BAG Urteil v. - 8 AZR 45/08

Instanzenzug: Az: 22 Ca 16325/06 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht München Az: 9 Sa 269/07 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten darüber, ob zwischen ihnen über den hinaus ein Arbeitsverhältnis besteht.

2Der Kläger war bei der Beklagten seit dem Jahre 1986 beschäftigt, zuletzt als Leiter der Abteilung „Beschaffung und Logistik“. Sein Arbeitsverhältnis war dem Geschäftsbereich C I (CI) zugeordnet.

Mit Schreiben vom informierte die Beklagte den Kläger über die beabsichtigte Übertragung des Geschäftsbereichs CI auf die A GmbH. Darin wurde dem Kläger ua. mitgeteilt:

4Mit Wirkung zum wurde der Geschäftsbereich CI ausgegliedert und auf die neu gegründete A GmbH übertragen. Der Kläger widersprach dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die GmbH zunächst nicht und erbrachte für diese seine Arbeitsleistung.

5Am stellte die A GmbH Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, die am erfolgte.

Der Kläger, die A GmbH und eine Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft namens „C GmbH“ schlossen einen als „Aufhebungs- und Anstellungsvertrag“ bezeichneten dreiseitigen Vertrag, in dem es ua. heißt:

7Der Kläger arbeitete ab dem bei der C. Durch Anwaltsschreiben vom ließ er gegenüber der Beklagten wegen nicht ordnungsgemäßer Information über sein Widerspruchsrecht gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die A GmbH einen Widerspruch erklären.

8Der Kläger ist der Ansicht, er habe im Juli 2006 dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses von der Beklagten auf die A GmbH noch wirksam widersprechen können, weil infolge der nicht ausreichenden Unterrichtung durch die Beklagte im Schreiben vom über den beabsichtigten Betriebsübergang die einmonatige Widerspruchsfrist des § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB nicht in Gang gesetzt worden sei.

Der Kläger hat beantragt

10Die Beklagte hat die Abweisung der Klage beantragt.

11Sie meint, die Unterrichtung des Klägers genüge den gesetzlichen Anforderungen des § 613a Abs. 5 BGB. Der Widerspruch des Klägers sei deshalb verspätet. Jedenfalls habe der Kläger sein Widerspruchsrecht verwirkt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers blieb vor dem Landesarbeitsgericht erfolglos. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter, während die Beklagte die Zurückweisung der Revision beantragt.

Gründe

13Die Revision des Klägers ist unbegründet. Zwischen den Parteien besteht kein Arbeitsverhältnis mehr, weil dieses mangels eines wirksamen Widerspruchs des Klägers ab dem auf die A GmbH nach § 613a Abs. 1 BGB übergegangen war.

14A. Das Landesarbeitsgericht hat sein klageabweisendes Urteil im Wesentlichen wie folgt begründet:

15Selbst wenn zu Gunsten des Klägers unterstellt werde, die Widerspruchsfrist des § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB habe infolge fehlerhafter Unterrichtung noch nicht zu laufen begonnen, sei trotz des Widerspruchs des Klägers das Arbeitsverhältnis auf die A GmbH übergegangen. Die Ausübung des Widerspruchs verstoße nämlich gegen Treu und Glauben. Dieselbe Wertung ergebe sich auch aus dem Rechtsgedanken des § 144 BGB.

16B. Dem Landesarbeitsgericht ist im Ergebnis zu folgen, weil das Widerspruchsrecht des Klägers zum Zeitpunkt seiner Ausübung mit Schreiben vom verwirkt war.

17I. Wie der Senat bereits in einer Vielzahl von gleich gelagerten Fällen entschieden hat, entspricht die Unterrichtung durch die Beklagte vom über den beabsichtigten Betriebsteilübergang nicht den Anforderungen des § 613a Abs. 5 BGB. Sie setzt damit die einmonatige Widerspruchsfrist des § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB für die betroffenen Arbeitnehmer nicht in Lauf (vgl. zB - 8 AZR 872/07 - und - 8 AZR 982/07 -; - 8 AZR 1016/06 - NZA 2008, 1354 oder - 8 AZR 175/07 - AP BGB § 613a Nr. 347).

18II. Der Senat hat des Weiteren mehrmals entschieden, dass das Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers grundsätzlich verwirken kann (vgl. zB - 8 AZR 872/07 - und - 8 AZR 982/07 -; - 8 AZR 175/07 - AP BGB § 613a Nr. 347).

191. Die Verwirkung ist ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB). Mit der Verwirkung wird die illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten ausgeschlossen. Sie dient dem Vertrauensschutz und verfolgt nicht den Zweck, den Schuldner stets dann von seiner Verpflichtung zu befreien, wenn dessen Gläubiger längere Zeit seine Rechte nicht geltend gemacht hat (Zeitmoment). Der Berechtigte muss vielmehr unter Umständen untätig geblieben sein, die den Eindruck erweckt haben, dass er sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, so dass der Verpflichtete sich darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (Umstandsmoment). Hierbei muss das Erfordernis des Vertrauensschutzes auf Seiten des Verpflichteten das Interesse des Berechtigten derart überwiegen, dass ihm die Erfüllung des Anspruchs nicht mehr zuzumuten ist.

20Angesichts der gesetzlichen Regelung kann hinsichtlich des Zeitmoments nicht auf eine feststehende Monatsfrist, beispielsweise von sechs Monaten abgestellt werden. Entscheidend sind vielmehr die konkreten Umstände des Einzelfalles (Senat - 8 AZR 431/06 - BAGE 121, 289 = AP BGB § 613a Nr. 320 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 64). Dabei ist, wie der Senat bereits zur Verwirkung der Geltendmachung eines Betriebsübergangs ( - 8 AZR 106/99 -) ausgeführt hat, davon auszugehen, dass bei schwierigen Sachverhalten die Rechte des Arbeitnehmers erst nach längerer Untätigkeit verwirken können. Zutreffend ist es weiterhin auch, die Länge des Zeitablaufes in Wechselwirkung zu dem ebenfalls erforderlichen Umstandsmoment zu setzen. Je stärker das gesetzte Vertrauen oder die Umstände, die eine Geltendmachung für den Anspruchsgegner unzumutbar machen, sind, desto schneller kann ein Anspruch verwirken. Es müssen letztlich besondere Verhaltensweisen sowohl des Berechtigten als auch des Verpflichteten vorliegen, die es rechtfertigen, die späte Geltendmachung des Rechts als mit Treu und Glauben unvereinbar und für den Verpflichteten als unzumutbar anzusehen (Senat - 8 AZR 431/06 - mwN, aaO).

212. Zwischen der Unterrichtung des Klägers mit Schreiben vom über den bevorstehenden Betriebsteilübergang und seinem Widerspruch mit Schreiben vom liegt ein Zeitraum von über eineinhalb Jahren. Eine solche Zeitspanne erfüllt das für das Vorliegen einer Verwirkung erforderliche Zeitmoment (Senat - 8 AZR 175/07 - AP BGB § 613a Nr. 347; - 8 AZR 473/07 -).

223. Es entspricht der Rechtsprechung des Senats, dass dann, wenn ein Arbeitnehmer eine vom Betriebserwerber ausgesprochene Kündigung nicht angreift ( - 8 AZR 175/07 - AP BGB § 613a Nr. 347) oder durch den Abschluss eines Aufhebungsvertrages mit dem Betriebserwerber über sein Arbeitsverhältnis disponiert ( - 8 AZR 174/07 - BAGE 128, 328 = AP BGB § 613a Nr. 363 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 106), das für die Annahme einer Verwirkung erforderliche Umstandsmoment erfüllt sein kann.

23a) Allein die widerspruchslose Weiterarbeit des Klägers bei der A GmbH ab dem begründete noch keine Verwirkung des Widerspruchsrechts des nicht ordnungsgemäß nach § 613a Abs. 5 BGB unterrichteten Klägers (Senat - 8 AZR 1016/06 - NZA 2008, 1354).

24b) Aufgrund des Gesamtverhaltens des Klägers durfte die Beklagte jedoch davon ausgehen, dieser werde sein Widerspruchsrecht nicht mehr ausüben (Erfüllung des Umstandsmoments).

25Nach der Rechtsprechung des Senats, erfüllt ein Arbeitnehmer dadurch, dass er über sein Arbeitsverhältnis disponiert, das für die Annahme einer Verwirkung erforderliche Umstandsmoment (vgl. oben B II 3). Eine derartige Disposition stellt der Abschluss des „Aufhebungs- und Anstellungsvertrages“ des Klägers mit der A GmbH und der C GmbH dar. Dadurch hat der Kläger sein Arbeitsverhältnis mit der Betriebserwerberin, der A GmbH, beendet und darüber hinaus im selben Vertrag ein neues Arbeitsverhältnis mit einem dritten Arbeitgeber, der C GmbH, abgeschlossen. Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts war er sich zudem bei Abschluss dieser Vereinbarung im Klaren, dass er nur in die Beschäftigungsgesellschaft wechseln konnte, wenn er keinen Widerspruch gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die A GmbH erklären würde. Dementsprechend enthält der Vertrag auch die Klausel, dass er auf die Führung von Bestandsstreitigkeiten mit dem Arbeitgeber verzichtet. Der Kläger hat also sein Interesse an einer Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses mit der A GmbH ebenso aufgegeben wie er im Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dieser auch ausdrücklich erklärt hat, keine Bestandsstreitigkeit in dieser Hinsicht mehr zu führen. Im Zusammenhang mit seinem Wissen, dass er sich damit auch der Möglichkeit eines etwa noch bestehenden Widerspruchsrechts begab, konnte sein Verhalten nur so verstanden werden, dass er mit der Unterzeichnung der dreiseitigen Vereinbarung auch auf die Möglichkeit verzichtet hat, noch einmal zur Beklagten zurückzukehren (so auch: Senat - 8 AZR 63/08 -).

264. Auf diese Verwirkung darf sich die Beklagte berufen, unabhängig davon, ob ihr alle vom Kläger verwirklichten Umstandsmomente bekannt geworden sind. Bei der Verwirkung des Widerspruchsrechts im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang genügt es, dass einer der Verpflichteten von den vertrauensbildenden Umständen Kenntnis hat. Daraus folgt, dass immer dann, wenn sich der Betriebserwerber als neuer Arbeitgeber auf Verwirkungsumstände berufen könnte, diese auch der Betriebsveräußerer als früherer Arbeitgeber für sich in Anspruch nehmen kann.

27Neuer und alter Arbeitgeber können sich wechselseitig auf die Kenntnis des anderen vom Arbeitnehmerverhalten berufen. Eine nachgewiesene Kenntnis des in Anspruch genommenen Verpflichteten von einem bestimmten Arbeitnehmerverhalten ist nicht erforderlich, wenn feststeht, dass dieses Verhalten wenigstens dem anderen Verpflichteten bekannt geworden ist (Senat - 8 AZR 174/07 - BAGE 128, 328 = AP BGB § 613a Nr. 363 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 106).

C. Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.

Fundstelle(n):
OAAAD-62590