war, für welche Arten von Vormaterialien das Verfahren der buchmäßigen Trennung in Betracht kam. Wie der Bewilligungsbescheid vom zeigt, hat sich das HZA in dieser unsicheren Lage damit beholfen, die abstrakten Merkmale der Gleichartigkeit und Austauschbarkeit der Vormaterialien lediglich zu benennen, ohne sie auf die von der Klägerin bei der Garnherstellung verwendeten Vormaterialien anzuwenden. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin eher als das HZA in der Lage war zu erkennen, dass dies für die Erteilung der Bewilligung nicht ausreichend sein konnte, sind nicht ersichtlich.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2011 S. 872 Nr. 5
QAAAD-62799