Entschädigung von Auskunftspflichtigen und Sachverständigen im Besteuerungsverfahren
1. Geltungsbereich
Werden im Besteuerungsverfahren Auskünfte von Dritten und Sachverständigen eingeholt, bestimmt sich ihre Entschädigung nach § 107 AO in Verbindung mit dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG). § 107 AO gilt in allen Abschnitten des Besteuerungsverfahrens einschließlich des Außenprüfungs-, Erhebungs-, Vollstreckungs- und Einspruchsverfahrens. Personen, die ausschließlich als Vorlageverpflichtete nach § 97 AO vom Finanzamt herangezogen werden, steht keine Entschädigung zu (vgl. Tz. 2 und 3).
In Steuerstraf- oder in Bußgeldverfahren, in denen das Finanzamt die Ermittlungen selbständig durchführt, sind die zu Beweiszwecken herangezogenen Zeugen und Sachverständigen entsprechend § 405 AO zu vergüten.
Eine besondere gesetzliche Regelung besteht für Dritte, die aufgrund eines Beweiszwecken dienenden Ersuchens der Strafverfolgungsbehörde Gegenstände herausgeben (§ 95 Abs. 1 StPO) oder die Pflicht zur Herausgabe entsprechend einer Anheimgabe der Strafverfolgungsbehörde abwenden, Auskunft erteilen oder die Überwachung und Aufzeichnung des Fernmeldeverkehrs ermöglichen (§ 100b Abs. 3 StPO). Diese Dritten haben nach § 23 Abs. 1 JVEG einen Anspruch darauf, wie Zeugen entschädigt zu werden.
2. Abgrenzung zwischen Vorlageverlangen und Auskunftsersuchen
Ein Vorlageverlangen gegenüber Dritten ist im Regelfall nur zulässig, wenn der Dritte eine von ihm zuvor geforderte Auskunft nicht erteilt hat, die Auskunft des Dritten unzureichend ist, Bedenken gegen die Richtigkeit der Auskunft bestehen oder das Vorliegen steuerrelevanter Tatsachen nur durch die Vorlage eines Schriftstücks beweisbar bzw. eine Auskunft zur Wahrheitsfindung untauglich ist (AEAO zu § 107, Nummer 3 Absatz 3 unter Hinweis auf ).
Ein reines Vorlageverlangen i. S. d. § 97 AO, das keinen Entschädigungsanspruch auslöst, liegt nur dann vor, wenn keinerlei eigenes Wissen des in Anspruch Genommenen abgefragt bzw. darauf zurückgegriffen werden muss. (vgl. , BStBl 2007 II S. 80). Dies ist dann der Fall, wenn das Finanzamt die vorzulegenden Unterlagen so konkret und eindeutig benennt, dass sich die geforderte Tätigkeit des Vorlageverpflichteten auf rein mechanische Hilfstätigkeiten wie das Heraussuchen und Lesbarmachen der angeforderten Unterlagen beschränkt.
3. Anspruchsberechtigte
Die von einem Finanzamt zu Beweiszwecken herangezogenen Auskunftspflichtigen (§ 93 AO) und Sachverständigen (§ 96 AO) erhalten auf Antrag eine Entschädigung bzw. Vergütung in entsprechender Anwendung des JVEG, soweit sie weder Beteiligte (§§ 78, 359 AO) sind noch die Auskunftspflicht für einen Beteiligten zu erfüllen haben (wie z. B. die gesetzlichen Vertreter und die Verfügungsberechtigten i. S. der §§ 34, 35 AO sowie die Bevollmächtigten und die von Amts wegen bestellten Vertreter der Beteiligten i. S. der §§ 80, 81 AO).
Auskunftspflichtige können natürliche Personen, juristische Personen und Personengesellschaften sein.
Nimmt ein Auskunftspflichtiger oder ein Sachverständiger eine Hilfsperson (z. B. Steuerberater) in Anspruch, so hat diese keinen eigenen Entschädigungsanspruch (, n. v.).
Die dem Drittschuldner durch die Erfüllung seiner Erklärungspflicht gem. § 316 AO entstehenden Kosten sind nicht nach § 107 AO zu erstatten. Dies gilt auch, wenn das Finanzamt die Angaben in der Drittschuldnererklärung für unzureichend hält und deshalb um Ergänzung oder Vervollständigung nachsucht. Eine Entschädigung kommt aber in Betracht, wenn das Finanzamt den Drittschuldner um Auskünfte ersucht, die über dessen Erklärungspflicht gem. § 316 AO hinausgehen.
4. Anspruch auf Entschädigung
Die Entscheidung darüber, ob ein Auskunftspflichtiger oder Sachverständiger eine Entschädigung oder Vergütung erhält, liegt nicht im Ermessen des Finanzamts. Bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen besteht auf die Entschädigung ein Rechtsanspruch (, BStBl 1981 II S. 392).
5. Fürsorgepflicht des Finanzamts
Handelt es sich bei dem Auskunftspflichtigen um eine Person, bei der Kenntnisse über den Entschädigungsanspruch nicht vorausgesetzt werden können und ist ersichtlich, dass dem Verpflichteten durch die Auskunftserteilung nicht nur ganz unbedeutende Kosten erwachsen werden, ist er auf die Entschädigungsmöglichkeit gem. § 107 AO und das Erfordernis der Antragstellung hinzuweisen (vgl. § 89 AO).
6. Umfang der Entschädigung
6.1. Auskunftspflichtige
Erledigt der Auskunftspflichtige das Auskunftsersuchen selbst oder beauftragt er Personen, die in seinem Betrieb beschäftigt sind, so werden der Verdienstausfall bzw. die Personalkosten mit dem Betrag erstattet, den ein Zeuge nach § 22 JVEG beanspruchen könnte. Der Zeitaufwand darf jedoch höchstens mit 17 Euro je Stunde angesetzt werden. Dabei ist unbeachtlich, ob dem Antragsteller durch Zahlung von Überstundenvergütungen oder Neueinstellungen ein Mehraufwand entstanden ist. Soweit die Entschädigung nach Stunden bemessen ist, wird sie für höchstens 10 Stunden je Tag gewährt (§ 19 Abs. 2 JVEG). Die letzte bereits begonnene Stunde wird voll gerechnet.
Werden keine Fachkräfte beschäftigt und kann auch kein Verdienstausfall nachgewiesen werden, kann nach § 20 JVEG nur eine Entschädigung für Zeitversäumnis von 3 Euro je Stunde gewährt werden. Dies gilt nicht, wenn durch die Auskunftserteilung ersichtlich kein Nachteil entstanden ist. Auskunftspflichtige, die nicht erwerbstätig sind und einen Haushalt für mehrere Personen führen, erhalten eine Entschädigung von 12 Euro je Stunde (§ 21 Satz 1 JVEG). Das gleiche gilt für Teilzeitbeschäftigte, die außerhalb ihrer vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit herangezogen werden (§ 21 Satz 1 2. Halbsatz JVEG). Die Entschädigung von Teilzeitbeschäftigten wird für höchstens 10 Stunden je Tag gewährt abzüglich der Zahl an Stunden, die der vereinbarten regelmäßigen täglichen Arbeitszeit entspricht.
In allen Fällen der Geltendmachung von Verdienstausfall oder Personalkosten ist zu prüfen, ob der geltend gemachte Arbeitsaufwand in einem angemessenen Verhältnis zu der erteilten Auskunft steht.
Auskunftspflichtige können auch Fahrtkostenersatz gem. § 5 JVEG und Aufwandsentschädigung (Tagegeld) gem. § 6 JVEG erhalten. Derartige Entschädigungen kommen im Rahmen des § 107 AO jedoch nur in Ausnahmefällen in Betracht. Bei Geltendmachung ist auf die detaillierten Regelungen im Gesetz zurückzugreifen.
Für die Praxis bedeutsam ist jedoch der Ersatz für sonstige Aufwendungen, insbesondere die Kosten für die Anfertigung von Kopien (§ 7 Abs. 2 JVEG). Danach wird für die ersten 50 Seiten 0,50 Euro, für jede weitere Seite 0,15 Euro und für die Anfertigung von Farbkopien 2,00 Euro je Seite ersetzt. Aufwendungen für unaufgefordert eingereichte Abschriften und Ablichtungen werden nicht erstattet. Für die Überlassung von elektronisch gespeicherten Dateien anstelle von Fotokopien werden 2,50 Euro je Datei erstattet (§ 7 Abs. 3 JVEG). § 147 Abs. 5 AO ist in den Fällen einer sich aus §§ 93, 107 AO ergebenden Entschädigungsverpflichtung nicht anwendbar ( a. a. O.).
Das JVEG sieht grundsätzlich keine Vergütung für die Benutzung von Werkzeugen, Geräten oder technischen Einrichtungen vor, die der Auskunftspflichtige bei der Ausübung seines Berufs oder Gewerbes ohnehin benötigt. Abnutzung im üblichen Rahmen begründet keinerlei Ersatzanspruch. Deshalb können z. B. bei Geldinstituten nur die Aufwendungen für den Arbeitseinsatz von Mitarbeitern ersetzt werden, die das gewünschte Zuordnen der in Betracht kommenden Mikrofilme zu den entsprechenden Kontounterlagen, das Heraussuchen der Mikrofilme, das Ausfindigmachen des richtigen Bildes, dessen Vergrößerung und Fotokopie sowie das Rückeinordnen der Filme vorgenommen haben. Hierfür wird ein Zeitaufwand von durchschnittlich 8 Minuten pro Bild als realistisch (vgl. , juris) angesehen. Eine Kostenerstattung kommt jedoch nur dann in Betracht, wenn die Anfrage des Finanzamts nicht als „reines Vorlageersuchen” anzusehen ist (vgl. Tz. 2 und 3).
Die Entschädigung des Auskunftspflichtigen stellt einen sog. „echten” Schadensersatz dar. Dieser unterliegt nicht der Umsatzsteuer (vgl. UStAE Nr. 1.3. Abs. 9). Soweit Umsatzsteuer in Rechnung gestellt wird, ist sie somit nicht zu erstatten (vgl. aber Tz. 6.2 letzter Absatz).
6.2. Sachverständige, Dolmetscher und Übersetzer
Der Einsatz unabhängiger Sachverständiger gem. § 96 AO kommt im Besteuerungsverfahren nur in Ausnahmefällen in Betracht. Soweit dies erforderlich ist, sind die jeweils zuständigen Sachverständigen der Finanzverwaltung einzuschalten. Der Entschädigungsnorm des § 107 AO kommt in diesem Bereich daher keine große Bedeutung zu.
In den wenigen in Betracht kommenden Fällen sind insbesondere folgende Vorschriften des JVEG zu beachten:
§§ 8, 9 JVEG: Danach erhalten Sachverständige für ihre Leistungen ein Honorar nach Stundensätzen zwischen 50 und 95 Euro abhängig von der Honorargruppe. Die Abrechnung erfolgt auch für Reise- und Wartezeiten bis zur jeweils angefangenen halben Stunde.
§ 9 Abs. 3 JVEG: Das Honorar eines Dolmetschers beträgt für jede Stunde 55 Euro.
§ 10 JVEG: Honorar für besondere Leistungen
§ 11 JVEG: Das Honorar für eine Übersetzung beträgt 1,25 Euro für jeweils angefangene 55 Anschläge des schriftlichen Textes. Ist die Übersetzung, insbesondere wegen der Verwendung von Fachausdrücken oder schwerer Lesbarkeit des Textes, erheblich erschwert, erhöht sich das Honorar auf 1,85 Euro, bei außergewöhnlich schwierigen Texten auf 4 Euro. Maßgebend für die Anzahl der Anschläge ist der Text in der Zielsprache; werden jedoch nur in der Ausgangssprache lateinische Schriftzeichen verwendet, ist die Anzahl der Anschläge des Textes in der Ausgangssprache maßgebend.
§ 12 JVEG: Ersatz für besondere Aufwendungen
§ 7 JVEG: Ersatz für sonstige Aufwendungen
Im Gegensatz zur Entschädigung des Auskunftspflichtigen ist die auf die Entschädigung des Sachverständigen entfallende Umsatzsteuer erstattungsfähig (§ 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 JVEG).
Die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetschern und Übersetzern nach Abschnitt 3 JVEG ist Entgelt für eine Leistung. Ob jemand als Zeuge, sachverständiger Zeuge oder Sachverständiger anzusehen ist, richtet sich nach den tatsächliche erbrachten Tätigkeiten (vgl. UStAE Nr. 1.3. Abs. 15).
7. Geltendmachung und Erlöschen des Anspruchs, Verjährung
Von Auskunftspflichtigen und Sachverständigen ist der Entschädigungs- bzw. Vergütungsanspruch innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Monaten geltend zu machen. Die Frist beginnt mit der Abgabe der erbetenen Auskunft gegenüber der ersuchenden Stelle, bei der Vernehmung eines Zeugen oder Sachverständigen mit Beendigung der Vernehmung, mit der Übergabe der herauszugebenden Gegenstände an die ersuchende Strafverfolgungsbehörde oder mit der Überwachung des Fernmeldeverkehrs. Wird die Frist überschritten, erlischt der Anspruch (§ 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG). Fristverlängerung ist unzulässig und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 AO) ist nicht vorgesehen. Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Fristversäumnis ohne Verschulden des Berechtigen vgl. § 2 Abs. 2 JVEG. Bei der Fristberechnung ist § 108 AO zu beachten.
Im Übrigen verjähren die Entschädigungsansprüche der Auskunftspflichtigen und Sachverständigen drei Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Pflicht erfüllt wurde (§ 2 Abs. 3 JVEG i. V. m. § 195 BGB). Die Vorschriften der Abgabenordnung über die Zahlungsverjährung (§§ 228 ff. AO) sind nicht anwendbar, weil es sich bei den Entschädigungsansprüchen nach § 107 AO nicht um Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 Abs. 1 AO) handelt.
8. Festsetzung der Entschädigung
Für die Festsetzung der Entschädigungen nach § 107 AO ist die Geschäftsstelle des Finanzamts zuständig. In die Überprüfung und Entscheidung über die Entschädigungsansprüche soll die Dienststelle im Finanzamt einbezogen werden, die die Auskunft verlangt oder das Gutachten angefordert hat. Die Entschädigung ist durch schriftlichen Verwaltungsakt, in dem sowohl über den Grund als auch über die Höhe des Anspruchs entschieden wird, festzusetzen (, EFG 1994 S. 819). Wird dem Antrag nicht oder nur zum Teil entsprochen, sind die hierfür maßgeblichen Gründe spätestens im Bescheid zu erläutern (§ 121 AO).
9. Rechtsbehelf
Im Besteuerungsverfahren entscheidet das die Auskunft begehrende Finanzamt über den Antrag auf Kostenerstattung. Lehnt das Finanzamt den Entschädigungsantrag ganz oder teilweise ab, so ist gegen diesen Verwaltungsakt der Rechtsschutz nach der AO/FGO gegeben (Einspruch, Verpflichtungsklage).
Im Steuerstrafverfahren ist die Entschädigung bei der selbständig ermittelnden Bußgeld- und Strafsachenstelle des Finanzamts zu beantragen, die um Auskunft ersucht hat. Lehnt diese Behörde eine Entschädigung ganz oder teilweise ab, kann Antrag auf richterliche Festsetzung bei dem (ordentlichen) Gericht beantragt werden, bei dem die Staatsanwaltschaft besteht (§§ 405 AO, 4 Abs. 1 Nr. 3 JVEG). Der Finanzrechtsweg ist dann nicht gegeben (vgl. , BStBl 1981 II S. 349).
Die bisherige Karte 1 zu § 107 AO (Kontoll-Nr. 16/2008) ist auszureihen.
Bayerisches Landesamt für
Steuern v. - S
0256.1.1-1/10
St42
Fundstelle(n):
AO-Kartei
BY § 107
AO Karte 1 - Nr.
1/2011 -
RAAAD-61779