BAG Urteil v. - 8 AZR 169/09

Betriebsübergang - fehlerhafte Unterrichtung - Schadensersatz - Abfindung

Gesetze: § 613a Abs 1 BGB, § 613a Abs 5 BGB, § 613a Abs 6 BGB, § 280 Abs 1 BGB, § 77 BetrVG, § 111 BetrVG, § 113 Abs 3 BetrVG

Instanzenzug: Az: 31 Ca 2418/07 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht München Az: 11 Sa 381/08 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten darüber, ob das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der Beklagten fortbesteht und hilfsweise über einen Schadensersatz- und einen Nachteilsausgleichsanspruch des Klägers.

2Der Kläger war seit dem Jahre 2000 bei der Beklagten als „Senior Consultant Customer Care“ in M im Bereich „Com MD (Mobile Devices)“ beschäftigt. Aufgrund eines Vertrages vom mit der BenQ Corporation (Sitz in Taiwan) übertrug die Beklagte mit Wirkung vom die Vermögensgegenstände dieses Geschäftsbereiches in Deutschland im Wege der Einzelrechtsübertragung („Asset Deal“) auf die BenQ Mobile GmbH & Co. OHG (im Folgenden: BenQ Mobile). Diese Gesellschaft wurde mit Gesellschaftsvertrag vom gegründet. Gesellschafter waren die BenQ Mobile Management GmbH und die BenQ Wireless GmbH. Am wurde die BenQ Mobile in das Handelsregister beim Amtsgericht München eingetragen. Die beiden Gesellschafter der BenQ Mobile verfügten über ein Stammkapital von jeweils 25.000,00 Euro. Im Zusammenhang mit der Übertragung der Vermögensgegenstände von der Beklagten auf die BenQ Mobile zahlte die Beklagte an die BenQ Corporation einen dreistelligen Millionenbetrag.

Die Beklagte informierte mit Schreiben vom den Kläger über die „Übertragung der Aktivitäten“ dieses „Geschäftsgebietes“. Das Schreiben hat folgenden Wortlaut:

Am hatten die Beklagte und der Gesamtbetriebsrat ua. folgende „Protokollnotiz zur Überleitung der Beschäftigungsbedingungen der von der Siemens AG, Com MD zur BenQ Mobile GmbH & Co. OHG übergehenden Mitarbeiter (Tarifkreis/Vertragsgruppe AT und FK)“ vereinbart:

5Der Kläger widersprach dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die BenQ Mobile nicht und erbrachte ab dem seine Arbeitsleistung bei dieser. Am schloss er mit ihr einen Aufhebungsvertrag zum . Als Abfindung sollte er 42.500,00 Euro erhalten.

6Nachdem die BenQ Mobile am einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt hatte, wurde dieses zum eröffnet. Die vereinbarte Abfindung wurde dem Kläger nicht ausbezahlt.

7Der Kläger meint, die Unterrichtung über den beabsichtigten Betriebsübergang habe nicht § 613a Abs. 5 BGB entsprochen. Wäre er ordnungsgemäß unterrichtet worden, so hätte er dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die BenQ Mobile widersprochen, so dass sein Arbeitsverhältnis mit der Beklagten fortbestünde.

8Für den Fall, dass er mit seiner Klage auf Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten nicht obsiegen sollte, macht er hilfsweise gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung der mit der BenQ Mobile vereinbarten Abfindung (42.500,00 Euro) oder einen Anspruch auf Zahlung einer Abfindung geltend. Dieser Abfindungsanspruch ergebe sich aus der Betriebsvereinbarung vom oder aus § 113 BetrVG (Nachteilsausgleich).

Der Kläger hat beantragt,

10Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

11Sie ist der Ansicht, den Kläger mit Schreiben vom ordnungsgemäß nach § 613a Abs. 5 BGB über den beabsichtigten Betriebsübergang unterrichtet zu haben. Ein Anspruch auf Schadensersatz und auf eine Abfindung stehe dem Kläger nicht zu.

12Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision zugelassen.

Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter, während die Beklagte die Zurückweisung der Revision beantragt.

Gründe

14Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Das zwischen den Parteien ursprünglich bestehende Arbeitsverhältnis ist ab gem. § 613a Abs. 1 BGB auf die BenQ Mobile übergegangen. Die hilfsweise geltend gemachten Zahlungsansprüche stehen dem Kläger nicht zu.

15A. Das Landesarbeitsgericht hat seine klageabweisende Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

16Die Berufung des Klägers sei unbegründet, weil das Arbeitsverhältnis des Klägers auf die BenQ Mobile übergegangen sei. Selbst wenn man einen Schadensersatz des Klägers auf der Grundlage von § 280 BGB iVm. § 613a BGB wegen fehlerhaften Informationen bejahe, könne sich hieraus nicht die Rechtsfolge eines Fortbestands des Arbeitsverhältnisses ergeben. Eine Haftung der Beklagten für die Zahlung der zwischen dem Kläger und der BenQ Mobile vereinbarten Abfindung scheide ebenso aus wie ein Anspruch des Klägers auf einen Nachteilsausgleich nach § 113 BetrVG. Letzterer scheitere bereits daran, dass ein Betriebsübergang keine Betriebsänderung darstelle.

17B. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

18I. Die Klage auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der Beklagten fortbesteht, ist unbegründet.

191. In einer Reihe von gleichgelagerten Fällen hat der Senat entschieden, dass das Unterrichtungsschreiben der Beklagten vom über den beabsichtigten Betriebsteilübergang auf die BenQ Mobile den Anforderungen des § 613a Abs. 5 BGB nicht genügt (vgl. - 8 AZR 740/08 -; - 8 AZR 538/08 - AP BGB § 613a Unterrichtung Nr. 10 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 114 und - 8 AZR 357/08 - AP BGB § 613a Widerspruch Nr. 10 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 113).

202. Die unzulängliche Unterrichtung durch die Beklagte hatte die einmonatige Widerspruchsfrist für den Kläger (§ 613a Abs. 6 Satz 1 BGB) nicht in Lauf gesetzt (st. Rspr., vgl. Senat - 8 AZR 808/07 - mwN, AP BGB § 613a Unterrichtung Nr. 4 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 105).

213. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte, so behandelt zu werden, als ob es wegen eines ordnungsgemäßen Widerspruchs iSd. § 613a Abs. 6 BGB nicht zu einer Beendigung seines Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten gekommen wäre.

22Die fehlerhafte oder unvollständige Unterrichtung durch die Beklagte hat dazu geführt, dass die Frist des § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB für die Ausübung des Widerspruchsrechts nicht in Gang gesetzt worden ist. Der Gesetzgeber hat dem Arbeitnehmer über § 613a Abs. 6 BGB die Möglichkeit eingeräumt, bei einer Verletzung der Unterrichtungspflicht nach § 613a Abs. 5 BGB einen Widerspruch auch ohne Einhaltung der Widerspruchsfrist des § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB auszuüben. Damit hat es der Arbeitnehmer in der Hand, durch die nicht fristgebundene Ausübung des Widerspruchsrechts den Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses mit dem Betriebsveräußerer zu erreichen. Nimmt er dieses Recht nicht wahr, liegt es nicht im Schutzzweck der Vorschrift des § 613a Abs. 5 BGB, dem Arbeitnehmer gleichsam eine erneute Widerspruchsmöglichkeit einzuräumen, indem er im Wege einer Schadensersatzklage vom Betriebsveräußerer verlangt, mittels der Naturalrestitution wirtschaftlich so gestellt zu werden, als hätte er dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den Betriebserwerber ordnungsgemäß widersprochen. Würde ein solcher Schadensersatzanspruch zuerkannt, würden letztlich die Regelungen bzgl. des Widerspruchsrechts des Arbeitnehmers umgangen (vgl. Senat - 8 AZR 220/07 - AP BGB § 613a Widerspruch Nr. 6).

23II. Die vom Kläger hilfsweise geltend gemachten Zahlungsansprüche bestehen nicht.

241. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung der mit der BenQ Mobile vereinbarten Abfindung in Höhe von 42.500,00 Euro.

25a) Diese Abfindungszahlung hat der Kläger mit der BenQ Mobile ausgehandelt. Es ist keine Anspruchsgrundlage ersichtlich, aus welcher sich eine Haftung der Beklagten für die Ansprüche des Klägers aus der nach dem Betriebsübergang am mit der BenQ Mobile getroffenen Aufhebungsvereinbarung vom ergibt. Insbesondere erfolgt eine solche Haftung nicht aus den Haftungsregelungen des § 613a Abs. 2 BGB (so auch: Senat - 8 AZR 1011/08 -). Außerdem gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die Beklagte gegenüber dem Kläger - ausdrücklich oder stillschweigend - verpflichtet hat, im Falle der Insolvenz der BenQ Mobile für deren Verbindlichkeiten einzustehen. Ebenso wenig erschließt sich, inwieweit sich eine Haftung der Beklagten aus § 179 BGB ergeben soll.

26b) Dieser Anspruch auf Zahlung der mit der BenQ Mobile vereinbarten Abfindung steht dem Kläger auch nicht als Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte wegen der Verletzung der Unterrichtungspflicht des § 613a Abs. 5 BGB zu.

27Zwar hat die Beklagte ihrer Unterrichtungspflicht gegenüber dem Kläger nicht genügt, weshalb sie diesem grundsätzlich nach § 280 Abs. 1 BGB zum Ersatz des Schadens, den er durch die unzulängliche Unterrichtung erlitten hat, verpflichtet ist. Der Kläger hat jedoch nicht dargelegt, dass die nicht den gesetzlichen Vorgaben entsprechende Unterrichtung ursächlich dafür war, dass er die mit der BenQ Mobile vereinbarte Abfindung nicht erhalten hat. Hätte die Beklagte ihn ordnungsgemäß über den Betriebsübergang unterrichtet, so hätte er - wie er behauptet - dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widersprochen. Dann wäre er Arbeitnehmer der Beklagten geblieben und es wäre nicht zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages und einer Abfindungsvereinbarung mit der BenQ Mobile gekommen.

282. Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Zahlung einer Abfindung gemäß Ziff. 4 der Protokollnotiz vom zu.

29a) Auch wenn zugunsten des Klägers unterstellt werden kann, dass es sich bei dieser Protokollnotiz um eine die Gesamtbetriebsvereinbarung (GBV) ergänzende eigenständige normative Regelung handelt (zur Zulässigkeit einer solchen Auslegung einer Protokollnotiz: vgl.  - AP BetrVG 1972 § 77 Regelungsabrede Nr. 3 = EzA BetrVG 1972 § 77 Nr. 62), führt dies nicht zu einem Abfindungsanspruch des Klägers gegen die Beklagte.

30b) Mit dieser Protokollnotiz verpflichten die Vertragspartner der GBV, nämlich die Beklagte und der bei ihr gewählte Gesamtbetriebsrat, einen Dritten, dh. die BenQ Mobile, zur Zahlung einer Abfindung auf Basis des Bruttomonatseinkommens „nach der am jeweiligen Standort derzeit (Stand: ) bestehenden / letztgültigen Siemens-Sozialplanregelung“, wenn es „vor dem zu betriebsbedingten Kündigungen / Aufhebungsverträge zur Vermeidung einer betriebsbedingten Kündigung bei BenQ Mobile“ kommt.

31Unabhängig von der Frage, ob die Parteien der Gesamtbetriebsvereinbarung eine solche für einen Dritten, welcher nicht Betriebspartner iSd. § 77 BetrVG ist, verbindliche Vereinbarung überhaupt treffen durften, würde auch eine wirksame Protokollnotiz keine Anspruchsgrundlage für einen Abfindungsanspruch des Klägers gegen die Beklagte darstellen. So folgt bereits aus dem eindeutigen Wortlaut der einschlägigen Regelung kein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte. Ein solcher würde ihm allenfalls gegen die BenQ Mobile eingeräumt. Auch nach Sinn und Zweck der in der Protokollnotiz getroffenen Regelung sollte dem Kläger ein solcher Anspruch nicht zustehen. Wie sich aus Abs. 3 der Ziff. 4 der Protokollnotiz ergibt, sollte durch die getroffene Regelung eine finanzielle Entlastung der BenQ Mobile geschaffen werden. Diese hätte bei einem Ausscheiden des betroffenen Arbeitnehmers nach über einem Jahr nach dem Betriebsübergang nur eine gegenüber den geltenden Siemens-Regelungen verminderte Abfindung zu zahlen (nach über einem Jahr bis zu zwei Jahren: 80 %, nach bis zu drei Jahren 60 %).

32Dass über diese Entlastung der BenQ Mobile hinaus durch die Protokollnotiz eine ihrem Wortlaut widersprechende Begünstigung der aufgrund eines mit der BenQ Mobile geschlossenen Aufhebungsvertrages ausgeschiedenen Arbeitnehmer dergestalt getroffen werden sollte, dass die Beklagte für deren Abfindungsansprüche gegen die BenQ Mobile haften sollte, kann der Protokollnotiz nicht entnommen werden (so auch: Senat - 8 AZR 1033/08 -).

333. Soweit der Kläger seine Klage auf Abfindung (auch) auf die Bestimmungen über einen Nachteilsausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes stützt (§ 113 Abs. 3 BetrVG), ist sie ebenfalls nicht begründet. Ein Betriebsübergang als solcher stellt keine Betriebsänderung iSd. §§ 111, 113 BetrVG dar. Ein Betriebsübergang kann allerdings dann eine Betriebsänderung sein, wenn er sich nicht allein in dem Wechsel des Betriebsinhabers erschöpft, sondern wenn gleichzeitig Maßnahmen ergriffen werden, welche eines oder mehrere der Tatbestandsmerkmale des § 111 BetrVG erfüllen (Senat - 8 AZR 1116/06 - AP BGB § 613a Unterrichtung Nr. 2 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 85). Ein solcher Fall ist vorliegend jedoch nicht gegeben. Insbesondere liegt keine Betriebsstilllegung vor.

34Betriebsveräußerung und Betriebsstilllegung schließen sich systematisch gegenseitig aus. Die Veräußerung des Betriebs allein - wie bereits die Wertung in § 613a BGB zeigt - stellt keine Stilllegung dar, weil die Identität des Betriebs gewahrt bleibt und lediglich ein Inhaberwechsel stattfindet (Senat - 8 AZR 766/08 - AP SGB X § 115 Nr. 16 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 116; - 8 AZR 273/08 - AP BGB § 613a Nr. 370 = EzA KSchG § 17 Nr. 20). Entsprechend scheidet ein Betriebsübergang aus, wenn der Betrieb vor dem Erwerb stillgelegt wurde (vgl. Senat - 8 AZR 80/97 -; - 8 AZR 319/01 - AP BGB § 613a Nr. 237 = EzA BGB § 613a Nr. 210). Die bloße Einstellung der Produktion bedeutet allerdings noch keine Betriebsstilllegung (Senat - 8 AZR 319/01 - aaO). Unter Betriebsstilllegung ist vielmehr die Auflösung der zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehenden Betriebs- und Produktionsgemeinschaft zu verstehen, die ihre Veranlassung und zugleich ihren unmittelbaren Ausdruck darin findet, dass der Unternehmer die bisherige wirtschaftliche Betätigung in der ernstlichen Absicht einstellt, die Verfolgung des bisherigen Betriebszwecks dauernd oder für eine ihrer Dauer nach unbestimmte, wirtschaftlich nicht unerhebliche Zeitspanne nicht weiter zu verfolgen. Abgeschlossen ist eine Stilllegung dann, wenn die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer beendet sind (Senat - 8 AZR 695/05 - AP InsO § 125 Nr. 4; - 8 AZR 319/01 - aaO).

C. Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.

Fundstelle(n):
PAAAD-62581