BFH Beschluss v. - VI B 11/10

Neben Fahrtkosten von bis zu 15.000 km jährlich bei außergewöhnlich gehbehinderten Steuerpflichtigen können nicht noch zusätzliche Aufwendungen für unvermeidbare Fahrten von bis zu 3.000 km im Jahr als außergewöhnliche Belastung geltend gemacht werden

Leitsatz

Bei außergewöhnlich gehbehinderten Steuerpflichtigen mit einem Grad der Behinderung ab 80 und dem Merkzeichen "aG" können neben Aufwendungen für Freizeit-, Erholungs- und Besuchsfahrten von bis zu 15000 km jährlich - bis zur Höhe der Kilometerpauschbeträge, die in den EStR und LStR für den Abzug von Kfz-Kosten als Werbungskosten oder Betriebsausgaben festgelegt sind - nicht auch Aufwendungen für durch die Behinderung veranlasste unvermeidbare Fahrten von bis zu 3000 km jährlich kumulativ als außergewöhnliche Belastungen gemäß § 33 Abs. 2 EStG anerkannt werden.
Mit dem Pauschbetrag in H 33.1 - 33.4 Nr. 2 EStH 2005, Fahrtkosten behinderter Menschen Nr. 2, sind sämtliche Mehraufwendungen eines Behinderten für Fahrten, die der allgemeinen Lebensführung einschließlich Freizeit- und Erholungszwecken dienen, und damit sowohl die Kosten für unvermeidbare (behinderungsbedingte) Fahrten zur Erledigung privater Angelegenheiten als auch die Kosten für Erholung-, Freizeit- und Besuchsfahrten abgegolten. Lediglich Fahrtkosten, die - wie beispielsweise Fahrtosten zum Arzt - zu den Krankheitskosten gehören, werden von der Abgeltungswirkung nicht erfasst.

Gesetze: EStG § 33 Abs. 2, EStG § 33b, EStH Hinweis 33

Instanzenzug:

Gründe

1 Es kann dahingestellt bleiben, ob die Beschwerde den Begründungserfordernissen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) genügt, denn sie ist jedenfalls unbegründet, da der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zukommt noch eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) erforderlich ist.

2 a) Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt.

3 aa) Die Rechtsfrage muss im konkreten Fall klärungsbedürftig und in einem künftigen Revisionsverfahren klärungsfähig sein (ständige Rechtsprechung, Senatsbeschlüsse vom VI B 7/08, BFH/NV 2008, 1838; vom VI B 161/06, BFH/NV 2008, 45; vom VI B 33/07, BFH/NV 2008, 44; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 23, m.w.N.). An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es u.a. dann, wenn die in Rede stehende Rechtsfrage —wie im Streitfall— bereits durch die Rechtsprechung des BFH hinreichend geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, welche eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den BFH erfordern (BFH-Beschlüsse vom X B 34/06, BFH/NV 2007, 1703, und vom VIII B 179/07, BFH/NV 2008, 1874).

4 bb) Nach diesen Maßstäben ist die Klärungsbedürftigkeit der von den Klägern und Beschwerdeführern (Kläger) aufgeworfenen Rechtsfrage, ob bei außergewöhnlich gehbehinderten Steuerpflichtigen mit einem Grad der Behinderung (GdB) ab 80 und dem Merkzeichen „aG” neben Aufwendungen für Freizeit-, Erholungs- und Besuchsfahrten von bis zu 15 000 km jährlich (vgl. Nr. 2 des , BStBl I 1996, 446) auch Aufwendungen für durch die Behinderung veranlasste unvermeidbare Fahrten von bis zu 3 000 km jährlich (vgl. Nr. 1 des BMF-Schreibens in BStBl I 1996, 446) kumulativ als außergewöhnliche Belastungen gemäß § 33 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) anzuerkennen seien, zu verneinen.

5 Nach ständiger Rechtsprechung des Senats können Steuerpflichtige, die so gehbehindert sind, dass sie sich außerhalb des Hauses nur mit Hilfe eines Kfz bewegen können, grundsätzlich alle Kfz-Kosten, soweit sie nicht Werbungskosten oder Betriebsausgaben sind, neben den Pauschbeträgen für behinderte Menschen (§ 33b EStG) als außergewöhnliche Belastung geltend machen, also nicht nur die Kosten für Fahrten zu Ärzten (Krankheitskosten) oder für unvermeidbare Fahrten zur Erledigung privater Angelegenheiten, sondern in angemessenem Umfang auch für Erholungs-, Freizeit- und Besuchsfahrten. Angemessen sind nur Aufwendungen für Fahrten bis zu 15 000 km im Jahr und nur bis zur Höhe der Kilometerpauschbeträge, die in den Einkommensteuer-Richtlinien und Lohnsteuer-Richtlinien für den Abzug von Kfz-Kosten als Werbungskosten oder Betriebsausgaben festgelegt sind (, BFHE 182, 44, BStBl II 1997, 384; vom III R 40/99, BFHE 197, 462, BStBl II 2002, 224; vom III R 31/03, BFHE 205, 74, BStBl II 2004, 453, und vom III R 105/06, BFH/NV 2008, 1141; vgl. auch H 33.1 bis 33.4 des Einkommensteuer-Handbuchs —EStH— 2005, Fahrtkosten behinderter Menschen). Mit diesem Pauschbetrag sind sämtliche Mehraufwendungen eines Behinderten für Fahrten, die der allgemeinen Lebensführung einschließlich Freizeit- und Erholungszwecken dienen, und damit sowohl die Kosten für unvermeidbare (behinderungsbedingte) Fahrten zur Erledigung privater Angelegenheiten als auch die Kosten für Erholungs-, Freizeit- und Besuchsfahrten abgegolten (, BFHE 207, 237, und , BFH/NV 2004, 1404). Lediglich Fahrtkosten, die —wie beispielsweise Fahrtkosten zum Arzt— zu den Krankheitskosten gehören (vgl. BFH-Urteil in BFHE 205, 74, BStBl II 2004, 453), werden von der Abgeltungswirkung nicht erfasst (BFH-Urteil in BFHE 207, 237).

6 Im Übrigen ist die o.a. Streitfrage nach dem unmissverständlichen Wortlaut sowie dem Sinn und Zweck der Vereinfachungsregelung in H 33.1 bis 33.4 EStH 2005, Fahrtkosten behinderter Menschen bzw. dem BMF-Schreiben in BStBl I 1996, 446 offenkundig im Sinne der von der Vorinstanz vertretenen Rechtsauffassung zu beantworten. Das Finanzgericht (FG) hat hierzu zutreffend ausgeführt, dass sich die 15 000 km-Grenze nicht nur auf „reine” Privatfahrten bezieht, sondern dadurch auch behinderungsbedingt unvermeidbare Fahrten abgegolten sind.

7 b) Die von den Klägern behauptete Divergenz i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO liegt nicht vor. Entgegen der Auffassung der Kläger weicht die angefochtene Entscheidung nicht von den BFH-Urteilen vom III R 6/99 (BFHE 197, 455, BStBl II 2002, 198) und vom III R 63/91 (BFHE 169, 427, BStBl II 1993, 286) ab.

8 Die Kläger leiten aus den von ihnen angegebenen Entscheidungen des BFH ab, die Begrenzung der als angemessen anzusehenden und im Rahmen der außergewöhnlichen Belastung zu berücksichtigenden Fahrleistung behinderter Steuerpflichtiger auf 15 000 km jährlich beziehe sich auf rein private, nicht aber auf unvermeidbare Fahrten. Davon weiche die angefochtene Entscheidung des FG ab. Eine Unterscheidung zwischen rein privaten, im Wesentlichen dem persönlichen Vergnügen dienenden Fahrten und behinderungsbedingt unvermeidbaren Fahrten, die überwiegend durch zwingende sachliche Gründe veranlasst sind, wie beispielsweise Einkaufsfahrten oder Behördengänge, hat der BFH in diesen Entscheidungen jedoch nicht vorgenommen. Insbesondere sind in beiden Verfahren den Klägern die beiden Pauschbeträge in H 33.1 bis 33.4 EStH 2005, Fahrtkosten behinderter Menschen bzw. dem BMF-Schreiben in BStBl I 1996, 446 nicht kumulativ gewährt worden.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2010 S. 1631 Nr. 9
IAAAD-47860