Voraussetzungen einer Tätigkeit als "wissenschaftlich" i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG; Gesellschaft des bürgerlichen Rechts keine Gesellschaft i.S. des bis zum geltenden DBA Brasilien
Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1, DBA Brasilien Art. 14 Abs. 1, DBA Brasilien Art. 3 Abs. 1 Buchstabe d
Instanzenzug: 10 K 2779/08
Gründe
1 I. Die Beteiligten streiten darüber, ob Einkünfte des Klägers und Beschwerdeführers (Klägers) der deutschen Einkommensteuer unterliegen und ob sie nach dem in den Streitjahren (1996 und 1997) geltenden Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Föderativen Republik Brasilien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom (BGBl II 1974, 2245, BStBl I 1976, 47) —DBA-Brasilien— in Deutschland besteuert werden dürfen.
2 Der Kläger war bis 1995 in Deutschland als Rechtsanwalt tätig. Im Jahr 1995 wanderte er nach Brasilien aus; in 1996 wurde seine Zulassung als Rechtsanwalt widerrufen.
3 In den Streitjahren arbeitete der Kläger für die beim Bundesgerichtshof (BGH) zugelassenen Rechtsanwälte X. Dem liegt eine Vereinbarung vom zu Grunde, in der es heißt, dass der Kläger als „wissenschaftlicher Mitarbeiter” in erster Linie Revisionsbegründungen und Revisionserwiderungen entwerfen werde. Zu diesem Zweck reiste der Kläger —jeweils auf Anforderung durch die Rechtsanwälte X— ca. 3 bis 4 Mal im Jahr für jeweils 4 bis 6 Wochen nach A (Deutschland), wo er in der Kanzlei der Rechtsanwälte Akten bearbeitete. Die zu bearbeitenden Akten wurden ihm jeweils durch einen der Rechtsanwälte zugewiesen; ebenso wurden die von ihm gefertigten Entwürfe von einem der Anwälte kontrolliert und überarbeitet. Der Kläger hielt sich in 1996 in drei Tätigkeitsabschnitten insgesamt 112 Tage, in 1997 ebenfalls in drei Abschnitten insgesamt 100 Tage in Deutschland auf. Ob er in den Streitjahren im Inland einen Wohnsitz hatte, ist dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen. Über einen festen Arbeitsplatz verfügte der Kläger in der Kanzlei X nicht.
4 Der Kläger erhielt in 1996 von den Rechtsanwälten X insgesamt Vergütungen in Höhe von . DM, in 1997 solche in Höhe von . DM. Steuererklärungen gab er nicht ab. Es ergingen daraufhin für beide Jahre auf Schätzungen beruhende Einkommensteuerbescheide. Die gegen diese Bescheide gerichteten Klagen hat das Finanzgericht (FG) abgewiesen, ohne die Revision zuzulassen.
5 Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger geltend, dass die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zuzulassen sei.
6 Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) ist der Nichtzulassungsbeschwerde entgegengetreten.
7 II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet. Die vom Kläger geltend gemachten Gründe für eine Zulassung der Revision liegen, soweit sie ordnungsgemäß dargelegt worden sind, nicht vor.
8 1. Nach § 115 Abs. 2 FGO ist die Revision u.a. dann zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1) oder wenn die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordert (Nr. 2). Wird auf einen dieser Gründe eine Nichtzulassungsbeschwerde gestützt, so muss dieser Grund in der Beschwerdebegründung dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO). Bei der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde können nur die ordnungsgemäß dargelegten Gründe inhaltlich überprüft werden.
9 2. Grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO hat eine Rechtssache dann, wenn im konkreten Einzelfall eine Rechtsfrage entscheidungserheblich ist, die im Interesse der Allgemeinheit der Klärung bedarf. Eine grundsätzliche Bedeutung fehlt in der Regel, wenn es sich um eine Frage handelt, deren Beantwortung unmittelbar aus den einschlägigen Rechtsnormen oder aus der schon vorhandenen Rechtsprechung abgeleitet werden kann. Ebenso fehlt sie typischerweise, wenn es um die Auslegung auslaufenden Rechts geht. Angesichts dessen kann im Streitfall keine der vom Kläger bezeichneten Fragen als grundsätzlich bedeutsam angesehen werden.
10 a) Das FG hat angenommen, dass der Kläger mit seinen Einkünften aus der Tätigkeit für die Rechtsanwälte X nach § 49 Abs. 1 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes in dessen für die Streitjahre geltenden Fassungen (EStG 1990/97) beschränkt steuerpflichtig (§ 1 Abs. 4 EStG 1990/97) ist. Es hat dabei jene Einkünfte als solche aus selbständiger Tätigkeit (§ 18 EStG 1990/97) beurteilt, da der Kläger eine wissenschaftliche Tätigkeit selbständig ausgeübt habe (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG 1990/97). Die Annahme des FG, dass er selbständig tätig gewesen sei, greift der Kläger nicht an. Im Zusammenhang mit der „Wissenschaftlichkeit” jener Tätigkeit weist der Streitfall keine klärungsbedürftigen Fragen auf.
11 aa) Nach der gefestigten Rechtsprechung des BFH ist eine Tätigkeit „wissenschaftlich”, wenn es um eine hochstehende und besonders qualifizierte Arbeit geht, bei der schwierige Streitfälle nach streng objektiven und sachlichen Gesichtspunkten gelöst werden sollen. Dabei ist der Begriff der Wissenschaftlichkeit in besonderem Maße mit den an den Hochschulen gelehrten Disziplinen verbunden. Wissenschaftlich tätig ist nicht nur, wer schöpferische oder forschende Arbeit leistet; vielmehr kann auch die Anwendung des aus der Forschung hervorgegangenen Wissens auf konkrete Vorgänge (angewandte Wissenschaft) „wissenschaftlich” sein (, BFHE 168, 59, BStBl II 1992, 826; vom IV R 48/99, BFHE 193, 482, BStBl II 2001, 241). Das ist allerdings wiederum —zumindest in der Regel— nur dann anzunehmen, wenn die betreffende Betätigung die Kenntnisse und die Beherrschung der Methoden einer wissenschaftlichen Disziplin voraussetzt und nur auf dieser Grundlage ausgeübt werden kann (BFH-Urteil in BFHE 193, 482, 485 f., BStBl II 2001, 241, 243, m.w.N). In diesem Sinne ist der Inhalt des Begriffs „wissenschaftlich” durch die bisherige Rechtsprechung geklärt (, BFH/NV 2000, 1460).
12 Ebenso ist geklärt, dass zwar einerseits die übliche praktische Arbeit im Rahmen eines der in § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG 1990/97 genannten Berufe („Katalogberufe”) nicht stets die Voraussetzungen einer wissenschaftlichen Tätigkeit erfüllt (, BFHE 223, 261, BStBl II 2009, 238, m.w.N.). Andererseits kann aber eine Betätigung nicht allein deshalb aus dem Bereich der wissenschaftlichen Tätigkeiten ausgeschieden werden, weil sie auch im Zusammenhang mit einem „Katalogberuf” ausgeübt werden kann und tatsächlich ausgeübt wird (, BFHE 120, 204, BStBl II 1977, 31). Vielmehr gelten insoweit die allgemeinen Grundsätze für die Beurteilung als „wissenschaftlich”.
13 bb) Im Streitfall hat das FG sich an diesen Grundsätzen orientiert. Es hat dabei nicht, wie der Kläger vorträgt, „die gesamte Revisionstätigkeit von Rechtsanwälten beim BGH per se” als „wissenschaftlich” angesehen. Vielmehr ist es anhand der ihm vorgelegten Unterlagen davon ausgegangen, dass speziell die Tätigkeit des Klägers „auf sehr hohem wissenschaftlichem Niveau” angesiedelt gewesen sei und „eine tiefe Durchdringung des Prozessstoffs sowie dessen Verarbeitung unter Anwendung der von der Jurisprudenz entwickelten Methoden” erfordert habe. Es hat dies näher dargelegt und nur in diesem Zusammenhang auf die besondere Stellung der beim BGH zugelassenen Rechtsanwälte hingewiesen. Seine Entscheidung beruht daher insoweit auf einer tatrichterlichen Würdigung der Umstände des konkreten Einzelfalles, die im Rahmen dieses Verfahrens nicht überprüft werden kann; selbst wenn sie gegen Denkgesetze oder gegen allgemeine Erfahrungssätze verstoßen würde, könnte dies nicht zur Zulassung der Revision führen. Deshalb kann der Kläger insbesondere mit seinem Hinweis, ein Rechtsanwalt müsse stets das Interesse seines Mandanten beachten und könne deshalb an die von ihm zu behandelnden Fragen nicht „objektiv” im Sinne der einschlägigen Rechtsprechung herangehen, keinen Erfolg haben.
14 b) Die Ausführungen des FG zum DBA-Brasilien führen entgegen der Annahme des Klägers ebenfalls nicht zu einer grundsätzlich bedeutsamen Rechtsfrage. Der Kläger macht insoweit geltend, das FG habe die Rechtsanwälte X als „Gesellschaft” i.S. des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 DBA-Brasilien angesehen und von diesem Ausgangspunkt aus ein ausschließliches Besteuerungsrecht Brasiliens verneint; die Rechtsanwälte X seien indessen in einer GbR zusammengeschlossen gewesen, weshalb klärungsbedürftig sei, ob eine GbR „Gesellschaft” im abkommensrechtlichen Sinne sei. Dem ist jedoch schon deshalb nicht zu folgen, weil die damit von dem Kläger angesprochene Frage nach dem klaren Abkommenwortlaut zu verneinen ist: Nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. d DBA-Brasilien bedeutet „Gesellschaft” juristische Personen oder Rechtsträger, die für die Besteuerung wie juristische Personen behandelt werden, und dazu zählt eine GbR zweifelsfrei nicht. Abgesehen davon besteht nach Art. 14 Abs. 1 DBA-Brasilien ein ausschließliches Besteuerungsrecht Brasiliens für Einkünfte aus selbständiger Arbeit auch dann nicht, wenn die Vergütung von einer nicht im Ansässigkeitsstaat, sondern im anderen Vertragsstaat belegenen Betriebsstätte getragen wird; das FA weist zu Recht darauf hin, dass das FG diese Variante der Vorschrift für anwendbar gehalten haben dürfte. Dass sich aus einer solchen Handhabung eine klärungsbedürftige Rechtsfrage ergeben könnte, hat der Kläger indessen nicht aufgezeigt.
15 Zudem ist das DBA-Brasilien am außer Kraft getreten ( BStBl I 2005, 799). Bei den in ihm enthaltenen Vorschriften handelt es sich daher um auslaufendes Recht. Mit auslaufendem Recht zusammenhängende Fragen haben in der Regel keine grundsätzliche Bedeutung (BFH-Beschlüsse vom IX B 146/08, BFH/NV 2009, 129; vom X B 34/08, BFH/NV 2009, 1141; Ruban in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 35, m.w.N.). Eine Ausnahme von dieser Regel besteht im Streitfall nicht, zumal das DBA-Brasilien im Hinblick auf die Regelung zur Besteuerung von Einkünften aus selbständiger Arbeit von anderen Abkommen abwich (vgl. dazu Krabbe in Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Art. 14 Brasilien Rz 1). Auf weitere Ausführungen dazu wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO verzichtet.
16 3. Die übrigen geltend gemachten Zulassungsgründe hat der Kläger nicht ordnungsgemäß dargelegt. Das bedarf ebenfalls keiner Begründung (§ 116 Abs. 5 Satz 2 FGO).
Fundstelle(n):
BFH/NV 2011 S. 255 Nr. 2
KÖSDI 2011 S. 17304 Nr. 2
HAAAD-58629