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EuGH Urteil v. - C-213/09

Erhebung von Einfuhrzöllen - Einfuhr verarbeiteter Lebensmittel - KN-Unterposition 2003 10 30

Instanzenzug:

Gründe

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Gültigkeit der Verordnung (EG) Nr. 1719/2005 der Kommission vom zur Änderung des Anhangs I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. L 286, S. 1) hinsichtlich der Höhe des Zusatzbetrags, der für die Einfuhr von in die Unterposition 2003 10 30 der Kombinierten Nomenklatur in Anhang I eingereihten Waren außerhalb der Zollkontingente festgesetzt wurde.

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Chabo und dem Hauptzollamt Hamburg-Hafen wegen der Zurückweisung eines Einspruchs, mit dem die von dieser Behörde gemäß der Verordnung Nr. 1719/2005 erhobene Forderung von Zusatzbeträgen angefochten wurde.

Rechtlicher Rahmen

Nach Teil II Abschnitt IV Kapitel 20 des Anhangs I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. L 256, S. 1) in der durch die Verordnung Nr. 1719/2005 geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 2658/87) wird auf die Einfuhr von unter die Unterposition 2003 10 30 der Kombinierten Nomenklatur fallenden, vollständig gegarten und nicht nur vorläufig haltbar gemachten Pilzen der Gattung Agaricus außerhalb der Zollkontingente ein vertragsmäßiger Wertzoll von 18,4 % sowie ein Zusatzbetrag in Form eines spezifischen Zolls von 222 Euro je 100 kg Abtropfgewicht erhoben.

In Teil III Abschnitt III Anhang 7 ihres Anhangs I sieht die Verordnung Nr. 2658/87 gemeinschaftliche Zollkontingente für Pilze der Gattung Agaricus im Umfang von 62 660 t Abtropfgewicht vor, innerhalb deren die Einfuhr von Pilzen der Unterposition 2003 10 30 der Kombinierten Nomenklatur nur der Erhebung eines Wertzolls von 23 % unterliegt. Diese Kontingente sind zwischen den Lieferländern so aufgeteilt, dass für andere Länder als die Republik Polen eine Menge von 28 780 t Abtropfgewicht festgelegt ist.

Die Verordnung (EG) Nr. 1864/2004 der Kommission vom 26. Oktober 2004 zur Eröffnung und Verwaltung von Zollkontingenten für aus Drittländern eingeführte Pilzkonserven (ABl. L 325, S. 30) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1995/2005 der Kommission vom (ABl. L 320, S. 34) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1864/2004) führt für Konserven von Pilzen der Gattung Agaricus gemeinschaftliche Zollkontingente ein, innerhalb deren die Einfuhr von Pilzkonserven der Unterposition 2003 10 30 der Kombinierten Nomenklatur grundsätzlich nur der Erhebung eines Wertzolls von 23 % unterliegt. Anhang I der Verordnung Nr. 1864/2004 ist zu entnehmen, dass diese Kontingente ab dem einer Gesamtmenge von 30 702,5 t Abtropfgewicht entsprechen, wovon 23 750 t der Volksrepublik China zugeteilt sind.

Die Erhebung der genannten Zölle und die Eröffnung der genannten Kontingente stellen eine Umsetzung der von der Europäischen Union in Bezug auf die Einfuhr der betreffenden Waren eingegangenen internationalen Verpflichtungen in das Unionsrecht dar. Diese Verpflichtungen wurden ausdrücklich in die EG-Liste CXL der Zugeständnisse und Verpflichtungen übernommen, die Bestandteil des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens 1994 (im Folgenden: GATT 1994) in Anhang 1A des Übereinkommens zur Errichtung der Welthandelsorganisation (WTO) ist, das am in Marrakesch unterzeichnet und durch den Beschluss 94/800/EG des Rates vom über den Abschluss der Übereinkünfte im Rahmen der multilateralen Verhandlungen der Uruguay-Runde (1986-1994) im Namen der Europäischen Gemeinschaft in Bezug auf die in ihre Zuständigkeiten fallenden Bereiche (ABl. L 336, S. 1) genehmigt wurde.

Art. 4 ("Marktzugang") des ebenfalls im genannten Anhang 1A enthaltenen Übereinkommens über die Landwirtschaft (ABl. 1994, L 336, S. 22) bestimmt:

"1. Marktzugangszugeständnisse, die in den Listen enthalten sind, betreffen Bindungen und Senkungen von Zöllen sowie andere in den Listen angegebene Marktzugangsverpflichtungen.

2. Kein Mitglied behält Maßnahmen ... bei noch führt es solche ein oder wieder ein, die in Zölle im eigentlichen Sinn umgewandelt werden müssen, sofern nicht in Artikel 5 und Anhang 5 etwas Gegenteiliges bestimmt ist."

Fn. 1 zu Art. 4 Abs. 2 lautet:

"Diese Maßnahmen schließen mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen, bewegliche Einfuhrabschöpfungen, Mindesteinfuhrpreise, nichtautomatische Einfuhrlizenzerteilung, nichttarifäre Maßnahmen staatlicher Handelsunternehmen, freiwillige Ausfuhrbeschränkungen und ähnliche Grenzmaßnahmen ein, die keine Zölle im eigentlichen Sinne darstellen, auch wenn solche Maßnahmen aufgrund von länderspezifischen Abweichungen von den Bestimmungen [des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens von 1947] beibehalten werden, nicht dagegen Maßnahmen, die aufgrund von Zahlungsbilanzbestimmungen und anderen allgemeinen, nicht landwirtschaftsspezifischen Bestimmungen des GATT 1994 oder der anderen Multilateralen Handelsübereinkünfte in Anhang 1A [des Übereinkommens zur Errichtung der WTO] beibehalten werden."

Nach Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 980/2005 des Rates vom über ein Schema allgemeiner Zollpräferenzen (ABl. L 169, S. 1) wird der außerhalb der Zollkontingente anzuwendende Wertzollsatz von 18,4 % auf die Einfuhr von unter die Unterposition 2003 10 30 der Kombinierten Nomenklatur in Anhang I der Verordnung Nr. 2658/87 fallenden Pilzen mit Ursprung in der Volksrepublik China auf 14,9 % herabgesetzt. Gemäß Art. 7 Abs. 5 wird indessen der gegebenenfalls bei einer solchen Einfuhr zu erhebende Zusatzbetrag von 222 Euro je 100 kg Abtropfgewicht nicht herabgesetzt.

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

Am beantragte Herr Chabo die Abfertigung von 1 000 Kartons außerhalb der Zollkontingente aus der Volksrepublik China eingeführter Pilzkonserven zum freien Verkehr. Nach Anmeldung der Waren unter der Unterposition 2003 90 00 der Kombinierten Nomenklatur in Anhang I der Verordnung Nr. 2658/87 wurden sie unter ausschließlicher Anwendung eines Präferenzzollsatzes von 14,9 % gemäß diesem Anhang in Verbindung mit Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 980/2005 abgefertigt.

Infolge eines Einreihungsgutachtens wurde festgestellt, dass die Konserven in Wahrheit der Unterposition 2003 10 30 der Kombinierten Nomenklatur zuzuordnen seien. Das Hauptzollamt Hamburg-Hafen erhob daraufhin unter Anwendung eines Präferenzzollsatzes von 14,9 %, ergänzt um einen Zusatzbetrag von 222 Euro je 100 kg Abtropfgewicht, gemäß Anhang I der Verordnung Nr. 2658/87 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 2 und 5 der Verordnung Nr. 980/2005 mit Einfuhrabgabenbescheid vom Einfuhrabgaben in Höhe von insgesamt 27 507,13 Euro nach.

Gegen diesen Bescheid legte Herr Chabo am Einspruch ein, der mit Einspruchsentscheidung vom 7. Dezember 2007 zurückgewiesen wurde.

Am erhob Herr Chabo beim Finanzgericht Hamburg Klage auf Aufhebung dieser Entscheidung. Seiner Ansicht nach ist die in der Einspruchsentscheidung bezeichnete Einfuhrabgabenerhebung schon deshalb rechtswidrig, weil der Einfuhrzoll in der geltend gemachten Höhe einem Einfuhrverbot gleichkomme. Das Hauptzollamt Hamburg-Hafen trägt vor, der Zollbetrag stütze sich auf den Gemeinsamen Zolltarif für Waren der Unterposition 2003 10 30 der Kombinierten Nomenklatur in Anhang I der Verordnung Nr. 2658/87. Es handle sich um den regulären Zoll, der keinem Einfuhrverbot gleichkomme, sondern vielmehr einen legitimen Schutzzoll darstelle.

Das Finanzgericht Hamburg stellte insoweit zunächst fest, dass die betreffenden Pilzkonserven der Unterposition 2003 10 30 der Kombinierten Nomenklatur zuzuordnen seien, da es sich in der Tat um vollständig gegarte und nicht nur vorläufig haltbar gemachte Pilze der Gattung Agaricus handle.

Unter Bezugnahme auf die Urteile vom , Wünsche (C-26/90, Slg. 1991, I-4961), und vom 4. Juli 1996, Pietsch (C-296/94, Slg. 1996, I-3409), in denen der Gerichtshof entschieden habe, dass die Höhe des gemäß der Regelung über die gemeinsame Marktorganisation für Verarbeitungserzeugnisse aus Obst und Gemüse auf die Einfuhr von Zuchtpilzkonserven und Champignonkonserven zum damaligen Zeitpunkt anzuwendenden Zusatzbetrags gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoße, äußerte das Finanzgericht Hamburg sodann Zweifel an der Gültigkeit des Betrags von 222 Euro je 100 kg Abtropfgewicht, der für die Einfuhr von in die Unterposition 2003 10 30 der Kombinierten Nomenklatur in Anhang I der Verordnung Nr. 2658/87 eingereihten Waren außerhalb der Zollkontingente festgesetzt wurde.

Da das Finanzgericht Hamburg schließlich der Auffassung ist, dass die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits davon abhänge, ob der Präferenzzollsatz von 14,9 % zuzüglich 222 Euro je 100 kg Abtropfgewicht gültig sei und daher im Ausgangsverfahren angewandt werden könne, hat es das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist der sich aus dem Drittlands- und dem Präferenzzollsatz ergebende Zusatzbetrag von 222 Euro/100 kg Nettowarengewicht, der für Einfuhren von haltbar gemachten Pilzen der Gattung Agaricus (KN-Position 2003 10 30) erhoben wird, wegen eines Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nichtig?

Zur Vorlagefrage

Das vorlegende Gericht möchte mit seiner Frage wissen, ob der nach der Verordnung Nr. 1719/2005 anzuwendende spezifische Zoll von 222 Euro je 100 kg Abtropfgewicht, der auf Einfuhren von unter die Unterposition 2003 10 30 der Kombinierten Nomenklatur fallenden Konserven von Pilzen der Gattung Agaricus außerhalb des durch die Verordnung Nr. 1864/2004 eröffneten Kontingents erhoben wird, im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gültig ist.

Was die gerichtliche Nachprüfbarkeit der Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit angeht, ist - da der Unionsgesetzgeber in Bereichen wie den hier betroffenen, die von ihm politische, wirtschaftliche und soziale Entscheidungen verlangen und in denen er komplexe Prüfungen durchführen muss, über ein weites Ermessen verfügt - eine in diesen Bereichen erlassene Maßnahme nur dann rechtswidrig, wenn sie im Hinblick auf die Ziele, die die zuständigen Organe verfolgen, offensichtlich unverhältnismäßig ist (vgl. Urteile vom 6. Dezember 2005, ABNA u. a., C-453/03, C-11/04, C-12/04 und C-194/04, Slg. 2005, I-10423, Randnr. 69, sowie vom , Agrarproduktion Staebelow, C-504/04, Slg. 2006, I-679, Randnr. 36).

Zunächst sind daher die Ziele zu ermitteln, die mit der fraglichen Regelung verfolgt werden, und anschließend ist zu prüfen, ob der Betrag des im Ausgangsverfahren streitigen spezifischen Zolls zur Erreichung dieser Ziele nicht offensichtlich unverhältnismäßig ist.

Vorab ist festzustellen, dass die fragliche Regelung aus mehreren voneinander unabhängigen Rechtsinstrumenten besteht, die ein Gesamtsystem bilden, das auf die Einfuhr von unter die Unterposition 2003 10 30 der Kombinierten Nomenklatur fallenden Konserven von Pilzen der Gattung Agaricus anwendbar ist. Der Betrag des im Ausgangsverfahren streitigen spezifischen Zolls ist daher nur ein Teil dieses Systems und kann nicht von diesem losgelöst werden.

Dieses System stellt sich als Ergebnis des Zusammenwirkens zwischen einerseits Anhang I der Verordnung Nr. 2658/87 sowie der Verordnung Nr. 980/2005, mit denen der Gemeinsame Zolltarif und das Schema allgemeiner Zollpräferenzen eingeführt wurden, und andererseits der Verordnung Nr. 1864/2004 zur Regelung des Zollkontingents dar. Die vertragsmäßigen und die spezifischen Zölle, wie sie sich aus der Anwendung von Art. 7 Abs. 2 und 5 der Verordnung Nr. 980/2005 ergeben, werden gemäß Anhang I nur dann auf Einfuhren von Konserven erhoben, wenn diese außerhalb des durch die Verordnung Nr. 1864/2004 eröffneten Zollkontingents erfolgen.

Insbesondere fallen zum einen Anhang I der Verordnung Nr. 2658/87 und die Verordnung Nr. 980/2005, wie u. a. aus der Rechtsgrundlage hervorgeht, auf der sie beruhen, in den Bereich der gemeinsamen Handelspolitik der Union und verfolgen damit spezifische Ziele dieses Bereichs.

So handelt es sich bei dem im genannten Anhang aufgeführten Betrag des im Ausgangsverfahren streitigen spezifischen Zolls um die genaue Umsetzung von im Rahmen der WTO eingegangenen internationalen Verpflichtungen der Union in das Unionsrecht. Dieser Betrag entspricht nämlich dem zulässigen Höchstbetrag, den die Union in die Liste der Zugeständnisse und Verpflichtungen in der Anlage zum GATT 1994 aufgenommen hat. Diese Liste entspricht überdies dem mit dem Übereinkommen über die Landwirtschaft verfolgten Ziel, den Zugang zu den Agrarmärkten der WTO-Mitglieder zu verbessern, und insbesondere dem mit Art. 4 dieses Übereinkommens angestrebten Ziel, diesen Zugang mittels einer Zollfestsetzung transparenter und vorhersehbarer zu regeln, indem verlangt wird, dass alle nunmehr verbotenen nichttarifären Handelsmaßnahmen an der Grenze im Agrarbereich in gebundene Zölle umgewandelt werden.

Zum anderen fällt auch die Verordnung Nr. 1864/2004 zur Eröffnung von Zollkontingenten für aus Drittländern eingeführte Pilzkonserven, wie ebenfalls aus der Rechtsgrundlage hervorgeht, auf der sie beruht, in den Bereich der gemeinsamen Agrarpolitik und verfolgt damit spezifische Ziele dieses Bereichs, die mit der Organisation des betreffenden gemeinsamen Marktes zusammenhängen. Diese Verordnung soll, wie vor allem aus ihrem zehnten Erwägungsgrund hervorgeht, auf dem Unionsmarkt ein angemessenes Angebot an den betreffenden Erzeugnissen zu stabilen Preisen sicherstellen, während gleichzeitig Marktstörungen durch bedeutende Preisschwankungen und nachteilige Auswirkungen auf die Unionserzeuger, die durch übermäßige Einfuhren der genannten Erzeugnisse aus Drittländern entstanden sind oder entstehen könnten, auf ein Mindestmaß beschränkt werden.

Außerdem entspricht die Verordnung Nr. 1864/2004 auch den Zielen der gemeinsamen Handelspolitik, da sie, wie aus ihrem ersten Erwägungsgrund hervorgeht, die von der Union nach Maßgabe des Übereinkommens über die Landwirtschaft eingegangenen und in die EG-Liste CXL der Zugeständnisse und Verpflichtungen übernommenen internationalen Verpflichtungen, unter bestimmten Voraussetzungen ab dem gemeinschaftliche Zollkontingente für unter die Unterposition 2003 10 30 der Kombinierten Nomenklatur fallende Konserven von Pilzen der Gattung Agaricus zu eröffnen, in das Unionsrecht umsetzt. Diesen Verpflichtungen wird im Übrigen in Teil III Abschnitt III Anhang 7 des Anhangs I der Verordnung Nr. 2658/87 Rechnung getragen.

Wie aus dem neunten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1864/2004 hervorgeht, dient diese darüber hinaus dem Erlass geeigneter Bestimmungen, um sicherzustellen, dass der im Gemeinsamen Zolltarif festgesetzte volle Zollsatz auf die über die Zollkontingente hinausgehenden Mengen erhoben wird. Daraus folgt, dass mit dem Betrag des im Ausgangsverfahren streitigen spezifischen Zolls, der für Einfuhren von Konserven aus Drittländern außerhalb der durch diese Verordnung genehmigten Mengen gilt, seinerseits Ziele der gemeinsamen Agrarpolitik verfolgt werden, die darin bestehen, von diesen Einfuhren wirtschaftlich abzuschrecken und damit unnötige Marktstörungen infolge übermäßiger Einfuhren der genannten Konserven auf ein Mindestmaß zu beschränken.

Mit dem vorgenannten Gesamtsystem und damit dem Betrag des im Ausgangsverfahren streitigen spezifischen Zolls werden demnach sowohl Ziele der gemeinsamen Handelspolitik als auch Ziele der gemeinsamen Agrarpolitik verfolgt.

Vor diesem Hintergrund ist festzustellen, dass die Rechtsprechung des Gerichtshofs in den Urteilen Wünsche und Pietsch, auf die sich das vorlegende Gericht in seinem Vorabentscheidungsersuchen bezieht, ausschließlich Schutzmaßnahmen betrifft, die die Union damals autonom nach der Regelung über die gemeinsame Marktorganisation für Verarbeitungserzeugnisse aus Obst und Gemüse getroffen hat, die zum Bereich der gemeinsamen Agrarpolitik gehört. Diese Rechtssachen betrafen Maßnahmen, die die Europäische Kommission aus zahlreichen tarifären und nichttarifären Maßnahmen ausgewählt hatte, mit denen das verfolgte Ziel der gemeinsamen Agrarpolitik erreicht werden konnte.

Die Auferlegung eines Zolls wie desjenigen, um dessen Höhe es in der Frage des vorlegenden Gerichts nach der Gültigkeit geht, ist dagegen die einzige Maßnahme, die die Unionsorgane im Einklang mit den internationalen Verpflichtungen, die die Union im Rahmen der WTO eingegangen ist, im Hinblick auf die Einfuhren der betroffenen Erzeugnisse ergreifen konnten. Nach Art. 4 des Übereinkommens über die Landwirtschaft sind nämlich sämtliche nichttarifären Handelshemmnisse im Agrarbereich abzuschaffen und in Zölle umzuwandeln, wobei die Höchstsätze für diese Zölle in den Verpflichtungslisten der WTO-Mitglieder festgesetzt worden sind.

Die angeführte Rechtsprechung berücksichtigt in keiner Weise die auf die gemeinsame Handelspolitik bezogenen Ziele der im Ausgangsverfahren fraglichen Verordnung, die darauf zurückzuführen ist, dass durch die von der Union im Rahmen der multilateralen Verhandlungen der Uruguay-Runde eingegangenen internationalen Verpflichtungen eine Lage entstanden ist, in der als einzige Maßnahme, um den Gemeinsamen Markt in diesem Bereich gegenüber Einfuhren aus Drittländern zu schützen, der Gemeinsame Zolltarif zur Verfügung steht. Diese Rechtsprechung kann daher angesichts des rechtlichen Rahmens des Ausgangsverfahrens für die Prüfung der vorliegenden Gültigkeitsfrage nicht relevant sein.

Zur Beurteilung der Gültigkeit des Betrags des im Ausgangsverfahren streitigen spezifischen Zolls ist im vorliegenden Fall zu prüfen, ob dieser eine Maßnahme darstellt, die zur Erreichung der Ziele der fraglichen Regelung offensichtlich unverhältnismäßig ist.

Angesichts der Komplexität der im Rahmen der WTO-Verhandlungen erfolgten Vorabbestimmung, ab welcher Höhe des spezifischen Zolls die fraglichen Einfuhren wirtschaftlich unrentabel werden, lässt sich nicht sagen, dass die betreffenden Unionsorgane die Grenzen ihres weiten Ermessens auf diesem Gebiet dadurch überschritten haben, dass sie den Höchstzoll der Union auf 222 Euro je 100 kg Abtropfgewicht festlegten. Dieser Betrag kann daher nicht als offensichtlich unverhältnismäßig angesehen werden.

Ebenso wenig kann angesichts des rechtlichen Rahmens des Ausgangsverfahrens daraus, dass Einfuhren außerhalb der Tarifkontingente durch den Betrag des im Ausgangsverfahren streitigen spezifischen Zolls angeblich jede Aussicht auf wirtschaftliche Rentabilität genommen wird, geschlossen werden, dass dieser Betrag im Hinblick auf die Zielsetzungen offensichtlich unverhältnismäßig ist.

Was nämlich das Vorbringen des Klägers des Ausgangsverfahrens anbelangt, wonach die Höhe des im Ausgangsverfahren streitigen spezifischen Zolls den Verkauf von Pilzen aus der Volksrepublik China in der Union im Hinblick auf ihre Erzeugungskosten verhindere, ist festzustellen, dass es nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz gemäß Art. 1 des GATT 1994 nicht zulässig ist, den spezifischen Zoll gegenüber den einzelnen Mitgliedern der WTO in jeweils unterschiedlicher Höhe festzusetzen. Das auf die Erzeugungskosten von Pilzen aus einem einzigen Mitgliedstaat der WTO, im vorliegenden Fall der Volksrepublik China, gestützte Vorbringen kann daher nicht belegen, dass der Unionsgesetzgeber seinen weiten Ermessensspielraum durch Festsetzung des spezifischen Zolls auf einen Betrag von 222 Euro je 100 kg Abtropfgewicht, der für Einfuhren außerhalb der Zollkontingente aus allen Mitgliedstaaten der WTO gilt, überschritten hat.

Nach alledem hat die Prüfung der Vorlagefrage nichts ergeben, was die Gültigkeit des nach der Verordnung Nr. 1719/2005 anzuwendenden spezifischen Zolls von 222 Euro je 100 kg Abtropfgewicht beeinträchtigen könnte, der auf Einfuhren von unter die Unterposition 2003 10 30 der Kombinierten Nomenklatur fallenden Konserven von Pilzen der Gattung Agaricus außerhalb des durch die Verordnung Nr. 1864/2004 eröffneten Kontingents erhoben wird.

Kosten

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

Die Prüfung der Vorlagefrage hat nichts ergeben, was die Gültigkeit des nach der Verordnung (EG) Nr. 1719/2005 der Kommission vom 27. Oktober 2005 zur Änderung des Anhangs I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif anzuwendenden spezifischen Zolls von 222 Euro je 100 kg Abtropfgewicht beeinträchtigen könnte, der auf Einfuhren von unter die Unterposition 2003 10 30 der Kombinierten Nomenklatur in dem genannten Anhang fallenden Konserven von Pilzen der Gattung Agaricus außerhalb des durch die Verordnung (EG) Nr. 1864/2004 der Kommission vom zur Eröffnung und Verwaltung von Zollkontingenten für aus Drittländern eingeführte Pilzkonserven in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1995/2005 der Kommission vom geänderten Fassung eröffneten Kontingents erhoben wird.

Fundstelle(n):
VAAAD-58043