EuGH Urteil v. - C-123/09

Einreihung von Reithandschuhen in die Kombinierte Nomenklatur

Leitsatz

Die Kombinierte Nomenklatur, die den Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1789/2003 der Kommission vom geänderten Fassung bildet, ist dahin gehend auszulegen, dass Reithandschuhe wie die im Ausgangsverfahren streitigen, die aus einem einseitig angerauten und mit einer Kunststoffschicht überzogenen Spinnstoff bestehen, wobei die Trägerschicht aus textilem Gewirke einseitig angeraut und die angeraute Seite anschließend vollständig mit einer Schaumbeschichtung aus Polyurethan überzogen wurde, der eine wesentliche Funktion für die Verwendung der Handschuhe als Reithandschuhe zukommt, in die Unterposition 3926 20 00 der KN einzureihen sind.

Instanzenzug:

Gründe

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur, die den Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. L 256, S. 1) in der durch die Verordnung Nr. 1789/2003 der Kommission vom (ABl. L 281, S. 1) geänderten Fassung bildet (im Folgenden: KN).

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Roeckl Sporthandschuhe GmbH & Co. KG (im Folgenden: Roeckl) und dem Hauptzollamt München über die zolltarifliche Einreihung von Reithandschuhen, die aus einem textilen Gewirke und einer Kunststoffschicht bestehen; das Gewirke wird einseitig angeraut und anschließend auf der angerauten Seite vollständig mit einem Kunststoff, d. h. einer Schaumbeschichtung aus Polyurethan, überzogen.

Rechtlicher Rahmen

Internationales Recht

Das am in Brüssel geschlossene Internationale Übereinkommen, mit dem das Harmonisierte System zur Bezeichnung und Codierung der Waren (im Folgenden: HS) eingeführt wurde, und das dazugehörige Änderungsprotokoll vom (im Folgenden: HS-Übereinkommen) wurden mit dem Beschluss 87/369/EWG des Rates vom (ABl. L 198, S. 1) im Namen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft genehmigt.

Nach Art. 3 Abs. 1 des HS-Übereinkommens verpflichtet sich jede Vertragspartei, ihre Zolltarifnomenklatur und ihre Statistiknomenklaturen mit dem HS in Übereinstimmung zu bringen, alle Positionen und Unterpositionen des HS sowie die dazugehörigen Codenummern zu verwenden, ohne etwas hinzuzufügen oder zu ändern, und die Nummernfolge des HS einzuhalten. Nach der genannten Vorschrift verpflichten sich die Vertragsparteien außerdem, die Allgemeinen Vorschriften für die Auslegung des HS sowie alle Anmerkungen zu den Abschnitten, Kapiteln und Unterpositionen des HS anzuwenden und die Tragweite der Abschnitte, Kapitel, Positionen oder Unterpositionen des HS nicht zu verändern.

Der Rat für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Zollwesens - jetzt Weltzollorganisation (im Folgenden: WZO) -, der durch das am in Brüssel unterzeichnete internationale Abkommen über seine Gründung errichtet wurde, genehmigt nach Maßgabe von Art. 8 des HS-Übereinkommens die von dem in Art. 6 des Übereinkommens geregelten Ausschuss für das HS ausgearbeiteten Erläuterungen und Einreihungsavise. Nach Art. 7 Abs. 1 des HS-Übereinkommens besteht die Aufgabe dieses Ausschusses u. a. darin, Änderungen des HS-Übereinkommens vorzuschlagen und Erläuterungen, Einreihungsavise und sonstige Stellungnahmen zur Auslegung des HS auszuarbeiten.

Nach der Erläuterung VIII zum HS betreffend die Allgemeine Vorschrift 3 b für die Auslegung der KN ist "[d]as Merkmal, das den Charakter einer Ware bestimmt, ... je nach Art der Ware verschieden. Es kann sich z. B. aus der Art und Beschaffenheit des Stoffes oder der Bestandteile, aus seinem Umfang, seiner Menge, seinem Gewicht, seinem Wert oder aus der Bedeutung des Stoffes in Bezug auf die Verwendung der Ware ergeben".

In den allgemeinen Ausführungen in Kapitel 39 der Erläuterungen zum HS "Kunststoffe und Waren daraus" wird der Anwendungsbereich dieses Kapitels beschrieben. Zu den Waren, die unter dieses Kapitel fallen, gehören textile Stoffe in Verbindung mit Kunststoffen. Die allgemeinen Ausführungen hierzu lauten wie folgt:

"Wand- und Deckenverkleidungen, die den Bedingungen der Anmerkung 9 zu diesem Kapitel entsprechen, gehören zu Position 3918. Die Einreihung von Kunststoffen in Verbindung mit textilen Stoffen richtet sich im Wesentlichen nach den Bestimmungen der Anmerkung 1 h) zu Abschnitt XI, der Anmerkung 3 zu Kapitel 56 und der Anmerkung 2 zu Kapitel 59. Zu Kapitel 39 gehören auch folgende Erzeugnisse:

a) Mit Kunststoff getränkte, überzogene oder laminierte Filze mit einem Textilanteil von weniger als 50 GHT sowie vollständig in Kunststoff eingebettete Filze;

b) vollständig in Kunststoff eingebettete, sowie beidseitig vollständig mit Kunststoff beschichtete oder überzogene textile Gewebe oder Vliese, sofern die Beschichtung oder der Überzug mit bloßem Auge erkennbar ist, ohne eventuelle Farbänderungen in Betracht zu ziehen;

c) mit Kunststoff getränkte, überzogene oder laminierte Gewebe, die von Hand, bei einer Temperatur von 15 bis 30 °C, nicht auf eine Spindel von 7 mm Durchmesser aufgerollt werden können, ohne rissig zu werden;

d) Platten, Blätter und Streifen aus Schaumkunststoff in Verbindung mit textilen Flächenerzeugnissen (wie in Anmerkung 1 zu Kapitel 59 definiert), Filz oder Vlies, sofern die textilen Flächenerzeugnisse nur der Verstärkung dienen.

In diesem Zusammenhang dienen ungemusterte, ungebleichte, gebleichte oder einheitlich gefärbte Spinnstoffwaren, Filze oder Vliese nur der Verstärkung, sofern sie nur auf einer Seite der Platten, Blätter oder Streifen aufgebracht sind. Dagegen haben gemusterte, bedruckte oder weitergehend (z. B. durch Rauen) bearbeitete Spinnstoffwaren sowie Spezialerzeugnisse wie Samt, Tüll, Spitzen und Spinnstofferzeugnisse der Position 5811 eine weitergehende Funktion als die einer bloßen Verstärkung.

..."

Gemeinschaftsrecht

Die KN beruht auf dem HS. Sie übernimmt die Positionen und sechsstelligen Unterpositionen des HS, nur die siebte und die achte Stelle bilden spezielle Unterteilungen der KN.

Teil I der KN enthält eine Reihe einführender Vorschriften. In diesem Teil heißt es in Titel I "Allgemeine Vorschriften" in Abschnitt A "Allgemeine Vorschriften für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur" (im Folgenden: Allgemeine Vorschriften):

"Für die Einreihung von Waren in die [KN] gelten folgende Grundsätze:

1. Die Überschriften der Abschnitte, Kapitel und Teilkapitel sind nur Hinweise. Maßgebend für die Einreihung sind der Wortlaut der Positionen und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln und - soweit in den Positionen oder in den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln nichts anderes bestimmt ist - die nachstehenden Allgemeinen Vorschriften.

2. ...

b) Jede Anführung eines Stoffes in einer Position gilt für diesen Stoff sowohl in reinem Zustand als auch gemischt oder in Verbindung mit anderen Stoffen. Jede Anführung von Waren aus einem bestimmten Stoff gilt für Waren, die ganz oder teilweise aus diesem Stoff bestehen. Solche Mischungen oder aus mehr als einem Stoff bestehenden Waren werden nach den Grundsätzen der Allgemeinen Vorschrift 3 eingereiht.

3. Kommen für die Einreihung von Waren bei Anwendung der Allgemeinen Vorschrift 2 b) oder in irgendeinem anderen Fall zwei oder mehr Positionen in Betracht, so wird wie folgt verfahren:

...

b) Mischungen, Waren, die aus verschiedenen Stoffen oder Bestandteilen bestehen, und für den Einzelverkauf aufgemachte Warenzusammenstellungen, die nach der Allgemeinen Vorschrift 3 a) nicht eingereiht werden können, werden nach dem Stoff oder Bestandteil eingereiht, der ihnen ihren wesentlichen Charakter verleiht, wenn dieser Stoff oder Bestandteil ermittelt werden kann.

c) Ist die Einreihung nach den Allgemeinen Vorschriften 3 a) und 3 b) nicht möglich, wird die Ware der von den gleichermaßen in Betracht kommenden Positionen in dieser Nomenklatur zuletzt genannten Position zugewiesen.

..."

Teil II der KN enthält den Abschnitt VII, der "Kunststoffe und Waren daraus; Kautschuk und Waren daraus" betrifft. Zu diesem Abschnitt gehört das Kapitel 39 "Kunststoffe und Waren daraus".

In der zusätzlichen Anmerkung zu Kapitel 39 der KN heißt es:

"In das Kapitel 39 gehören mit Zellkunststoff getränkte, bestrichene oder überzogene Fingerhandschuhe, Handschuhe ohne Fingerspitzen und Fausthandschuhe unabhängig davon,

- ob sie aus mit Zellkunststoff getränkten, bestrichenen oder überzogenen Geweben, Gewirken, Gestricken (anderen als solchen der Position 5903), Filzen oder Vliesstoffen konfektioniert sind oder

- aus nicht getränkten, bestrichenen oder überzogenen Geweben, Gewirken, Gestricken, Filzen oder Vliesstoffen konfektioniert und anschließend mit Zellkunststoff getränkt, bestrichen oder überzogen worden sind,

sofern diese Gewebe, Gewirke, Gestricke, Filze oder Vliesstoffe nur der Verstärkung dienen (Anmerkung 3 c) zu Kapitel 56 und Anmerkung 2 a) 5) zu Kapitel 59)."

Die Position 3926 der KN umfasst die Unterposition 3926 20 00 und lautet wie folgt:

KN-Code|Warenbezeichnung|Vertragsmäßiger Zollsatz (%)|Besondere Maßeinheit

1|2|3|4

3926|Andere Waren aus Kunststoffen und Waren aus anderen Stoffen der Positionen 3901 bis 3914:||

...|||

3926 20 00|â^'Kleidung und Bekleidungszubehör (einschließlich Fingerhandschuhe, Handschuhe ohne Fingerspitzen und Fausthandschuhe) |6,5|-

Abschnitt XI der KN betreffend "Spinnstoffe und Waren daraus" umfasst Kapitel 56 "Watte, Filze und Vliesstoffe; Spezialgarne; Bindfäden, Seile und Taue; Seilerwaren", Kapitel 59 "Getränkte, bestrichene, überzogene oder mit Lagen versehene Gewebe; Waren des technischen Bedarfs, aus Spinnstoffen" und Kapitel 61 "Kleidung und Bekleidungszubehör, aus Gewirken oder Gestricken".

In den Anmerkungen zu Abschnitt XI heißt es:

"1. Zu Abschnitt XI gehören nicht:

...

h) Gewebe, Gewirke, Gestricke, Filze und Vliesstoffe, mit Kunststoff getränkt, bestrichen oder überzogen oder mit Lagen aus Kunststoff versehen, und Waren daraus, des Kapitels 39;

..."

In Anmerkung 3 zu Kapitel 56 in Abschnitt XI der KN heißt es:

"Zu den Positionen 5602 und 5603 gehören auch Filze und Vliesstoffe, mit Kunststoff oder Kautschuk getränkt, bestrichen oder überzogen oder mit Lagen aus diesen Stoffen versehen, ohne Rücksicht auf die Beschaffenheit dieser Stoffe (fest oder zellförmig).

Zu Position 5603 gehören auch Vliesstoffe, die als Bindemittel Kunststoff oder Kautschuk enthalten.

Zu den Positionen 5602 und 5603 gehören jedoch nicht:

...

c) Platten, Blätter oder Streifen aus Zellkunststoff oder Zellkautschuk, in Verbindung mit Filz oder Vliesstoff, bei denen der Spinnstoff nur der Verstärkung dient (Kapitel 39 oder 40).

..."

In Anmerkung 2 a zu Kapitel 59 in Abschnitt XI der KN heißt es:

"Zu Position 5903 gehören:

a) Gewebe, mit Kunststoff getränkt, bestrichen oder überzogen oder mit Lagen aus Kunststoff versehen, ohne Rücksicht auf das Quadratmetergewicht und die Beschaffenheit des Kunststoffs (fest oder zellförmig), ausgenommen:

...

5) Platten, Folien oder Streifen aus Zellkunststoff, in Verbindung mit Geweben, sofern die Gewebe nur der Verstärkung dienen (Kapitel 39);

..."

In den zusätzlichen Anmerkungen zu Kapitel 61 in Abschnitt XI der KN heißt es:

"...

3. Zu Position 6111 oder zu den Unterpositionen 6116 10 20 bzw. 6116 10 80 gehören:

mit Kautschuk oder Kunststoff getränkte, bestrichene oder überzogene Fingerhandschuhe, Handschuhe ohne Fingerspitzen und Fausthandschuhe unabhängig davon,

- ob sie aus mit Kunststoff oder Kautschuk getränkten, bestrichenen oder überzogenen Gewirken oder Gestricken der Position 5903 oder 5906 konfektioniert sind oder

- aus nicht getränkten, bestrichenen oder überzogenen Gewirken oder Gestricken konfektioniert und anschließend mit Kunststoff oder Kautschuk getränkt, bestrichen oder überzogen worden sind.

In die Kapitel 39 bzw. 40 gehören mit Zellkautschuk oder Zellkunststoff getränkte, bestrichene oder überzogene Fingerhandschuhe, Handschuhe ohne Fingerspitzen und Fausthandschuhe, auch wenn sie aus nicht getränkten, bestrichenen oder überzogenen Gewirken oder Gestricken konfektioniert und anschließend mit Zellkunststoff oder Zellkautschuk getränkt, bestrichen oder überzogen worden sind, sofern die Gewirke oder Gestricke nur der Verstärkung dienen (Anmerkung 2 a) 5 und Anmerkung 4 letzter Absatz zu Kapitel 59)."

Die Position 6116 der KN umfasst die Unterposition 6116 10 80 und lautet wie folgt:

KN-Code|Warenbezeichnung|Vertragsmäßiger Zollsatz (%)|Besondere Maßeinheit

1|2|3|4

6116|Fingerhandschuhe, Handschuhe ohne Fingerspitzen und Fausthandschuhe, aus Gewirken oder Gestricken:||

6116 10|â^'mit Kunststoff oder Kautschuk getränkt, bestrichen oder überzogen:||

6116 10 20|â^'â^'Fingerhandschuhe, mit Kautschuk getränkt, bestrichen oder überzogen|8|pa

6116 10 80|â^'â^'andere|8,9|pa

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

Roeckl ist eine Gesellschaft, die Handschuhe vertreibt; ihre beiden im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Reithandschuh-Modelle tragen die Artikelnummern 3301-208 und 3301-233. Diese Modelle bestehen aus einem Material, das sich aus einem Gewirke und einer Kunststoffschicht zusammensetzt. Zu dessen Herstellung wird die Trägerschicht aus textilem Gewirke einseitig angeraut und die angeraute Seite anschließend vollständig mit einer Schaumbeschichtung aus Polyurethan überzogen. Die zur Haut des Handschuhträgers hin gewandte Seite des Gewirkes wird nicht angeraut.

Die Oberfinanzdirektion Koblenz - Zolltechnische Prüfungs- und Lehranstalt erteilte der Klägerin des Ausgangsverfahrens am die verbindliche Zolltarifauskunft DE F/2113/00-1 für das Handschuh-Modell mit der Artikelnummer 3301-208 und reihte dieses in die Unterposition 6116 10 80 der KN ein.

Roeckl erhob gegen diese Entscheidung Klage, die das Finanzgericht Rheinland-Pfalz am vor allem aus dem Grund abwies, dass das für die Herstellung des fraglichen Handschuhs verwendete Gewirke durch Rauen weitergehend bearbeitet worden sei und daher nicht lediglich der Verstärkung der Kunststoffschicht diene.

Am gab Roeckl für den Abrechnungszeitraum Dezember 2004 eine ergänzende Zollanmeldung zur Überführung von verschiedenen Handschuhen, darunter die im Ausgangsverfahren streitigen Reithandschuhe, in den zollrechtlich freien Verkehr ab und reihte die genannten Reithandschuhe dabei in die Unterposition 6116 10 80 der KN ein. Das Hauptzollamt München setzte aufgrund dessen mit Einfuhrabgabenbescheid vom Einfuhrabgaben in Höhe von insgesamt 58 753,24 Euro fest. Roeckl legte daraufhin beim Hauptzollamt München gegen diesen Bescheid Einspruch ein, der mit Einspruchsentscheidung vom zurückgewiesen wurde.

Roeckl erhob anschließend bei dem vorlegenden Gericht Klage gegen diese Entscheidung und machte geltend, dass die im Ausgangsverfahren streitigen Reithandschuhe in die Unterposition 3926 20 00 der KN einzureihen seien, insbesondere weil das Anrauen des textilen Gewirkes ausschließlich der Verbesserung der Haftung zwischen der Kunststoffbeschichtung und dem textilen Flächenerzeugnis diene und daher als Vorgang anzusehen sei, der bewirke, dass der Spinnstoff als Verstärkung der Kunststoffschicht dienen könne.

Angesichts dieser Umstände fragt sich das vorlegende Gericht, ob der Spinnstoff durch das Anrauen automatisch eine über eine bloße Verstärkung hinausgehende Funktion erhält. Es hält dies jedoch für fraglich, da das Anrauen ausschließlich der Verbesserung der Haftung des Kunststoffs auf dem Spinnstoff diene.

Unter diesen Umständen hat das Finanzgericht München das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist die Unterposition 3926 20 00 der Kombinierten Nomenklatur dahin gehend auszulegen, dass hiervon auch solche Spinnstoffwaren erfasst werden, die einseitig angeraut und mit einer Kunststoffschicht überzogen sind, aber denen keine über eine bloße Verstärkung hinaus gehende Funktion zukommt, sondern bei denen das Rauen ausschließlich der besseren Haftung der Kunststoffschicht dient und nach der Fertigstellung der Ware für den Verwender nicht mehr wahrnehmbar ist (vgl. auch Erläuterung 56.6 zum Harmonisierten System betreffend Kapitel 39 der Kombinierten Nomenklatur)?

Zur Vorlagefrage

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Reithandschuhe wie die im Ausgangsverfahren streitigen als Kunststofferzeugnis in die Unterposition 3926 20 00 der KN oder als Spinnstofferzeugnis in die Unterposition 6116 10 80 der KN einzureihen sind.

Zunächst ist nach ständiger Rechtsprechung im Interesse der Rechtssicherheit und der leichten Nachprüfbarkeit das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Positionen der KN und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind (vgl. insbesondere Urteile vom , Olicom, C-142/06, Slg. 2007, I-6675, Randnr. 16, und vom , Kip Europe u. a., C-362/07 und C-363/07, Slg. 2008, I-9489, Randnr. 26).

Ferner kann der Verwendungszweck der Ware ein objektives Tarifierungskriterium sein, sofern er der Ware innewohnt, was sich anhand der objektiven Merkmale und Eigenschaften der Ware beurteilen lässt (vgl. Urteile vom , RUMA, C-183/06, Slg. 2007, I-1559, Randnr. 36, und Olicom, Randnr. 18).

Schließlich sind sowohl die Anmerkungen zu den Kapiteln des Gemeinsamen Zolltarifs als auch die Erläuterungen zum HS wichtige Hilfsmittel, um eine einheitliche Anwendung des Zolltarifs zu gewährleisten, und können deshalb als wertvolle Erkenntnismittel für die Auslegung des Tarifs angesehen werden (vgl. Urteile vom , Siemens Nixdorf, C-11/93, Slg. 1994, I-1945, Randnr. 12, vom , Techex, C-382/95, Slg. 1997, I-7363, Randnr. 12, vom , Peacock, C-339/98, Slg. 2000, I-8947, Randnr. 10, und Olicom, Randnr. 17).

Im Ausgangsverfahren ist festzustellen, dass die aus einem Gewirke und einer Kunststoffschicht bestehenden streitigen Reithandschuhe weder vom Wortlaut der Positionen der KN noch von dem der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln der KN ausdrücklich erfasst werden.

So erfasst die Position 3926 der KN, in die die im Ausgangsverfahren streitigen Reithandschuhe nach Ansicht von Roeckl gehören, dem Wortlaut nach insbesondere "andere Waren aus Kunststoffen und Waren aus anderen Stoffen der Positionen 3901 bis 3914", während die Position 6116 der KN dem Wortlaut nach insbesondere "Fingerhandschuhe, Handschuhe ohne Fingerspitzen und Fausthandschuhe, aus Gewirken oder Gestricken" erfasst. In die Unterposition 3926 20 00 der KN gehören insbesondere "Kleidung und Bekleidungszubehör (einschließlich Fingerhandschuhe, Handschuhe ohne Fingerspitzen und Fausthandschuhe)", während die Unterposition 6116 10 80 der KN, die in der Kategorie der Fingerhandschuhe, Handschuhe ohne Fingerspitzen und Fausthandschuhe, aus Gewirken oder Gestricken, mit Kunststoff oder Kautschuk getränkt, bestrichen oder überzogen, enthalten ist, im Verhältnis zur Unterposition 6116 10 20 der KN, die "Fingerhandschuhe, mit Kautschuk getränkt, bestrichen oder überzogen", umfasst, durch die Verwendung des allgemeinen Begriffs "andere" negativ definiert ist.

Da die im Ausgangsverfahren streitigen Reithandschuhe aus verschiedenen Stoffen bestehen und es für ihre Einreihung keine spezifische Tarifposition gibt, ist die einzige Bestimmung, die für die Einreihung dieser Handschuhe herangezogen werden kann, somit die Allgemeine Vorschrift 3 b (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 21. Juni 1988, Sportex, 253/87, Slg. 1988, 3351, Randnr. 7, und vom , Turbon International, C-250/05, Slg. 2006, I-10531, Randnr. 20).

Die Allgemeine Vorschrift 3 b, die eben die Fälle erfasst, in denen für die Einreihung von Waren zwei oder mehr Positionen in Betracht kommen, sieht nämlich vor, dass Mischungen, die nach der Allgemeinen Vorschrift 3 a nicht eingereiht werden können, nach dem Stoff oder Bestandteil eingereiht werden, der ihnen ihren wesentlichen Charakter verleiht, wenn dieser Stoff oder Bestandteil ermittelt werden kann. Andernfalls wären sie nach der Allgemeinen Vorschrift 3 c derjenigen Position zuzuweisen, die von den gleichermaßen in Betracht kommenden Positionen in der KN zuletzt genannt ist (vgl. Urteil Kip Europe u. a., Randnr. 49).

Zu den Kriterien, die für die Einreihung der im Ausgangsverfahren streitigen Reithandschuhe in die KN anzuwenden sind, fragt sich das vorlegende Gericht, ob das Anrauen des Spinnstoffs in dem von ihm zu entscheidenden Rechtsstreit als hinreichendes Kriterium angesehen werden kann, um dem Spinnstoff automatisch eine über eine bloße Verstärkung hinausgehende Funktion zu verleihen, was dazu führen würde, dass diese Handschuhe als Spinnstofferzeugnisse in die Position 6116 der KN einzureihen wären.

Dazu ist festzustellen, dass in der Zusätzlichen Anmerkung 3 letzter Absatz zu Kapitel 61 der KN sowie in der Zusätzlichen Anmerkung zu Kapitel 39 der KN der Anwendungsbereich des Kapitels 39 der KN bezeichnet wird. Dieser umfasst mit Zellkunststoff getränkte, bestrichene oder überzogene Fingerhandschuhe, Handschuhe ohne Fingerspitzen und Fausthandschuhe, auch wenn sie aus nicht getränkten, bestrichenen oder überzogenen Gewirken oder Gestricken konfektioniert und anschließend mit Zellkunststoff getränkt, bestrichen oder überzogen worden sind, sofern die Gewirke oder Gestricke nur der Verstärkung dienen. In Kapitel 39 der KN gehören außerdem Platten, Blätter und Streifen aus Schaumkunststoff in Verbindung mit textilen Flächenerzeugnissen (wie in Anmerkung 1 zum genannten Kapitel 59 definiert), Filz oder Vlies, sofern die textilen Flächenerzeugnisse nur der Verstärkung dienen.

Nach den Erläuterungen zum HS betreffend Kapitel 39 der KN dienen nur der Verstärkung ungemusterte, ungebleichte, gebleichte oder einheitlich gefärbte Spinnstoffwaren, Filze oder Vliese, sofern sie nur auf einer Seite der Platten, Blätter oder Streifen aufgebracht sind. Dagegen haben gemusterte, bedruckte oder weitergehend (z. B. durch Rauen) bearbeitete Spinnstoffwaren sowie Spezialerzeugnisse wie Samt, Tüll, Spitzen und Spinnstofferzeugnisse der Position 5811 eine weitergehende Funktion als die einer bloßen Verstärkung.

Die Erläuterungen zum HS stellen Hinweise dar, die erheblich zur Auslegung der einzelnen Positionen der KN beitragen (vgl. Urteil vom , Kawasaki Motors Europe, C-15/05, Slg. 2006, I-3657, Randnr. 36), ohne jedoch rechtsverbindlich zu sein (vgl. Urteil vom , B.A.S. Trucks, C-400/05, Slg. 2007, I-311, Randnr. 28).

Nach Ansicht der Europäischen Kommission finden die Kriterien zur Bestimmung des Begriffs der Verstärkung in Bezug auf den Spinnstoff angesichts des ausdrücklichen Hinweises in den Erläuterungen zum HS betreffend Kapitel 39 der KN ausschließlich auf zusammengesetzte Erzeugnisse Anwendung, die aus einem Kunststoff bestehen, auf den eine Stoffschicht aufgetragen wird. Dies sei im Ausgangsverfahren, wo nicht das Gewirke auf den Kunststoff, sondern der Kunststoff auf das Gewirke aufgetragen werde, nicht der Fall; das Gewirke könne somit nicht als bloße Verstärkung des Kunststoffs angesehen werden. Im Übrigen könne von den Materialien, aus denen die im Ausgangsverfahren streitigen Reithandschuhe bestünden, weder dem Gewirke noch dem Kunststoff ein überwiegendes Gewicht beigemessen werden. Außerdem werde das Gewirke der Handschuhe vom Kunststoff nicht vollständig ummantelt. Aufgrund der besonderen Struktur der fraglichen Handschuhe seien die in den Anmerkungen zur KN und in den Erläuterungen zum HS genannten Kriterien demnach nicht verwendbar.

Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. Diese Auslegung hätte für Erzeugnisse wie die des Ausgangsverfahrens nämlich zur Folge, dass auf die in der KN und im HS enthaltenen, für die Einreihung dieser Erzeugnisse nützlichen Hinweise verzichtet und folglich die Tragweite der Anmerkungen zur KN und der Erläuterungen zum HS beschränkt würde. Sowohl in Kapitel 39 der KN als auch in der Erläuterung zum HS betreffend dieses Kapitel heißt es nämlich, dass aus Kunststoff und Stoff zusammengesetzte Erzeugnisse in deren Anwendungsbereich fielen und als Kunststoff einzureihen seien, wenn der Spinnstoff als bloße Verstärkung des Kunststoffs diene. Es spricht daher nichts dagegen, diese Kriterien auf Erzeugnisse wie die des Ausgangsverfahrens anzuwenden.

Die Aufzählung der Eigenschaften des Stoffs, aufgrund deren der Stoff nach der Erläuterung zum HS betreffend Kapitel 39 der KN als bloße Verstärkung des Kunststoffs anzusehen ist, darf jedoch nicht in dem Sinne verstanden werden, dass die bloße Addierung der Eigenschaften der im Ausgangsverfahren streitigen Reithandschuhe für sich genommen für deren Einreihung maßgeblich wäre. Wie in Randnr. 33 des vorliegenden Urteils ausgeführt, sind vielmehr der Gesamteindruck dieser Reithandschuhe und sämtliche Eigenschaften, die ihnen ihren wesentlichen Charakter verleihen, zu würdigen, wobei insbesondere die relative Bedeutung der für die Einreihung dieser Handschuhe verwendeten Kriterien zu berücksichtigen ist. Das bei den genannten Handschuhen erfolgte Anrauen des Spinnstoffs kann demnach nicht das maßgebliche Kriterium für deren Einreihung darstellen.

Nach der Allgemeinen Vorschrift 3 b ist zur Tarifierung einer Ware die Feststellung erforderlich, welcher der Stoffe, aus denen sie besteht, ihr ihren wesentlichen Charakter verleiht; hierzu ist zu prüfen, ob die Ware auch ohne den einen oder anderen ihrer Bestandteile ihre charakteristischen Eigenschaften behalten würde (vgl. Urteile vom , VauDe Sport, C-288/99, Slg. 2001, I-3683, Randnr. 25, Turbon International, Randnr. 21, und vom , Siebrand, C-150/08, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 31).

Wie sich aus der Erläuterung VIII zum HS betreffend die Allgemeine Vorschrift 3 b ergibt, kann sich außerdem das Merkmal, das den wesentlichen Charakter bestimmt, je nach der Art des Erzeugnisses z. B. aus der Art und Beschaffenheit des Stoffes oder der Bestandteile, aus seinem Umfang, seiner Menge, seinem Gewicht, seinem Wert oder aus der Bedeutung eines der Stoffe in Bezug auf die Verwendung dieses Erzeugnisses ergeben.

Im Ausgangsverfahren sind die streitigen Handschuhe zur Verwendung beim Reiten bestimmt. Ihre Funktion besteht in erster Linie darin, das Halten der Zügel und die Kontrolle des Pferdes zu ermöglichen, wobei es vor allem auf Schmiegsamkeit und Feingefühl beim Greifen ankommt. Der Bestandteil der Handschuhe, der die Erfüllung dieser Funktion ermöglicht und speziell zu diesem Zweck gefertigt wurde, ist jedoch die Schaumbeschichtung aus Polyurethan, mit der die gesamte Außenseite dieser Handschuhe überzogen ist und mit der die Zügel berührt werden. Durch den Spinnstoff im Innern des Handschuhs wurden die Eigenschaften dieses Polyurethans nicht grundlegend verändert, sondern nur dessen Effizienz gesteigert, indem das Feingefühl beim Greifen verbessert und der Komfort für den Träger erhöht wurde. Folglich ist festzustellen, dass nicht der Spinnstoff, sondern die Schaumbeschichtung aus Polyurethan den im Ausgangsverfahren streitigen Reithandschuhen ihren wesentlichen Charakter verleiht.

Aufgrund der vorstehenden Erwägungen ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass die KN dahin gehend auszulegen ist, dass Reithandschuhe wie die im Ausgangsverfahren streitigen, die aus einem einseitig angerauten und mit einer Kunststoffschicht überzogenen Spinnstoff bestehen, wobei die Trägerschicht aus textilem Gewirke einseitig angeraut und die angeraute Seite anschließend vollständig mit einer Schaumbeschichtung aus Polyurethan überzogen wurde, der eine wesentliche Funktion für die Verwendung der Handschuhe als Reithandschuhe zukommt, in die Unterposition 3926 20 00 der KN einzureihen sind.

Kosten

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

Die Kombinierte Nomenklatur, die den Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1789/2003 der Kommission vom geänderten Fassung bildet, ist dahin gehend auszulegen, dass Reithandschuhe wie die im Ausgangsverfahren streitigen, die aus einem einseitig angerauten und mit einer Kunststoffschicht überzogenen Spinnstoff bestehen, wobei die Trägerschicht aus textilem Gewirke einseitig angeraut und die angeraute Seite anschließend vollständig mit einer Schaumbeschichtung aus Polyurethan überzogen wurde, der eine wesentliche Funktion für die Verwendung der Handschuhe als Reithandschuhe zukommt, in die Unterposition 3926 20 00 der KN einzureihen sind.

Fundstelle(n):
FAAAD-45035