BSG Urteil v. - B 14 AS 16/09 R

(Arbeitslosengeld II - Antragserfordernis - verspätete Antragstellung - Antrag auf Arbeitslosengeld nach SGB 3 - Zurückwirkung des Antrags gem § 28 SGB 10 - Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB 10 - Nachrangigkeit des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs)

Leitsatz

Auch ein Antrag auf Arbeitslosengeld II kann bis zu einem Jahr zurückwirken, wenn ein Leistungsberechtigter von der Stellung eines solchen Antrags zunächst abgesehen hatte, weil er einen Antrag auf Arbeitslosengeld nach dem SGB 3 gestellt hat, der später abgelehnt wurde. Hierdurch werden jedoch nicht die sonstigen Voraussetzungen eines Leistungsanspruchs ersetzt.

Gesetze: § 37 Abs 1 SGB 2, § 37 Abs 2 S 1 SGB 2, § 40 Abs 1 S 1 SGB 2, § 40 Abs 3 SGB 2 vom , § 28 S 1 SGB 10, § 28 S 2 SGB 10, § 44 Abs 1 SGB 10, § 16 Abs 2 SGB 1

Instanzenzug: Az: S 13 AS 188/05 Urteilvorgehend Landessozialgericht Rheinland-Pfalz Az: L 3 AS 49/07 Urteil

Tatbestand

1Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 28.1. bis zum .

2Der 1965 geborene Kläger wehrte sich vor dem Arbeitsgericht (ArbG) gegen eine seitens seines ehemaligen Arbeitgebers zum ausgesprochene Kündigung. Er meldete sich aber gleichwohl am bei der beigeladenen Bundesagentur für Arbeit arbeitslos und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld (Alg). Ab dem bewilligte die Beigeladene dem Kläger Alg für eine Anspruchsdauer von 360 Kalendertagen.

3Mit Urteil vom stellte das vom Kläger eingeschaltete ArbG fest, dass sein Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung vom aufgelöst worden sei. Hiergegen legte der ehemalige Arbeitgeber des Klägers Berufung ein.

4Mit Schreiben vom teilte die Beigeladene dem Kläger mit, sein Anspruch auf Alg ende voraussichtlich am . Zugleich enthielt das Schreiben den Hinweis, dass die bisherige Arbeitslosenhilfe (Alhi) zum wegfalle und durch das Arbeitslosengeld II (Alg II) ersetzt werde, dessen Gewährung von einem Antrag abhänge. Es folgten Angaben darüber, wo der Antrag zu stellen sei und der Hinweis, dass weitere Informationen auf Anfrage von der Agentur für Arbeit zu erhalten seien. Mit Änderungsbescheid vom setzte die Beigeladene das Alg des Klägers ab dem hinsichtlich der Höhe neu fest, hinsichtlich der Anspruchsdauer verblieb es bei der früheren Bewilligungsentscheidung.

5Am , dem Tag nach Erschöpfung des Alg-Anspruchs, wurde der Kläger bei der Beigeladenen vorstellig. Dort fand ein Gespräch mit einem Mitarbeiter der Beigeladenen statt, das sich allein auf die Frage der Dauer des Alg-Anspruchs bezog. Ein evtl bestehender Anspruch auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II war nicht Gegenstand des Gesprächs.

6Am stellte der Kläger wegen der Frage der Dauer seines Alg-Anspruchs einen Antrag nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) auf Änderung des bestandskräftigen Bewilligungsbescheids vom . Diesen Antrag lehnte die Beigeladene mit Bescheid vom ab. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde am zurückgenommen.

7Mit Urteil vom hob in dem parallel laufenden Arbeitsgerichtsprozess das Landesarbeitsgericht das Urteil des ArbG wieder auf und wies die Kündigungsschutzklage des Klägers ab.

8Am stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, diese wurden ihm mit Bescheid vom ab dem bewilligt. Gegen den Bescheid vom legte der Kläger Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom zurückwies. Die dagegen erhobene Klage ist vor dem Sozialgericht (SG) und dem Landessozialgericht (LSG) ohne Erfolg geblieben (Urteile vom und vom ). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, dem Kläger könnten vor Antragstellung am keine Leistungen gewährt werden. Auch könne er nicht über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch so gestellt werden, als hätte er seinen Antrag bereits am gestellt. Ein Beratungsfehler liege nicht vor. Vorliegend habe über das Informationsschreiben der Beigeladenen vom hinaus kein Anlass bestanden, den Kläger erneut über die Notwendigkeit einer Antragstellung zur Gewährung von Alg II zu unterrichten.

9Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner vom Senat zugelassenen Revision. Er rügt, das LSG habe die zum sozialrechtlichen Herstellungsanspruch von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze nicht beachtet. Er ist der Ansicht, die Beigeladene habe im Rahmen der persönlichen Vorsprache die Pflicht gehabt, ihn über die Möglichkeiten und Voraussetzungen zur Sicherung des Lebensunterhalts durch Leistungen nach dem SGB II zu beraten. Die Beigeladene treffe vor dem Hintergrund des engen Sachzusammenhangs zwischen Alg und Leistungen nach dem SGB II eine erweiterte Beratungspflicht.

10Der Kläger beantragt,das und das Berufungsurteil des aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom zu ändern und ihm auch für die Zeit vom 28. Januar bis zum Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu gewähren.

11Die Beklagte beantragt,die Revision zurückzuweisen.

12Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

13Die Beigeladene beantragt ebenfalls,die Revision zurückzuweisen.

Gründe

14Die zulässige Revision des Klägers ist im Sinne einer Aufhebung der Entscheidung und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz).

15Der Senat konnte auf Grund der vom LSG festgestellten Tatsachen nicht abschließend entscheiden, ob der Kläger im Zeitraum vom 28.1. bis zum einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II hatte. Zwar haben SG und LSG zutreffend entschieden, dass der Kläger vor dem keinen Antrag auf solche Leistungen gestellt hat (dazu unter 1.). Sie haben aber nicht geprüft, ob der am gestellte Antrag nach § 28 SGB X zurückwirkt (dazu unter 2.). Dies bedarf der abschließenden Klärung, bevor auf das Rechtsinstitut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zurückgegriffen werden kann (dazu unter 3.).

161. Der Kläger hat vor dem weder bei der Beklagten noch bei der Beigeladenen einen Antrag gestellt. Die Antragstellung wird aber neben den sonstigen Anspruchsvoraussetzungen für alle Leistungen nach dem SGB II vorausgesetzt.

17Nach § 37 Abs 1 SGB II werden die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende auf Antrag erbracht, nach § 37 Abs 2 Satz 1 SGB II aber nicht für Zeiten vor der Antragstellung. Nach § 16 Abs 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) sind Anträge, die bei einem unzuständigen Leistungsträger, bei einer für die Sozialleistung nicht zuständigen Gemeinde oder bei einer amtlichen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland im Ausland gestellt werden, unverzüglich an den zuständigen Leistungsträger weiterzuleiten. Ist die Sozialleistung von einem Antrag abhängig, so gilt dieser als zu dem Zeitpunkt gestellt, in dem er bei einer der genannten Stellen eingegangen ist.

18Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger auch bei der Beigeladenen, etwa anlässlich seines dortigen Vorsprechens am , keinen Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II gestellt hat. Die Auslegung eines Antrags auf Gewährung von Sozialleistungen folgt dem Grundsatz der Meistbegünstigung (vgl - und vom - B 14 AS 75/08 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 13). Sofern eine ausdrückliche Beschränkung auf eine bestimmte Leistung nicht vorliegt, ist davon auszugehen, dass der Leistungsberechtigte die Sozialleistungen begehrt, die nach der Lage des Falls ernsthaft in Betracht kommen (vgl Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 37 RdNr 21; Kretschmer in GK-SGB I, 3. Aufl 1996, § 16 RdNr 17). Dabei kann in einem Antrag auf Gewährung von Alg nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) auch zugleich ein Antrag auf Gewährung von Alg II liegen. Ob dies bereits dann gilt, wenn der Betroffene nur deutlich macht, er begehre Leistungen bei Arbeitslosigkeit (so zB Oberverwaltungsgericht Bremen Urteil vom - S 2 A 492/07 - im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts <BSG> zur Alhi, vgl etwa BSGE 44, 164, 166 f = SozR 4100 § 134 Nr 3) oder ob - wie das SG meint - zusätzlich erforderlich ist, dass der Antragsteller zumindest zu erkennen gibt, er sei wegen fehlenden Einkommens und Vermögens hilfebedürftig und deshalb auf Sozialleistungen angewiesen, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn nach den Feststellungen im angegriffenen Urteil beschränkte sich der Kläger zunächst allein auf die Beanspruchung von Alg nach dem SGB III. Dies wird - wie das LSG hervorhebt - insbesondere vor dem Hintergrund des Überprüfungsantrags vom deutlich, mit dem er eine Weitergewährung des Alg erreichen wollte, weil sein Anspruch noch nicht erschöpft sei. Es kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger vor dem bei der Beigeladenen als unzuständigem Leistungsträger einen Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II gestellt hat.

192. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass der Antrag des Klägers vom nach § 28 SGB X zurückwirkt, insofern bedarf es weiterer Feststellungen durch das LSG.

20§ 28 Satz 1 SGB X bestimmt, dass ein Antrag auf eine Sozialleistung bis zu einem Jahr zurückwirkt, wenn der Leistungsberechtigte von der Stellung eines Antrags auf diese Sozialleistung deshalb abgesehen hat, weil er einen Antrag auf eine andere Sozialleistung geltend gemacht hat, die ihm "versagt" (im Sinne von "abgelehnt", vgl Eicher in Eicher/Spellbrink, aaO, § 40 RdNr 106f) wurde oder die er zu erstatten hat. Dies gilt allerdings grundsätzlich nur, wenn der nachgeholte Antrag innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf des Monats gestellt ist, in dem die Ablehnung oder Erstattung der anderen Leistung bindend geworden ist. Zu einer solchen Rückwirkung nach § 28 Satz 1 SGB X kommt es gemäß § 28 Satz 2 SGB X auch dann, wenn der rechtzeitige Antrag auf eine andere Leistung aus Unkenntnis über deren Anspruchsvoraussetzungen unterlassen wurde und die zweite Leistung gegenüber der ersten Leistung, wenn diese erbracht worden wäre, nachrangig gewesen wäre.

21§ 28 SGB X ist auch im Rahmen des SGB II anwendbar (dazu unter a). Der Kläger hat auch durch seinen Überprüfungsantrag einen Anspruch auf eine andere Sozialleistung geltend gemacht (dazu unter b) und innerhalb der sich aus § 28 SGB X ergebenden Frist den Antrag auf die von ihm nunmehr beanspruchte Sozialleistung nachgeholt (dazu unter c). Es fehlen jedoch Feststellungen des LSG hinsichtlich der einzelnen Tatbestandsmerkmale des § 28 SGB X und die Prüfung der sonstigen Anspruchsvoraussetzungen für einen Leistungsanspruch nach dem SGB II für den Zeitraum ab dem 28.1. bis zum (dazu unter d).

22a) Die Vorschrift des § 28 SGB X über die Zurückwirkung eines Antrags findet auch auf das Antragserfordernis nach § 37 Abs 1 SGB II Anwendung (vgl § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II). Davon geht auch der Gesetzgeber aus, wie sich aus einem Umkehrschluss zu § 40 Abs 3 SGB II entnehmen lässt (vgl BT-Drucks 16/1410 S 27). Der dort eingefügten Einschränkung hätte es nicht bedurft, wenn § 28 SGB X ohnehin keine Anwendung im SGB II fände. Dagegen spricht nicht, dass der Antrag auf Leistungen nach § 37 Abs 1 SGB II konstitutive Wirkung hat (BT-Drucks 15/1516 S 62) und deshalb Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht für Zeiten vor der Antragstellung erbracht werden (§ 37 Abs 2 Satz 1 SGB II, vgl oben). § 28 SGB X befreit nämlich nicht von dem Antragserfordernis als solchem, sondern lässt nur den nachgeholten Antrag zurückwirken. Die Anwendung des § 28 SGB X führt demnach nicht dazu, dass Leistungen vor Antragstellung erbracht werden.

23b) Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen des § 28 SGB X auch insofern, als er zunächst einen Anspruch auf eine andere Sozialleistung, nämlich auf Alg gemäß §§ 117 ff SGB III geltend gemacht hat. Dagegen spricht nicht, dass der Kläger für den Zeitraum ab dem keinen (Neu-)Antrag auf Gewährung von Alg gestellt hat, der sodann abgelehnt wurde, sondern seinen Leistungsanspruch ab dem genannten Zeitpunkt im Wege eines Antrags auf Überprüfung des ursprünglichen Bewilligungsbescheids gemäß § 44 SGB X im Hinblick auf die bestandskräftig festgesetzte Anspruchsdauer verfolgt hat. Ein solcher Fall, in dem im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens die Bewilligung einer laufenden Sozialleistung begehrt wird, ist jedenfalls von § 28 SGB X mit umfasst.

24Für diese Auslegung spricht zunächst der Wortlaut der Vorschrift, die hinsichtlich der Anforderungen an die Geltendmachung der zunächst beanspruchten Sozialleistungen offen formuliert ist und weder einen Antrag iS von § 16 Abs 1 Satz 1 SGB I noch Personenidentität zwischen den Antragstellern der beiden Sozialleistungen voraussetzt (vgl dazu Schneider-Danwitz, SGB X, § 28 Anm 12; Eicher, aaO, § 40 RdNr 106d). Soweit die Überschrift zu § 28 SGB X in scheinbarem Widerspruch dazu von einer "wiederholten" (und nicht nur von einer "nachgeholten") Antragstellung ausgeht, ist dies irreführend formuliert (vgl Eicher, aaO, § 40 RdNr 106c; Schneider-Danwitz, aaO, Anm 5a).

25Für die Anwendbarkeit des § 28 SGB X im vorliegenden Fall spricht auch die Regelungsabsicht des damaligen Gesetzgebers. In dem Abschlussbericht zur Einfügung der Vorschrift heißt es, in Zukunft sollten dann Rechtsnachteile vermieden werden, wenn ein Berechtigter in Erwartung eines positiven Bescheides einen Antrag auf andere Sozialleistungen nicht gestellt habe (BT-Drucks 8/4022 S 81 f). Der Wunsch, Mehrfachprüfungen zu vermeiden sowie den Leistungsberechtigten in einem gegliederten Sozialleistungssystem insoweit zu schützen, als seinem Anspruch auf eine weitere Sozialleistung ein erst später gestellter Antrag nicht entgegengehalten wird, zeigt, dass § 28 SGB X auch in Fällen wie dem vorliegenden gelten soll. Hierfür spricht auch, dass es oftmals von Zufälligkeiten abhängt, ob bei Beanspruchung einer laufenden Sozialleistung diese zunächst bewilligt und dann eingestellt wird, sodass die Weitergewährung durch einen Überprüfungsantrag geltend gemacht werden muss, oder ob ein neuer Antrag gestellt werden kann. Vor dem Hintergrund des offenen Wortlauts der Vorschrift kann zwischen beiden Fällen im Hinblick auf die Anwendbarkeit des § 28 SGB X nicht differenziert werden.

26c) Der Kläger hat auch den erforderlichen Antrag nach § 37 Abs 1 SGB II innerhalb der in § 28 Satz 1 SGB X genannten Frist nachgeholt. Danach ist der Antrag innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf des Monats zu stellen, in dem die Ablehnung der anderen Leistung bindend geworden ist. § 40 Abs 3 SGB II, der diese Frist insoweit einschränkt, als nur noch der unverzüglich nach Ablauf des Monats, in dem die Entscheidung bindend geworden ist, nachgeholte Antrag ausreicht, greift hier nicht, denn die genannte Vorschrift wurde erst mit Wirkung vom durch das Fortentwicklungsgesetz vom (BGBl I 1706, 1712) eingefügt und ist daher auf den vorliegenden Sachverhalt nicht anwendbar. Im Übrigen hat der Kläger hier am und damit vor der am eingetretenen Bestandskraft des ablehnenden Überprüfungsbescheids, auf den hier konsequenterweise abzustellen ist, den Antrag auf Gewährung von Alg II gestellt.

27d) Nach dem Wortlaut des § 28 Satz 1 SGB X ("weil") muss der Leistungsempfänger aber deshalb von der Stellung eines Antrags abgesehen haben, weil er sich die Gewährung einer anderen Sozialleistung versprochen hat. Dies setzt voraus, dass der Leistungsberechtigte bewusst von einer Antragstellung abgesehen hat und ein Kausalzusammenhang zwischen der Nichtbeantragung der einen und der Geltendmachung der anderen Sozialleistung bestand (vgl Schneider-Danwitz, aaO, Anm 9). Allerdings kann nach § 28 Satz 2 SGB X auch Unkenntnis zu einer Antragsrückwirkung führen, wenn beide Sozialleistungen in einem Vor- und Nachrangverhältnis zueinander stehen, was beim Alg und der Grundsicherung für Arbeitsuchende der Fall ist (vgl § 3 Abs 3, § 9 Abs 1, § 11 Abs 1 Satz 1, § 12a Satz 1 SGB II).

28Aus den Feststellungen des LSG kann nicht nachvollzogen werden, ob eine und ggf welche der genannten Varianten vorliegend tatsächlich eingreift, insoweit wird das LSG weitere Ermittlungen zu tätigen haben. Sollten diese - wofür viel spricht - zu einer Bejahung der Voraussetzungen des § 28 SGB X führen, so wäre Rechtsfolge der nachgeholten Antragstellung vom ihre Rückwirkung bis zum . § 28 Satz 1 SGB X begrenzt die maximale Rückwirkung des nachgeholten Antrags auf ein Jahr. Die Rückwirkung erfolgt bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die abgelehnte oder zu erstattende Sozialleistung begehrt wurde. Dies ist in der Regel die erste Antragstellung, wobei es im Rahmen von § 28 Satz 1 SGB X ausreicht, dass eine Sozialleistung - auf welche Weise auch immer - geltend gemacht wird (vgl oben). Im vorliegenden Fall, in dem durch den Überprüfungsantrag vom die nahtlose Weiterbewilligung des Alg ab dem begehrt wurde, kommt eine Rückwirkung bis zu diesem Tag in Betracht, denn insoweit besteht die der genannten Norm zu Grunde liegende Deckungsgleichheit in zeitlicher Hinsicht zwischen der zunächst geltend gemachten und der später beantragten Sozialleistung.

29Kann nach den genannten Maßgaben der Antrag auf Leistungen nach dem SGB II vom auf den zurückwirken, so besagt dies aber noch nichts bezüglich des Bestehens eines Anspruchs auf Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom bis zum , denn § 28 SGB X ersetzt nicht die sonstigen Anspruchsvoraussetzungen eines Leistungsanspruchs (vgl - SozR 1300 § 28 Nr 1; Urteil vom - B 2 U 10/02 R -). Vorliegend fehlt es bislang insbesondere an Feststellungen hinsichtlich der Hilfebedürftigkeit des Klägers gemäß § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB II sowie §§ 9, 11 und 12 SGB II zum oben genannten maßgeblichen Zeitpunkt.

303. Ob neben der möglichen Anwendung des § 28 SGB X die Voraussetzungen für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch vorliegen, kann nicht entschieden werden, solange die Anwendbarkeit des § 28 SGB X nicht geklärt ist. Das folgt daraus, dass das (richterrechtlich entwickelte) Rechtsinstitut des Herstellungsanspruchs subsidiär ist und eine Regelungslücke voraussetzt (vgl - SozR 3-2600 § 58 Nr 2; - BSGE 60, 158 ff = SozR 1300 § 44 Nr 23; - Buchholz 454.71 § 27 WoGG Nr 2; speziell zu § 28 SGB X Werhahn in Estelmann, SGB II, Stand September 2010, § 40 RdNr 140).

31Das LSG wird auch über die Kosten des Verfahrens einschließlich des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2010:191010UB14AS1609R0

Fundstelle(n):
NJW 2011 S. 8 Nr. 14
WAAAD-60214