Leitsatz
Leitsatz:
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Instanzenzug: OVG Nordrhein-Westfalen, OVG 14 A 1552/07 vom Veröffentlichungen: Amtliche Sammlung: nein; Fachpresse: nein
Gründe
Die auf alle Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde kann keinen Erfolg haben.
1. Die Beschwerde macht geltend, der die angegriffene Entscheidung selbständig tragende Rechtssatz des Oberverwaltungsgerichts, dass es im Ermessen der Behörde stehe, ob sie von dem ihr grundsätzlich zustehenden Recht der reformatio in peius Gebrauch mache, stehe in Widerspruch zum Rechtssatz des BVerwG 8 C 14.01 - (BVerwGE 115, 259 <265>), nach dem sich die Zulässigkeit der reformatio in peius im Widerspruchsverfahren nicht bereits aus der Verwaltungsgerichtsordnung ergibt, sondern nach Maßgabe des jeweils anzuwendenden materiellen Bundes- oder Landesrechts zu beurteilen ist. Damit ist eine Divergenz nicht hinreichend dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Denn das Oberverwaltungsgericht geht nicht davon aus, dass sich die Zulässigkeit der Verböserung im Widerspruchsverfahren bereits aus der Verwaltungsgerichtsordnung herleiten lässt. Diese wird vielmehr ohne weitere Ausführungen unterstellt und ausgehend davon die Auffassung vertreten, dass die Ausübung eines solchen Rechtes zur Verböserung im Widerspruchsverfahren im Ermessen der Behörde stehe. Zu dieser Frage lässt sich dem von der Beschwerde genannten Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts nichts entnehmen. Soweit die Beschwerde meint, aus dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung folge eine Pflicht zur Verböserung im Widerspruchsverfahren, wendet sie sich lediglich gegen die abweichende Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts, ohne eine darauf bezogene Divergenz aufzuzeigen. Davon abgesehen legt die Beschwerde auch nicht nachvollziehbar dar, weshalb gerade der Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung gebieten sollte, die Steuer bei einer geänderten rechtlichen Bewertung nur gegenüber denjenigen Steuerpflichtigen anzuheben, die ihren Steuerbescheid angefochten haben.
2. Die weiteren Divergenzrügen sowie die Grundsatzrüge rechtfertigen mangels Entscheidungserheblichkeit nicht die Zulassung der Revision. Sie richten sich gegen die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, dass die reformatio in peius im Widerspruchsverfahren vorliegend unzulässig sei; sie verstoße gegen das verfassungsrechtlich geschützte Vertrauen, weil sie nicht durch unrichtige Angaben der Klägerin veranlasst worden sei, sondern auf einer veränderten rechtlichen Bewertung des Beklagten beruhe und weil die Klägerin die nachträglich erhöhte Vergnügungssteuer nicht auf die Spieler abwälzen könne. Das Oberverwaltungsgericht hat den angegriffenen Beschluss jedoch unabhängig davon auch auf die Annahme gestützt, dass der Beklagte im Falle der Zulässigkeit der reformatio in peius sein dann eröffnetes Ermessen nicht ausgeübt habe. Diese Annahme greift die Beschwerde - wie dargelegt - ohne Erfolg an. Bei einer mehrfachen, die Entscheidung jeweils selbständig tragenden Begründung bedarf es zur Zulässigkeit der Beschwerde in Bezug auf jede dieser Begründungen eines geltend gemachten und vorliegenden Zulassungsgrundes ( BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 15).
3. Die Verfahrensrüge greift nicht durch.
Die Beschwerde macht als Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) geltend, das Oberverwaltungsgericht habe den Beklagten nicht ordnungsgemäß zu einer Entscheidung durch Beschluss gemäß § 130a VwGO angehört, weil er zu den vom Oberverwaltungsgericht für durchgreifend erachteten Gründen mangels Kenntnis sachlich nicht habe Stellung nehmen können.
Mit diesem Vortrag ist ein für den angefochtenen Beschluss erheblicher Verfahrensmangel nicht hinreichend dargetan (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Die Beschwerde verkennt den Umfang der Anhörungsverpflichtung nach § 130a Satz 2 i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO. § 130a VwGO ermöglicht unter den dort genannten Voraussetzungen eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung. Deshalb muss die Anhörung erkennen lassen, dass ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entschieden werden soll und ob das Gericht die Berufung für begründet oder unbegründet hält ( BVerwG 9 C 39.99 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 49 S. 34). Gleichzeitig muss darauf hingewiesen werden, dass sich die Beteiligten zu dem beabsichtigten Verfahren äußern können (vgl. BVerwG 4 C 6.81 - Buchholz 312 EntlG Nr. 21 S. 6). Die - vor der Schlussberatung nur vorläufigen - Gründe für die in Betracht gezogene Sachentscheidung müssen jedoch in der Anhörungsmitteilung nicht angegeben werden ( BVerwG 9 B 1387.82 - Buchholz 312 EntlG Nr. 34). Das Oberverwaltungsgericht musste dem Beklagten deshalb nicht mitteilen, dass die Berufungsentscheidung sich nicht auf die Gründe des Zulassungsbeschlusses beschränken würde. Eine Verpflichtung zur weitergehenden Gewährung rechtlichen Gehörs besteht allerdings ausnahmsweise dann, wenn das Gericht bei seiner Entscheidung auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellen will, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf - selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen - nicht zu rechnen brauchte (vgl. - BVerfGE 86, 133 <144 f.>; BVerwG 9 BN 2.04 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 167 S. 143). So liegen die Dinge hier jedoch nicht. Denn nach § 128 VwGO prüft das Oberverwaltungsgericht im Berufungsverfahren den Streitfall innerhalb des Berufungsantrags im gleichen Umfang wie das Verwaltungsgericht. Mit der Frage der Zulässigkeit der rückwirkenden Einstufung der Apparate als Geldspielgeräte unter dem Aspekt der reformatio in peius hat sich bereits das Verwaltungsgericht in seinem Urteil vom auseinander gesetzt (UA S. 10 f.). Schließlich war dem Beklagten nach den Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts der Beschluss vom - 14 B 2661/06 - bekannt, in dem die Schutzwürdigkeit des Vertrauens darauf, dass die "Fun Games"-Spielgeräte nicht rückwirkend als Geldspielgeräte besteuert werden, problematisiert worden war. Selbst wenn die Rechtslage umstritten oder problematisch ist, muss ein Verfahrensbeteiligter von sich aus grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte in Betracht ziehen und seinen Vortrag darauf einstellen ( a.a.O. S. 145). Das gilt hier auch für die Frage, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen es im Ermessen der Behörde steht, von einem ihr zustehenden Recht zur Verböserung im Widerspruchsverfahren Gebrauch zu machen.
Der Beklagte rügt darüber hinaus, das Oberverwaltungsgericht habe offenbar weder seinen Hinweis auf das klägerische Schreiben an den Beklagten vom noch den Hinweis auf eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts zur Vertrauensschutzproblematik zur Kenntnis genommen, weil es sich in den Gründen des angefochtenen Beschlusses nicht mit seinen entsprechenden Einwänden auseinander gesetzt habe. Auch insoweit ist ein Gehörsverstoß nicht hinreichend dargelegt. Gerichte müssen nicht jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich bescheiden ( - [...] Rn. 11, insoweit in NVwZ 2008, 780 nicht abgedruckt; BVerwG 8 C 37.01 - Buchholz 428 § 1 Abs. 3 VermG Nr. 35 S. 109; stRspr). Das gilt erst recht für den Beschluss, mit dem die Berufung zugelassen wird (vgl. § 124a Abs. 5 Satz 3 VwGO). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat (vgl. - BVerfGE 47, 182 <189>). Ein Gehörsverstoß kommt deshalb nur in Betracht, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich ergeben, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist. Dafür besteht kein Anhaltspunkt, zumal das Oberverwaltungsgericht eine reformatio in peius im Widerspruchsverfahren grundsätzlich für zulässig gehalten, jedoch im vorliegenden Fall im Hinblick auf die fehlende Möglichkeit der kalkulatorischen Abwälzung für die Vergangenheit verneint hat.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 52 Abs. 3, § 47 Abs. 1 und 3 GKG.
Fundstelle(n):
RAAAD-56125