BFH Urteil v. - III R 4/09

Neuregelung der Kindergeldberechtigung für nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken

Leitsatz

Trotz der zu § 1 Abs. 6 BErzGG ergangenen Vorlagebeschlüsse des , B 10 EG 6/08 R und B 10 EG 7/08 R ist es verfassungsrechtlich unbedenklich, dass der Kindergeldanspruch nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer, die im Besitz bestimmter Aufenthaltstitel sind, nach § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c EStG n.F. von der Integration in den deutschen Arbeitsmarkt abhängt (Festhalten am Senatsurteil v. - III R 54/02, BStBl 2009 II S. 913).
Vergleichbar .

Gesetze: EStG § 62 Abs. 2, GG Art. 3 Abs. 1, AufenthG § 25 Abs. 5, AufenthG § 104a

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

1 I. Der aus Armenien stammende Kläger und Revisionskläger (Kläger) reiste im Jahr 2000 in die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) ein. Zunächst war er faktisch geduldet. Seit April 2006 ist er im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG). Im Mai 2006 beantragte er Kindergeld für seine beiden Kinder. Die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) lehnte den Antrag durch Bescheid vom ab, der dagegen gerichtete Einspruch hatte keinen Erfolg. Später gewährte die Familienkasse durch Bescheid vom Kindergeld für die Monate November 2006 bis Juni 2007, da der Kläger in diesem Zeitraum erwerbstätig war.

2 Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab, mit welcher der Kläger die Festsetzung von Kindergeld für die Tochter X ab Februar 2002 bis Oktober 2006 und für den Sohn Y ab Juni 2002 bis Oktober 2006 begehrte (Urteil vom 5 K 3420/06 Kg, Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 763). Es führte aus, bis einschließlich März 2006 habe der Kläger bereits deshalb keinen Anspruch auf Kindergeld, weil er erst seit April 2006 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG sei. Die vorherige Duldung sei nicht ausreichend. Im Zeitraum April 2006 bis Oktober 2006 sei der Kläger nicht erwerbstätig gewesen, so dass die Voraussetzungen nach § 62 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht erfüllt seien.

3 Zur Begründung der Revision trägt der Kläger vor, § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c i.V.m. Nr. 3 EStG sei verfassungswidrig. Die Regelung verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). Die Erwägungen, die das (BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114) angestellt habe, träfen auch auf § 62 Abs. 2 EStG zu. Die Einschätzung des Bundesfinanzhofs (BFH) in den Urteilen vom III R 93/03 (BFHE 217, 443, BStBl II 2009, 905) und vom III R 54/02 (BFHE 220, 45, BStBl II 2009, 913), wonach keine langfristige Integration geduldeter Ausländer und ihrer Familien in der Bundesrepublik beabsichtigt sei, sei unrichtig. Dies ergebe sich bereits aus § 104a AufenthG. Ausländer mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104a AufenthG erhielten Kindergeld, obgleich dieser Aufenthaltstitel der direkten Verfestigung nach § 26 Abs. 4 AufenthG nicht zugänglich sei, anders als z.B. eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG, die einen Kindergeldanspruch nur unter zusätzlichen Voraussetzungen begründe. Die Differenzierung sei willkürlich. Auch übersehe der BFH die zunehmende Bedeutung des Art. 8 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK).

4 Der Kläger beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil, den Ablehnungsbescheid vom sowie die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom aufzuheben und die Familienkasse zu verpflichten, Kindergeld für das Kind X ab Februar 2002 und für das Kind Y ab Juni 2002 bis Oktober 2006 festzusetzen.

5 Die Familienkasse beantragt, die Revision zurückzuweisen.

6 II. Die Revision ist unbegründet und wird zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Der Kläger hat für den streitigen Zeitraum keinen Anspruch auf Kindergeld.

7 1. Die Neuregelung der Kindergeldberechtigung nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer in § 62 Abs. 2 EStG ist mit Wirkung vom in Kraft getreten und erfasst gemäß § 52 Abs. 61a Satz 2 EStG alle Sachverhalte, bei denen das Kindergeld noch nicht bestandskräftig festgesetzt worden ist. Die Gesetzesänderung war eine Reaktion auf den BVerfG-Beschluss in BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114, in dem dieses § 1 Abs. 3 des Bundeskindergeldgesetzes i.d.F. des Ersten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms vom (BGBl I 1993, 2353) als insoweit unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG ansah, als die Gewährung von Kindergeld allein von der Art der ausländerrechtlichen Genehmigung nach dem Ausländergesetz 1990 abhing. Das Gesetz stellt in § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG nunmehr auf die Integration nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer in den deutschen Arbeitsmarkt ab. Damit ist der Gesetzgeber den Vorgaben des BVerfG nachgekommen, das beanstandet hatte, dass die frühere Regelung nur ausländische Eltern benachteiligte, die legal in der Bundesrepublik lebten und bereits in den Arbeitsmarkt integriert waren (s. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114, unter B. III. 4.).

8 2. Der Senat hat mit den Urteilen in BFHE 217, 443, BStBl II 2009, 905 sowie in BFHE 220, 45, BStBl II 2009, 913 entschieden, dass der Gesetzgeber bei der Neuregelung der Kindergeldberechtigung in § 62 Abs. 2 EStG im Rahmen des ihm zustehenden Gestaltungsspielraums handelte, als er die Kindergeldberechtigung von Ausländern vom Besitz bestimmter Aufenthaltstitel nach dem AufenthG abhängig machte und bei einzelnen Titeln, die einen schwächeren aufenthaltsrechtlichen Status vermitteln, darüber hinaus von einem mindestens dreijährigen rechtmäßigen, gestatteten oder geduldeten Aufenthalt im Bundesgebiet sowie von einer berechtigten Erwerbstätigkeit, vom Bezug laufender Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) oder von der Inanspruchnahme von Elternzeit (§ 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c, Nr. 3 EStG). An den Grundsätzen dieser Urteile hält der Senat fest.

9 3. An der verfassungsrechtlichen Beurteilung des § 62 Abs. 2 EStG hat sich trotz der Vorlagebeschlüsse des Bundessozialgerichts nach Art. 100 Abs. 1 GG vom B 10 EG 5/08 R, B 10 EG 6/08 R sowie B 10 EG 7/08 R (jeweils juris), die zur wortgleichen Regelung der Berechtigung von Ausländern zur Inanspruchnahme von Erziehungsgeld nach § 1 Abs. 6 des Gesetzes zum Erziehungsgeld und zur Elternzeit vom (BGBl I 2004, 206) i.d.F. des Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss vom (BGBl I 2006, 2915) ergangen sind, nichts geändert (s. Senatsurteil vom III R 1/08, BFHE 229, 262, BFH/NV 2010, 1540). Es ist von Verfassungs wegen nicht geboten, Ausländern, die den Lebensunterhalt ihrer Familien mit Hilfe von Sozialleistungen bestreiten, darüber hinaus Kindergeld zu gewähren. Auch aus Art. 8 EMRK ergibt sich kein derartiger Anspruch. Der Hinweis des Klägers darauf, dass Ausländer, die von der Übergangsregelung nach § 104a AufenthG profitieren, kindergeldberechtigt sind, begründet ebenso wenig Zweifel an der Verfas-sungskonformität des § 62 Abs. 2 EStG.

10 4. Im Streitfall war der Kläger nach den Feststellungen des FG bis März 2006 geduldet. Ausländer, deren Aufenthalt lediglich geduldet ist, haben keinen Anspruch auf Kindergeld, unabhängig von einer etwaigen Erwerbstätigkeit (Senatsurteil in BFHE 217, 443, BStBl II 2009, 905). Ab April 2006 war der Kläger im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG, die unter den Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c i.V.m. Nr. 3 EStG einen Anspruch auf Kindergeld vermittelt. Der Kläger war jedoch entgegen § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b EStG nicht erwerbstätig; Anhaltspunkte dafür, dass er laufende Geldleistungen nach dem SGB III bezog oder Elternzeit in Anspruch nahm, bestanden nach den Feststellungen des FG nicht.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
BFH/NV 2011 S. 248 Nr. 2
HAAAD-58185