Wirksamkeit der Klagezustellung: Mögliche Heilung des etwaigen Zustellungsmangels
Leitsatz
Zweifel an der Wirksamkeit der Klagezustellung rechtfertigen nicht die Abweisung der Klage wegen fehlender Rechtshängigkeit, sofern die Heilung des etwaigen Zustellungsmangels noch möglich ist .
Gesetze: § 172 Abs 1 ZPO, § 189 ZPO, § 271 ZPO
Instanzenzug: Saarländisches Az: 4 U 449/09 - 129 Urteilvorgehend AG Homburg Az: 16 C 233/08 Urteil
Tatbestand
1Die Klägerin verlangt von der Beklagten, einer Versicherungsgesellschaft mit Sitz in Spanien, Schadensersatz wegen eines Verkehrsunfalls, der sich am in Frankreich zwischen einem Lkw der Klägerin und einem bei der Beklagten versicherten Lkw ereignet hat. Die Beklagte beauftragte die G. A. Versicherung AG mit der Schadensregulierung.
2Die Klägerin hat beim Amtsgericht ihrerseits am die Klageschrift eingereicht. Mit Verfügung vom hat der Richter am Amtsgericht Zustellung an die Beklagte mit dem handschriftlichen Zusatz "Zustellungsbevollmächtigte" angeordnet. Die Zustellung ist den Angaben in der Klageschrift entsprechend an die Schadensregulierungsbeauftragte adressiert worden. Mit Schriftsatz vom , eingegangen bei Gericht am , hat sich für die Beklagte Rechtsanwalt B. unter anwaltlicher Versicherung der ordnungsgemäßen Bevollmächtigung bestellt. Er hat gerügt, dass die Klage nicht wirksam zugestellt worden sei, weil die Schadensregulierungsbeauftragte nicht zustellungsbevollmächtigt sei. Vorsorglich hat er sich zur Begründetheit der Klage geäußert. In den mündlichen Verhandlungen vor dem Amtsgericht und dem Berufungsgericht ist Rechtsanwalt B. als Prozessvertreter der Beklagten aufgetreten. Er hat die fehlerhafte Zustellung wegen der mangelnden Zustellungsvollmacht der Schadensregulierungsbeauftragten weiter gerügt. Außerdem hat er sich hilfsweise zur Sache geäußert.
3Das Amtsgericht hat die Klage als unbegründet abgewiesen, weil die Klage nicht wirksam zugestellt worden sei. Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht mit der Maßgabe, dass die Klage unzulässig sei, zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
Gründe
I.
4Das Berufungsgericht führt aus:
5Die internationale Zuständigkeit des Amtsgerichts für den Direktanspruch gegen den ausländischen Versicherer mit Geschäftssitz in der Europäischen Union sei nach Art. 11 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 9 Abs. 1 lit. b EuGVVO gegeben. Die Klage habe ohne Erteilung einer ausdrücklichen rechtsgeschäftlichen Zustellungsvollmacht durch die Beklagte nicht wirksam an die Schadensregulierungsbeauftragte zugestellt werden können. Die rechtlich gebotene und von Amts wegen zu betreibende Zustellung der Klage an die Beklagte im Ausland könne nicht bewirkt werden, weil die Klägerin sich weigere, eine spanische Übersetzung der Klageschrift einzureichen und die Beklagte ihrerseits die Verweigerung der Annahme einer Klageschrift, der eine spanische Übersetzung nicht beigefügt sei, angekündigt habe. Die Heilung des Zustellungsmangels durch den tatsächlichen Zugang der Klageschrift an die Beklagte, der unterstellt werden könne, scheitere daran, dass die vom Amtsgericht verfügte Zustellung nicht an die Beklagte gerichtet gewesen sei. Aufgrund der Rügen des Prozessbevollmächtigten der Beklagten sei der Zustellungsmangel auch nicht geheilt. Die Heilung des Mangels durch den tatsächlichen Zugang der Klageschrift an die Beklagte, der unterstellt werden könne, scheitere daran, dass die vom Amtsgericht verfügte Zustellung nicht an die Beklagte gerichtet gewesen sei. Aufgrund der Rügen des Prozessbevollmächtigten der Beklagten habe auch das Verhandeln zur Sache die Zustellung infolge Rügeverzichts nicht geheilt. Die Klage sei nicht rechtshängig geworden und deshalb als unzulässig abzuweisen.
II.
6Das angefochtene Urteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Auf die Frage, ob die inländische Schadensregulierungsbeauftragte zur Zustellung der Klage als bevollmächtigt gilt, kommt es aufgrund der Besonderheiten des Streitfalls nicht an. Für den erkennenden Senat besteht deshalb auch nicht die Pflicht, die Frage dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorzulegen (Art. 267 AEUV).
71. Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt der Vorinstanzen, dass die deutschen Gerichte für die Klage gegen den ausländischen Versicherer wegen der behaupteten Schäden aus dem Verkehrsunfall international zuständig sind, was auch unter der Geltung des § 545 Abs. 2 ZPO in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfen ist (Senat, Urteile vom - VI ZR 23/09, VersR 2010, 690 Rn. 7 und vom - VI ZR 122/09, MDR 2010, 943 f. jeweils m.w.N.). Der Geschädigte kann vor dem Gericht des Ortes in einem Mitgliedstaat, an dem er seinen Wohnsitz hat, eine Klage unmittelbar gegen den Versicherer des Schädigers erheben, sofern eine solche unmittelbare Klage zulässig und der Versicherer im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ansässig ist (Art. 11 Abs. 2 i.V.m. Art. 9 Abs. 1 lit. b EuGVVO; , Odenbreit, NJW 2008, 819). Dass die erforderlichen Umstände im Streitfall gegeben sind, wird von den Parteien nicht in Zweifel gezogen. Aufgrund der in Art. 3 der 4. Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie enthaltenen Verpflichtung besteht in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, mithin auch in Frankreich und Spanien, ein Direktanspruch des Geschädigten gegen den Haftpflichtversicherer des Schädigers (vgl. Riedmeyer, ZfS 2008, 602, 604).
82. Die Frage, ob die Zustellung der Klage an die Beklagte wirksam und die Klage rechtshängig geworden ist, beurteilt sich nach dem hier anzuwendenden deutschen Zivilprozessrecht. Das deutsche Recht bestimmt autonom, unter welchen tatsächlichen Umständen die Auslandszustellung notwendig ist oder ob die Inlandszustellung genügt. Dies gilt grundsätzlich auch für die Zustellung von den Prozess einleitenden Schriftstücken (vgl. Zöller/Geimer, ZPO, 28. Aufl., § 183 Rn. 14, 18 und 21; Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 6. Aufl. Rn. 2080 m.w.N.).
93. Im Streitfall ist die Zustellung ins Ausland nicht mehr geboten, nachdem sich Rechtsanwalt B. als Prozessbevollmächtigter für die Beklagte bestellt hat.
10a) Hat die Partei in einem anhängigen Verfahren einen Prozessbevollmächtigten, gebietet § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Zustellung an diesen (vgl. , BGHZ 118, 312, 322 und Beschluss vom - VIII ZB 40/86, VersR 1987, 357). In dem Auftreten eines Rechtsanwalts vor Gericht liegt zugleich seine "Bestellung" zum Prozessbevollmächtigten im Sinne von § 172 ZPO, selbst wenn er keine Prozessvollmacht hat (vgl. , BGHZ 61, 308, 311; , VersR 1979, 255; Urteil vom - IVb ZR 59/84, NJW-RR 1986, 286, 287 m.w.N.). Der Partei selbst ist nur dann zuzustellen, wenn sich ein Prozessbevollmächtigter noch nicht bestellt hat (§ 172 Abs. 2 Satz 3 ZPO). Nach der Regelung in § 271 Abs. 1 ZPO hat das Gericht die Klageschrift unverzüglich zuzustellen. Hierzu bedarf es weder eines besonderen Antrags des Klägers, noch obliegt es ihm, um die Zustellung der Klage in bestimmter Form zu ersuchen; die Gerichte selbst haben vielmehr dafür Sorge zu tragen, dass eine wirksame Zustellung erreicht wird (vgl. , NJW 2003, 2830, 2831).
11Nach der Regelung in § 189 ZPO gilt ein unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangenes Dokument in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem es der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist. Die Heilung von Mängeln, die bei der Ausführung der Zustellung unterlaufen sind, soll nach dem Willen des Gesetzgebers von Gesetzes wegen eintreten, wenn der Zustellungszweck erreicht ist (Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Verfahrens bei Zustellungen im gerichtlichen Verfahren [Zustellungsreformgesetz - ZustRG] - BT-Drucks. 14/4554, S. 24, re. Sp. unten; Senat, Urteil vom - VI ZR 226/87, VersR 1989, 168, 169 m.w.N.). Aus dem Wortlaut des § 189 ZPO, wonach es sich um ein Dokument handeln muss, das "der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte" zugegangen ist, folgt das Erfordernis, dass das Gericht eine förmliche Zustellung mit Zustellungswillen bewirken wollte (vgl. Senat, Beschluss vom - VI ZB 41/02, VersR 2003, 879, 880; , FamRZ 2010, 1328, 1329). Nach Sinn und Zweck ist die Vorschrift weit auszulegen und auch dann anzuwenden, wenn ein Rechtsanwalt erst durch spätere Bevollmächtigung zu einem Prozessbeteiligten wird und er bereits zuvor oder zeitgleich mit der Bevollmächtigung in den Besitz des zuzustellenden Schriftstücks gelangt ist (vgl. Senat, Urteil vom - VI ZR 226/87, VersR 1989, 168, 169).
12b) Nach diesen Grundsätzen musste schon das Amtsgericht der Frage nachgehen, ob der Prozessbevollmächtigte B. die Klageschrift erhalten hat (vgl. , FamRZ 1993, 309; , FamRZ 2010, 1328) und dadurch der Zustellungsmangel gemäß § 189 ZPO geheilt worden ist (vgl. Senat, Urteil vom - VI ZR 226/87, VersR 1989, 168). Auch das Berufungsgericht durfte ohne Klärung der näheren Umstände die Berufung der Klägerin nicht mit der Maßgabe zurückweisen, dass die Klage infolge fehlender Rechtshängigkeit unzulässig sei.
13Zustellungsadressat für die Beklagte war mit der Bestellung im Schriftsatz vom nach der Regelung in § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO Rechtsanwalt B. und nicht mehr die Beklagte selbst. Auch die Schadensregulierungsbeauftragte war jedenfalls von da ab nicht mehr Zustellungsbevollmächtigte für Zustellungen im anhängigen Rechtsstreit. Vielmehr ist inzwischen Rechtsanwalt B. als Prozessbevollmächtigter der Beklagten der richtige Zustellungsadressat. Ist er in den Besitz der Klageschrift, deren Zustellung der Richter an die Zustellungsbevollmächtigte verfügt hat, gelangt, ist die Klage in jedem Fall aufgrund der Heilung des Zustellungsmangels nach § 189 ZPO rechtshängig geworden. Dafür sprechen Vortrag und das Verhandeln zur Sache, die eine Kenntnis der Umstände des Streitfalls voraussetzen. Doch ist dies durch Befragung des Rechtsanwalts B. zu klären. Sollte Rechtsanwalt B. zwischenzeitlich nicht in den Besitz der Klageschrift gekommen sein und wäre entsprechend der Auffassung des Amtsgerichts und des Berufungsgerichts die Wirksamkeit der Zustellung an die Schadensregulierungsbeauftragte zu verneinen, wird im Hinblick auf die Prozessförderungspflicht des Gerichts die Zustellung der Klageschrift an ihn zu veranlassen und sodann in der Sache zu entscheiden sein.
III.
14Nach alledem ist das Berufungsurteil aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Zugleich steht fest, dass das Amtsgericht die Klage zu Unrecht abgewiesen hat. Da das Berufungsgericht aus diesem Grund bei richtiger Verfahrensweise das Urteil des Amtsgerichts hätte aufheben und die Sache an das Amtsgericht zurückverweisen müssen (§ 538 Abs. 2 Nr. 3 ZPO), ist dies vom Senat nachzuholen (vgl. , BGHZ 139, 325, 333 und vom - XII ZR 167/92, WM 1994, 865, 867 m.w.N.).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW 2011 S. 8 Nr. 5
NJW-RR 2011 S. 417 Nr. 6
YAAAD-59040