Versäumung der Revisionsbegründungsfrist in Strafsachen: Mitverschulden des inhaftierten Angeklagten bei Fristversäumung nach krankheitsbedingtem Ausfall des Pflichtverteidigers
Gesetze: § 44 S 1 StPO, § 45 Abs 1 S 1 StPO, § 345 StPO
Instanzenzug: LG Neuruppin Az: 16 KLs 5/10 Urteil
Gründe
11. Der 70 Jahre alte, an schweren Durchblutungsstörungen (UA S. 3) leidende Angeklagte ist wegen Sexualdelikten zum Nachteil der Nebenklägerin, seiner Enkelin, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt worden.
2Sein Pflichtverteidiger, Fachanwalt für Familienrecht N., hat hiergegen am rechtzeitig das Rechtsmittel der Revision erhoben, "aber keine Revisionsbegründung zustande gebracht" (eidesstattliche Versicherung vom , S. 2). Der Pflichtverteidiger hat nach Verwerfung der Revision dem Angeklagten und dessen Ehefrau erklärt, dass es dabei nicht bleiben werde, weil die Verwerfung des Rechtsmittels nicht vom Angeklagten, sondern von ihm zu vertreten sei. In den folgenden Wochen hat der Pflichtverteidiger den Wiedereinsetzungsantrag nicht gestellt, weil es ihm aus persönlichen Gründen so schlecht gegangen ist, dass er kaum noch arbeiten konnte (eidesstattliche Versicherung aaO S. 3).
3Der Angeklagte stellte sich am in der Justizvollzugsanstalt Luckau-Duben zum am angeordneten Strafantritt. Er befindet sich jetzt in der Krankenabteilung der Justizvollzugsanstalt Brandenburg und hatte es bis infolge seines verstörten Zustandes nicht geschafft, seine Ehefrau und seinen Schwiegersohn als Besucher eintragen zu lassen (eidesstattliche Versicherung E. W. vom S. 2; eidesstattliche Versicherung Rechtsanwalt Sch. vom S. 3; gestützt durch ein eingereichtes ärztliches Attest).
4Nachdem vom Büro des Pflichtverteidigers versprochene Rückrufe des Rechtsanwalts ausgeblieben waren, suchten die Ehefrau des Angeklagten und dessen Schwiegersohn am den am nächsten Tag vom Angeklagten in der Justizvollzugsanstalt mandatierten Wahlverteidiger auf. Dieser hat mit Schriftsatz vom Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung der Revision und die Stellung des Wiedereinsetzungsantrags beantragt und die Revision begründet.
52. Das Wiedereinsetzungsgesuch ist zulässig. Es ist innerhalb der durch § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO festgelegten Wochenfrist gestellt.
6Das hier in Ansehung der vom Pflichtverteidiger eingelegten Revision des Angeklagten vorliegende Hindernis, über keinen Verteidiger zu verfügen, der bereit und in der Lage ist, die gebotenen Revisionsanträge und ihre Begründung anzubringen, ist erst durch das durch die Ehefrau des Angeklagten am begründete und einen Tag später aktivierte Anbahnungsverhältnis mit dem dann mandatierten Wahlverteidiger entfallen.
73. Der Wiedereinsetzungsantrag ist auch begründet. Den Angeklagten trifft an der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist durch den Pflichtverteidiger auch kein die Voraussetzungen des § 44 Satz 1 StPO erfüllendes Mitverschulden (vgl. BGHSt 14, 306, 308; 25, 89, 93 f.; Meyer-Goßner, StPO 53. Aufl. § 44 Rdn. 18).
8Der Senat kann es dahingestellt sein lassen, ob Kenntnis von der Unzuverlässigkeit des Pflichtverteidigers auch dann zur Annahme eines Mitverschuldens berechtigen würde, wenn – wie hier – eine Erkrankung des Pflichtverteidigers bei dem Angeklagten zu einem gesetzwidrig unverteidigten Zustand geführt hat, den es auch im öffentlichen Interesse durch Auswechslung des Verteidigers zu beseitigen gegolten hätte (vgl. Laufhütte in KK-StPO 6. Aufl. § 143 Rdn. 5; vgl. auch BGH NStZ 2004, 636). Jedenfalls war der Angeklagte nach den glaubhaft gemachten Umständen nicht in der Lage, auf Grund – hier maßgeblicher – eigener Initiative Schritte zur Auswechselung des Pflichtverteidigers zu ergreifen (vgl. BGHSt 25, 89, 93 f.).
9Der Wegfall der Rechtskraft des gegen den Angeklagten ergangenen Urteils muss zur sofortigen Beendigung der Strafvollstreckung führen.
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NAAAD-59690