Rechtsbeschwerde in Abschiebehaftsachen: Pflicht zur Beantragung der Beiordnung eines bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalts
Gesetze: § 10 Abs 4 S 1 FamFG, § 10 Abs 4 S 2 FamFG, § 10 Abs 4 S 3 FamFG, § 78 Abs 1 FamFG, § 78b FamFG, § 78c FamFG
Instanzenzug: Az: 5 T 108/10 Beschlussvorgehend Az: 7 XIV 24/10
Gründe
I.
1Dem Betroffenen ist für das Rechtsbeschwerdeverfahren nach § 78 Abs. 1 FamFG ein von ihm noch zu benennender bei dem Bundesgerichtshof zugelassener Rechtsanwalt, und nicht der derzeitige Verfahrensbevollmächtigte beizuordnen. Denn nach § 10 Abs. 4 Satz 1 FamFG müssen sich die Beteiligten, außer in Verfahren über die Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen und im Verfahren über die Verfahrenskostenhilfe, durch einen bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt vertreten lassen.
21. Diese gesetzliche Regelung ist verfassungsgemäß.
3a) Die Gewährleistung des Rechtswegs (Art. 19 Abs. 4 GG) schließt nicht aus, dass seine Beschreitung in den Prozessordnungen von der ordnungsgemäßen Vertretung durch einen postulationsfähigen Rechtsanwalt abhängig gemacht wird (BVerfGE 9, 194, 199 f.; 10, 264, 267; , juris Rn. 5). Dadurch wird der Rechtsweg für den Betroffenen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise erschwert. So ist es auch hier.
4aa) Bei der Rechtsbeschwerde steht - im Gegensatz zur Beschwerde - nicht die Erfassung des Sachverhalts und die individuelle Beratung der Partei im Vordergrund, sondern die Beurteilung von Rechtsfragen. Die Rechtsbeschwerde dient vor allem dem Ziel, Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung klären zu lassen oder zur Rechtsfortbildung oder -vereinheitlichung beizutragen. Zur Filterung und Strukturierung dieser, zumal revisionsähnlich ausgestalteten, Verfahren bedarf es der besonderen Kenntnisse und des Sachverstands der Rechtsanwaltschaft beim Bundesgerichtshof (, FamRZ 2005, 1164, 1165; vgl. auch Beschluss vom - AnwZ 1/01, BGHZ 150, 70, 75, zur Singularzulassung nach § 171 BRAO aF; Beschluss vom - AnwZ 2/06, NJW 2007, 1136, 1137).
5bb) Vor diesem Hintergrund ist der mit der Beauftragung eines bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalts verbundene Mehraufwand hinzunehmen, weil die Wahrnehmung der prozessualen Rechte des Betroffenen so bestmöglich gewährleistet ist.
6Entgegen der Auffassung des Betroffenen hat § 10 Abs. 4 Satz 1 FamFG für ihn nicht zur Folge, dass er Gefahr läuft, anwaltlich nicht vertreten zu werden. Denn nach § 10 Abs. 4 Satz 3 FamFG ist dem Betroffenen unter den Voraussetzungen der §§ 78b und 78c ZPO (vgl. auch § 78 Abs. 5 FamFG) ein zugelassener Anwalt beizuordnen. Dieser nicht dem Anwaltzwang unterliegende Antrag kann nach § 25 Abs. 2 FamFG vor der Geschäftsstelle eines jeden Amtsgerichts gestellt werden. Gemäß § 185 Abs. 1 Satz 1 GVG ist ggf. ein Dolmetscher hinzuzuziehen (vgl. BayObLG, Rpfleger 1977, 133, 134; Kissel, GVG, 6. Aufl., § 185 Rn. 3; MünchKomm-ZPO/Zimmermann, 3. Aufl., § 185 GVG Rn. 2). Zumeist, und so auch hier, verhält es sich zudem so, dass der Kontakt zu einem bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt ohne Schwierigkeiten über den im Beschwerdeverfahren tätigen Rechtsanwalt hergestellt werden kann.
7b) Die Pflicht zur Beauftragung eines bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen und dort ansässigen (§ 172b Satz 1 BRAO) Rechtsanwalts benachteiligt den Betroffenen auch nicht deswegen, weil die beteiligte Behörde keinen solchen Anwalt beauftragen muss.
8Für das Behördenprivileg nach § 10 Abs. 4 Satz 2 FamFG gibt es einen sachlichen Grund. Es beruht auf der Erwartung sachgemäßer Verfahrensführung (vgl. , NJW 1993, 1208, 1209; Jansen/Briesemeister, FGG, 3. Aufl., § 29 Rn. 12) durch eine im besonderen Näheverhältnis zu der vertretenen Partei stehende, die Verfahrensführung unentgeltlich übernehmende Person (vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts, BT-Drucks. 16/3655, S. 34, zu § 79 ZPO; BVerfG, NJW 2010, 3291, 3292). Neben der Befähigung zum Richteramt als der besonderen juristischen Qualifikation (vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts, BT-Drucks. 16/3655, S. 85) handelt es sich bei dem Behördenvertreter folglich um eine Person die regelmäßig mit dem materiellen Recht und dem Verfahrensrecht vertraut ist, und nicht, wie der Betroffenen meint, um einen „beliebigen Juristen“.
9Im Übrigen wirkt sich dies auf das Prozessrisiko des Betroffenen günstig aus. Im Falle des Unterliegens muss er nämlich, soweit ihm nach § 81 FamFG überhaupt die Auslagen der Behörde auferlegt werden, insoweit keine Anwaltsgebühren tragen.
10c) Die gesetzliche Regelung ist nicht deswegen willkürlich, weil die Notwendigkeit, sich vor dem Bundesgerichtshof durch einen dort zugelassenen Rechtsanwalt vertreten zu lassen, eine Besonderheit darstellt, die in anderen Verfahrensordnungen keine Entsprechung findet.
11aa) Allerdings gibt es bei den übrigen obersten Bundesgerichten keine besondere Anwaltschaft. Die Einrichtung einer solchen ist jedoch grundsätzlich wünschenswert; eine entsprechende anwaltliche Tätigkeit wäre indessen wirtschaftlich nicht tragfähig (vgl. , BGHZ 150, 70, 76 f., 79; BVerfGE 106, 216, 220 f.).
12bb) Auch im Vergleich zum Strafprozess, für den § 138 StPO keine Unterschiede hinsichtlich der postulationsfähigen Personen in den Instanzen vorsieht (vgl. , BGHSt 48, 350, 353), liegt keine willkürliche Ungleichbehandlung vor. Allerdings wird für das Strafverfahren aus dem Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit dem allgemeinen Freiheitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) das Recht des Beschuldigten hergeleitet, sich von einem Verteidiger seiner Wahl und seines Vertrauens vertreten zu lassen (BVerfGE 34, 293, 302; 38, 105, 111 f.; 39, 156, 163; 66, 313, 318 f.; 110, 226, 253 f.). § 138 Abs. 1 StPO trägt dem Rechnung und gewährt dem Beschuldigten einen möglichst weiten Kreis für die Auswahl des Verteidigers (OLG Dresden, NStZ-RR 2001, 205, 206). Das gilt auch für die Revisionsinstanz, wenngleich die freie Wahl des Verteidigers vor allem in der Tatsacheninstanz von besonderer Bedeutung für den Angeklagten ist (vgl. BVerfGE 110, 226, 253 f.; , BGHZ 150, 70, 74; OLG Dresden, aaO). Indes besteht wegen der unterschiedlichen Verfahrensgrundsätze keine Vergleichbarkeit mit den Verhältnissen im Zivilrecht oder im Recht der freiwilligen Gerichtsbarkeit (vgl. aaO, S. 77). So stehen im Strafverfahren nicht zuletzt Fragen der individuellen Schuld und deren Auswirkungen auf Grund und Höhe der Strafe im Vordergrund, die besondere Anforderungen an die Taktik der Verteidigung stellen, denen ein Verteidiger nur auf der Basis eines engen Vertrauensverhältnisses gerecht werden kann. Dies rechtfertigt die freie Wahl des Verteidigers auch für die Revisionsinstanz. In Verfahren der hier vorliegenden Art geht es demgegenüber nicht um Schuldfragen und um individuelle Sanktionen, sondern um die Beurteilung von Rechtsfragen anhand objektiver Umstände. Garant für eine bestmögliche Interessenvertretung ist in solchen Verfahren nicht ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant, sondern die spezifische Sachkunde des am Bundesgerichtshof zugelassenen Anwalts von der Sach- und Verfahrensmaterie.
132. Einen weitergehenden Schutz als das deutsche Recht gewährt Art. 6 Abs. 3 Buchstabe c EMRK nicht (BVerfGE 9, 36, 39).
II.
14Die Beiordnung eines Notanwalts (§ 78b ZPO) kommt - derzeit - nicht in Betracht, weil der Betroffene nicht geltend gemacht hat, dass er einen zur Vertretung bereiten, bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt nicht finden konnte (vgl. , juris Rn. 3 f.; Senat, Beschluss vom - V ZA 27/10, Rn. 1, juris).
Krüger Stresemann Czub
Roth Brückner
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HAAAD-62643