Strafverfahren wegen Mordes: Hinweis auf Änderung des rechtlichen Gesichtspunkts bei unverändertem Sachverhalt; Lügendetektor als ungeeignetes Beweismittel
Gesetze: § 244 Abs 3 S 2 StPO, § 265 StPO, § 211 StGB
Instanzenzug: LG Nürnberg-Fürth Az: 5 Ks 106 Js 2271/08 Urteil
Gründe
1Der Angeklagte ist vom Landgericht wegen - gemeinschaftlich mit dem nicht revidierenden Mitangeklagten P. begangenen - Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt worden. Seine hiergegen gerichtete, auf die Verletzung sachlichen und förmlichen Rechts gestützte Revision bleibt ohne Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO). Näher ist dies nur zu den geltend gemachten Verstößen gegen § 265 StPO (1.), § 244 StPO (2.) und § 338 Nr. 8 StPO (3.) auszuführen.
21. Während dem Angeklagten mit der Anklageschrift vorgeworfen worden war, sein Opfer heimtückisch und habgierig getötet zu haben, hat das Landgericht ihn wegen einer heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen begangenen Tat verurteilt. In der Hauptverhandlung hatte der Vorsitzende den Angeklagten darauf hingewiesen, dass u.a. auch „sonstige niedrige Beweggründe“ als Mordmerkmal in Betracht kommen. Die Revision meint, dieser Hinweis sei unzulänglich gewesen, weil der die rechtliche Bewertung tragende Sachverhalt hätte genau bezeichnet werden müssen. Diese Rüge geht fehl. Denn die ihr zugrunde liegende Annahme, ein Hinweis gemäß § 265 StPO müsse aus Rechtsgründen stets auf neuen tatsächlichen Erkenntnissen beruhen, ist unzutreffend. Freilich ist dies nach forensischer Erfahrung vielfach der Fall, jedoch ist ein Hinweis nach § 265 StPO auch dann geboten, wenn sich der Sachverhalt selbst nicht geändert hat, er aber nach Auffassung des Gerichts dennoch rechtlich anders als noch in der zugelassenen Anklage zu bewerten ist (vgl. KK/Engelhardt, StPO, 6. Aufl. § 265 Rn. 17). Ein Verfahrensverstoß ist daher allein mit der Behauptung, geänderte tatsächliche Grundlagen eines Hinweises gemäß § 265 StPO seien nicht mitgeteilt worden, nicht schlüssig dargetan.
3Im Übrigen könnte eine auf die Behauptung unzulänglicher tatsächlicher Erläuterung eines Hinweises gemäß § 265 StPO gestützte Rüge schon im Ansatz nur dann Erfolg haben, wenn Urteil und zugelassene Anklage in tatsächlicher Hinsicht wesentlich voneinander abweichen würden. Derartige Differenzen vermag der Senat nicht zu erkennen; sie sind von der Revision auch nicht einmal abstrakt behauptet, erst recht nicht konkret ausgeführt worden (vgl. mwN).
42. In der Hauptverhandlung hatte die Verteidigung den Antrag gestellt, dem Angeklagten „auf Staatskosten die Zulassung zur freiwilligen Durchführung einer wissenschaftlichen polygraphischen Untersuchung … zu genehmigen“. Diesen Antrag hat das Landgericht mit der Begründung zurückgewiesen, das bezeichnete Beweismittel sei i.S.d. § 244 Abs. 3 Satz 2 4. Var. StPO ungeeignet.
5a) Allerdings handelt es sich entgegen der Ansicht der Revision bereits nicht um einen Beweisantrag, dessen Ablehnung den Maßstäben des § 244 StPO hätte entsprechen müssen. Denn mit ihm wurde (noch) nicht die Vernehmung eines Sachverständigen zu einer bestimmten Beweistatsache verlangt, sondern lediglich die - eventuell nur - vorgeschaltete Untersuchung des Angeklagten unter Einsatz eines Polygraphen (vgl. , NStZ 1999, 578).
6b) Das Landgericht hätte jedoch auch einen auf die Einholung eines entsprechenden Sachverständigengutachtens zielenden Antrag mit der von ihm genannten Begründung ablehnen dürfen. Denn gegen einen auch nur geringfügigen indiziellen Beweiswert des Ergebnisses einer mittels eines Polygraphen vorgenommenen Untersuchung bestehen die im Urteil des Senats vom (1 StR 156/98, BGHSt 44, 308, 323 ff.) dargelegten grundsätzlichen Einwände betreffend den hier allein in Rede stehenden sog. Kontrollfragentest uneingeschränkt weiter. Es wäre deshalb sogar ohne Belang, wenn die Ansicht der Revision richtig wäre, dass inzwischen „eine hinreichend breite Datenbasis“ einen Zusammenhang von mittels des Polygraphen gemessenen Körperreaktionen mit einem bestimmten Verhalten belegen würde. Dies ist aber nicht der Fall. Hierfür genügt die von der Revision angeführte Simulationsstudie mit lediglich 65 Versuchspersonen (vgl. H. Offe/S. Offe, MschrKrim 2004, 86) - bereits ungeachtet methodischer Einwände - nicht. Auch einem maßgeblichen Beitrag amerikanischer Wissenschaftler, die nach eigenem Bekunden einen Großteil ihrer bis zu 40jährigen Laufbahn der Forschung und Entwicklung polygraphischer Techniken gewidmet haben, lassen sich neuere Studien - noch dazu, wie die Revision vorträgt, „an realen Verdächtigen“ - nicht entnehmen (vgl. Honts/Raskin/Kircher in Faigman/Saks/Sanders/Cheng, Modern Scientific Evidence, The Law and Science of Expert Testimony, Volume 5 [2009], S. 297 ff.).
73. Die Hauptverhandlung wurde nach dem letzten Wort der Angeklagten am (Montag) unterbrochen; die Urteilsverkündung war für den vorgesehen. Am (Donnerstag) ging ein an den Vorsitzenden adressiertes Fax der Verteidigerin mit folgendem Wortlaut ein: „In oben bezeichneter Angelegenheit übersende ich … noch einen Hilfsbeweisantrag …, den ich am Montag … versehentlich vergessen hatte“. Dieser auf die Einholung eines Glaubwürdigkeitsgutachtens hinsichtlich des Mitangeklagten gerichtete Antrag war beigefügt und mit Ausführungen zu dessen psychischem Zustand bei der Tat und zu dessen nicht konstantem Aussageverhalten näher begründet. Ohne Reaktion hierauf wurde am das Urteil verkündet.
8Hinsichtlich des deshalb geltend gemachten Verstoßes gegen das faire Verfahren (§ 338 Nr. 8 StPO) kann offen bleiben, ob die Grundsätze für die Bescheidung eines noch vor der Hauptverhandlung angebrachten Beweisantrages (vgl. , NStZ-RR bei Becker 2002, 68) auf die hier vorliegende Konstellation übertragbar sind (vgl. jew. mwN , NStZ 1981, 311; KK/Schoreit, StPO, 6. Aufl. § 258 Rn. 27). Denn jedenfalls beruht das Urteil nicht auf dem Übergehen eines Hilfsbeweisantrages, wenn die Urteilsgründe insgesamt erkennen lassen, warum dem Beweisbegehren der Sache nach ohne Rechtsfehler keine Folge geleistet wurde (vgl. , NStZ bei Kusch 1993, 229). So verhält es sich hier:
9Das Landgericht hat ausführlich dargelegt, dass die Aussage P. s glaubhaft sei, „da sie durch die weiteren Ergebnisse der Beweisaufnahme durchgängig bestätigt worden ist“. Dies hat es mit Aussagen weiterer Zeugen und objektiven Spuren eingehend belegt. In seine Gesamtwürdigung hat es auch ausdrücklich einbezogen, dass die Angaben P. s in einigen - freilich nicht das Kerngeschehen betreffenden - Punkten nicht konstant waren. Unter diesen Umständen ist eine ohnehin nur ausnahmsweise anzunehmende Notwendigkeit zur Einholung des bezeichneten Gutachtens nicht erkennbar.
104. Im Übrigen verweist der Senat auf die Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom .
Wahl Elf Graf
Jäger Sander
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Fundstelle(n):
UAAAD-59400