BGH Beschluss v. - IV ZR 229/07

Berufung im Streit um das Bestehen einer Wohngebäudeversicherung: Nichtzulassung neuer Verteidigungsmittel wegen Nachlässigkeit der Partei; Ermittlung tatsächlicher Umstände durch die Parteien aufgrund der Prozessförderungspflicht

Gesetze: § 16 VVG 2006, § 22 VVG 2006, § 23 VGB 2002, Art 103 Abs 1 GG, § 531 Abs 2 S 1 Nr 3 ZPO, § 123 BGB

Instanzenzug: OLG Celle Az: 8 U 268/06 Urteilvorgehend Az: 13 O 150/06 Urteil

Gründe

1I. Die Parteien streiten um das Bestehen eines Wohngebäudeversicherungsvertrages. Am beantragte der Kläger über ein Vermittlungsbüro bei der Beklagten unter anderem eine verbundene Wohngebäudeversicherung für ein von ihm in H. erworbenes Gebäude, in dem sich außer vier Wohneinheiten eine größere Geschäftsfläche befindet.

2Nach Erhalt des Versicherungsscheins widersprach der Kläger diesem mit Schreiben vom , weil er von dem mit dem Versicherungsvermittler geführten Gespräch abweiche. Entgegen dem aufgenommenen Antrag habe er klar zum Ausdruck gebracht, dass es sich um ein überwiegend leer stehendes Gebäude handele. Der Zugang dieses Schreibens ist streitig.

3Jedenfalls suchte der Kläger in dieser Angelegenheit zunächst den Vermittler und danach eine Mitarbeiterin in der Verwaltungsdirektion der Beklagten auf. Dies führte dazu, dass die Beklagte einen "Nachtrag Nr. 1 zum Versicherungsschein" erstellte. Danach ist das versicherte Objekt als "Wohn-/Geschäftsgebäude" bezeichnet, versichert ist unter anderem die Haftpflicht des Versicherungsnehmers "als Vermieter oder Besitzer eines Gebäudes mit fünf privat genutzten Wohneinheiten", und unter "Besondere Vereinbarungen/Hinweise" heißt es unter anderem:

"Es handelt sich um ein Wohn- und Geschäftsgebäude mit vier Wohneinheiten und circa 400 qm Bürofläche. Es ist zurzeit nur eine Wohneinheit bewohnt. In den anderen Wohneinheiten werden gerade Renovierungsarbeiten durchgeführt. …"

4Dem Vertrag liegen die VGB 2002 zugrunde.

5Mit Schreiben vom erklärte die Beklagte den Rücktritt vom Vertrag wegen Anzeigepflichtverletzung, weil ihr Schadensregulierer bei einer Ortsbesichtigung am anlässlich eines gemeldeten Leitungswasserschadens festgestellt habe, dass das Gebäude unbewohnt sei. Außerdem erklärte sie mit Schreiben vom die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung, weil der Kläger das vollständige Leerstehen des Objekts ebenso verschwiegen habe wie Vorschäden beim Vorversicherer. Im Laufe des Rechtsstreits hat die Beklagte in zweiter Instanz erneut den Rücktritt und die Anfechtung erklärt mit der neuen Begründung, dass der Kläger falsche Angaben zur Nutzfläche gemacht habe und dass bei zutreffender Angabe das Gebäude nicht mehr als Wohngebäude zu versichern gewesen wäre.

6Mit der Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass der Versicherungsvertrag in Form des Nachtrags Nr. 1 vom 2. Februar bis bestanden habe und weder durch den Rücktritt noch die Anfechtung aufgehoben sei. Die Vorinstanzen haben dem Klagebegehren entsprochen.

7Zur Begründung hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass ein Rücktrittsgrund gemäß §§ 23 VGB 2002, 16 VVG oder ein Anfechtungsgrund gemäß § 22 VVG im Hinblick auf Angaben des Klägers zum Leerstand des Gebäudes, zur Art der Nutzung des Gebäudes und zu Vorschäden nicht vorliege.

8Den Vortrag der Beklagten zu Falschangaben des Klägers bezüglich der Größe der Geschäftsfläche hat das Berufungsgericht nach § 531 Abs. 2 ZPO unberücksichtigt gelassen, weshalb auch Rücktritt und Anfechtung, soweit hierauf gestützt, erfolglos blieben.

9II. 1. Die Nichtberücksichtigung des Vorbringens der Beklagten zur behaupteten arglistigen Täuschung durch Falschangaben des Klägers zur Größe der Geschäftsfläche verletzt ihren Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise. Die Zurückweisung dieses Vorbringens ist nicht durch § 531 Abs. 2 ZPO gerechtfertigt.

10Es kann dahinstehen, ob die prozessrechtlichen Beschleunigungs- und Präklusionsvorschriften der ZPO (§§ 282, 296, 531 ZPO) der Partei gegebenenfalls auch abverlangen, ein bestehendes Anfechtungsrecht auszuüben, bevor die entsprechende materiell-rechtliche Frist - hier § 124 BGB - abgelaufen ist, wenn sie nicht Gefahr laufen will, mit dem der Anfechtung zugrunde liegenden Tatsachenvorbringen ausgeschlossen zu werden (BAGE 44, 242, 243 f.; ebenso im Ergebnis Schenkel, MDR 2004, 790; vgl. ferner zur Vollstreckungsgegenklage BGHZ 42, 37, 39 ff.) oder ob bei Gestaltungsrechten generell zwischen der Ausübung und ihrer Geltendmachung im Prozess zu unterscheiden und nur die Tatsachenbehauptung, dass das Recht ausgeübt worden ist, als Verteidigungsmittel im Sinne der prozessualen Verspätungsvorschriften anzusehen ist (so ausdrücklich MünchKomm-ZPO/Prütting, 3. Aufl. § 296 Rdn. 53; vgl. zur Zulassung eines in zweiter Instanz erklärten Rücktritts auch OLGR Celle 2004, 498, 499 f. sowie zur Zulässigkeit der Berufung auf erst in zweiter Instanz herbeigeführte Anspruchsvoraussetzungen durch Erstellung einer fälligkeitsbegründenden Schlussrechnung - NJW-RR 2005, 1687 unter 2 b und vom - VII ZR 335/02 - NJW-RR 2004, 167 unter II 2 b; zustimmend Zöller/Heßler, ZPO 28. Aufl. § 531 Rdn. 30; Musielak/Huber, ZPO 7. Aufl. § 296 Rdn. 6; Musielak/Ball aaO § 531 Rdn. 19; Thomas/Putzo, ZPO 30. Aufl. § 296 Rdn. 1; MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher aaO § 531 Rdn. 24).

11Der Beklagten ist unabhängig hiervon jedenfalls keine Nachlässigkeit i.S. des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO zur Last zu legen. Denn sie hat unbestritten erst durch das Gutachten vom und damit nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils Kenntnis davon erlangt, dass der Kläger die Flächengröße falsch angegeben hatte. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts lässt sich der Vorwurf prozessualer Nachlässigkeit nicht damit begründen, dass sie die Falschangabe des Klägers bereits in erster Instanz hätte erkennen können, weil sie schon nach Erhalt der Bauzeichnungen vom Kläger die Möglichkeit gehabt hätte, seine Angaben zur Größe der Geschäftsfläche überprüfen zu lassen. Dabei verkennt das Berufungsgericht, dass ein konkreter Anlass für die Beklagte, den Größenangaben des Klägers zu misstrauen und deshalb insoweit eine Überprüfung, die immerhin eine Flächenermittlung durch einen Sachverständigen erforderte, vorzunehmen, weder festgestellt noch ersichtlich ist. Dann liegt aber keine Nachlässigkeit vor, da die Parteien aufgrund der Prozessförderungspflicht allenfalls bei Vorliegen besonderer Umstände gehalten sein können, tatsächliche Umstände, die ihnen nicht bekannt sind, erst noch zu ermitteln; generell trifft sie eine solche Pflicht nicht ( - NJW-RR 2009, 329 Tz. 15 f. und vom - X ZR 69/01 - NJW 2003, 200 unter II 6 b; Zöller/Heßler aaO).

12Auf etwaige Schlüssigkeits- und Substantiierungsbedenken beim Arglistvorwurf bezüglich der Geschäftsflächenangabe hätte das Berufungsgericht gemäß § 139 ZPO hinweisen müssen. Deshalb kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Entscheidung auf dem Gehörsverstoß beruht.

132. Im Übrigen ist ein Zulassungsgrund nicht dargelegt. Das Berufungsgericht hat die Voraussetzungen für einen Rücktritt und eine Arglistanfechtung aufgrund der bereits in erster Instanz vorgetragenen Umstände in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise verneint. Insoweit hat der Senat auch die gerügte Grundrechtsverletzung (Art. 103 Abs. 1 GG) geprüft und für unbegründet erachtet.

Wendt                                          Dr. Kessal-Wulf                                      Felsch

               Harsdorf-Gebhardt                                            Lehmann

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
CAAAD-54656