BGH Beschluss v. - XII ZB 138/10

Betreuungsverfahren: Pflicht zur Bekanntgabe eines Gutachtens gegenüber dem Betroffenen

Gesetze: Art 103 GG, Art 111 Abs 1 S 1 FGG-RG, Art 70 Abs 3 FamFG

Instanzenzug: Az: 3 T 23/10 Beschlussvorgehend Az: 667 XVII M 4149

Gründe

I.

1Durch Beschluss des Amtsgerichts - Betreuungsgericht- vom ist die Beteiligte zur Betreuerin der Betroffenen mit den Aufgabenkreisen Gesundheitssorge, Aufenthaltsbestimmungsrecht, Rechts-, Antrags- und Behördenangelegenheiten, insbesondere Wahrnehmung der Interessen der Betroffenen in Sorgerechtsangelegenheiten, bestellt worden. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Betroffenen hat das Landgericht zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Betroffene mit der Rechtsbeschwerde.

II.

2Das Rechtsmittel hat Erfolg.

31. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 70 Abs. 3 Nr. 1 FamFG statthaft; das Betreuungsverfahren ist auf Anregung des Klinikums W. vom 18./, mithin nach dem , eingeleitet worden (Art. 111 Abs. 1 Satz 1 FGG-RG).

42. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

5a) Zwar durfte das Beschwerdegericht - entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde- von einer persönlichen Anhörung der Betroffenen absehen.

6Nach § 278 Abs. 1 FamFG hat das Betreuungsgericht den Betroffenen vor der Bestellung eines Betreuers persönlich anzuhören (Satz 1) und sich - ggf. in der üblichen Umgebung des Betroffenen (Satz 3)- von diesem einen persönlichen Eindruck zu verschaffen (Satz 2). Diese Anhörungspflicht gilt gemäß § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG auch im Beschwerdeverfahren. Nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG kann das Beschwerdegericht allerdings von der Durchführung einzelner Verfahrenshandlungen absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen wurden und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind. Dies gilt grundsätzlich auch für die Anhörungspflicht nach § 278 Abs. 1 FamFG (vgl. auch - für den Fall der persönlichen Anhörung nach § 420 FamFG - BGH Beschlüsse vom - V ZB 3/10 - juris Tz. 9, vom - V ZB 222/09 - FGPrax 2010, 154 und vom - V ZB 2/10 - FGPrax 2010, 163). Im vorliegenden Fall war die Betroffene bereits vom Amtsgericht - am , also nur rund einen Monat zuvor - zur Frage einer Betreuerbestellung persönlich angehört worden. Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass von einer erneuten Anhörung keine neuen Erkenntnisse zu erwarten seien. Diese Einschätzung ist rechtsbeschwerderechtlich nicht zu beanstanden. Besondere sonstige Umstände, die eine erneute Anhörung der Betroffenen geboten hätten (vgl. etwa - juris Tz. 9), sind nicht ersichtlich.

7b) Die angefochtenen Entscheidungen verletzen jedoch - von der Rechtsbeschwerde zutreffend gerügt- aus anderem Grund das Recht der Betroffenen auf rechtliches Gehör.

8Das Amtsgericht hat seinen Beschluss vom tragend auf ein Gutachten gestützt, das die Fachärztin Dr. G. am - im vorausgehenden Betreuungsverfahren- erstattet hat. Entsprechend der Empfehlung der Gutachterin ist das Gutachten der Betroffenen nicht ausgehändigt worden, um das paranoide Erleben der Betroffenen nicht zu verstärken. Auch im vorliegenden Verfahren ist eine solche Aushändigung nicht erfolgt.

9Zwar kann von der vollständigen schriftlichen Bekanntgabe eines Gutachtens abgesehen werden, wenn zu besorgen ist, die Bekanntgabe werde die Gesundheit des Betroffenen schädigen oder zumindest ernsthaft gefährden. In einem solchen Fall muss jedoch ein Verfahrenspfleger bestellt werden, diesem das Gutachten übergeben werden und die Erwartung gerechtfertigt sein, dass der Verfahrenspfleger mit dem Betroffenen über das Gutachten spricht (vgl. MünchKomm/Schwab BGB 5. Aufl. § 1896 Rdn. 182 m.w.N.). Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Betroffene nicht anwaltlich vertreten ist. Im vorliegenden Verfahren war für die anwaltlich nicht vertretene Betroffene kein Verfahrenspfleger bestellt. Zwar hat das Betreuungsgericht der Betroffenen mit Beschluss vom Rechtsanwalt F. als Verfahrenspfleger bestellt. Diese Bestellung erfolgte jedoch zeitgleich mit dem hier angefochtenen Beschluss über die Einrichtung der Betreuung und betraf ausdrücklich nur die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts und die Unterbringung und Zwangsmedikation der Betroffenen, daher nicht den Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

10Dem angefochtenen Beschluss sind mithin Tatsachen zugrunde gelegt worden, zu denen die Betroffene sich - mangels Kenntnis- weder selbst noch durch einen Verfahrenspfleger oder Verfahrensbevollmächtigten verhalten konnte. Dieser Gehörsverstoß wird nicht dadurch geheilt, dass die Entscheidung des Amtsgerichts - ebenso wie die Entscheidung des Beschwerdegerichts - auch auf die fachärztliche Stellungnahme vom gestützt wird, mit der Ärzte des Klinikums W. erneut die Bestellung eines Betreuers für die Betroffene angeregt hatten. Zum einen wird diese Stellungnahme in den angefochtenen Entscheidungen nur ergänzend - zur Bestätigung des gutachtlichen Befundes und als Beleg für dessen fortdauernde Aktualität - herangezogen. Zum anderen hat gemäß § 280 FamFG der Bestellung eines Betreuers eine förmliche Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens über die Notwendigkeit dieser Maßnahme vorauszugehen. Die fachärztliche Stellungnahme erfüllt - schon mangels Einholung durch das Gericht - diese Voraussetzung nicht. Sie könnte - als ärztliches Zeugnis - das von § 280 FamFG geforderte Gutachten nur unter den Voraussetzungen des § 281 Abs. 1 FamFG ersetzen. Diese Voraussetzungen liegen hier jedoch nicht vor.

Hahne                                 Wagenitz                                    Vézina

                     Dose                                       Schilling

Fundstelle(n):
OAAAD-51243