BGH Beschluss v. - 3 StR 484/10

Strafverfahrenshindernis: Voraussetzungen der Ersetzung bzw. der Nachholung eines fehlenden Eröffnungsbeschlusses

Gesetze: § 203 StPO, § 207 Abs 1 StPO, § 40 Abs 4 S 2 JGG, § 70 Abs 2 GVG, § 76 Abs 2 GVG

Instanzenzug: LG Aurich Az: 11 KLs 111 Js 3068/06 (27/08) Urteil

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten D. wegen Betruges in fünf Fällen unter Einbeziehung von Einzelstrafen aus einem Urteil des Amtsgerichts Celle zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie ausgesprochen, dass von der Gesamtstrafe drei Monate als verbüßt gelten. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, führt zur Aufhebung des Urteils und Einstellung des Verfahrens, auch soweit es den Mitangeklagten R. betrifft, der gegen seine Verurteilung kein Rechtsmittel eingelegt hat.

2Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt:

"Es besteht ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis, da es entgegen der Ansicht des Landgerichts (UA S. 10) an einem wirksamen Eröffnungsbeschluss im Sinne der §§ 203, 207 StPO fehlt.

Ein Beschluss der Strafkammer, durch den die Anklage der Staatsanwaltschaft vom (Bl. 129 ff. II d.A.) gegen den Revisionsführer zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet wurde, ist in den Akten nicht vorhanden.

Die fehlende Eröffnungsentscheidung ist nicht durch den Übernahmebeschluss der Kammer vom (Bl. 210 II d.A.) oder durch die Termins- und Ladungsverfügung vom (Bl. 14 f. III d.A.) ersetzt worden (vgl. BGH NStZ 1984, 520; NStZ-RR 2003, 95 zu §§ 40 Abs. 2, 41 Abs. 1 Nr. 2 JGG; OLG Zweibrücken NStZ-RR 1998, 74 f.; BayOLG NStZ-RR 2001, 139; Schneider in KK StPO 6. Aufl. § 207 Rn. 17 m.w.N.). Zwar enthält die Strafprozessordnung keine spezielle Formvorschrift für den Eröffnungsbeschluss; dennoch bedarf es im Hinblick auf seine Bedeutung als Grundlage des Hauptverfahrens und mit Rücksicht auf die Erweislichkeit der Beschlussfassung in weiteren Verfahrensstadien regelmäßig einer schriftlichen Niederlegung der Entscheidung (BGHSt 34, 248; OLG Zweibrücken a.a.O.). Erforderlich ist dabei aus Gründen der Rechtssicherheit, dass das fragliche Schriftstück aus sich selbst heraus oder in Verbindung mit sonstigen Urkunden mit Sicherheit erkennen lässt, dass der zuständige Richter die Eröffnung des Hauptverfahrens tatsächlich beschlossen hat (OLG Zweibrücken a.a.O. m.w.N.). Dies ist vorliegend weder bei dem Übernahmebeschluss noch bei der Termins- und Ladungsverfügung der Fall. Während in dem Beschluss vom lediglich die Übernahmebereitschaft der Strafkammer nach Prüfung ihrer Zuständigkeit zum Ausdruck kommt, dient eine allein vom Vorsitzenden unterzeichnete Termins- und Ladungsverfügung gemäß §§ 213 ff. StPO ausschließlich der 'Vorbereitung der Hauptverhandlung' im Sinne des dafür in der Strafprozessordnung besonders vorgesehenen Abschnitts. Eine Zulassung der Anklage - gegebenenfalls mit Änderungen - zur Hauptverhandlung sowie die genaue Bezeichnung des Verfahrensgegenstandes und des Gerichts, vor dem die Hauptverhandlung stattfinden soll, kann in beiden Entscheidungen nicht gesehen werden. Dass der Übernahmebeschluss nicht zugleich die (schlüssige) Eröffnung des Hauptverfahrens beinhaltet, belegt zudem die - ansonsten entbehrliche - Bestimmung des § 40 Abs. 4 Satz 2 JGG, wonach der Übernahmebeschluss der Jugendkammer mit dem Eröffnungsbeschluss zu verbinden ist (BGH NStZ-RR 2003, 95). Auch die im Beschluss vom enthaltene Besetzungsentscheidung nach § 76 Abs. 2 GVG genügt für sich nicht. Diese ist nur ausnahmsweise, nämlich in Verbindung mit einem gleichzeitig ergehenden Haftbefehl, durch den die Prüfung des dringenden Tatverdachts zum Ausdruck gebracht wird, geeignet, einen ausdrücklichen Eröffnungsbeschluss zu ersetzen (vgl. BGH NStZ-RR 1999, 13).

Da der fehlende Eröffnungsbeschluss ausweislich der Sitzungsniederschriften vom , , , und in der Hauptverhandlung nicht nachgeholt worden ist (dazu BGHSt 29, 224; 33, 167) und das Verfahrenshindernis nicht durch die nachträgliche Erklärung des Richters, die Eröffnung des Verfahrens beschlossen zu haben, beseitigt werden kann (BGH DRiZ 1981, 343), ist das Urteil des Landgerichts aufzuheben (§ 349 Abs. 4 StPO) und das Verfahren gemäß § 354 Abs. 1 StPO einzustellen (vgl. Schneider a.a.O. § 206a Rn. 4; Meyer-Goßner StPO 53. Aufl. § 206a Rn. 6, jeweils m.w.N.)."

3Dem schließt sich der Senat an. Die Aufhebung des Urteils und die Einstellung des Verfahrens wegen des fehlenden Eröffnungsbeschlusses war gemäß § 357 Satz 1 StPO auf den Mitangeklagten R zu erstrecken (Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 357 Rn. 10).

4Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 StPO.

Becker                                     von Lienen                                 Hubert

                      Schäfer                                           Mayer

Fundstelle(n):
wistra 2011 S. 191 Nr. 5
LAAAD-61152