BGH Beschluss v. - IX ZB 227/09

Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens: Inlandsvermögen des Schuldners ohne Niederlassung im Inland

Gesetze: § 354 Abs 2 InsO, Art 3 Abs 2 EGV 1346/2000

Instanzenzug: LG Gera Az: 5 T 177/09 Beschlussvorgehend AG Gera Az: 8 IE 1/08 Beschluss

Gründe

I.

1Am beantragte die weitere Beteiligte zu 1 (Gläubigerin) die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners. Mit Beschluss vom wurde der Beteiligte zu 2 (fortan: Verwalter) zum vorläufigen Verwalter bestellt. Der Schuldner legte sofortige Beschwerde gegen diesen Beschluss ein. Am eröffnete ein britisches Gericht auf Antrag des Schuldners ein Insolvenzverfahren über dessen Vermögen. Das Beschwerdegericht hob den Beschluss vom am auf.

2Am hat die Gläubigerin die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens über das inländische Vermögen des Schuldners beantragt, der seinen Angaben zufolge in Großbritannien wohnt und arbeitet, jedoch über Grundbesitz im Inland verfügt. Mit Beschluss vom hat das Insolvenzgericht das Verfahren eröffnet. Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners hin ist dieser Beschluss aufgehoben und die Sache an das Insolvenzgericht zurückverwiesen worden. Mit Beschluss vom hat das Insolvenzgericht das Verfahren erneut eröffnet. Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners hin hat das Landgericht den Eröffnungsbeschluss aufgehoben. Mit ihrer Rechtsbeschwerde will die Gläubigerin weiterhin die Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens erreichen.

II.

3Die Rechtsbeschwerde ist nach §§ 356, 354, 335, 34 Abs. 1, §§ 6, 7 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist jedoch unzulässig. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung, und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 ZPO).

41. Die Rechtsbeschwerde hält die Frage für grundsätzlich, ob auf Antrag eines Gläubigers gemäß § 354 Abs. 1, 2, § 356 Abs. 1 InsO ein Sekundärinsolvenzverfahren über dessen im Inland belegenes Vermögen zu eröffnen ist, wenn der Gläubiger glaubhaft macht, dass der Insolvenzverwalter des in einem anderen Mitgliedstaat eröffneten Hauptinsolvenzverfahren keine Schritte zur Verwertung des inländischen Schuldnervermögens unternimmt. Diese Frage lässt sich jedoch unmittelbar aus dem Gesetz beantworten. Die internationale Zuständigkeit für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens - sei es ein Haupt- oder ein Sekundärinsolvenzverfahren - richtet sich nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 EuInsVO. Hat der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen im Gebiet eines Mitgliedstaats, so sind die Gerichte eines anderen Mitgliedstaats nur dann zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens befugt, wenn der Schuldner eine Niederlassung im Gebiet dieses anderen Mitgliedstaats hat. Inländisches Vermögen reicht danach gerade nicht aus. Die Vorschrift des § 354 Abs. 2 InsO, die für ein Partikularverfahren inländisches Vermögen in Ausnahmefällen ausreichen lässt, ist wie alle Vorschriften des autonomen deutschen internationalen Insolvenzrechts im Geltungsbereich der EuInsVO nicht anwendbar, soweit sie deren Vorschriften nicht nur ergänzt, sondern im Widerspruch zu ihnen steht (BT-Drucks. 15/16, S. 12 f; vgl. etwa HK-InsO/Stephan, 5. Aufl. Vor §§ 335 ff Rn. 19; MünchKomm-InsO/Reinhart, 2. Aufl. Vor §§ 335 ff Rn. 84 f, § 354 Rn. 3). Gegenteiliges ergibt sich nicht aus der amtlichen Begründung des Regierungsentwurfs zu § 354 InsO (BT-Drucks. 15/16, S. 25). Hier wird vielmehr ausdrücklich darauf verwiesen, dass Art. 3 Abs. 2 EuInsVO für die Eröffnung eines Partikularverfahrens stets eine Niederlassung fordere. Eine Ausnahme sieht die gemäß Art. 288 Abs. 2 AEUV (Art. 249 Abs. 2 EGV) in jedem Mitgliedsstaat unmittelbare Geltung beanspruchende Verordnung auch nicht für den Fall vor, dass der ausländische Verwalter keine oder keine ausreichenden Anstrengungen zur Verwertung des inländischen Vermögens entfaltet. Die Rechtsbeschwerde weist nicht nach, dass dieser Grundsatz in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung oder der Kommentar- oder Aufsatzliteratur in Zweifel gezogen wird. Eine Klarstellung durch das Rechtsbeschwerdegericht ist damit nicht erforderlich.

52. Der Anspruch der Gläubigerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) wurde nicht verletzt. Der Schutzbereich des Art. 103 Abs. 1 GG ist nicht betroffen, wenn das Gericht Vorbringen der Partei aus Gründen des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts für unerheblich hält und deshalb in seiner Entscheidung nicht erörtert. Das Landgericht hat das Vorhandensein einer inländischen Niederlassung im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO geprüft und verneint. Auf Weiteres kam es von seinem Rechtsstandpunkt aus nicht an. Mit dem vorgelegten Schreiben des britischen Insolvenzverwalters vom brauchte es sich daher nicht zu befassen.

63. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 577 Abs. 6 Satz 3 ZPO abgesehen.

Kayser                                     Raebel                                Vill

                    Lohmann                                   Pape

Fundstelle(n):
WM 2011 S. 243 Nr. 5
ZIP 2011 S. 389 Nr. 8
OAAAD-60192