BGH Urteil v. - I ZR 90/08

Wettbewerbsverstoß durch Inverkehrbringen eines nicht zugelassenen Arzneimittels: Eigenschaft eines Produkts als Funktionsarzneimittel: Voraussetzungen der pharmakologischen Wirkung eines Stoffes - Mundspüllösung

Leitsatz

Mundspüllösung

Eine für die Bejahung einer pharmakologischen Wirkung eines Stoffes erforderliche Wechselwirkung zwischen seinen Molekülen und Körperzellen liegt auch dann vor, wenn die Moleküle eine ohne sie gegebene Einwirkung anderer Stoffe auf die Körperzellen verhindern .

Gesetze: § 3 UWG, § 4 Nr 11 UWG, § 2 Abs 1 Nr 2 Buchst a AMG, § 2 Abs 3 Nr 2 AMG, § 2 Abs 5 S 1 LFGB

Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 6 U 109/07 Urteilvorgehend LG Frankfurt Az: 2/6 O 554/06 Urteilnachgehend OLG Frankfurt Az: 6 U 109/07 EuGH-Vorlagenachgehend Az: C-308/11 Urteilnachgehend OLG Frankfurt Az: 6 U 109/07 Urteilnachgehend Az: I ZR 141/13 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien stehen beim Vertrieb von Mundspüllösungen, die Chlorhexidin enthalten, miteinander in Wettbewerb. Die Beklagte vertreibt ihre Lösung "P. 0,12%", die Chlorhexidin in einer Konzentration von 0,12% enthält, als kosmetisches Mittel in der im nachstehend wiedergegebenen Klageantrag abgebildeten Verpackung. Auf ihr befinden sich die Angaben

Reduziert bakteriellen Zahnbelag

und hemmt dessen Neubildung

Schützt das Zahnfleisch und trägt zur

Erhaltung der Mundgesundheit bei

sowie

pflegt und reinigt auch bei entzündetem oder gereiztem Zahnfleisch

und zur Anwendung des Mittels der Hinweis, dass mit der Lösung zweimal täglich nach dem Zähneputzen 30 Sekunden lang gespült werden sollte.

2Nach Ansicht der Klägerin, die eine als Arzneimittel zugelassene Mundspüllösung in den Verkehr bringt, ist die von der Beklagten vertriebene Mundspüllösung ein nicht zugelassenes Arzneimittel, weil sie pharmakologisch wirke und sich aufgrund ihrer Verpackung und der dieser beigefügten - ebenfalls im nachstehend wiedergegebenen Klageantrag abgebildeten - Produktinformationen für den Durchschnittsverbraucher zudem als Arzneimittel darstelle. Die Klägerin hat daher beantragt,

die Beklagte unter Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel zu verurteilen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken

für das Mittel "P. 0,12%" in Flaschen und/oder Faltschachteln und/oder Gebrauchsinformationen - wie nachstehend wiedergegeben - zu werben und/oder dieses Mittel zu vertreiben, solange es nicht als Arzneimittel zugelassen ist:

3Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben (OLG Frankfurt a.M. PharmR 2008, 550). Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter.

Gründe

4I. Das Berufungsgericht hat die auf §§ 3, 4 Nr. 11 UWG i.V. mit §§ 2, 21 AMG gestützte Klage für unbegründet erachtet, weil die Mundspüllösung der Beklagten weder ein Funktionsarzneimittel noch ein Bestimmungsarzneimittel im Sinne des richtlinienkonform auszulegenden § 2 Abs. 1 AMG (a.F.) sei.

5Die Klägerin habe nicht dargetan, dass das Chlorhexidin in der Mundspüllösung der Beklagten geeignet sei, die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung zu beeinflussen. Zwar könne Chlorhexidin nach dem Klagevortrag die Bildung bakterieller Zahnbeläge unterdrücken und damit Gingivitis - eine akute oder chronische Erkrankung des Zahnfleischs - verhüten oder lindern. Auch könne Chlorhexidin auf diese Weise die menschlichen physiologischen Funktionen beeinflussen. Es entfalte dabei aber keine immunologische Wirkung und entgegen dem Klagevortrag auch keine metabolische oder pharmakologische Wirkung. An einer metabolischen Wirkung, die eine Verstoffwechslung des Produkts oder des darin enthaltenen Stoffes und eine dadurch herbeigeführte bestimmungsgemäße krankheitslindernde Wirkung voraussetze, fehle es, weil Chlorhexidin unstreitig lediglich an den Zähnen und den Mundschleimhäuten anhafte, nicht dagegen von den menschlichen Zellen resorbiert werde. Eine pharmakologische Wirkung setze Wechselwirkungen zwischen den Molekülen der in Frage stehenden Substanz und einem zellulären Bestandteil voraus. Die Klägerin habe lediglich vorgetragen, dass das Mittel der Beklagten die Bildung bakterieller Zahnbeläge vollständig unterdrücke und daher Gingivitis verhüte oder lindere, nicht aber behauptet, dass dies auf einer Wechselwirkung mit zellulären Bestandteilen des Anwenders beruhe.

6Die Mundspüllösung der Beklagten sei auch kein Bestimmungsarzneimittel im Sinne von Art. 1 Nr. 2 lit. a der Richtlinie 2001/83/EG in der Fassung der Richtlinie 2004/27/EG. Seine Aufmachung enthalte keine Hinweise, aus denen der Verbraucher auf ein Arzneimittel schließen müsse. Sie weise auf ein Mittel hin, das dazu bestimmt sei, in der Mundhöhle des Menschen zur Reinigung und zum Schutz oder zur Erhaltung eines guten Zustandes angewendet zu werden. Damit erfülle die Mundspüllösung der Beklagten die Voraussetzungen für ein kosmetisches Mittel. Da kein Zweifelsfall vorliege, führe auch die Regelung in Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2004/27/EG zu keinem anderen Ergebnis.

7II. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat zwar ohne Rechtsfehler angenommen, dass die beanstandete Mundspüllösung der Beklagten kein Bestimmungsarzneimittel nach Art. 1 Nr. 2 lit. a der Richtlinie 2001/83/EG, § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG ist (unten II 1). Auf der Grundlage der von ihm bislang getroffenen Feststellungen kann jedoch zumindest eine pharmakologische Wirkung dieses Produkts und damit auch dessen Eigenschaft als Funktionsarzneimittel i.S. von Art. 1 Nr. 2 lit. b der Richtlinie 2001/83/EG, § 2 Abs. 1 Nr. 2 lit. a AMG nicht verneint werden (unten II 2). Da sich das Berufungsurteil auch nicht im Ergebnis als zutreffend erweist, ist es aufzuheben. Die Sache, deren abschließende Entscheidung weitergehende Feststellungen erfordert, die im Revisionsverfahren nicht getroffen werden können, ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen (unten II 3).

81. Das Berufungsgericht ist ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass es sich bei dem Präparat der Beklagten nicht um ein Bestimmungsarzneimittel handelt.

9Das Berufungsgericht hat diese Frage mit Blick auf die Aufmachung der Mundspüllösung der Beklagten mit der Begründung verneint: Dem Verbraucher werde der Eindruck vermittelt, dass es sich um ein Mittel handele, das dazu bestimmt sei, in der Mundhöhle des Menschen zur Reinigung, zum Schutz oder zur Erhaltung eines guten Zustandes angewendet zu werden. Damit erfülle die Lösung die Voraussetzungen für ein kosmetisches Mittel. Die Revision beanstandet diese Beurteilung als rechtsfehlerhaft und erfahrungswidrig: Der Durchschnittsverbraucher werde auf die therapeutische Zweckbestimmung des Mittels gerade durch die besondere Betonung des Umstands verwiesen, dass das Produkt der Beklagten bakteriellen Zahnbelag reduziere, dessen Neubildung hemme, das Zahnfleisch schütze und zur Erhaltung der Mundgesundheit beitrage. Die Revision führt aber nicht aus, dass das Berufungsgericht, soweit es diese Frage im gegenteiligen Sinn beurteilt hat, dabei relevanten Prozessstoff außer Betracht gelassen hat; sie ersetzt im Übrigen lediglich die vom Berufungsgericht in tatrichterlicher Würdigung vorgenommene Beurteilung des Sachverhalts durch ihre abweichende eigene Beurteilung. Die Revisionserwiderung macht zudem mit Recht geltend, dass namentlich der durch Fettdruck besonders hervorgehobene Verwendungszweck "zur Mundpflege" auf der Umverpackung der beanstandeten Mundspüllösung den Verbraucher nach der Lebenserfahrung darauf hinweist, dass es sich bei ihr lediglich um ein pflegendes Produkt handelt.

10Die Revision macht auch ohne Erfolg geltend, der durchschnittliche Verbraucher werde angesichts des Hinweises in der Packungsbeilage, er habe mit Verfärbungen von Zähnen und Zunge zu rechnen, nicht davon ausgehen, dass es sich um ein Kosmetikum handele; vielmehr werde er im Zusammenhang mit den weiteren Angaben annehmen, dass er es mit einem Arzneimittel zu tun habe. Sie setzt dabei voraus, dass der angesprochene Verkehr zu dieser Beurteilung gelangen wird, weil er annehmen wird, dass er kosmetische Mundspüllösungen nebenwirkungsfrei und dauerhaft verwenden kann. Von einem entsprechenden Erfahrungssatz kann jedoch nicht ausgegangen werden.

112. Dagegen hat das Berufungsgericht dem Präparat der Beklagten zu Unrecht die pharmakologische Wirkung und damit die Eigenschaft eines Funktionsarzneimittels abgesprochen.

12Im rechtlichen Ansatz zutreffend hat sich das Berufungsgericht bei der Beurteilung der Frage, ob die Mundspüllösung der Beklagten eine pharmakologische Wirkung hat, an die Definition des Begriffs "pharmakologisch" in der unter der Federführung der Europäischen Kommission entwickelten Leitlinie zur Abgrenzung von Arzneimitteln und Medizinprodukten "Medical Devices: Guidance document" (abgedruckt bei Schorn, Medizinprodukte-Recht, 25. Lfg. August 2009, E 2.3 sowie - auszugsweise - in Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, 104. Lfg. 2007, § 2 AMG Rdn. 158) orientiert. Es hat aber unberücksichtigt gelassen, dass die für die Bejahung einer pharmakologischen Wirkung erforderliche Wechselwirkung zwischen den Molekülen der in Frage stehenden Substanz und einem zellulären Bestandteil (Rezeptor) gemäß der Definition des Begriffs "pharmakologisch" im Abschnitt A.2.1.1. dieser Leitlinie nicht nur dann vorliegt, wenn sie in einer direkten Reaktion (Antwort) besteht, sondern auch dann, wenn sie die Reaktion (Antwort) eines anderen Agens blockiert. Das Vorhandensein einer solchen Dosis-Wirkungsbeziehung stellt danach zwar "kein vollständig vertrauenswürdiges Kriterium" dar, es liefert aber immerhin "einen Hinweis auf einen pharmakologischen Effekt" (vgl. Anhalt in Anhalt/Dieners, Handbuch des Medizinprodukterechts, § 3 Rdn. 8).

13Die Leitlinie setzt daher nicht, wie das Berufungsgericht gemeint hat, eine unmittelbare Wechselwirkung mit "zellulären Bestandteilen des Anwenders" voraus, sondern lässt jegliche Wechselwirkung zwischen den Molekülen der in Frage stehenden Substanz und "einem zellulären Bestandteil" genügen. Im Hinblick darauf, dass Chlorhexidin mit Bestandteilen von Bakterienzellen reagiert, scheidet eine pharmakologische Wirkung entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch bei Anwendung der in der genannten Leitlinie vorgesehenen Definition der pharmakologischen Wirkung nicht schon von vornherein aus. Dementsprechend ordnet die Leitlinie selbst Chlorhexidin im Abschnitt A.2.1.2 ausdrücklich als arzneilichen Stoff ein. Hinzu kommt, dass der in der Mundspüllösung enthaltene Stoff Chlorhexidin in der höheren Konzentration von 0,1% und 0,2% nicht nur die Bildung bakterieller Zahnbeläge unterdrücken kann, sondern nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen auch geeignet ist, unter anderem Gingivitis zu heilen oder zu lindern, so dass eine verändernde Beeinflussung von Körperfunktionen auf chemischem Weg vorzuliegen scheint. Unter diesen Umständen kommt eine pharmakologische Wirkung des Präparats in Betracht (vgl. zum Vorstehenden Dettling/Koppe-Zagouras, PharmR 2010, 152, 158). Auf eine metabolische Wirkung (dafür Dettling/Koppe-Zagouras, PharmR 2010, 152, 157 f.; a.A. Anhalt, MPR 2009, 127, 130) käme es danach nicht mehr an.

143. Die Revision der Klägerin ist entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung auch nicht deshalb unbegründet, weil die Monographie des Bundesgesundheitsamtes aus dem Jahre 1994 nicht ausreichte, den der Klägerin obliegenden wissenschaftlichen Nachweis zu führen, dass die Mundspüllösung der Beklagten ein Funktionsarzneimittel ist.

15Die Revisionserwiderung beruft sich darauf, dass die Mundspüllösung der Beklagten den Stoff Chlorhexidin lediglich in einer Konzentration von 0,12% enthalte und damit sowie mit einer Spüldauer von maximal einer Minute pro Tag hinsichtlich ihrer Dosierung deutlich hinter der monographierten Dosierung zurückbleibe, die bei einer dort zugrunde gelegten zwei- bis dreimaligen Anwendung täglich und einer angenommenen Spüldauer von jeweils einer Minute doppelt oder dreimal so hoch sei. Die Klägerin hat demgegenüber jedoch dargelegt und unter Beweis gestellt, dass diesen Unterschieden keine maßgebliche Bedeutung zukomme. In der wiedereröffneten Berufungsinstanz wird das Berufungsgericht diesem Vorbringen nachzugehen haben.

16III. Das angefochtene Urteil ist danach aufzuheben. Die Sache ist zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Bornkamm                                  Pokrant                                    Büscher

                         Schaffert                                 Kirchhoff

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
NJW-RR 2011 S. 49 Nr. 1
YAAAD-55505