Registrierung des Leistenden als Steuerpflichtiger ist keine materiell-rechtliche Voraussetzung für den Vorsteuerabzug beim Leistungsempfänger
Leitsatz
1. Art. 18 Abs. 1 Buchst. a und Art. 22 Abs. 3 Buchst. b der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage in der durch die Richtlinie 2006/18/EG des Rates vom 14. Februar 2006 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass einem Steuerpflichtigen das Recht auf Abzug der Mehrwertsteuer zusteht, die er auf Dienstleistungen entrichtet hat, die von einem anderen Steuerpflichtigen, der nicht als Mehrwertsteuerpflichtiger registriert ist, erbracht wurden, wenn die entsprechenden Rechnungen alle nach Art. 22 Abs. 3 Buchst. b vorgeschriebenen Angaben enthalten, insbesondere diejenigen, die notwendig sind, um die Person, die die Rechnungen ausgestellt hat, und die Art der erbrachten Dienstleistungen zu identifizieren.
2. Art. 17 Abs. 6 der Sechsten Richtlinie 77/388 in der Fassung der Richtlinie 2006/18 ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die das Recht auf Abzug der Mehrwertsteuer, die von einem Steuerpflichtigen an einen anderen Steuerpflichtigen - den Dienstleistungserbringer - gezahlt wurde, ausschließt, wenn der Dienstleistungserbringer nicht als Mehrwertsteuerpflichtiger registriert ist.
Instanzenzug: ,
Gründe
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 17 Abs. 2 und 6, Art. 18 und Art. 22 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1) in der im entscheidungserheblichen Zeitraum maßgeblichen Fassung (im Folgenden: Sechste Richtlinie).
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Dankowski und dem Dyrektor Izby Skarbowej w Łodzi (Direktor der Finanzkammer Łódź) über die Beschränkung des Rechts auf Abzug der Vorsteuer.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
In Art. 2 der Sechsten Richtlinie heißt es:
"Der Mehrwertsteuer unterliegen:
1. Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt;
..."
Art. 4 dieser Richtlinie bestimmt:
"(1) Als Steuerpflichtiger gilt, wer eine der in Absatz 2 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten selbständig und unabhängig von ihrem Ort ausübt, gleichgültig zu welchem Zweck und mit welchem Ergebnis.
(2) Die in Absatz 1 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten sind alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe...
..."
In Art. 17 der Sechsten Richtlinie heißt es:
"(1) Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht.
(2) Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:
a) die im Inland geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert werden bzw. erbracht wurden oder erbracht werden,
...
(6) Der Rat legt auf Vorschlag der Kommission vor Ablauf eines Zeitraums von vier Jahren nach dem Inkrafttreten dieser Richtlinie einstimmig fest, bei welchen Ausgaben die Mehrwertsteuer nicht abziehbar ist. In jedem Fall werden diejenigen Ausgaben vom Recht auf Vorsteuerabzug ausgeschlossen, die keinen streng geschäftlichen Charakter haben, wie Luxusausgaben, Ausgaben für Vergnügungen und Repräsentationsaufwendungen.
Bis zum Inkrafttreten der vorstehend bezeichneten Bestimmungen können die Mitgliedstaaten alle Ausschlüsse beibehalten, die in ihren zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Richtlinie bestehenden innerstaatlichen Rechtsvorschriften vorgesehen sind.
..."
Art. 18 Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie sieht vor:
"Um das Recht auf Vorsteuerabzug ausüben zu können, muss der Steuerpflichtige
a) über die nach Artikel 17 Absatz 2 Buchstabe a abziehbare Steuer eine nach Artikel 22 Absatz 3 ausgestellte Rechnung besitzen ..."
In Art. 22 Abs. 1 der genannten Richtlinie heißt es:
"a) Jeder Steuerpflichtige hat die Aufnahme, den Wechsel und die Beendigung seiner Tätigkeit als Steuerpflichtiger anzuzeigen ...
...
c) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit folgende Personen jeweils eine individuelle Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer erhalten:
- der Steuerpflichtige, der im Inland Lieferungen von Gegenständen bewirkt bzw. Dienstleistungen erbringt, für die ein Recht auf Vorsteuerabzug besteht, wobei es sich um andere Lieferungen von Gegenständen bzw. Dienstleistungen als jene handelt, für die ... ausschließlich der Lieferungs- bzw. Dienstleistungsempfänger die Steuer schuldet ..."
In Art. 22 Abs. 3 der Sechsten Richtlinie heißt es:
"a) Jeder Steuerpflichtige [trägt] für ... die Dienstleistungen, die er an einen anderen Steuerpflichtigen ... bewirkt, ... dafür Sorge, dass eine Rechnung ... ausgestellt wird ...
b) Unbeschadet der in dieser Richtlinie festgelegten Sonderbestimmungen müssen gemäß Buchstabe a) ... ausgestellte Rechnungen für Mehrwertsteuerzwecke nur die folgenden Angaben enthalten:
- das Ausstellungsdatum,
- eine fortlaufende Nummer ...,
- die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer nach Absatz 1 Buchstabe c), unter der der Steuerpflichtige die ... Dienstleistungen bewirkt hat,
- die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Kunden nach Absatz 1 Buchstabe c), unter der er ... Dienstleistungen ... erhalten hat,
- den vollständigen Namen und die vollständige Anschrift des Steuerpflichtigen und seines Kunden,
- ... den Umfang und die Art der erbrachten Dienstleistungen,
- das Datum, an dem die ... Dienstleistung bewirkt bzw. abgeschlossen wird ...,
..."
Art. 22 Abs. 8 der Sechsten Richtlinie sieht vor:
"Die Mitgliedstaaten können ...weitere Pflichten vorsehen, die sie als erforderlich erachten, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und Steuerhinterziehungen zu vermeiden ...
Die in Unterabsatz 1 vorgesehene Möglichkeit darf nicht dazu genutzt werden, zusätzlich zu den in Absatz 3 genannten Pflichten noch weitere Pflichten aufzuerlegen."
Nationales Recht
Art. 96 des Gesetzes über die Steuer auf Waren und Dienstleistungen (ustawa o podatku od towarów i usług) vom 11. März 2004 in der im entscheidungserheblichen Zeitraum maßgeblichen Fassung sieht vor, dass sich die Steuerpflichtigen vor der Aufnahme ihrer Tätigkeit bei der zuständigen Steuerbehörde zur Registrierung anmelden müssen.
Nach Art. 88 Abs. 3a Nr. 1 Buchst. a dieses Gesetzes können Rechnungen keine Grundlage für den Vorsteuerabzug, die Steuerdifferenzerstattung oder die Vorsteuererstattung sein, wenn der Verkauf durch Rechnungen belegt ist, die eine nicht existierende oder nicht zur Ausstellung von Rechnungen berechtigte Person ausgestellt hat.
Die vom Finanzministerium erlassenen Bestimmungen einer Durchführungsverordnung zu diesem Gesetz sehen vor, dass als aktive Mehrwertsteuerpflichtige registrierte Steuerpflichtige, die eine Steueridentifikationsnummer besitzen, Rechnungen mit der Bezeichnung "Mehrwertsteuerrechnung" ausstellen.
Ist der Verkauf der Waren oder Dienstleistungen durch Rechnungen belegt, die eine nicht existierende oder nicht zur Ausstellung von Rechnungen berechtigte Person ausgestellt hat, können diese Rechnungen nach § 48 Abs. 4 Nr. 1 Buchst. a dieser Verordnung keine Grundlage für den Vorsteuerabzug, die Steuerdifferenzerstattung oder Vorsteuererstattung sein.
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Herr Dankowski, Kläger des Ausgangsverfahrens, ist Inhaber des Unternehmens Dan-Trak. Zwischen 2004 und 2006 erbrachte Herr Płacek, Geschäftsführer des Unternehmens Artem-Studio, einige steuerbare Marketingdienstleistungen an Herrn Dankowski. Herr Płacek war jedoch weder seiner Verpflichtung nachgekommen, sich im Register für die Steuer auf Waren und Dienstleistungen eintragen zu lassen noch hatte er die Mehrwertsteuer abgerechnet, obwohl er Rechnungen ausgestellt hatte, die die erbrachten Dienstleistungen unter Ausweisung der geschuldeten Steuer belegten.
Mit Bescheid vom 23. März 2007 verweigerte der Dyrektor Izby Skarbowej w Łodzi Herrn Dankowski den Abzug der Vorsteuer, die in den von Herrn Płacek ausgestellten Rechnungen ausgewiesen war, wobei er jedoch nicht in Frage stellte, dass die fraglichen Dienstleistungen erbracht worden waren.
In der Begründung des Bescheids wurde ausgeführt, dass der Aussteller der streitigen Rechnungen nicht als Mehrwertsteuerpflichtiger registriert gewesen sei und dass die von ihm ausgestellten Rechnungen wegen der Nichterfüllung der in den anwendbaren nationalen Bestimmungen vorgesehenen Registrierungspflicht nicht zum Vorsteuerabzug berechtigten.
Daraufhin erhob Herr Dankowski gegen den Bescheid Klage beim Wojewódzki Sąd Administracyjny w Łodzi (Verwaltungsgericht Łódź). Zur Begründung seiner Klage trug er u. a. vor, die Registrierung einer Person als Mehrwertsteuerpflichtiger sei nur ein technischer Vorgang, der keine Auswirkung auf das Recht zum Vorsteuerabzug haben könne.
Mit Urteil vom 4. Dezember 2007 wies der Wojewódzki Sąd Administracyjny w Łodzi die Klage ab.
In der beim Naczelny Sąd Administracyjny eingelegten Kassationsbeschwerde machte Herr Dankowski u. a. geltend, dass die Anwendung der Vorschriften des polnischen Steuerrechts nicht mit dem Unionsrecht vereinbar sei und dass Art. 17 Abs. 6 der Sechsten Richtlinie fehlerhaft ausgelegt worden sei.
Unter diesen Umständen hat der Naczelny Sąd Administracyjny das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Stehen die Grundsätze des gemeinschaftlichen Mehrwertsteuersystems, insbesondere Art. 17 Abs. 6 der Sechsten Richtlinie, Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegen, wonach der Steuerpflichtige kein Recht auf Abzug der Vorsteuer erlangt, die sich aus einer Mehrwertsteuerrechnung ergibt, die eine nicht in das Register der Mehrwertsteuerpflichtigen eingetragene Person ausgestellt hat?
2. Ist für die Antwort auf die erste Frage von Bedeutung, dass
a) außer Zweifel steht, dass die in der Mehrwertsteuerrechnung ausgewiesenen Umsätze der Mehrwertsteuer unterliegen und tatsächlich bewirkt worden sind;
b) die Rechnung alle nach Gemeinschaftsrecht erforderlichen Angaben enthalten hat;
c) die Beschränkung des Rechts des Steuerpflichtigen auf Abzug der Vorsteuer, die sich aus einer von einer nicht registrierten Person ausgestellten Rechnung ergibt, in der nationalen Rechtsordnung bereits vor dem Tag des Beitritts der Republik Polen zur Gemeinschaft galt?
3. Hängt die Antwort auf die erste Frage von der Erfüllung zusätzlicher Kriterien ab (z. B. vom Nachweis, dass der Steuerpflichtige gutgläubig gehandelt hat)?
Zu den Vorlagefragen
Mit den drei Vorlagefragen, die gemeinsam zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob einem Steuerpflichtigen unter den Umständen des Ausgangsverfahrens und unter Berücksichtigung von Art. 18 Abs. 1 Buchst. a und Art. 22 Abs. 3 Buchst. b der Sechsten Richtlinie das Recht auf Abzug der Mehrwertsteuer zusteht, die er auf Dienstleistungen entrichtet hat, die von einem anderen Steuerpflichtigen, der nicht als Mehrwertsteuerpflichtiger registriert ist, erbracht wurden, und wenn ja, ob Art. 17 Abs. 6 der Sechsten Richtlinie einer nationalen Regelung entgegensteht, die das Recht auf Vorsteuerabzug bei Dienstleistungen ausschließt, die von einem nicht registrierten Steuerpflichtigen erbracht worden sind.
Zum ersten Teil der Vorlagefragen
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das in Art. 17 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie geregelte Recht auf Vorsteuerabzug integraler Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer ist und grundsätzlich nicht eingeschränkt werden kann (vgl. Urteile vom 8. Januar 2002, Metropol und Stadler, C-409/99, Slg. 2002, I-81, Randnr. 42, und vom 26. Mai 2005, Kretztechnik, C-465/03, Slg. 2005, I-4357, Randnr. 33).
Das Recht auf Vorsteuerabzug kann für die gesamte Steuerbelastung der vorausgehenden Umsatzstufen sofort ausgeübt werden (vgl. Urteile vom 13. März 2008, Securenta, C-437/06, Slg. 2008, I-1597, Randnr. 24, vom 4. Juni 2009, SALIX Grundstücks-Vermietungsgesellschaft, C-102/08, Slg. 2009, I-4629, Randnr. 70, und vom 29. Oktober 2009, SKF, C-29/08, Slg. 2009, I-10413, Randnr. 55).
Durch diese Abzugsregelung soll der Unternehmer nämlich vollständig von der im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden. Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem gewährleistet auf diese Weise die Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis, sofern diese Tätigkeiten selbst der Mehrwertsteuer unterliegen (vgl. Urteile vom 29. April 2004, Faxworld, C-137/02, Slg. 2004, I-5547, Randnr. 37, und SKF, Randnr. 56).
Im Ausgangsrechtsstreit steht fest, dass die betreffenden Dienstleistungen von einem Wirtschaftsteilnehmer auf der vorausgehenden Umsatzstufe erbracht und vom Kläger des Ausgangsverfahrens auf der nachfolgenden Umsatzstufe für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet wurden.
Folglich sind die in Art. 17 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie vorgesehenen materiellen Voraussetzungen der Entstehung des Abzugsrechts erfüllt.
Hinsichtlich der Modalitäten der Ausübung der Abzugsrechts sieht Art. 18 Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie vor, dass der Steuerpflichtige eine nach Art. 22 Abs. 3 der Richtlinie ausgestellte Rechnung besitzen muss.
In Art. 18 Abs. 1 Buchst. b der Sechsten Richtlinie werden die Angaben genannt, die für Mehrwertsteuerzwecke in den gemäß den Bestimmungen des Art. 22 Abs. 3 Buchst. a der Sechsten Richtlinie ausgestellten Rechnungen unbedingt enthalten sein müssen; die letztgenannte Vorschrift sieht vor, dass jeder Steuerpflichtige dafür Sorge tragen muss, dass für Dienstleistungen, die er an einen anderen Steuerpflichtigen bewirkt, eine Rechnung ausgestellt wird.
Zu den in Art. 22 Abs. 3 Buchst. b der Sechsten Richtlinie genannten Angaben hat das vorlegende Gericht festgestellt, dass die vom Kläger des Ausgangsverfahrens vorgelegten Rechnungen alle nach dieser Bestimmung erforderlichen Informationen enthalten hätten. Aus den beim Gerichtshof eingereichten Unterlagen und den Angaben der polnischen Regierung in der mündlichen Verhandlung ergibt sich insbesondere, dass diese Rechnungen die Steueridentifizierungsnummer des Erbringers der fraglichen Dienstleistungen enthielten, da die polnischen Steuerbehörden den Wirtschaftsteilnehmern unabhängig davon, ob diese einen Antrag auf Registrierung stellen, eine solche Nummer von Amts wegen zuteilen.
Auch wenn die genannte Bestimmung die Angabe der "Umsatzsteuer-Identifikationsnummer" verlangt, stellt die im vorliegenden Fall zugeteilte Steueridentifizierungsnummer doch die Identifizierung des betreffenden Steuerpflichtigen sicher und genügt damit den Anforderungen des Art. 22 Abs. 3 Buchst. b dritter Gedankenstrich der sechsten Richtlinie.
Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts hat der betreffende Leistungserbringer für die Leistungen, die er an den Kläger des Ausgangsverfahrens bewirkt hat, zwar Rechnungen ausgestellt, sich jedoch nicht bei der zuständigen nationalen Behörde als Mehrwertsteuerpflichtiger registrieren lassen.
Nach Art. 22 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie hat jeder Steuerpflichtige die Aufnahme seiner Tätigkeit als Steuerpflichtiger anzuzeigen.
Trotz der Bedeutung, die eine derartige Registrierung für das ordnungsgemäße Funktionieren des Mehrwertsteuersystems hat, kann der Verstoß eines Steuerpflichtigen gegen diese Verpflichtung aber nicht das Abzugsrecht in Frage stellen, das Art. 17 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie einem anderen Steuerpflichtigen gewährt.
Art. 22 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie sieht nämlich nur die Verpflichtung der Steuerpflichtigen vor, die Aufnahme, den Wechsel und die Beendigung ihrer Tätigkeit anzuzeigen, er ermächtigt die Mitgliedstaaten jedoch nicht, wenn eine solche Anzeige unterbleibt, die Ausübung des Abzugsrechts erst vom tatsächlichen Beginn der gewohnheitsmäßigen Vornahme der besteuerten Umsätze zuzulassen oder dem Steuerpflichtigen die Ausübung dieses Rechts zu versagen (vgl. Urteile vom 21. März 2000, Gabalfrisa u. a., C-110/98 bis C-147/98, Slg. 2000, I-1577, Randnr. 51, und vom 21. Oktober 2010, Nidera Handelscompagnie, C-385/09, Slg. 2010, I-0000, Randnr. 48).
Verfügt die zuständige Steuerverwaltung über die Angaben, die für die Feststellung erforderlich sind, dass der Steuerpflichtige als Empfänger der kommerziellen Leistung die Mehrwertsteuer schuldet, so darf sie hinsichtlich seines Rechts auf Abzug der Vorsteuer keine zusätzlichen Voraussetzungen festlegen, die die Ausübung dieses Rechts vereiteln können (vgl. Urteile vom 8. Mai 2008, Ecotrade, C-95/07 und C-96/07, Slg. 2008, I-3457, Randnr. 64, und vom 30. September 2010, Uszodaépítõ, C-392/09, Slg. 2010, I-0000, Randnr. 40).
Daher kann ein etwaiger Verstoß des Dienstleistungserbringers gegen die in Art. 22 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie niedergelegte Verpflichtung das Abzugsrecht nicht in Frage stellen, das dem Empfänger der betreffenden Dienstleistungen nach Art. 17 Abs. 2 dieser Richtlinie zusteht.
Das Gleiche gilt für Art. 22 Abs. 8 der Sechsten Richtlinie, wonach die Mitgliedstaaten weitere Pflichten vorsehen können, die sie für erforderlich halten, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und Steuerhinterziehungen zu vermeiden. Diese Vorschrift erlaubt es den Mitgliedstaaten zwar, gewisse Maßnahmen zu treffen, diese dürfen jedoch nicht über das hinausgehen, was zu diesem Zweck erforderlich ist, und dürfen daher nicht so eingesetzt werden, dass sie systematisch das Recht auf Vorsteuerabzug in Frage stellen, das ein Grundprinzip des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems ist (vgl. Urteile vom 18. Dezember 1997, Molenheide u. a., C-286/94, C-340/95, C-401/95 und C-47/96, Slg. 1997, 7281, Randnr. 47; Gabalfrisa u. a., Randnr. 52, und Ecotrade, Randnrn. 65 und 66).
Aus diesen Erwägungen folgt, dass Art. 18 Abs. 1 Buchst. a und Art. 22 Abs. 3 Buchst. b der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen sind, dass einem Steuerpflichtigen das Recht auf Abzug der Mehrwertsteuer zusteht, die er auf Dienstleistungen entrichtet hat, die von einem anderen Steuerpflichtigen, der nicht als Mehrwertsteuerpflichtiger registriert ist, erbracht wurden, wenn die entsprechenden Rechnungen alle nach Art. 22 Abs. 3 Buchst. b vorgeschriebenen Angaben enthalten, insbesondere diejenigen, die notwendig sind, um die Person, die die Rechnungen ausgestellt hat, und die Art der erbrachten Dienstleistungen zu identifizieren.
Zum zweiten Teil der Vorlagefragen
Da dem Kläger des Ausgangsverfahren somit nach der Sechsten Richtlinie ein Abzugsrecht zusteht, stellt sich das vorlegende Gericht die Frage, ob Art. 17 Abs. 6 der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die das Recht auf Abzug der Mehrwertsteuer, die ein Steuerpflichtiger an einen anderen Steuerpflichtigen - den Dienstleistungserbringer - gezahlt hat, ausschließt, wenn der Dienstleistungserbringer nicht als Mehrwertsteuerpflichtiger registriert ist.
Diese Vorschrift stellt eine Ausnahmeregelung dar, die es den Mitgliedstaaten unter bestimmten Umständen erlaubt, ihre zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Sechsten Richtlinie bestehenden Rechtsvorschriften über den Ausschluss des Vorsteuerabzugsrechts beizubehalten, bis der Rat die in diesem Artikel vorgesehenen Bestimmungen erlässt (vgl. Urteile vom 11. Dezember 2008, Danfoss und AstraZeneca, C-371/07, Slg. 2008, I-9549, Randnr. 28, und vom 15. April 2010, X Holding und Oracle Nederland, C-538/08 und C-33/09, Slg. 2010, I-0000, Randnr. 38).
Hinsichtlich der Tragweite dieser Vorschrift hat der Gerichtshof entschieden, dass mit der den Mitgliedstaaten in Art. 17 Abs. 6 der Sechsten Richtlinie eingeräumten Befugnis kein uneingeschränktes Ermessen verbunden ist, alle oder praktisch alle Gegenstände und Dienstleistungen vom Vorsteuerabzug auszuschließen und auf diese Weise die mit den Bestimmungen dieser Richtlinie aufgestellte Regelung gegenstandslos zu machen. Diese Befugnis bezieht sich daher nicht auf allgemeine Ausschlüsse und enthebt die Mitgliedstaaten nicht der Verpflichtung, die Gegenstände und Dienstleistungen, für die der Vorsteuerabzug ausgeschlossen ist, hinreichend zu konkretisieren (vgl. Urteile vom 5. Oktober 1999, Royscot u. a., C-305/97, Slg. 1999, I-6671, Randnrn. 22 und 24, vom 14. Juli 2005, Charles und Charles-Tijmens, C-434/03, Slg. 2005, I-7037, Randnrn. 33 und 35, und vom 30. September 2010, Oasis East, C-395/09, Slg. 2010, I-0000, Randnr. 23).
Da es sich um eine Regelung handelt, die eine Ausnahme vom Grundsatz des Rechts auf Vorsteuerabzug darstellt, ist sie außerdem eng auszulegen (vgl. Urteile vom 22. Dezember 2008, Magoora, C-414/07, Slg. 2008, I-10921, Randnr. 28, und Oasis East, Randnr. 24).
Was das Ausgangsverfahren und die mögliche Anwendbarkeit der in Art. 17 Abs. 6 der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Ausnahmeregelung angeht, ist festzustellen, dass diese Richtlinie in Polen am Tag seines Beitritts zur Europäischen Union in Kraft getreten ist, d. h. am 1. Mai 2004. Dieser Zeitpunkt ist also für die Anwendung der oben genannten Bestimmung in Polen maßgeblich (Urteil Oasis East, Randnr. 25).
Bei der Beurteilung der im Ausgangsverfahren fraglichen nationalen Regelung im Hinblick auf Art. 17 Abs. 6 der Sechsten Richtlinie und die oben genannte Rechtsprechung ist festzustellen, dass sie eine allgemeine Maßnahme darstellt, die das Recht auf Abzug der Vorsteuer für alle Umsätze ausschließt, die von einem Steuerpflichtigen bewirkt werden, der der Verpflichtung nicht nachgekommen ist, sich als Mehrwertsteuerpflichtiger registrieren zu lassen.
Eine solche Regelung enthält eine Beschränkung des Rechts auf Vorsteuerabzug, die über das durch Art. 17 Abs. 6 der Sechsten Richtlinie zugelassene Maß hinausgeht.
Der Gerichtshof hat nämlich klargestellt, dass die Mitgliedstaaten nicht ermächtigt sind, Ausschlüsse des Rechts auf Vorsteuerabzug beizubehalten, die allgemein auf jede Ausgabe für den Erwerb von Gegenständen oder Dienstleistungen Anwendung finden (Urteile vom 23. April 2009, PARAT Automotive Cabrio, C-74/08, Slg. 2009, I-3459, Randnrn. 28 und 29, und Oasis East, Randnr. 30).
Nach alledem ist Art. 17 Abs. 6 der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die das Recht auf Abzug der Mehrwertsteuer, die von einem Steuerpflichtigen an einen anderen Steuerpflichtigen - den Dienstleistungserbringer - gezahlt wurde, ausschließt, wenn der Dienstleistungserbringer nicht als Mehrwertsteuerpflichtiger registriert ist.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:
1. Art. 18 Abs. 1 Buchst. a und Art. 22 Abs. 3 Buchst. b der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage in der durch die Richtlinie 2006/18/EG des Rates vom 14. Februar 2006 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass einem Steuerpflichtigen das Recht auf Abzug der Mehrwertsteuer zusteht, die er auf Dienstleistungen entrichtet hat, die von einem anderen Steuerpflichtigen, der nicht als Mehrwertsteuerpflichtiger registriert ist, erbracht wurden, wenn die entsprechenden Rechnungen alle nach Art. 22 Abs. 3 Buchst. b vorgeschriebenen Angaben enthalten, insbesondere diejenigen, die notwendig sind, um die Person, die die Rechnungen ausgestellt hat, und die Art der erbrachten Dienstleistungen zu identifizieren.
2. Art. 17 Abs. 6 der Sechsten Richtlinie 77/388 in der Fassung der Richtlinie 2006/18 ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die das Recht auf Abzug der Mehrwertsteuer, die von einem Steuerpflichtigen an einen anderen Steuerpflichtigen - den Dienstleistungserbringer - gezahlt wurde, ausschließt, wenn der Dienstleistungserbringer nicht als Mehrwertsteuerpflichtiger registriert ist.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
KÖSDI 2011 S. 17304 Nr. 2
YAAAD-59844