Insolvenzfestigkeit abgetretener Forderungen
Gesetze: § 91 Abs 1 InsO, § 96 Abs 1 Nr 1 InsO, § 106 Abs 2 InsO, § 398 BGB, §§ 398ff BGB, § 774 Abs 1 BGB
Instanzenzug: OLG Oldenburg (Oldenburg) Az: 13 U 35/06 Urteilvorgehend LG Oldenburg (Oldenburg) Az: 15 O 3758/04
Tatbestand
1Der Kläger ist Verwalter in dem auf Antrag vom am eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der A. GmbH, die eine Geflügelmast betrieb (fortan Schuldnerin). Die Schuldnerin hatte mit der Beklagten eine Vereinbarung geschlossen, nach der diese dem Mastbetrieb die Küken zur Aufzucht lieferte, bei Schlachtreife wieder abnahm und den jeweiligen Schlachterlös nach Abzug bestimmter Kosten an die Schuldnerin abführte. Von dem Erlös abgezogen werden sollten unter anderem die Zins- und Tilgungsleistungen für zwei Darlehen, welche die Schuldnerin für den Aufbau ihres Betriebs bei zwei Hausbanken der Beklagten (der D. Bank und der L.) aufgenommen hatte. Für diese Darlehen hatten sich neben anderen ein Schwesterunternehmen der Beklagten und diese selbst - jeweils für eines der Darlehen- verbürgt. In Höhe der jeweiligen Zins- und Tilgungsraten war der Anspruch auf den Schlachterlös an die finanzierenden Banken abgetreten.
2Der Kläger führte als vorläufiger Insolvenzverwalter den Mastbetrieb zunächst weiter. Die Schuldnerin belieferte die Beklagte über die Verfahrenseröffnung hinaus mit schlachtreifen Puten. Soweit jetzt noch von Interesse, erteilte die Beklagte dem Kläger am eine Abrechnung über Putenlieferungen der Schuldnerin aus dem Zeitraum vom 3. bis , in der sie für Zins- und Tilgungsleistungen an die D. Bank 51.358,22 € absetzte. Aus einer weiteren Abrechnung vom für die Lieferung von Puten im Zeitraum vom 14. bis behielt die Beklagte insgesamt 75.285,27 € ein, die sie in Höhe von 8.368,97 € (7.895,22 € Hauptforderung zuzüglich 473,75 € Zinsen) auf ein Ende 2003 fällig gewordenes Darlehen verrechnete, das sie der Schuldnerin vor Verfahrenseröffnung gegeben hatte, und in Höhe von 66.916,30 € auf Zahlungen, die sie nach Verfahrenseröffnung an die L. aufgrund der von ihr übernommenen Bürgschaft für die Verbindlichkeiten der Schuldnerin leisten musste.
3Ursprünglich hat der Kläger die Beklagte auf Zahlung von insgesamt 170.358,96 € wegen der vorstehend wiedergegebenen Verrechnungen und weiterer Einbehalte in zwei vor Verfahrenseröffnung erteilten Abrechnungen in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Beklagte verurteilt, 110.206,92 € zu zahlen, wobei es die Klage hinsichtlich des aus der Abrechnung vom der Masse nicht ausgezahlten Betrages abgewiesen hat. Auf das Rechtsmittel der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage wegen der vor Verfahrenseröffnung nicht gezahlten Beträge, die der Kläger in der Revisionsinstanz nicht mehr weiter verfolgt, abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist im Wesentlichen erfolglos geblieben. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger den Anspruch auf Zahlung des einbehaltenen Betrages aus der Abrechnung vom weiter. Die Beklagte möchte mit ihrer Anschlussrevision die vollständige Abweisung der Klage erreichen.
Gründe
4Die Revision ist begründet; die Anschlussrevision nicht.
I.
5Das Berufungsgericht meint, die Beklagte sei zur Abführung der Zins- und Tilgungsleistungen aus der Abrechnung vom an die D. Bank berechtigt gewesen, weil ein Telefax des Betriebsleiters K. der Beklagten vom an den Kläger so auszulegen sei, dass dieser weiter mit dem Abzug der Zins- und Tilgungsleistungen einverstanden gewesen sei. Die Schuldnerin habe die Geschäftsbeziehung mit der Beklagten fortgesetzt, nachdem K. in dem Schreiben erklärt gehabt habe, dass die Beklagten von den künftigen Schlachterlösen die zum jeweiligen Durchgang gehörenden Kosten einbehalten werde. Entsprechend könne auch ein Schreiben des Klägers vom verstanden werden, in dem er verlangt habe, dass die Beklagte bei den anstehenden Ablieferungen keine Verrechnung mit Altforderungen vornehmen dürfe.
6Dagegen seien die von der Abrechnung vom vorgenommenen Einbehalte, die die Beklagte endgültig erst zum Jahresende 2003 erstellt habe, nicht gerechtfertigt gewesen. Einen erst Ende 2003 fällig gewordenen Darlehensrückzahlungsanspruch einschließlich Zinsen habe die Beklagte nicht absetzen dürfen. Auch ihr Vortrag, den Betrag von 66.916,30 € absetzen zu können, weil sie in dieser Höhe von der finanzierenden Bank in Anspruch genommen worden sei, rechtfertige den Einbehalt nicht. Sofern sie auf einen von der Schuldnerin an die Bank abgetretenen Betrag gezahlt haben sollte, sei der Kläger nach § 166 Abs. 2 InsO zur Einziehung berechtigt gewesen. Falls sie aus der von ihr übernommenen Bürgschaft in Anspruch genommen worden sei, könne sie nach Sinn und Zweck der Vereinbarung vom diese Zahlung nicht von der Rechnung absetzen.
II.
7Das Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision nicht stand. Diese macht geltend, das Berufungsgericht habe außer Acht gelassen, dass der Abrechnung vom ausschließlich Putenlieferungen zugrunde gelegen hätten, die erst nach Insolvenzeröffnung erfolgt seien. Aus der "Abstimmung" mit dem Kläger als vorläufigem Insolvenzverwalter habe die Beklagte keine Berechtigung zur Weiterleitung von Teilen des Erlöses für nach Verfahrenseröffnung erbrachte Leistungen an einen Dritten mehr ableiten können. Antizipierte Verrechnungsvereinbarungen seien mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens erloschen. Außerdem habe der Kläger die Vereinbarung vom wirksam angefochten. Er habe sowohl vor als auch nach Verfahrenseröffnung darauf hingewiesen, dass er mit einer Abführung von Zins- und Tilgungsleistungen nicht einverstanden sei.
8Diese Einwendungen erweisen sich im Ergebnis als zutreffend.Hinsichtlich derjenigen Forderungen der Schuldnerin, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind, war die Abtretung an die D. Bank gemäß § 91 Abs. 1 InsO unwirksam. Die Schuldnerin hat ihren Erfüllungsanspruch aus § 433 Abs. 2 BGB behalten.
91. Nach § 91 Abs. 1 InsO können nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Rechte an den Gegenständen der Insolvenzmasse nicht wirksam erworben werden, auch wenn keine Verfügung des Schuldners und keine Zwangsvollstreckung für einen Insolvenzgläubiger zugrunde liegt. Im Falle der Abtretung einer künftigen Forderung ist die Verfügung selbst bereits mit Abschluss des Abtretungsvertrages beendet. Der Rechtsübergang erfolgt jedoch erst mit dem Entstehen der Forderung (BGHZ 32, 367, 369; 88, 205, 206 f; 167, 363, 365 f Rn. 6; , ZIP 1997, 513, 514). Entsteht die im Voraus abgetretene Forderung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, kann der Gläubiger gemäß § 91 Abs. 1 InsO kein Forderungsrecht zu Lasten der Masse mehr erwerben (BGHZ 135, 140, 145 zu § 15 KO; 162, 187, 190; 167, 363, 365 f Rn. 6; 181, 361 Rn. 10, 11 , NJW 1955, 544; v. - IX ZR 166/02, ZIP 2003, 808, 809; v. - IX ZR 78/09, ZIP 2010, 335, 337 Rn. 18; MünchKomm-InsO/Ganter, vor §§ 49 bis 52 Rn. 23; Jaeger/Henckel, KO 9. Aufl. § 15 Rn. 44; Uhlenbruck, InsO 13. Aufl. § 91 Rn. 17). Nur wenn der Zessionar bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine gesicherte Rechtsposition hinsichtlich der abgetretenen Forderung erlangt hat, ist die Abtretung insolvenzfest.
102. Die Schuldnerin hat das schlachtreife Geflügel an die Beklagte verkauft. Als Kaufpreis war ein Teil der Schlachterlöse vereinbart. Der darauf gerichtete Anspruch entstand erst mit der jeweiligen Lieferung der gemästeten Puten an die Beklagte. Erst zu diesem Zeitpunkt konnte bestimmt werden, wie hoch der jeweilige Schlachterlös war. Damit konnte auch erst zu diesem Zeitpunkt der Anspruch der Zessionarin auf Abführung der Zins- und Tilgungsleistungen entstehen. Sämtliche Lieferungen erfolgten nach dem in den Tatsacheninstanzen unbestrittenen Vorbringen des Klägers erst nach Verfahrenseröffnung. Zu dieser Zeit konnte die Zessionarin aber im Hinblick auf § 91 Abs. 1 InsO keine Ansprüche auf Teile der Schlachterlöse mehr erwerben. Die Beklagte durfte deshalb ihre Auszahlungen nicht um an die Zessionarin erbrachte Zins- und Tilgungsleistungen kürzen. Ob sie diese tatsächlich erbracht hat, ist unerheblich.
III.
11Die Anschlussrevision bleibt ohne Erfolg.
121. Ins Leere geht die Rüge, das Berufungsgericht habe sich nicht mit der Frage befasst, wer der richtige Anfechtungsgegner sei, der Kläger könne sich allenfalls an die L. halten, weil dieser der Einbehalt aus der Abrechnung vom zugute gekommen sei. Das Berufungsgericht hat die Verurteilung der Beklagten nicht auf eine Insolvenzanfechtung gestützt. Es ist von deren fehlender Berechtigung ausgegangen, gegen die Forderung der Klägerin mit einer eigenen, nach Verfahrenseröffnung entstandenen Forderung aufzurechnen und dem Anspruch der Masse eigene Ansprüche entgegen zu halten, die aus der Befriedigung der L. als Bürgschaftsgläubigerin resultieren. Für den Fall der Abführung der Einbehalte an die L. aufgrund der vermeintlichen Abtretung ist es von einer Verletzung des § 166 Abs. 2 InsO ausgegangen.
132. Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten - jedenfalls im Ergebnis – rechtlicher Überprüfung stand. Der Kläger hat auch im Hinblick auf die Abrechnung vom seinen Anspruch auf Kaufpreiszahlung behalten.
14Die Aufrechnung ist unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Masse schuldig geworden ist (§ 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Die Forderung des Klägers aus der Abrechnung vom stammt aus Lieferungen schlachtreifer Puten im Zeitraum 14. bis . Sie ist damit erst nach Verfahrenseröffnung entstanden. Eine Aufrechnung mit einem zum Jahresende 2003 fällig gewordenen Darlehensrückzahlungsanspruch ist ausgeschlossen. Gleiches gilt für die Aufrechnung mit einem Anspruch aus § 774 Abs. 1 Satz 1 BGB, den die Beklagte aufgrund ihrer Inanspruchnahme durch die L. nach Verfahrenseröffnung erworben haben könnte. Soweit das Berufungsgericht erwogen hat, der Verrechnung der Beklagten könne § 166 Abs. 2 InsO entgegenstehen, falls die Beklagte den einbehaltenen Betrag aufgrund der Vorausabtretung an die L. abgeführt haben sollte, würde dies schon an § 91 Abs. 1 InsO scheitern. Die Zessionarin hätte auch hier keinen Anspruch auf Abführung der Zins- und Tilgungsleistungen aus dem Erlös gehabt, weil sie nach Verfahrenseröffnung keine Rechte mehr an Gegenständen der Insolvenzmasse erwerben konnte.
IV.
15Das angefochtene Urteil kann damit teilweise nicht bestehen bleiben. Es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), soweit das Berufungsgericht die Klage auf Zahlung des einbehaltenen Verwertungserlöses aus der Abrechnung vom abgewiesen hat. Da die Aufhebung nur wegen einer Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf den festgestellten Sachverhalt erfolgt und die Sache nach den Feststellungen des Berufungsgerichts zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat eine ersetzende Sachentscheidung getroffen (§ 563 Abs. 3 ZPO) und die Beklagte in voller Höhe verurteilt.
Ganter Raebel Kayser
Pape Grupp
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
DStR-Aktuell 2010 S. 12 Nr. 25
UAAAD-44032