Zweifelsfragen hinsichtlich der Anwendung des und der geänderten Rechtsprechung des BFH zur Feststellungsfrist bei der Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags nach § 10d Abs. 4 EStG
Mit dem wird auf die Anwendung der geänderten Rechtsprechung des BFH verwiesen (vgl. , BStBl II 2009, 816) und das entgegenstehende (BStBl I 2007, 825) aufgehoben.
Nachfolgende Hinweise können ggf. bei Wiederaufnahme der Bearbeitung der zurückgestellten Fälle – auch hinsichtlich der weiteren nunmehr veröffentlichten , BStBl II 2009, 898, sowie vom , BStBl II 2010, 31 – als Hilfestellung dienen:
1. Für die Frage, ob Anträgen auf eine erstmalige Verlustfeststellung entsprochen werden kann, kann für den Grundfall das in der Anlage beigefügte Prüfschema hilfreich sein (liegt nicht vor).
Danach ist in Anlehnung an die Ausführungen im , RZ 15, in einem ersten Schritt zu klären, wofür die beantragte Verlustfeststellung „von Bedeutung” ist.
Dies kann sein
entweder für eine (noch nicht verjährte) Einkommensteuerfestsetzung, in der eine Verrechnung des beantragten Verlustes erfolgen kann,
oder für eine (noch nicht verjährte) Verlustfeststellung, die in der Zukunft zu einer Verrechnung innerhalb einer Einkommensteuerfestsetzung führen kann; es reicht also aus, dass dadurch in irgendeinem nachfolgenden – noch nicht verjährten – Jahr ein bereits festgestellter oder noch festzustellender Verlust erhöht werden kann.
Eine mittelbare Bindungswirkung (z. B. über mehrere Jahre hinweg) genügt insoweit. Die Überprüfung der beiden Varianten a) und b) muss unabhängig voneinander für jede beantragte Verlustfeststellung und für jedes Jahr separat erfolgen.
Ist danach eine Festsetzungs- oder Feststellungsverjährung nicht eingetreten, ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob für die begehrte Verlustfeststellung selbst im Zeitpunkt der Überprüfung des Antrags die Feststellungsfrist abgelaufen ist.
Für die Berechnung der Feststellungsfristen gelten die Regelungen der Festsetzungsfristen entsprechend, §§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 181 Abs. 1 Satz 2 AO.
Im Ergebnis kann es aufgrund des nachträglich eingefügten § 10d Abs. 4 Satz 6 EStG dazu kommen, dass gerade für die jüngeren Jahre (für die die Feststellungsfrist nach dem endet) eine Verlustfeststellung unter Anwendung des § 181 Abs. 5 AO nur noch in Betracht kommt, wenn die Finanzbehörde durch pflichtwidriges Unterlassen zur Nichtfeststellung des Verlustes beigetragen hat.
2. Einzelfragen und Konsequenzen, die sich bei der weiteren Bearbeitung ergeben können:
a) Änderungskette gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO
Ist für irgendeinen Zeitpunkt eine erstmalige Feststellung möglich, so sind für alle nachfolgenden Feststellungszeitpunkte gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO Feststellungen erstmalig durchzuführen bzw. zu ändern und der zu berücksichtigende Verlust aufzunehmen. Der Feststellungsbescheid nach § 10d Abs. 4 EStG ist insoweit Grundlagenbescheid für den Feststellungsbescheid nach § 10d Abs. 4 EStG des Folgejahres.
Im Bezug auf das Zusammenwirken des § 181 Abs. 5 AO und die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 10 AO wird auf das (NV) verwiesen.
b) Kollision von Änderungsketten gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO und § 10d Abs. 4 S. 6 HS. 2 EStG
Werden für einen viele Jahre übergreifenden Zeitraum Verlustfeststellungen (VF) beantragt, kann es u. U. dazu kommen, dass für ältere VZ über § 181 Abs. 5 AO eine Verlustfeststellung noch möglich ist, während den Verlustfeststellungen für jüngere VZ § 10d Abs. 4 S. 6 HS. 2 entgegensteht, sofern die Feststellung nicht pflichtwidrig unterlassen wurde.
Kommt es zu einem erstmaligen Erlass eines Verlustfeststellungsbescheides auf der Grundlage von § 181 Abs. 5 AO in einem Jahr, in dem die Feststellungsfrist vor dem abgelaufen ist (d. h. noch vor Anwendung des § 10d Abs. 4 S. 6 HS. 2 EStG), so führt die Änderungskette zwar grundsätzlich über § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO i. V. m. § 171 Abs. 10 AO dazu, dass auch in folgenden Jahren eine erstmalige VF durchgeführt werden kann.
Allerdings kann dann nur der Verlust aus dem entsprechenden Vorjahr in das Folgejahr aufgenommen werden. Die materiellrechtliche Änderungssperre des § 10d Abs. 4 S. 6 HS. 2 EStG bleibt bestehen und führt dazu, dass der Verlust des Folgejahres nicht berücksichtigt werden kann. Für diesen Zeitraum ergeht dann lediglich ein Verlustfeststellungsbescheid mit dem Verlust der Vorjahre. Die in einem früheren VZ einsetzende Änderungskette aufgrund von Grundlagen- und Folgebescheiden (vgl. R 10d Abs. 7 S. 4 EStR) überlagert eine ggf. für spätere VZ eintretende Änderungssperre nicht. Folglich sind in jedem Steuerfall, in dem für mehrere Jahre die Feststellung von Verlusten beantragt wurde, die Voraussetzungen für den erstmaligen Erlass eines Verlustfeststellungsbescheides auch für jeden Veranlagungszeitraum separat zu prüfen.
c) Sog. Sollverlustabzug
Der verbleibende Verlustvortrag ist so zu berechnen, wie er sich für den jeweiligen 31.12. bei zutreffender Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen und des Verlustrücktrags und -vortrags nach § 10d Abs. 1 und 2 EStG unter Berücksichtigung der einschlägigen materiell-rechtlichen Regelungen ergeben hätte (vgl. , und , Rz. 24). Unerheblich ist insbesondere, ob/wie eine Einkommensteuerfestsetzung durchgeführt worden ist.
d) Unterbrechung der (un-)beschränkten Steuerpflicht
Wurde z. B. aufgrund eines Auslandsaufenthaltes die (un-) beschränkte Steuerpflicht unterbrochen und waren deshalb in der Zwischenzeit keine jährlichen Fortschreibungen bzw. Feststellungen des verbleibenden Verlustvortrags nach § 10d Abs. 4 EStG vorzunehmen, so ist das Folgejahr im Sinne von R 10d Abs. 7 Satz 4 EStR 2008 das Kalenderjahr, in dem erstmals wieder die rechtlichen Voraussetzungen für einen Verlustabzug nach § 10d Abs. 2 EStG vorliegen. Der verbleibende Verlustvortrag geht also nicht unter.
e) Pflichtwidriges Unterlassen
Sobald das Finanzamt Kenntnis von Verlusten erlangt, die in einer Verlustfeststellung münden können, hat es von Amts wegen eine entsprechende Verlustfeststellung durchzuführen bzw. anzuregen (§§ 88 Abs. 2, 89 Abs. 1 AO). Eine Pflichtverletzung kann dann vorliegen, wenn das Finanzamt Tatsachen oder Beweismittel außer Acht lässt und offenkundigen Zweifelsfragen nicht nachgeht, die sich ihm den Umständen nach ohne weiteres aufdrängen mussten (vgl. AEAO zu § 88 AO, Tz. 2). Im Zweifel bitte ich allerdings großzügig zugunsten der Antragsteller zu verfahren. In die Überprüfung der wieder aufgenommenen Fälle bitte ich (auch aus Gründen der Verfahrensabkürzung), aus den Unterlagen hervorgehende Hinweise einzubeziehen, auch wenn die Beweislast grundsätzlich beim Stpfl. liegt.
Was unter ein pflichtwidriges Unterlassen der Finanzbehörde zu fassen ist, ist im Einzelfall zu prüfen und kann daher im Folgenden nur beispielhaft ausgeführt werden:
Über einen innerhalb der Feststellungsfrist im Sinne des § 10d Abs. 4 Satz 6 EStG erklärten Verlust wird innerhalb dieser Frist kein Feststellungsbescheid erlassen (Beispiel des aufgehobenen ;
Das Finanzamt unterlässt eine Verlustfeststellung (oder regt die Erklärungsabgabe nicht an), nachdem Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften in der ESt-Erklärung – auch in geringer Höhe – als tatsächlich erzielt ausgewiesen werden.
Ein BP-Bericht wurde noch nicht ausgewertet oder zu Einkünften nach § 2a EStG (z. B. trotz vorliegenden ESt 4-B Mitteilungen) wurde eine Verlustfeststellung noch nicht vorgenommen.
f) Verweis auf andere Vorschriften
Auf §§ 15a, 15b EStG ist § 10d Abs. 4 Satz 6 EStG mangels gegenseitigen Verweises nicht anwendbar; § 181 Abs. 5 AO findet insoweit (weiterhin) uneingeschränkt Anwendung. Für Zwecke der Verlustfeststellung nach § 15 Abs. 4 EStG ist jedoch auch ohne ausdrücklichen Verweis § 10d Abs. 4 EStG analog anzuwenden.
3. Maschinelle Anweisungen
Auf Besonderheiten beim Aufbau des Verlustspeichers weisen beigefügte Verlinkungen hin:
In ESt-Fällen: (neu eingefügter Punkt 5 im Fach 10 Teil 82 und 83 DA-ADV).
In KSt-Fällen: (Fach 30, Teil 37 DA-ADV).
4. Beispiel
(zur Verdeutlichung vgl. Schaubilder in den Anlagen)
Sachverhalt:
Eine Steuerpflichtige beantragte im Oktober 2007 die Vornahme erstmaliger Verlustfeststellungen für die Zeiträume bis und deren Verrechnung in den Veranlagungszeiträumen 2003 und 2004 (Abgabe der Steuererklärungen jeweils im auf den Veranlagungszeitraum folgenden Jahr).
Das Finanzamt ist den Anträgen hinsichtlich der Verlustfeststellungen zum bis gefolgt, weil insoweit die Feststellungsfrist noch nicht abgelaufen war. Die Feststellungen bis blieben bisher unbearbeitet, ein Einspruchsverfahren wurde nicht angestrebt.
Die Bearbeitung der im Oktober 2007 gestellten Anträge erfolgt im Februar 2010.
Lösung:
Die Überprüfung erfolgt für jede beantragte Verlustfeststellung und für jedes einzelne Jahr separat.
1) Verlustfeststellung (VF) 1997
a) Einkommensteuer (ESt) 2003 + 2004 (jeweils einzeln zu prüfen)
aa) 1. Schritt:
Die VF 1997 hat Bedeutung für die ESt 2003 bzw. für die ESt 2004.
Feststellungsfrist der ESt 2003 im Zeitpunkt der Antragsüberprüfung (Februar 2010): Ablauf , also abgelaufen. Festsetzungsfrist der ESt 2004 im Zeitpunkt der Antragsüberprüfung (Februar 2010): Ablauf , also bereits abgelaufen.
bb) 2. Schritt (unter „ja”):
Ist für die begehrte VF 1997 im Zeitpunkt der jetzigen Antragsprüfung (Februar 2010) Feststellungsverjährung eingetreten?
Ja, mit Ablauf
Folge: keine Verlustfeststellung möglich!
b) Verlustfeststellung 1998 bis 2002 (jeweils einzeln zu prüfen)
aa) 1. Schritt:
Die VF 1997 hat auch Bedeutung für die VF 1998 bzw. für die VF bis 2002.
Feststellungsfrist der VF 1998 im Zeitpunkt der Antragsüberprüfung (Februar 2010): Ablauf , also bereits abgelaufen. Die Feststellungsfristen für die VF bis 2002 (1999: ; 2000: ; 2001: ; 2002: ) sind ebenfalls abgelaufen.
bb) 2. Schritt (unter „ja”):
Ist für die begehrte VF 1997 im Zeitpunkt der jetzigen Antragsprüfung (Februar 2010) Feststellungsverjährung eingetreten?
Ja, mit Ablauf
Folge: keine Verlustfeststellungen möglich!
c) Verlustfeststellung 2003
aa) 1. Schritt:
Die VF 1997 hat auch Bedeutung für die VF 2003.
Feststellungsfrist der VF 2003 im Zeitpunkt der Antragsüberprüfung (Februar 2010): Ablauf , also noch nicht abgelaufen.
bb) 2. Schritt (unter „nein”):
Ist für die begehrte VF 1997 im Zeitpunkt der jetzigen Antragsprüfung (Februar 2010) Feststellungsverjährung eingetreten?
Ja, mit Ablauf
Wann ist die Feststellungsfrist der begehrten VF 1997 abgelaufen (vor dem oder nach dem )? Mit Ablauf , also vor dem (linke Spalte)
§ 181 Abs. 5 AO: Verlustfeststellung zum ist möglich! § 10d Abs. 4 S. 6 EStG gilt nicht.
2) Verlustfeststellung 1998
Die Prüfung der einzelnen Veranlagungsjahre, die für die zugrunde liegende VF 1998 von Bedeutung sind, erfolgt entsprechend der Prüfung für VF 1997 mit dem Ergebnis:
§ 181 Abs. 5 AO: Verlustfeststellung zum ist möglich!
3) Verlustfeststellung 1999
Die Prüfung erfolgt ebenfalls wie für die VF 1997 und 1998. Der Unterschied ergibt sich bei der Prüfung der VF 2003.
Verlustfeststellung 2003
aa) 1. Schritt:
Die VF 1999 hat auch Bedeutung für die VF 2003.
Feststellungsfrist der VF 2003 im Zeitpunkt der Antragsüberprüfung (Februar 2010): Ablauf , also noch nicht abgelaufen.
bb) 2. Schritt (unter „nein”):
Ist für die begehrte VF 1999 im Zeitpunkt der jetzigen Antragsprüfung (Februar 2010) Feststellungsverjährung eingetreten?
Ja, mit Ablauf
Wann ist die Feststellungsfrist der begehrten VF 1997 abgelaufen (vor dem oder nach dem )?
Mit Ablauf , also nach dem (rechte Spalte)
Grundsätzlich hier keine Anwendung des § 181 Abs. 5 AO wegen § 10d Abs. 4 S. 6 EStG, wenn kein pflichtwidriges Unterlassen seitens der Finanzverwaltung vorliegt.
Im vorliegenden Fall soll kein pflichtwidriges Unterlassen vorgelegen haben (Sachverhalt).
Eine Verlustfeststellung zum ist nicht möglich!
Gesamtergebnis:
Zum ist der Verlust 1997 erstmalig festzustellen. Ebenso sind zum der Verlust 1998 sowie der Verlust aus dem Vorjahr 1997 festzustellen. Zum ist der Verlust 1997 und 1998 als Fortführung aus den beiden vorangegangenen Jahren festzustellen, der Verlust aus dem Jahr 1999 darf hingegen nicht mit übernommen werden, vgl. § 10d Abs. 4 Satz 6 EStG. Die VF 2000 – 2002 sind nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zu ändern. Die Einkommensteuerbescheide 2003 und 2004 sind entsprechend nach § 10d EStG anzupassen.
Das gleiche Ergebnis wäre übrigens eingetreten, wenn die Durchführung der o. g. Verlustfeststellungen zum bis abgelehnt worden wäre und anschließende Einspruchsverfahren geruht hätten. Durch die Einspruchsverfahren – die Einsprüche wären jeweils außerhalb der Feststellungsfrist eingelegt worden – hätte sich die Feststellungsfrist nicht verlängert, eine Anwendung des § 171 Abs. 3a AO wäre damit ausgeschlossen.
Bei Fragen bitten wir um Rücksprache mit Ihrer OFD.
OFD Münster v. - Kurzinfo ESt
9/2010
Auf diese Anweisung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
LAAAD-44142