BGH Beschluss v. - V ZR 153/10

Leitsatz

Leitsatz:

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Instanzenzug: LG Stendal, 23 O 158/09 vom OLG Naumburg, 2 U 25/10 vom

Gründe

I. Der Ehemann der Beklagten verhandelte mit der Klägerin Anfang des Jahres 2007 über die Gewährung eines Kredits über 2 Mio. Euro. Als Sicherheit bot er u.a. die Abtretung von drei auf dem Hotelgrundstück seiner Frau lastenden Eigentümerbriefgrundschulden im Nominalwert von rund 1 Mio. Euro an. Die Klägerin gewährte den Kredit unter dem und gelangte auch in den Besitz der Grundschuldbriefe. Aus den Grundschulden will sie, nach Kündigung, gegen die Beklagte vorgehen und verlangt dazu - nach der unangegriffenen Auslegung des Klageantrags durch das Oberlandesgericht - die öffentliche Beglaubigung der Abtretung der Grundschulden nach §§ 1154 Abs. 1 Satz 2, 1192 Abs. 1 BGB. Sie behauptet, die Beklagte habe die der Abtretung der Grundschulden zugrunde liegende Sicherungszweckerklärung am in ihren Geschäftsräumen unterschrieben.

Das Landgericht hat die Parteien mit Beschluss vom darauf hingewiesen, dass den Umständen des Vortrags der Beklagten zu entnehmen sei, dass diese die Echtheit der Unterschrift unter der Sicherungszweckerklärung bestreiten wolle. Es hat sodann über die Behauptung der Klägerin Beweis durch Vernehmung von Zeugen erhoben und der Klage stattgegeben. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, dass nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme feststehe, dass die Beklagte die Zweckerklärung am in den Räumen der Klägerin unterzeichnet habe. Ein - von der Klägerin "vorsorglich" beantragtes - Schriftgutachten sei nicht einzuholen gewesen, da die Beklagte die Echtheit der Unterschrift nicht ausdrücklich bestritten habe. Die Berufung ist ohne Erfolg geblieben. Soweit die Beklagte in der Berufungsbegründung die Echtheit der Unterschrift in Abrede gestellt habe, handele es sich um neues Vorbringen, das nicht zuzulassen sei.

Gegen die Nichtzulassung der Revision richtet sich die Beschwerde der Beklagten.

II. Das angefochtene Urteil ist nach § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben, da das Berufungsgericht den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 69, 145, 149; 75, 302, 315; 81, 264, 270 f.; NJW 2000, 945, 946) und des Bundesgerichtshofs (Senat, Beschluss vom - V ZR 271/04, NJW 2005, 2624; , NJW-RR 2007, 1253) ist der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, wenn das Berufungsgericht Angriffs- oder Verteidigungsmittel offenkundig zu Unrecht gemäß §§ 530, 531 ZPO als verspätet zurückweist. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn ein Verfahrensfehler die Verzögerung mitverursacht hat, etwa ein gebotener richterlicher Hinweis unterblieben ist (BVerfG NJW 2000, 945, 946; Senat, Beschluss vom - V ZR 271/04, aaO). So ist es hier.

1. Bedenken begegnet schon die Auffassung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe erst in zweiter Instanz die Echtheit der Unterschrift unter der Zweckerklärung bestritten. Denn sie hat - wovon auch das Berufungsgericht ausgeht - schon in erster Instanz die Behauptung der Klägerin bestritten, die Zweckerklärung am unterschrieben und die Grundschulden an die Klägerin abgetreten zu haben. Es stünde ihrer gesamten prozessualen Verteidigung entgegen, wenn sie damit lediglich die Unterschriftsleistung am bestritten hätte, nicht aber, dass die Unterschrift überhaupt von ihr stamme. Die Frage, ob sie die Grundschulden an die Beklagte abgetreten hat, hängt auch nach den Ausführungen des Berufungsgerichts ganz wesentlich davon ab, ob sie die Zweckerklärung unterschrieben hat. Dabei spielt die Frage, wann das geschehen ist, keine entscheidende Rolle. Es wäre also ohne erkennbaren Sinn, würde die Beklagte zwar ein Unterschreiben am bestreiten, nicht indes, dass sie die Zweckerklärung unterschrieben habe. Ein solcher in sich nicht schlüssiger Vortrag kann einer Partei nicht ohne weiteres unterstellt werden.

2. Jedenfalls durfte das Berufungsgericht den aus seiner Sicht in zweiter Instanz neuen Vortrag nicht nach § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO als verspätet zurückweisen, weil der Beklagten keine Nachlässigkeit zur Last fällt. Das Landgericht hätte nämlich nicht ohne erneuten Hinweis davon ausgehen dürfen, die Beklagte habe die Echtheit der Unterschrift nicht bestritten. Nach dem ersten Hinweis des Landgerichts, es sei davon auszugehen, dass die Beklagte die Echtheit bestreiten wolle, durfte die Beklagte ihr Prozessverhalten darauf einrichten und war nicht gehalten, dazu weiter vorzutragen. Bestätigt wird das durch das Verhalten der Klägerin, die als beweisbelastete Partei (§ 440 Abs. 1 ZPO) ebenfalls den Hinweis des Landgerichts ihrem Prozessverhalten zugrunde gelegt und die Behauptung der Echtheit der Unterschrift durch Einholung eines Schriftsachverständigengutachtens unter Beweis gestellt hat.

Die Entscheidung des Landgerichts stellt sich folglich als eine gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs verstoßende Überraschungsentscheidung (vgl. BVerfG NJW 1991, 2823; 1992, 2877; 1996, 45, 46; 1998, 2515; 2004, 1371, 1373) dar, die das Berufungsgericht seiner Beurteilung nicht zugrunde legen durfte. Vielmehr bedeutet die Zurückweisung des Vortrags der Beklagten als verspätet eine erneute Verletzung des Verfahrensgrundrechts gemäß Art. 103 Abs. 1 GG.

3. Der Verfahrensverstoß ist entscheidungserheblich. Das ist schon dann der Fall, wenn - wie hier - nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens anders entschieden hätte (Senat, Beschluss vom - V ZR 271/04, aaO S. 2625).

Fundstelle(n):
NAAAD-62628