Leitsatz
Leitsatz:
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Instanzenzug: VGH Baden-Württemberg, VGH 13 S 400/09 vom Veröffentlichungen: Amtliche Sammlung: nein; Fachpresse: nein
Gründe
I
Der Kläger ist kasachischer Staatsangehöriger. Er lebt seit November 2005 im Bundesgebiet, und zwar zusammen mit seiner deutschen Ehefrau, die ebenfalls aus Kasachstan stammt, und den beiden gemeinsamen in den Jahren 2005 und 2006 geborenen Kindern, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Mit Verfügung vom wies der Beklagte den Kläger im Anschluss an dessen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung aus dem Bundesgebiet aus. Der Beklagte sieht die Voraussetzungen einer zur Regelausweisung herabgestuften Ist-Ausweisung als erfüllt an, hat für den Fall, dass eine Ausnahme von der Regel zu bejahen ist, aber im Ausweisungsbescheid auch Ermessenserwägungen angestellt und diese im Berufungsverfahren ergänzt. Die hiergegen gerichtete Klage war in erster Instanz ohne Erfolg, führte in zweiter Instanz aber zur Aufhebung der Ausweisungsverfügung. Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs wendet sich der Beklagte mit seiner auf eine Grundsatzrüge und Gehörsrügen gestützten Beschwerde.
II
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die erhobene Grundsatzrüge ist unzulässig. Auch die Verfahrensrügen der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör führen nicht zur Zulassung der Revision.
1. Soweit die Beschwerde auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützt wird (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), genügt sie nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.
Die Beschwerde hält die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob im Rahmen der Ermessensentscheidung über die Ausweisung eines Ausländers, der mit einem deutschen Familienangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft lebt, auch berücksichtigt werden darf, dass sich der deutsche Familienangehörige im Heimatland des Auszuweisenden - etwa weil er selbst aus diesem Land stammt und/oder sehr lange dort gelebt hat - so gut auskennt, dass ihm eine gemeinsame Ausreise mit dem Auszuweisenden nach den tatsächlichen Umständen zumutbar ist (Beschwerdebegründung Ziffer 1.). Die Frage sei klärungsbedürftig, weil das Berufungsgericht die Ermessensfehlerhaftigkeit der Ausweisung auf die Rechtsauffassung stütze, dass einer Ehefrau und Kindern mit deutscher Staatsangehörigkeit die Fortsetzung der familiären Lebensgemeinschaft im Ausland nicht zuzumuten sei und die Unzumutbarkeit auch nicht durch eine ausländische Abstammung der Betroffenen relativiert werde.
Mit ihrem Vorbringen zeigt die Beschwerde keine klärungsbedürftige Frage des revisiblen Rechts auf, die in dem erstrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich wäre. Denn das Berufungsgericht hat die Ermessensausübung der Beklagten auch für den Fall als defizitär bewertet, dass die aufgeworfene Rechtsfrage anders zu beantworten und von einer Unzumutbarkeit der Führung der familiären Lebensgemeinschaft im Ausland nur im konkreten Fall auszugehen wäre (UA S. 31). Es hat dies damit begründet, dass der Beklagte die konkreten Lebensumstände der Kinder des Klägers, die sich aus einem Umzug und Aufenthalt in Kasachstan sowie einer anschließenden Reintegration in Deutschland ergäben, nicht hinreichend gewürdigt habe. Gegen diese selbständig tragende Begründung hat sich der Beklagte nicht mit Revisionsrügen gewandt. Damit ist aber weder dargelegt noch in sonstiger Weise ersichtlich, dass sich die aufgeworfene allgemeine Rechtsfrage in dem angestrebten Revisionsverfahren stellen würde.
2. Ohne Erfolg beruft sich der Beklagte auf den Verfahrensmangel der Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO).
Eine Gehörsverletzung sieht die Beschwerde zunächst darin, dass der Verwaltungsgerichtshof den tatsächlichen Gehalt der vom Beklagten zur Begründung der Ausweisung gemachten Ausführungen nicht zur Kenntnis nehme. Das Berufungsurteil gehe nämlich zu Unrecht davon aus, der Beklagte habe im Rahmen seiner Ermessensentscheidung nicht auf die Zumutbarkeit einer Trennung der Familie des Klägers abgestellt, sondern nur auf die Zumutbarkeit einer Führung der familiären Lebensgemeinschaft in Kasachstan (Beschwerdebegründung Ziffer 2.1). Die Ausweisungsentscheidung sei vielmehr durchaus auf die Möglichkeit einer solchen Trennung gestützt und wäge die damit verbundenen Belastungen für den Kläger und seine Familie gegen die für eine Ausweisung sprechenden öffentlichen Interessen ab. Die Zumutbarkeit einer gemeinsamen Ausreise der Familie werde erstmals im Urteil des Verwaltungsgerichts angesprochen. Der Beklagte habe diese Argumentation zwar in seinem Schriftsatz vom aufgegriffen. Die darin getroffenen Aussagen ließen sich aber unter keinem Gesichtspunkt dahin auslegen, dass der Beklagte die bisherigen Ausführungen durch den Hinweis auf die Zumutbarkeit der gemeinsamen Ausreise habe ersetzen und seine Entscheidung tragend nur noch auf diesen Gesichtspunkt habe stützen wollen.
Aus der von der Beschwerde gerügten Bewertung des Inhalts der Ausweisungsentscheidung und des ergänzenden Vorbringens der Beklagten zu ihren Ermessenserwägungen lässt sich keine Gehörsverletzung im Sinne von Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO ableiten. Zwar verpflichtet der Anspruch auf rechtliches Gehör das Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Er will als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die zu treffende Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme oder mangelnder Berücksichtigung des Sachvortrags der Beteiligten haben (vgl. - BVerfGE 70, 215 <218>). Daher müssen die wesentlichen der Rechtsverfolgung dienenden Tatsachenbehauptungen jedenfalls in den Entscheidungsgründen verarbeitet werden, sofern sie nicht nach der Rechtsansicht des Gerichts unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert waren. Dagegen besteht kein Anspruch der Beteiligten, dass das Gericht die vorgebrachten Tatsachen in einem bestimmten Sinne würdigt. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte den ihnen unterbreiteten Parteivortrag zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs ist darum nur anzunehmen, wenn sich aus den besonderen Umständen deutlich ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom - 1 BvR 1365/78 - BVerfGE 54, 43 <45 f.> und vom - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <145 f.>). Solche besonderen Umstände sind im vorliegenden Fall nicht gegeben.
Aus den Gründen des angefochtenen Urteils ergibt sich nämlich, dass das Berufungsgericht den Inhalt des Ausweisungsbescheids auch insofern zur Kenntnis genommen hat, als er im Rahmen der Ausführungen zur Regelausweisung auf die Folgen einer Trennung der Familie durch die Abschiebung eingeht und ausführt, dass diese durch Besuche, Briefe und Telefonate gemildert werden könnten (UA S. 30). Das Gericht bewertet den Inhalt des Bescheids aber dahin, dass diese Ausführungen nicht Bestandteil der hilfsweise angestellten Ermessenserwägungen geworden sind, die sich an die Begründung der Regelausweisung anschließen. Das begründet es damit, dass der Bescheid im Rahmen der Ausführungen zum Ermessen bei den schutzwürdigen persönlichen Belangen des Klägers zwar pauschal auf "die diesbezüglichen obigen Ausführungen" Bezug nehme. Dieser Verweis lasse aufgrund der Unbestimmtheit der Formulierung aber nicht erkennen, dass der Beklagte seinem Ausweisungsermessen eine familiäre Trennung zugrunde gelegt habe. Diese Ausführungen im Berufungsurteil stellen eine Auslegung des Inhalts des angefochtenen Bescheids dar, die auch anders hätte getroffen werden können. Eine unterlassene Kenntnisnahme des Inhalts des Bescheids und eine mangelnde Auseinandersetzung mit ihm lassen sich daraus jedoch nicht ableiten.
Die Verfahrensrüge bleibt auch ohne Erfolg, wenn man davon ausgeht, dass sie der Sache nach eine Verletzung der richterlichen Überzeugungsbildung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO geltend macht. Nach dieser Vorschrift entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Das Gericht ist hiernach verpflichtet, seiner Überzeugungsbildung den im Verfahren festgestellten Sachverhalt vollständig und richtig zugrunde zu legen (vgl. BVerwG 3 B 11.08 - NVwZ 2008, 1355). Allerdings sind Angriffe gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung regelmäßig dem materiellen Recht zuzurechnen und können daher einen Verfahrensmangel nicht begründen. Das gilt auch, wenn man in der angegriffenen Auslegung des Bescheids keine Tatsachenwürdigung, sondern eine rechtliche Bewertung sieht (vgl. hierzu BVerwG 1 C 30.08 - NVwZ 2010, 386 Rn. 18). Ein Verfahrensmangel kann allenfalls ausnahmsweise in Betracht kommen, wenn die Tatsachen- oder Beweiswürdigung objektiv willkürlich ist, gegen die Denkgesetze verstößt oder die allgemeinen Erfahrungssätze missachtet (vgl. etwa BVerwG 7 B 106.02 - NVwZ 2003, 1132 <1135> m.w.N.). Dass die Auslegung des Ausweisungsbescheids durch das Berufungsgericht derartige schwere Mängel aufweist, lässt sich der Beschwerde nicht entnehmen. Das Gericht legt seiner Auslegung keinen "aktenwidrigen" Sachverhalt zugrunde, denn es geht selbst davon aus, dass der Beklagte im Ausweisungsbescheid auf die Folgen einer Trennung der Familie durch die Abschiebung eingegangen ist. Es verneint lediglich die Übernahme dieser Erwägungen in die nachfolgenden Ermessensgründe. Dass der Verweis auf "die diesbezüglichen obigen Ausführungen" im Bescheid zu unbestimmt ist, um die vorangegangenen Erwägungen zur Trennung der Familie auch auf die nachfolgenden Ermessensgründe zu beziehen, ist keine zwingende, aber eine - noch - vertretbare Auslegung des Bescheids. Sie verstößt daher nicht gegen Denkgesetze (vgl. hierzu BVerwG 1 B 274.03 - [...]). Auch im Übrigen ist die Grenze einer willkürlichen Auslegung nicht erreicht.
3. Auf die weiteren Gehörsrügen kommt es nicht mehr entscheidungserheblich an. Denn die Zurückweisung der unter 2. behandelten Verfahrensrüge hat zur Folge, dass gegen einen vom Berufungsgericht festgestellten Fehler der Ermessensentscheidung keine Einwände mehr erhoben werden können und die Ausweisung mit dieser Begründung keinen Bestand haben kann. Ob der Beklagte eine erneute Ermessensausweisung auf die Zumutbarkeit einer Trennung der Familie stützen könnte, ist damit nicht entschieden.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.
Fundstelle(n):
NAAAD-47371