BAG Urteil v. - 2 AZR 194/22

Außerordentliche Kündigung wegen Bedrohung - versehentlich falsche Angabe von Sozialdaten gegenüber dem Betriebsrat - Kenntnis des Gremiums von den richtigen Daten

Gesetze: § 626 Abs 1 BGB, § 286 Abs 1 ZPO, § 529 Abs 1 Nr 1 ZPO, § 102 Abs 1 BetrVG

Instanzenzug: ArbG Mönchengladbach Az: 6 Ca 468/20 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Düsseldorf Az: 12 Sa 705/21 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten vorrangig über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2Der Kläger war bei der Beklagten seit Mai 1998 als Busfahrer beschäftigt. Zwischen den Parteien ist streitig gewesen, ob er den Personaldisponenten der Beklagten und dessen Familie in einem Gespräch am bedroht hat.

3Die Beklagte hörte den bei ihr gebildeten Betriebsrat mit Schreiben vom zu ihrer Absicht an, das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich, hilfsweise ordentlich zu kündigen. Dabei gab sie versehentlich an, er sei ledig und kinderlos. Dem Gremium war bekannt, dass der Kläger verheiratet ist und ein Kind hat. Am widersprach der Betriebsrat in einer ausdrücklich als „abschließend“ bezeichneten Stellungnahme den beabsichtigten Kündigungen ua. unter Hinweis auf die Unterhaltspflichten des Klägers.

4Mit Schreiben vom , dem Kläger am selben Tag zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich. Zudem erklärte sie mit Schreiben vom - nach erneuter Anhörung des Betriebsrats - eine weitere ordentliche Kündigung.

5Der Kläger hat sich mit der vorliegenden Klage rechtzeitig gegen alle drei Kündigungen gewandt und ua. gemeint, die Kündigungen vom seien wegen der fehlerhaften Unterrichtung des Betriebsrats unwirksam.

6Der Kläger hat beantragt

7Das Arbeitsgericht hat die Klage nach Vernehmung des Personaldisponenten der Beklagten als Zeugen sowie informatorischer Anhörung des Klägers abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat dessen dagegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seine Anträge weiter.

Gründe

8Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende erstinstanzliche Urteil zu Recht zurückgewiesen. Der gegen die außerordentliche Kündigung vom gerichtete Klageantrag ist unbegründet. Die fristlose Kündigung hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit ihrem Zugang beim Kläger aufgelöst.

9I. Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, dass für die innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB erklärte außerordentliche Kündigung ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB gegeben ist.

101. Eine ernstliche Drohung des Arbeitnehmers mit Gefahren für Leib oder Leben ua. von Vorgesetzten oder Arbeitskollegen und/oder deren Verwandten (ErfK/Niemann 23. Aufl. BGB § 626 Rn. 86), für die kein allgemeiner Rechtfertigungsgrund eingreift, kommt „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht ( - Rn. 23, BAGE 159, 250).

112. Die Würdigung des Berufungsgerichts, es bestünden keine konkreten Anhaltspunkte, die Zweifel iSv. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an der Richtigkeit der Feststellung des Arbeitsgerichts nach § 286 Abs. 1 ZPO begründeten, der Kläger habe den Personaldisponenten der Beklagten, der fünf Tage zuvor eine Abmahnung in seinen - des Klägers - Briefkasten eingeworfen hatte, in dem Gespräch am bedroht mit den Worten „Ihr Ochsen, wenn ich noch einmal einen von Euch vor meiner Haustür oder meinem Briefkasten sehe, werde ich Euch schlagen, dann kann nicht mal die Polizei Euch helfen.“ und „Ochse, Du musst in Zukunft auf Dich und Deine Familie achten.“, ist frei von revisiblen Rechtsfehlern.

12a) Das Landesarbeitsgericht hat alle in der Berufungs- und abermals in der Revisionsbegründung angesprochenen Umstände betreffend die Glaubwürdigkeit des Zeugen und die Glaubhaftigkeit von dessen Aussage (angebliche Zugehörigkeit des Personaldisponenten zum „Arbeitgeberlager“, anderer Wortlaut der Bekundungen gegenüber der Polizei und vermeintliches Ablesen seiner Aussage vor dem Arbeitsgericht von einem Blatt) in seine Würdigung einbezogen und widerspruchsfrei sowie ohne Verletzung von Denkgesetzen oder Erfahrungssätzen gewürdigt (zum Prüfungsmaßstab vgl.  - Rn. 48). Die Revision setzt letztlich nur ihre eigene Würdigung der Zeugenaussage an die Stelle von derjenigen durch das Berufungsgericht. Einen Rechtsfehler zeigt sie damit nicht auf.

13b) Die Revision wendet sich nicht gegen die zutreffende, im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl.  - Rn. 6; - VI ZR 327/02 - Rn. 6 ff.;  2 B 20.14 - Rn. 9 ff.) stehende Annahme des Landesarbeitsgerichts, der Kläger sei nicht gegenbeweislich an einen „Lügendetektor“ (polygraphische Untersuchung mittels Kontrollfragentests) anzuschließen gewesen, weil es sich - auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren - um ein völlig ungeeignetes Beweismittel handele.

143. Ebenfalls frei von revisiblen Rechtsfehlern sind die jeweils von den zutreffenden Rechtssätzen ausgehenden Annahmen des Landesarbeitsgerichts, es habe sich um ernstliche Drohungen gehandelt (vgl.  - Rn. 27, BAGE 159, 250), eine vorherige Abmahnung sei entbehrlich gewesen (vgl.  - Rn. 27, BAGE 175, 94) und auch die weitere Interessenabwägung falle zulasten des Klägers aus (vgl.  - Rn. 29). Im Rahmen der revisionsrechtlich nur beschränkt überprüfbaren Interessenabwägung (vgl.  - Rn. 32 f., BAGE 175, 83) hat es dem Kläger seine Unterhaltspflichten und eine als beanstandungsfrei unterstellte vorherige Beschäftigungszeit zugutegehalten, sodass es weder auf einen Bezug der Unterhaltspflichten zum Kündigungsvorwurf (vgl.  - zu I 2 b dd der Gründe) noch auf die Berechtigung der ihm - dem Kläger - erteilten Abmahnungen ankam.

15II. Die außerordentliche Kündigung ist nicht entsprechend § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG wegen unzureichender Beteiligung des Betriebsrats unwirksam.

161. Die Beklagte hat das Gremium mit Schreiben vom zu einer beabsichtigten fristlosen Kündigung unter Angabe der aus ihrer Sicht in dem Gespräch am erfolgten Drohungen durch den Kläger und unter Darstellung von dessen gegenteiliger Einlassung angehört. Das Gremium hat dazu am ausdrücklich „abschließend“ Stellung genommen. Damit war das Anhörungsverfahren vor Zugang der außerordentlichen Kündigung abgeschlossen (vgl.  - Rn. 24, BAGE 155, 181).

172. Die Anhörung ist nicht deshalb mangelhaft, weil die Beklagte im Anhörungsschreiben die Unterhaltspflichten des Klägers unzutreffend angegeben hat.

18a) Nach der nicht mit einer zulässigen Verfahrensrüge nach § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO angegriffenen und deshalb gemäß § 559 Abs. 1 ZPO für den Senat bindenden Feststellung des Landesarbeitsgerichts erfolgte die Falschangabe zu den Unterhaltspflichten des Klägers lediglich versehentlich. Damit fehlt es an einer bewusst unrichtigen oder irreführenden Unterrichtung über die Person des zu kündigenden Arbeitnehmers, die schon für sich genommen zur Unwirksamkeit der Kündigung führen könnte (vgl.  - Rn. 16, BAGE 152, 118).

19b) Zudem waren dem Gremium der Familienstand des Klägers sowie dessen Unterhaltspflicht für ein Kind ohne das Erfordernis eigener Nachforschungen zuverlässig bekannt (vgl.  - Rn. 68; - 2 AZR 182/15 - Rn. 22, BAGE 154, 303). Der Betriebsrat ist durch die abweichenden Angaben im Unterrichtungsschreiben nicht „verunsichert“ worden. Vielmehr hat er den beabsichtigten Kündigungen gerade auch unter Hinweis darauf widersprochen, dass der Kläger verheiratet und einem Kind unterhaltspflichtig sei. Dies belegt, dass ihm durch die versehentliche Falschangabe durch die Beklagte im Unterrichtungsschreiben kein Einwand abgeschnitten wurde. Er konnte aufgrund des bei ihm bestehenden Kenntnisstands sachgerecht zur Kündigungsabsicht Stellung nehmen. Damit wurde den Zwecken des Anhörungsverfahrens uneingeschränkt genügt, ohne dass es darauf ankäme, ob bei einer beabsichtigten verhaltensbedingten Kündigung die Sozialdaten des Arbeitnehmers überhaupt zu den „Gründen für die Kündigung“ iSv. § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG rechnen (dazu APS/Koch 6. Aufl. BetrVG § 102 Rn. 94a).

20III. Die - zwei - Kündigungsschutzanträge gegen die ordentlichen Kündigungen vom und sowie der Weiterbeschäftigungsantrag fallen dem Senat nicht zur Entscheidung an. Bei den weiteren Kündigungsschutzanträgen handelt es sich um unechte Hilfsanträge für den Fall, dass die jeweils vorrangige(n) Kündigung(en) - wie nicht - für unwirksam erachtet werden sollten. Der Weiterbeschäftigungsantrag wird vom Kläger zwar explizit als Hauptantrag verfolgt, indes soll über ihn nicht mehr entschieden werden, wenn die Bestandsstreitigkeit rechtskräftig abgeschlossen ist. Das ist durch das Senatsurteil der Fall.

21IV. Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2023:280223.U.2AZR194.22.0

Fundstelle(n):
BB 2023 S. 1075 Nr. 19
DB 2023 S. 2571 Nr. 44
DB 2023 S. 2571 Nr. 44
NJW 2023 S. 10 Nr. 20
AAAAJ-38978