Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör bei Ablehnung eines Terminverlegungsantrags trotz erheblicher Gründe
Gesetze: FGO § 96 Abs. 2, FGO § 62 Abs. 4, FGO § 155, ZPO § 227, ZPO § 87
Instanzenzug:
Gründe
1 Die Beschwerde ist begründet. Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Finanzgericht (FG) zurückverwiesen (§ 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO liegen vor.
2 1. In der Durchführung der mündlichen Verhandlung ohne die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) und ihren Prozessbevollmächtigten liegt im Streitfall eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 96 Abs. 2 FGO).
3 Einem Verfahrensbeteiligten wird rechtliches Gehör versagt, wenn das Gericht mündlich verhandelt und in der Sache entscheidet, obwohl er einen Antrag auf Terminverlegung gestellt und dafür erhebliche Gründe geltend gemacht hat (§ 155 FGO i.V.m. § 227 Abs. 1 und 2 der Zivilprozessordnung —ZPO—).
4 Zu den erheblichen Gründen in diesem Sinne gehört auch die Verhinderung des Prozessbevollmächtigten aufgrund eines gleichzeitig stattfindenden anderen, früher anberaumten Gerichtstermins, den der Prozessbevollmächtigte wahrnehmen muss. Das Gericht ist zwar auch in diesem Fall nicht an der Durchführung des Termins gehindert, wenn die Prozessvollmacht einer Sozietät erteilt worden ist, und der Termin durch ein anderes Mitglied der Sozietät sachgerecht wahrgenommen werden kann (, BFH/NV 2010, 911). Anders ist es jedoch, wenn der Prozessbevollmächtigte —wie im Streitfall— als Einzelanwalt tätig ist. Zwar führt auch bei einem Einzelanwalt die Terminüberschneidung nicht zwingend zu einer Terminverlegung (vgl. z.B. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hautmann, ZPO, 68. Aufl., § 227 Rz 23). Es reicht jedoch für die Ablehnung des Terminverlegungsantrags nicht aus, dass der Streitstoff aus Sicht des FG „übersichtlich” ist und „nur geringfügige Einarbeitung erfordert”. Liegen keine weiter gehenden Gründe vor, zu denen Schwierigkeiten bei Terminvereinbarungen in anderen Verfahren oder im Besonderen der Verdacht auf Prozessverschleppung nicht gehören, wenn die Terminkollision auf zwei gleichzeitig terminierten Verhandlungen vor Gericht beruht, verletzt die Ablehnung des Terminverlegungsantrags den Anspruch auf rechtliches Gehör.
5 2. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat zwar mit Schriftsatz vom mitgeteilt, dass er die Klägerin nicht mehr vertrete. Die Kündigung des Vollmachtsvertrags erlangt gemäß § 62 Abs. 4, § 155 FGO i.V.m. § 87 ZPO aber erst Wirksamkeit durch die Anzeige der Bestellung eines anderen Prozessbevollmächtigten (, BFHE 121, 20, BStBl II 1977, 238). Ein anderer Prozessbevollmächtigter ist bisher nicht bestellt worden.
Fundstelle(n):
BFH/NV 2011 S. 623 Nr. 4
TAAAD-62344