BVerwG Beschluss v. - 2 B 5/10

Überlange Verfahrensdauer; Berücksichtigung bei der Disziplinarmaßnahme

Gesetze: § 16 Abs 2 DG HE, § 13 Abs 3 DG HE, § 15 BDG

Instanzenzug: Hessischer Verwaltungsgerichtshof Az: 28 A 2446/08.D Urteil

Gründe

1Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Sache und auf Verfahrensrügen im Sinne des § 73 HDG, § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde des Beklagten ist unbegründet.

21. Für grundsätzlich klärungsbedürftig hält die Beschwerde,

ob das in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK enthaltene Beschleunigungsgebot auf die Rechtsfolge im Disziplinarverfahren Einfluss hat in der Weise, dass unter bestimmten, hier gegebenen Voraussetzungen auf Grund eines Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot die Höchststrafe, nämlich die Aberkennung des Ruhegehalts a) unzulässig ist oder b) mit einer Kompensation gemäß § 13 Abs. 3 HDG verbunden werden muss, die die überlange Verfahrensdauer angemessen ausgleicht.

3Zunächst ist klarzustellen, dass das Disziplinarverfahren anderen Zwecken dient als das Strafverfahren und dass im Disziplinarverfahren deshalb keine Strafen, sondern disziplinarische Maßnahmen verhängt werden. Hiervon abgesehen ist die aufgeworfene Frage nicht klärungsbedürftig. Sie ist vielmehr durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dahingehend geklärt, dass - unabhängig davon, ob darin zugleich ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK zu sehen ist (vgl. hierzu BVerwG 2 B 62.09 - juris) - eine überlange Verfahrensdauer sich bei solchen Disziplinarmaßnahmen als Milderungsgrund auswirken kann und u.U. muss, die der Pflichtenmahnung dienen. Hierbei steht die Überlegung im Vordergrund, dass das Disziplinarverfahren als solches belastend ist und der von ihm ausgehende andauernde Leidensdruck und die mit ihm verbundenen Nachteile bereits pflichtenmahnende Wirkung haben. Deswegen kann eine pflichtenmahnende Disziplinarmaßnahme unvereinbar mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit werden, wenn das Disziplinarverfahren unverhältnismäßig lange dauert. Bei Fortbestand des Beamtenverhältnisses kann das durch ein Dienstvergehen ausgelöste Sanktionsbedürfnis gemindert werden oder sogar entfallen, weil die mit dem Disziplinarverfahren verbundenen wirtschaftlichen und dienstlichen Nachteile positiv auf den Beamten eingewirkt haben (Beschlüsse vom - BVerwG 2 B 66.09 - juris und vom - BVerwG 2 B 22.09 - juris; vgl. auch BVerwG 1 D 6.06 - ZBR 2008, 200 = NVwZ 2008, 1375 <insoweit nicht veröffentlicht in Buchholz 235 § 4 BDO Nr. 3>).

4Demgegenüber ist geklärt, dass die Verfahrensdauer es nicht rechtfertigt, von der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis oder der Aberkennung des Ruhegehalts abzusehen, wenn diese Maßnahme geboten ist. Bei der Dienstentfernung geht es darum, das Beamtenverhältnis in Fällen besonders schwerwiegender Dienstvergehen zu beenden, weil der Beamte im öffentlichen Dienst untragbar geworden ist. An dem endgültigen Vertrauensverlust, den er durch sein Fehlverhalten herbeigeführt hat, vermag eine lange Verfahrensdauer nichts zu ändern. Das verlorene Vertrauen kann nicht durch Zeitablauf wiederhergestellt werden. Dies gilt gemäß § 16 Abs. 2 Satz 2 HDG gleichermaßen für die Aberkennung des Ruhegehalts (vgl. - BVerfGE 46, 17 <28 f.>; Kammerbeschluss vom - 2 BvR 1003/05 - DVBl 2006, 1372; BVerwG 1 D 30.03 - juris Rn. 80 und vom - BVerwG 1 D 3.04 - juris Rn. 27; Beschlüsse vom - BVerwG 2 B 19.05 - Buchholz 235.1 § 15 BDG Nr. 2 Rn. 8, vom - BVerwG 2 B 53.08 juris, vom - BVerwG 2 B 66.09 juris und vom - BVerwG 2 B 62.09 juris).

52. Auch die Verfahrensrügen greifen nicht durch.

6a) Die Beschwerde beanstandet als Verfahrensmangel, dass dem Beklagten das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen nicht mitgeteilt und ihm die Möglichkeit nicht eingeräumt worden sei, weitere Ermittlungen zu beantragen und sich abschließend zu äußern.

7Das Berufungsgericht hat diesen im behördlichen Verfahren unterlaufenen Fehler erkannt und den Kläger unter Fristsetzung aufgefordert, die Mitteilung und die Anhörung nachzuholen. Wie der Beklagte selbst vorträgt, ist dies geschehen. Unter diesen Umständen ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund die Rüge (noch) durchgreifen könnte.

8b) Ferner rügt die Beschwerde, dass der Kläger zwei im Zuge der Anhörung gestellten Beweisanträgen des Beklagten nicht stattgegeben hat. Hierin liege ein Mangel, da der Dienstherr innerhalb der ihm zur Nachbesserung gesetzten Frist die aufgezeigten Mängel zu beheben, nicht aber neue zu produzieren habe.

9Auch diese Rüge greift nicht durch. Zwar ist der Dienstherr nach pflichtgemäßem Ermessen verpflichtet, Beweisanträgen nachzugehen (§ 27 Abs. 3 Satz 1 HDG). Verletzt er diese Pflicht, stellt dies jedoch keinen zur Einstellung des Disziplinarverfahrens führenden Verfahrensmangel dar; vielmehr kann der Fehler im gerichtlichen Verfahren geheilt werden, weil die Festsetzung der zu treffenden Disziplinarmaßnahme Sache des Gerichts ist. Das Berufungsgericht hat im Einzelnen ausgeführt (UA S. 19), dass dem Beklagten aus einem Schriftsatz des Klägers die Gründe bekannt waren, weshalb der Kläger den Anträgen des Beklagten auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens und auf Vernehmung des Vertreters der Einleitungsbehörde nicht nachgegangen war. Wie das Berufungsgericht hierzu zutreffend ausgeführt hat, war es dem Beklagten möglich, hierzu Stellung zu nehmen, und dem Kläger, den Vortrag des Beklagten während des laufenden Klageverfahrens zur Kenntnis zu nehmen und hierauf zu reagieren. Schließlich hat das Berufungsgericht mit Recht auf die Möglichkeit des Beklagten hingewiesen, im gerichtlichen Verfahren Beweisanträge zu stellen.

10c) Ohne Erfolg bleibt auch die weitere Rüge des Beklagten, verfahrensfehlerhaft sei seinem Antrag nicht entsprochen worden, ein Sachverständigengutachten zu seiner Behauptung einzuholen, er sei im Zeitpunkt der ihm vorgeworfenen Straftat dienstunfähig gewesen.

11Bei der Prüfung, ob das Berufungsgericht seine Aufklärungspflicht verletzt hat, ist seine materiell-rechtliche Auffassung zu Grunde zu legen. Nach Auffassung des Berufungsgerichts kam es darauf an, ob der Beklagte krankheitsbedingt nur eingeschränkt für sein Handeln verantwortlich gemacht werden konnte, nicht dagegen darauf, ob seine Dienstfähigkeit zum Tatzeitpunkt eingeschränkt war. Von diesem materiell-rechtlichen Standpunkt aus war die beantragte Beweisaufnahme nicht erforderlich.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
UAAAD-44379