BGH Beschluss v. - StB 7/10

Ermittlungsverfahren wegen des Werbens um Mitglieder oder Unterstützer einer ausländischen terroristischen Vereinigung: Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei der Überwachungsanordnung für einen DSL-Anschluss eines Unbeteiligten

Gesetze: § 100a Abs 1 StPO, § 100a Abs 2 Nr 1 Buchst d StPO, § 100b Abs 1 StPO, § 100b Abs 2 StPO, § 100b Abs 3 StPO, § 162 Abs 1 StPO, § 169 Abs 1 S 2 StPO, § 129a Abs 5 S 2 StGB, § 129b Abs 1 StGB, Art 10 GG, Art 20 GG

Instanzenzug: Az: 2 BGs 77/10 Beschluss

Gründe

1Der Generalbundesanwalt führt gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Werbens um Mitglieder oder Unterstützer für die ausländische terroristische Vereinigung Al-Qaida (§ 129 a Abs. 1, Abs. 5, § 129 b Abs. 1 StGB). Er legt ihm zur Last, als Hauptverantwortlicher des "Al-Ansar Media Bataillons" (AAMB) im Internet Propagandamaterial (Text-, Audio- sowie Videobotschaften) von Führungspersonen der Al-Qaida - u. a. von Usama Bin Laden, Abu Musab Al-Zarqawi und Ayman Al-Zawahiri - verbreitet zu haben, um hierdurch den Kampf der Al-Qaida gezielt zu fördern und für diese Gruppierung neue Mitglieder oder Unterstützer zu rekrutieren. Der Beschuldigte soll in der jüngeren Vergangenheit und derzeit als Administrator des deutschsprachigen Internetforums des mit dem Namen "Abu Umar" unter der Internetadresse "http://de. ..." auf dieser Internetseite Propagandamaterial der Al-Qaida eingestellt haben und einstellen. Für seine Internetaktivitäten soll der Beschuldigte vor allem den DSL-Kanal des Telefonanschlusses des in seiner Nachbarschaft wohnenden H. mit der Rufnummer … ohne dessen Kenntnis genutzt haben und nutzen.

21. Mit Schriftsatz vom hatte der Generalbundesanwalt beim Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs beantragt, die Überwachung und Aufzeichnung des über den DSL-Kanal des genannten Anschlusses geführten Datenverkehrs für die Dauer von drei Monaten anzuordnen. Mit Beschluss vom (2 BGs 349/09) hatte der Ermittlungsrichter die Anordnung abgelehnt, weil die Maßnahme unverhältnismäßig sei. Auf die hiergegen gerichtete Beschwerde des Generalbundesanwalts hatte der Senat mit Beschluss vom (StB 54/09) gemäß § 100 a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 Buchst. d, Abs. 3, § 100 b Abs. 1 bis 3, § 162 Abs. 1, § 169 Abs. 1 Satz 2 StPO die Überwachung und Aufzeichnung des über den DSL-Kanal des genannten Anschlusses geführten Datenverkehrs bis zum unter Beschränkungen gestattet, die dem Schutz des Anschlussinhabers sowie etwaiger weiterer berechtigter Anschlussnutzer dienten. Dabei hatte der Senat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine Verlängerung der Maßnahme bei Berücksichtigung der Grundrechte des Anschlussinhabers unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten kaum zu rechtfertigen sein wird, sollten sich aus der Überwachungsmaßnahme bis Ende Februar 2010 keine tatrelevanten Erkenntnisse ergeben.

3Mit Beschluss vom (2 BGs 66/10) hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs den Antrag des Generalbundesanwalts abgelehnt, die Maßnahme um einen Monat zu verlängern; diese lief sodann mit Ablauf des aus. Mit Schriftsatz vom hat der Generalbundesanwalt erneut die Anordnung der Überwachung und Aufzeichnung des über den DSL-Kanal des genannten Anschlusses geführten Datenverkehrs für die Dauer von einem Monat beantragt. Diesen Antrag hat der Ermittlungsrichter des ) zurückgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, die bei der früheren Anordnung erwarteten Nachweise der Tatbegehung durch den Beschuldigten hätten nicht gewonnen werden können. Vor dem Hintergrund, dass der Beschuldigte ein Verschlüsselungsprogramm benutzt habe, das von den Ermittlungsbehörden nicht überwunden werden konnte, und mit Blick auf die tatsächlich durch die Überwachung gewonnenen Erkenntnisse stünden die beantragten Maßnahmen außer Verhältnis zu den mit ihnen verbundenen Eingriffen in die Grundrechte nicht tatverdächtiger Dritter.

4Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde des Generalbundesanwalts, mit der dieser sein Begehren weiter verfolgt.

52. Das gemäß § 304 Abs. 5 StPO statthafte Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg; der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat in der angefochtenen Entscheidung den Antrag des Generalbundesanwalts zu Recht abgelehnt. Die Voraussetzungen einer heimlichen Überwachung des DSL-Anschlusses liegen nicht mehr vor.

6a) Der Beschuldigte ist zwar weiterhin aufgrund bestimmter Tatsachen des Werbens um Mitglieder oder Unterstützer für eine terroristische Vereinigung im Ausland (§ 129 a Abs. 1, Abs. 5 Satz 2, § 129 b Abs. 1 StGB) und damit einer Katalogtat nach § 100 a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. d StPO verdächtig, die auch im konkreten Einzelfall schwer wiegt (§ 100 a Abs. 1 Nr. 2 StPO). Hinsichtlich der Einzelheiten nimmt der Senat auf seine diesbezüglichen Ausführungen in dem Beschluss vom Bezug, die nach wie vor gelten. Der gegen den Beschuldigten bestehende Verdacht wird durch die Einlassung des T. in dessen Vernehmung vom tendenziell bestätigt, wenngleich dessen Angaben zur Person des "Uthman" bzw. "Abu Umar" eher allgemein gehalten sind und keinen konkreten Hinweis auf den Beschuldigten enthalten.

7b) Die erneute Anordnung der Maßnahme für einen weiteren Monat ist indes mit dem bei der Überwachung und Aufzeichnung des über den Anschluss eines unbeteiligten, der Begehung einer Straftat unverdächtigen Dritten fließenden Datenverkehrs in besonderer Weise zu beachtenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht zu vereinbaren; sie ist über den bereits bewilligten Zeitraum von zwei Monaten hinaus nicht mehr angemessen. Gegenüber dem staatlichen Interesse an der Verfolgung begangener Straftaten durch die beantragte Maßnahme überwiegen mittlerweile die Rechte des Anschlussinhabers und etwaiger sonstiger berechtigter Anschlussnutzer.

8aa) Die beantragte Ermittlungsmaßnahme greift auch bei Berücksichtigung der zum Schutz des der Begehung einer Straftat nicht verdächtigen Anschlussinhabers und der etwaigen weiteren berechtigten Nutzer vorgesehenen Beschränkungen und der erkennbaren diesbezüglichen Bemühungen der Ermittlungsbehörden in erheblicher Weise in den Schutzbereich des durch Art. 10 GG gewährleisteten Post- und Fernmeldegeheimnisses ein (BVerfG NJW 2003, 1787, 1788 ff.; 2007, 2752).

9bb) Diesem intensiven Grundrechtseingriff steht mit Blick auf die bisher durch die Maßnahme gewonnen Ergebnisse ein zu erwartender ausreichend gewichtiger Ermittlungserfolg nicht gegenüber.

10Die Überwachung des Anschlusses in dem Zeitraum vom bis zum hat im Wesentlichen lediglich ergeben, dass der Beschuldigte sich unter Nutzung des überwachten Anschlusses bei häufiger Verwendung eines Verschlüsselungsprogramms und damit in konspirativer Weise im Internet bewegt, mehrfach Dateien mit islamistischem Inhalt aus dem Internet herunter geladen, einmal am den passwortgeschützten Bereich des Internetforums "http://de. ..." aufgesucht sowie am den öffentlichen Teil der Internetseite des AAMB-Forums direkt über einen Server in Malaysia aufgerufen hat. Diese bisher durch die angeordnete Maßnahme gewonnenen Ergebnisse bieten zwar Hinweise auf profunde Kenntnisse im IT-Bereich und eine islamistisch geprägte Einstellung des Beschuldigten. Sie vermögen jedoch weder einzeln noch in ihrer Gesamtschau oder im Zusammenwirken mit den sonstigen Ergebnissen der bisherigen Ermittlungen den gegen den Beschuldigten bestehenden Verdacht wesentlich zu erhärten, verantwortlicher Administrator des genannten Forums zu sein und in der Vergangenheit über dieses und andere Webseiten um Mitglieder oder Unterstützer für die Al-Qaida geworben zu haben; sie sind daher für den Nachweis der dem Beschuldigten zur Last gelegten konkreten Straftat, deren Ermittlung und Verfolgung die Maßnahme dienen soll, von eher untergeordneter Bedeutung.

11Dies gilt im Ergebnis auch für den Umstand, dass der Beschuldigte sich am unter Nutzung des Verschlüsselungsprogramms im Internet aufhielt und der Administrator "Abu Umar" in dem genannten Internetforum zeitgleich einen Beitrag veröffentlichte. Derartige zeitliche Übereinstimmungen können zwar grundsätzlich ein Anzeichen dafür sein, dass der Beschuldigte tatsächlich die Funktion des Administrators in dem Forum ausübt. Der Indizwert der von den Ermittlungsbehörden dargelegten einzigen Überschneidung kurz vor dem Ende der zwei Monate andauernden Überwachung wird indes durch die sonstigen ermittelten Umstände zumindest stark relativiert. Danach nutzte der Beschuldigte den überwachten Anschluss in dem Zeitraum vom bis zum in insgesamt 87 Fällen. Der Administrator "Abu Umar" stellte ausweislich der in der Anregung des Bundeskriminalamts zur Verlängerung der Überwachung vom enthaltenen Übersicht mit Stand in der Zeit vom bis zum fast 100 Beiträge in das Internetforum "http://de. ..." ein; an anderer Stelle ist von insgesamt 1028 Beiträgen des "Abu Umar" auf einer früheren Internetseite die Rede (Auswertebericht des Bundeskriminalamts zum islamistischen deutschen Internetdiskussionsforum http://de. ... und dessen Rolle im ANSAR AL-JIHAD NETZWERK vom , S. 32 f.). Wie oft der Administrator indes in dem Überwachungszeitraum entsprechend tätig war, lässt sich weder den Schriftsätzen des Generalbundesanwalts noch den diesen zugrunde liegenden Anregungen des Bundeskriminalamts entnehmen; dieser Umstand ist für den Senat auch aus den übrigen Aktenteilen nicht ersichtlich. Die umfangreichen Aktivitäten des "Abu Umar" in der Vergangenheit legen jedoch nahe, dass er in dem Überwachungszeitraum von zwei Monaten ebenfalls mehrere Beiträge in das Forum eingestellt hat. Deshalb wären zeitliche Übereinstimmungen zwischen der Nutzung des überwachten DSL-Anschlusses unter Verwendung des Verschlüsselungsprogramms durch den Beschuldigten und dem Hochladen von Beiträgen in das Forum durch den Administrator "Abu Umar" häufiger zu erwarten gewesen, hätte der Beschuldigte diese Funktion tatsächlich über diesen Anschluss ausgeübt. Derartige zeitliche Überschneidungen konnten indes offensichtlich nicht ermittelt werden. Der genannten, durch das Bundeskriminalamt gefertigten Übersicht der durch "Abu Umar" in das Forum eingestellten Beiträge ist vielmehr zu entnehmen, dass "Abu Umar" am und damit innerhalb des Überwachungszeitraums um 01:07 Uhr den Beitrag "Al-Qaidas Stellungnahme zur Operation in Detroit (USA)" in das Forum einstellte; die Ermittlungsbehörden haben indes nicht dargelegt, dass der Beschuldigte zu dieser Zeit über den überwachten Anschluss unter Verwendung des Verschlüsselungsprogramms im Internet tätig war.

12Anhaltspunkte dafür, dass für die Zukunft durch die Überwachung des Anschlusses aussagekräftigere, den Angeklagten belastende Indizien ermittelt werden können als in der Vergangenheit, vermag der Senat in Übereinstimmung mit dem Ermittlungsrichter nicht zu erkennen; insbesondere sind keine belastbaren Anzeichen dafür ersichtlich, dass der Beschuldigte den Gebrauch des von den Ermittlungsbehörden nicht zu überwindenden Verschlüsselungsprogramms bei etwaigen tatrelevanten Aktivitäten einschränken wird.

Becker                             Pfister                         Schäfer

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
VAAAD-60907