BGH Urteil v. - 5 StR 159/10

Besetzungsrüge im Strafverfahren: Änderung der reduzierten Strafkammerbesetzung im zeitlichen Zusammenhang mit der Terminierung

Gesetze: § 76 Abs 2 GVG, § 338 Nr 1 StPO, Art 101 Abs 1 S 2 GG

Instanzenzug: Az: 7 KLs 12/09 Urteil

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten, einen vorläufig suspendierten Polizeibeamten, – unter Freisprechung im Übrigen – wegen unerlaubten Handeltreibens mit Waffen in 19 Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit (zweifachem) unerlaubtem Waffenbesitz und mit (zweifacher) Amtsanmaßung, wegen (zweifacher) Amtsanmaßung, wegen unerlaubter Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke in drei Fällen und wegen Bestechlichkeit zu einem Jahr und zwei Monaten Gesamtfreiheitsstrafe mit Strafaussetzung zur Bewährung und zu einer Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen verurteilt; vier Monate der Freiheitsstrafe und 30 Tagessätze der Geldstrafe hat es wegen überlanger Verfahrensdauer als vollstreckt angerechnet.

2Nach dem auf eine Verständigung zurückgehenden Urteil bleibt die mit punktuellen sachlichrechtlichen Beanstandungen gegen den Teilfreispruch, die Behandlung mancher Konkurrenzfragen, die Zubilligung eines vermeidbaren Verbotsirrtums, die Strafzumessung und die Bemessung der Vollstreckungsanrechnung gerichtete, vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft ebenso erfolglos wie die mit einer Besetzungsrüge und der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten.

31. Die Besetzungsrüge versagt. Mit ihr wird die nach dreieinhalb Monaten in zeitlichem Zusammenhang mit der Terminierung erfolgte Abänderung der mit Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossenen Reduzierung der Strafkammerbesetzung nach § 76 Abs. 2 GVG beanstandet.

4Ob die Rüge bereits – was der Senat entgegen BGHR GVG § 76 Abs. 2 Verfahren 2 schon im Blick auf den Charakter der einzig zum Zwecke der Schonung von Justizressourcen nach der Wiedervereinigung geschaffenen und wiederholt verlängerten Übergangsvorschrift des § 76 Abs. 2 GVG für naheliegend hält (vgl. BTDrucks 12/1217 S. 46 ff.; Tz. 18, zur Veröffentlichung in BGHR GVG § 76 Abs. 2 bestimmt; sowie zur Gesetzgebungshistorie im einzelnen Rieß in Festschrift für Heinz Schöch 2010 S. 895, 897 ff.) – daran scheitern muss, dass die Verhandlung in der Regelbesetzung den Angeklagten unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt beschweren kann (vgl. auch das unveränderte Schutzquorum des § 263 Abs. 1 StPO), bedarf hier keiner Entscheidung. Ebenso kann dahinstehen, ob die Rüge, wie der Generalbundesanwalt meint, deshalb erfolglos bleibt, weil sich der Angeklagte vor der Strafkammer verständigt und damit seinen Besetzungseinwand schlüssig zurückgenommen oder verwirkt hat (vgl. zu einer vergleichbaren Konstellation BGH StV 2010, 470; vgl. bereits BGHR StPO § 338 Revisibilität 1). Die Rüge ist jedenfalls unbegründet.

5Nicht anders als auf einen entsprechend begründeten Besetzungseinwand (vgl. BGHR GVG § 76 Abs. 2 Beurteilungsspielraum 2) durfte die Strafkammer die Verbindlichkeit der Besetzungsentscheidung auch schon vor Beginn der Hauptverhandlung überprüfen. Dass eine Besetzungsreduktion schon bei Annahme schlichter Fehlerhaftigkeit in den Regelfall korrigiert werden kann, liegt dabei nicht fern, bedarf indes keiner Entscheidung. Denn die Besetzungsentscheidung durfte jedenfalls darauf überprüft werden, ob sie nach dem Stand der Beschlussfassung sachlich gänzlich unvertretbar, damit objektiv willkürlich erfolgt und daher abzuändern war (vgl. Kissel/Mayer, GVG 6. Aufl. § 76 Rdn. 6, 10; Haller/Janßen NStZ 2004, 469, 471; wohl noch weitergehend Rissing-van Saan in Festschrift für Volker Krey 2010 S. 431, 439; vgl. zu den Grenzen der Unabänderlichkeit der Besetzungsreduktion auch BGHSt 53, 169). Dass dies hier der Grund für die Abänderungsentscheidung war, hat die Strafkammer zwar nicht – was vorzugswürdig gewesen wäre – in einer Begründung jener Entscheidung ausgeführt, indes noch rechtzeitig und mit hinreichender Deutlichkeit in dem den entsprechenden Besetzungseinwand zurückweisenden Beschluss: Darin heißt es, die Besetzung mit drei Berufsrichtern sei hier „zwingend notwendig“. Die Annahme „objektiver Willkür“ im Sinne von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG war angesichts des Umfangs der Anklage mit 48 fast durchweg nicht alltäglichen Anklagevorwürfen, mit 44 benannten Zeugen, vier Sachverständigen und einer Vielzahl sachlicher Beweismittel, der die Anberaumung von zunächst zehn Hauptverhandlungstagen veranlasste (vgl. dazu Tz. 19), mindestens vertretbar, damit ihrerseits willkürfrei und folglich als Grundlage für die abändernde Besetzungsentscheidung im Rahmen von §§ 222b, 338 Nr. 1 StPO verbindlich (vgl. Meyer-Goßner, StPO 53. Aufl. § 76 GVG Rdn. 8).

62. Die im Wesentlichen an den gleichzeitigen Besitz von Waffen anknüpfende Beurteilung der Konkurrenzen ist jedenfalls sachlich vertretbar. Die Ablehnung mittelbarer Falschbeurkundung, die Strafrahmenwahl und Strafzumessung sowie die Erwägungen im Zusammenhang mit einer angenommenen rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung sind rechtsfehlerfrei, die Zubilligung eines vermeidbaren Verbotsirrtums ist im Blick auf die Gesamtverhältnisse des sehr weitgehend zu Waffenbesitz befugten Angeklagten als nicht durchgreifend bedenklich hinnehmbar.

73. Der Gesamttatzeitraum und die Gesamtzahl der Waffendelikte rechtfertigen im Zusammenhang mit dem Blick auf die Gesamtsumme der vom Angeklagten erzielten Taterlöse bereits die Annahme gewerbsmäßigen Verhaltens. Auch sonst enthält das angefochtene Urteil keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten.

Basdorf                                Brause                              Schaal

                   Schneider                             König

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
KAAAD-52692