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BGH Beschluss v. - AnwZ (B) 100/09

Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft: Anwendbares Recht für sofortige Vollziehung der Verfügung in einem Altfall

Leitsatz

Ist gegen die Widerrufsverfügung der Rechtsanwaltskammer nach § 215 Abs. 2 BRAO der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegeben, richtet sich die sofortige Vollziehung der Verfügung auch dann nach § 16 Abs. 6 Satz 2 BRAO in der Fassung vom , wenn diese erst nachträglich nach dem angeordnet wird. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann in diesem Fall nach §§ 16 Abs. 6 Satz 4 in der Fassung vom , 42 Abs. 5 Satz 2 BRAO in der Fassung vom beantragt werden .

Gesetze: § 16 Abs 6 S 2 BRAO vom , § 16 Abs 6 S 4 BRAO vom , § 42 Abs 5 S 2 BRAO vom , § 215 Abs 2 BRAO

Instanzenzug: Anwaltsgerichtshof Stuttgart Az: AGH 20/09 (II)

Gründe

I.

1Der Antragsteller ist seit dem im Bezirk der Antragsgegnerin zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Mit Bescheid vom widerrief die Antragsgegnerin seine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls. Der Anwaltsgerichtshof hat den hiergegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen. Dagegen hat der Antragsteller sofortige Beschwerde eingelegt. Mit Verfügung vom erklärte die Antragsgegnerin den Widerruf für sofort vollziehbar. Dagegen wendet sich der Antragsteller mit dem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung.

II.

2Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist nach § 215 Abs. 2 und 3 BRAO i. V. mit § 16 Abs. 6 und § 42 Abs. 4 Satz 2 BRAO a.F. zulässig. Nach § 215 Abs. 2 BRAO bestimmt sich die Zulässigkeit von Rechtsbehelfen gegen Entscheidungen, die vor dem ergangen sind, und das weitere Verfahren nach dem bis zu diesem Tag geltenden Recht. In Fällen, in denen - wie hier - nach dieser Überleitungsvorschrift in der Hauptsache ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegeben ist, der nach § 16 Abs. 6 Satz 1 BRAO a.F. aufschiebende Wirkung entfaltet, richtet sich folglich das weitere Verfahren und damit auch die Anordnung der sofortigen Vollziehung durch die Rechtsanwaltskammer nach bisherigem Recht. Ob die sofortige Vollziehung zugleich mit der Widerrufsverfügung oder erst nachträglich nach dem angeordnet wird, ist nicht maßgeblich. In beiden Fällen ergeht die Anordnung der sofortigen Vollziehung auf der Grundlage des § 16 Abs. 6 Satz 2 BRAO a.F.; vorläufiger Rechtsschutz gegen eine solche Maßnahme der Rechtsanwaltskammer ist nach Maßgabe der §§ 16 Abs. 6 Satz 4, 42 Abs. 5 Satz 2 BRAO a.F. gegeben. Die Anwendung der §§ 14 Abs. 4 Satz 1, 112c Abs. 1 BRAO i. V. mit § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO kommt hingegen nicht in Betracht, weil eine Anfechtungsklage, deren aufschiebende Wirkung durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung beseitigt werden könnte, nicht gegeben ist.

3In der Sache hat der Antrag jedoch keinen Erfolg.

41. Die sofortige Vollziehung des Widerrufsbescheids durfte nach § 16 Abs. 6 Satz 2 BRAO a.F. nur angeordnet werden, wenn zu erwarten war, dass der Widerruf bestandskräftig wird und sein sofortiger Vollzug im überwiegenden öffentlichen Interesse zur schon vor Bestandskraft des Widerrufsbescheids notwendigen Abwehr konkreter Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter geboten war (Senat, Beschl. v. , AnwZ (B) 38/98, BRAK-Mitt. 1998, 235, 236; Beschl. v. , AnwZ (B) 27/09). Diese Voraussetzungen lagen bei Anordnung der sofortigen Vollziehung vor. Daran hat sich auch im Beschwerdeverfahren nichts geändert. Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass die sofortige Beschwerde des Antragstellers zurückgewiesen und der Widerrufsbescheid Bestandskraft erlangen wird, weil die Zulassung des Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO wegen Vermögensverfalls zu widerrufen war und der Widerrufsgrund auch nicht im Laufe des Verfahrens entfallen ist. Der sofortige Vollzug ist auch weiterhin geboten.

52. Bei Erlass des angefochtenen Widerrufsbescheids lagen die Voraussetzungen für einen Widerruf der Zulassung des Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO vor.

6a) Vermögensverfall nach dieser Vorschrift ist gegeben, wenn der Rechtsanwalt in ungeordnete, schlechte finanzielle Verhältnisse geraten ist, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann, und außer Stande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen; Beweisanzeichen hierfür sind insbesondere die Erwirkung von Schuldtiteln und Vollstreckungsmaßnahmen gegen ihn (Senat, Beschl. v. , AnwZ (B) 73/90, BRAK-Mitt. 1991, 102; Beschl. v. , AnwZ (B) 40/94, BRAK-Mitt. 1995, 126).

7b) Danach befand sich der Antragsteller bei Erlass des Widerrufsbescheids in Vermögensverfall. Zu diesem Zeitpunkt war die Zwangsversteigerung einer Eigentumswohnung des Antragstellers wegen einer Hauptforderung der Deutschen Bank in Höhe von 178.952,16 € angeordnet worden. Der Verkehrswert der Wohnung war mit lediglich 123.000 € ermittelt worden. Außerdem hatte der Gläubiger A. gegen den Antragsteller ein Urteil des Amtsgerichts W. über eine Hauptforderung in Höhe von 162,40 € erwirkt. In seiner Stellungnahme zu dem Anhörungsschreiben der Antragsgegnerin vom hatte der Antragsteller zwar angegeben, dass seine Vermögensverhältnisse geordnet seien, erhebliche eigene offene Forderungen bestünden und Vermögenswerte vorhanden seien. Er hatte jedoch keinerlei Belege hierfür vorgelegt.

8c) Wie der Bestimmung des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO zu entnehmen ist, geht der Gesetzgeber davon aus, dass die Interessen der Rechtsuchenden gefährdet sind, wenn sich der Rechtsanwalt in Vermögensverfall befindet (Senat, Beschl. v. , AnwZ (B) 33/07, juris). Anhaltspunkte dafür, dass es bei dem Antragsteller ausnahmsweise anders war, bestanden nicht. Der Gläubiger A. machte vielmehr gegen den Antragsteller eine Forderung auf Rückerstattung überzahlter Gebühren geltend.

93. Der Antragsteller hat auch nicht nachgewiesen, dass der Widerrufsgrund im Verlaufe des Verfahrens entfallen ist.

10a) Zwar scheidet nach ständiger Rechtsprechung des Senats ein Widerruf der Zulassung aus, wenn der Widerrufsgrund im Verlauf des Verfahrens entfällt (BGHZ 75, 356, 357; 84, 149, 150). Die Vermögensverhältnisse des Antragstellers haben sich jedoch nicht konsolidiert. Im Gegenteil sind erhebliche Steuerrückstände des Antragstellers bekannt geworden. Ein Insolvenzantrag des Finanzamts S. ist durch Beschluss vom mangels Masse abgewiesen worden. Nach Mitteilung der Oberfinanzdirektion K. belaufen sich die vollstreckbaren Steuerrückstände per auf 76.163,08 €. Der Antragsteller hat darüber hinaus am vor dem Amtsgericht W. die eidesstattliche Versicherung abgegeben. Das Amtsgericht S. hat schließlich am das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Antragstellers eröffnet. Vermögensverfall wird deshalb nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO jetzt auch aus diesem Grund bei dem Antragsteller vermutet. Nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens sind geordnete Vermögensverhältnisse erst wiederhergestellt, wenn das Insolvenzverfahren entweder mit einem bestätigten Schuldenbereinigungsplan oder mit der durch das Insolvenzgericht angekündigten Restschuldbefreiung abgeschlossen ist. Daran fehlt es.

11b) Auch eine Gefährdung der Rechtsuchenden besteht fort. Sie entfällt nach der Rechtsprechung des Senats nicht schon durch die Insolvenzeröffnung und die damit eintretende Verfügungsbeschränkung des Insolvenzschuldners (Senat, Beschl. v. , AnwZ (B) 101/05, NJW 2007, 2924, 2925, Tz. 12; Beschl. v. , AnwZ (B) 33/07, juris). Vielmehr muss die begründete Aussicht bestehen, dass das Insolvenzverfahren in absehbarer Zeit beendet wird und die Wiederherstellung geordneter Vermögensverhältnisse erwarten lässt. Deshalb ändert auch der bloße Antrag auf Restschuldbefreiung im Insolvenzverfahren an dem Fortbestand einer Gefährdung der Rechtsuchenden nichts (Senat, Beschl. v. , AnwZ (B) 28/99, NJW-RR 2000, 1228, 1229; Beschl. v. , AnwZ (B) 7/04, NJW 2005, 1944; Beschl. v. , AnwZ (B) 33/07, juris).

12Für einen Ausnahmefall, in dem eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden durch den Vermögensverfall des Rechtsanwalts verneint werden kann (dazu Senat, Beschl. v. , aaO unter II 2 c; Beschl. v. , AnwZ (B) 13/05, NJW-RR 2006, 559 unter II 2; Beschl. v. , AnwZ (B) 14/05, AnwBl. 2006, 281 f. unter II 3; Beschl. v. , AnwZ (B) 101/05, NJW 2007, 2924, 2925), ist nichts ersichtlich.

134. Der sofortige Vollzug des Widerrufs ist auch weiterhin zur Abwehr konkreter Gefahren für die Rechtsuchenden, insbesondere die Mandanten des Antragstellers, zwingend geboten. Die Antragsgegnerin hat die Anordnung des Sofortvollzugs auf mehrere Beschwerdeverfahren gestützt, in denen dem Antragsteller unsachgemäßer Umgang mit Fremdgeld bzw. dessen Einbehalt vorgeworfen wird. Der Antragsteller ist diesen Vorwürfen nur teilweise entgegengetreten; entsprechende Belege hat er in keinem Fall vorgelegt. Hinzu kommt folgendes: Der Antragsteller ist bereits durch Urteil des Anwaltsgerichts vom wegen Pflichtverletzungen beim Umgang mit Fremdgeldern in vier Fällen mit einem Verweis und einer Geldbuße belegt worden. Der Gläubiger A. hat am ein Urteil auf Rückerstattung überzahlter Anwaltsgebühren erwirkt. Der Gläubiger T. hat am ein 2. Versäumnisurteil gegen den Antragsteller erwirkt. Seiner Forderung liegt zu Grunde, dass der Antragsteller Fremdgeld nicht weitergeleitet hat. Dies belegt, dass der Antragsteller die Interessen seiner Mandanten konkret gefährdet hat.

Ganter                                    Schmidt-Räntsch                                Roggenbuck

                   Kappelhoff                                             Martini

Fundstelle(n):
NJW 2011 S. 457 Nr. 7
HAAAD-48909