BSG Urteil v. - B 6 KA 21/08 R

Leitsatz

Leitsatz:

Die Beurteilung, ob der für eine Sonderbedarfszulassung erforderliche Versorgungsbedarf vorliegt, kann auch anhand der bei den Vertragsärzten bestehenden Wartezeiten erfolgen.

Instanzenzug: LSG Nordrhein-Westfalen, L 11 (10) KA 49/07 vom SG Düsseldorf, S 14 KA 228/06 vom

Gründe

I

Streitig ist die Rechtmäßigkeit einer der Beigeladenen zu 8. erteilten Sonderbedarfszulassung.

Die Beigeladene zu 8. ist Fachärztin für Innere Medizin mit dem Schwerpunkt Kardiologie bzw - nach heutiger Bezeichnung - Fachärztin für Innere Medizin und Kardiologie. Sie ist seit 2001 im Rahmen von sog Job-Sharing-Modellen vertragsärztlich in der Stadt N. (ca 150.000 Einwohner, im Planungsbereich R. -Kreis N. mit ca 450.000 Einwohnern gelegen) tätig, und zwar zunächst als Angestellte der Dr. C., seit dem in Berufsausübungsgemeinschaft mit dem als Praxisnachfolger der Dr. C. eingetretenen Dr. B. Dieser ist ebenso wie Dr. C. und wie die Beigeladene zu 8. Internist mit dem Schwerpunkt Kardiologie. Auf ihren Antrag von 2005 erteilte ihr - nach Ablehnung durch den Zulassungsausschuss - der beklagte Berufungsausschuss die Sonderbedarfszulassung für die kardiologische Tätigkeit in N. mit der Maßgabe, dass nur ärztliche Leistungen im Zusammenhang mit kardiologischer Tätigkeit abrechenbar seien (Beschluss vom bzw Bescheid vom ). Der besondere Versorgungsbedarf gemäß Nr 24 Satz 1 Buchst b der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Bedarfsplanung sowie die Maßstäbe zur Feststellung von Überversorgung und Unterversorgung in der vertragsärztlichen Versorgung (BedarfsplanungsRichtlinien-Ärzte idF vom , in Kraft seit dem , veröffentlicht im BAnz Nr 68 vom , S 2541 [ÄBedarfsplRL]) ergebe sich allerdings nicht schon daraus, dass in der Stadt N. nur ein Kardiologe für jeweils 50.000 Einwohner zur Verfügung stehe, ebenso wenig aus den durchschnittlichen Fallzahlen der dort tätigen drei Kardiologen, bei denen von noch freien Kapazitäten auszugehen sei. Die Wartezeiten seien aber unzumutbar lang. Diese betrügen nach den Angaben der Beigeladenen zu 8. sowie von Krankenkassen bzw deren Verbänden durchschnittlich vier bis fünf, mitunter sogar fast sechs Monate. Wartezeiten von mindestens zwei Monaten seien mit einer ordnungsgemäßen Versorgung nicht mehr vereinbar.

Die Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) ist mit Klage und Berufung erfolglos gewesen (Urteile des Sozialgerichts [SG] vom und des Landessozialgerichts [LSG] vom ). Das LSG hat - im Wesentlichen auf die Urteilsbegründung des SG verweisend - ausgeführt, die Sonderbedarfszulassung sei der Beigeladenen zu 8. zu Recht erteilt worden. Die Beurteilung des Beklagten, dass ein Sonderbedarf bestehe, halte sich im Rahmen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums. Er habe sich unabhängig davon, ob auf der Grundlage der Anzahl der in N. tätigen kardiologisch ausgerichteten Internisten und deren Fallzahlen noch Kapazitäten verfügbar sein könnten bzw müssten, vorrangig am Bestehen unzumutbarer Wartezeiten orientieren und Wartezeiten von mehr als zwei Monaten als zu lang bewerten dürfen. Zwar seien die eigenen Angaben der Beigeladenen zu 8. zurückhaltend zu bewerten; der Beklagte habe sich aber auch aus verschiedenen anderen Quellen Informationen beschafft, so insbesondere auch von Krankenkassen bzw ihren Landesverbänden, die die langen Wartezeiten bestätigt hätten. Der Sonderbedarfszulassung für die Beigeladene zu 8. könne nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, dass sie bereits als Ärztin in der Gemeinschaftspraxis bzw Berufsausübungsgemeinschaft tätig sei und deshalb durch die Sonderbedarfszulassung kein weiterer Versorgungsbedarf gedeckt werde. Dies treffe nicht zu. Denn sie und ihr(e) Partner(in) seien bisher im Praxisumfang beschränkt; sie dürften diesen, da im sog Job-Sharing tätig, gemäß § 101 Abs 1 Satz 1 Nr 4 bzw 5 SGB V nicht wesentlich ausdehnen.

Mit ihrer Revision macht die Klägerin geltend, das LSG hätte die Entscheidung des Beklagten, die Sonderbedarfszulassung zu erteilen, aufheben müssen. Ein besonderer Versorgungsbedarf gemäß Nr 24 Satz 1 Buchst b bzw heute § 24 Satz 1 Buchst b ÄBedarfsplRL sei nicht ausreichend belegt. Die Annahme unzumutbar langer Wartezeiten habe der Beklagte nicht ausreichend fundiert. Von vornherein unzureichend sei die von ihm angeführte Angabe einer eigenen Angestellten, zumal insoweit weder das Krankheitsbild noch die Dringlichkeit einer Behandlung konkretisiert worden noch ersichtlich sei, warum sie sich nicht an einen der anderen sechs Kardiologen im R. -Kreis N. gewandt habe. Die eigenen Angaben der Beigeladenen zu 8. seien ebenfalls unzureichend; diese hätten nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) der Objektivierung und Verifizierung bedurft. Die Angaben der Krankenkassen bzw ihrer Verbände seien unsubstantiiert, nämlich nicht zB durch konkrete Patientenbeschwerden untermauert worden, abgesehen davon, dass die Angaben der AOK vom teilweise unzutreffend gewesen seien, nämlich die durchschnittliche Fallzahl der Kardiologen im Planungsbereich N. im Quartal IV/2005 nicht 843, sondern 1.215 Fälle betragen habe. Weitere Ermittlungen hätten sich dem Beklagten auch deshalb als notwendig aufdrängen müssen, weil sie - die Klägerin - ihn im März 2006 informiert habe, dass in der Praxis Dr. C. die Wartezeiten in dringenden Fällen nur wenige Tage und nur in nicht-dringlichen mehr als sechs Monate betrügen, dass bei Dr. M. in dringlichen Fällen keinerlei Wartezeiten bestehe und diese sonst zwei bis vier Wochen betrügen, dass in der Gemeinschaftspraxis Dres S./M. die Behandlung in dringlichen Fällen am selben oder nächsten Tag erfolge und dass Wartezeiten bei Altpatienten zwei bis drei Monate und in sonstigen Fällen auch nur vier bis sechs Wochen betrügen. Ähnliche Ergebnisse habe die von ihr - der Klägerin - bei den Kardiologen in dem Planungsbereich später zusätzlich durchgeführte Umfrage vom Juni 2007 ergeben. Nur die Praxis, in der die Beigeladene zu 8. tätig sei, habe Wartezeiten von sieben Monaten angegeben. Insgesamt hätten sich generelle Wartezeiten von mehr als zwei Monaten nicht bestätigen lassen. Auch von den Fallzahlen her ergebe sich weder für das Quartal I/2006 noch für das Quartal I/2008 eine generelle Auslastung der kardiologischen Praxen.

Die Klägerin beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom und des Sozialgerichts Düsseldorf vom sowie den Bescheid des Beklagten vom aufzuheben und den Widerspruch der Beigeladenen zu 8. gegen den Bescheid des Zulassungsausschusses vom zurückzuweisen.

Der Beklagte und die Beigeladene zu 8. beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt seine Entscheidung und deren Billigung durch das LSG. Sein Beurteilungsspielraum erstrecke sich auch darauf, zu entscheiden, welche Ermittlungen, Auskünfte, Urkunden usw als ausreichend anzusehen seien, um den Sachverhalt als ausreichend aufgeklärt zu erachten. Weitergehende Ermittlungsanforderungen dürften ihm nicht auferlegt werden; sie liefen dem Gebot beschleunigter Verfahrensdurchführung zuwider. Die von der Klägerin aufgrund ihrer Umfrage vom Juni 2007 mitgeteilten Erkenntnisse seien unmaßgeblich; sie kämen zu spät und seien nicht ausreichend fundiert und verifiziert. Die Beigeladene zu 8. ist ebenfalls der Ansicht, das LSG habe zu Recht die Annahme des Beklagten gebilligt, dass Wartezeiten von zwei Monaten unzumutbar lang seien. Dem liege eine Tatsachenbasis zugrunde, die hinreichend sichere Rückschlüsse zulasse. Es dürfe nicht darauf abgestellt werden, dass es bei einzelnen Praxen gelegentlich auch kürzere Wartezeiten gebe. Gerade im kardiologischen Bereich seien längere Wartezeiten nicht tragbar, weil sie die Patienten psychisch belasteten und sich daraus ein zusätzliches Gesundheitsrisiko ergäbe. Die Beigeladene zu 1. (AOK) hält ebenfalls - aber ohne einen eigenen Antrag zu stellen - die angefochtene Sonderbedarfszulassung für rechtmäßig.

Die Beigeladenen zu 2. bis 6. äußern sich nicht zur Sache und stellen keine Anträge.

II

Die Revision der Klägerin, die aufgrund ihrer Aufgabe der Sicherstellung der Versorgung zur Einlegung von Rechtsmitteln in Zulassungsangelegenheiten befugt ist (hierzu s zuletzt - SozR 4-2500 § 116 Nr 3 RdNr 13 mwN und Urteil vom - B 6 KA 14/08 R - RdNr 19) und die Aufhebung der vom Beklagten erteilten Sonderbedarfszulassung erstrebt, ist teilweise begründet: Die vorinstanzlichen Urteile und der Bescheid des Beklagten sind aufzuheben; dieser ist verpflichtet, über den Widerspruch der Beigeladenen zu 8. gegen den Bescheid des Zulassungsausschusses vom unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden. Denn der Beklagte hat seine Beurteilung, dass in N. ein Sonderbedarf für die Zulassung eines Internisten mit dem Schwerpunkt Kardiologie bestehe, nicht auf ausreichend fundierte Ermittlungen gegründet. Soweit die Klägerin weitergehend eine Wiederherstellung der ablehnenden Entscheidung des Zulassungsausschusses begehrt, ist ihre Revision unbegründet.

1. Zulassungen sind in Planungsbereichen, für die der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen gemäß § 103 Abs 1 und 2 SGB V wegen Überversorgung Zulassungsbeschränkungen angeordnet hat, für die davon betroffenen Arztgruppen nur im Wege der Praxisnachfolge (§ 103 Abs 4 SGB V) oder Sonderzulassung zur Ausübung belegärztlicher Tätigkeit (§ 103 Abs 7 SGB V) oder aufgrund besonderen Versorgungsbedarfs (§ 101 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB V iVm §§ 24 bis 26 ÄBedarfsplRL) möglich. Auf einen solchen Sonderbedarf stützt sich die Beigeladene zu 8. für ihr Begehren.

In solchen Planungsbereichen, in denen Neuzulassungen wegen Überversorgung beschränkt sind, lässt das Gesetz nur ausnahmsweise die Besetzung zusätzlicher Vertragsarztsitze zu, nämlich gemäß § 101 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB V dann, wenn diese zur Wahrung der Qualität der vertragsärztlichen Versorgung unerlässlich sind. Die Vorgabe solcher Ausnahmeregelungen dient dem Ziel, im Einzelfall sicherzustellen, dass angeordnete Zulassungssperren nicht unverhältnismäßig die Berufsausübung beschränken und die Versorgung der Versicherten gewährleistet bleibt; die Beschränkungen gelten deshalb dann nicht, wenn in der konkreten örtlichen Situation ein Versorgungsdefizit besteht. Dies im Einzelnen zu konkretisieren, hat der Gesetzgeber gemäß § 101 Abs 1 Satz 1 SGB V dem Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) übertragen, der dementsprechend in Richtlinien die Voraussetzungen für solche ausnahmsweisen Besetzungen zusätzlicher Vertragsarztsitze festgelegt hat (§ 101 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB V iVm § 24 Satz 1 Buchst a bis e, § 25, § 26 ÄBedarfsplRL). Gegen die Übertragung der Befugnis zur Normkonkretisierung auf den GBA bestehen keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken, zumal der Gesetzgeber Inhalt, Zweck und Ausmaß der Regelung präzise vorgegeben und damit die wesentlichen Fragen selbst entschieden hat (zum Ganzen siehe - BSGE 102, 21 = SozR 4-2500 § 101 Nr 3 RdNr 14 mwN).

Von den Tatbeständen des § 24 Satz 1 Buchst a bis e ÄBedarfsplRL kommt vorliegend eine (Sonderbedarfs-)Zulassung der Beigeladenen zu 8. allein nach § 24 Satz 1 Buchst b aaO in Betracht. Hiernach ist ein besonderer Versorgungsbedarf in einem Bereich erforderlich, "wie er durch den Inhalt des Schwerpunkts, einer fakultativen Weiterbildung oder einer besonderen Fachkunde für das Facharztgebiet nach der Weiterbildungsordnung umschrieben ist". Voraussetzung ist dabei nach Buchst b Satz 2 aaO, "dass die ärztlichen Tätigkeiten des qualifizierten Inhalts in dem betreffenden Planungsbereich nicht oder nicht ausreichend zur Verfügung stehen und dass der Arzt die für den besonderen Versorgungsbedarf erforderlichen Qualifikationen durch die entsprechende Facharztbezeichnung sowie die besondere Arztbezeichnung oder Qualifikation (Schwerpunkt, fakultative Weiterbildung, Fachkunde) nachweist". Eine mögliche Leistungserbringung in Krankenhäusern bleibt dabei außer Betracht (Buchst b Satz 3 [bzw seit dem , BAnz Nr 239 vom , S 8326: Satz 4] aaO).

2. Die Anerkennung eines Sonderbedarfs gemäß § 101 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB V iVm § 24 Satz 1 Buchst b ÄBedarfsplRL erfordert die Prüfung und Feststellung einer besonderen Qualifikation des Arztes und eines dementsprechenden Versorgungsbedarfs.

a) Das Erfordernis einer besonderen Qualifikation (Schwerpunkt, fakultative Weiterbildung, besondere Fachkunde) im Sinne des § 24 Satz 1 Buchst b ÄBedarfsplRL ist im vorliegenden Fall erfüllt. Denn die Klägerin hat sich als Ärztin für Innere Medizin und zusätzlich für Kardiologie qualifiziert, wobei diese Weiterbildung im Zeitpunkt der Erlangung dieser Qualifikation als Schwerpunkt ausgewiesen war (insoweit problematischer, im Ergebnis aber ebenfalls zu bejahen, im Fall der Zusatzweiterbildung Kinder-Pneumologie: - RdNr 14, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen).

b) Bei der Beurteilung, ob bzw inwieweit die bereits zugelassenen Ärzte eine ausreichende Versorgung gewährleisten oder ob in diesem Versorgungsbereich der Versorgungsbedarf nicht gedeckt ist, verfügen die Zulassungsgremien in weitem Umfang über einen gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraum (BSGE 102, 21 = SozR 4-2500 § 101 Nr 3 RdNr 16 mwN; siehe zuletzt auch - RdNr 26, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Ihre Beurteilung ist durch das Zusammenspiel einer Vielzahl von Faktoren geprägt. Einen Beurteilungsspielraum haben die Zulassungsgremien zunächst bei der Frage nach dem Umfang der erforderlichen Ermittlungen im Zusammenhang mit der Bewertung, Gewichtung und Abwägung der ermittelten Tatsachen (vgl BSG, aaO RdNr 26). Sie haben einen Beurteilungsspielraum aber auch - und vor allem - bei der schlussfolgernden Bewertung, ob und inwieweit der Versorgungsbedarf bereits durch das Leistungsangebot der zugelassenen Ärzte gedeckt ist oder ob noch ein Versorgungsbedarf besteht (zum Beurteilungsspielraum ebenso bei Ermächtigungen: BSG SozR 4-2500 § 116 Nr 3 RdNr 16 mwN; BSGE 99, 145 = SozR 4-2500 § 116 Nr 4, jeweils RdNr 27; BSGE 100, 154 = SozR 4-2500 § 87 Nr 16, jeweils RdNr 14 am Ende). Liegen Leistungsangebote von Ärzten vor, so ist bei der Frage der Deckung des Versorgungsangebots deren Erreichbarkeit mitzuberücksichtigen; den Versicherten sind weitere Wege umso eher zuzumuten, je spezieller die betroffene Qualifikation ist (vgl hierzu BSGE 100, 154 = SozR 4-2500 § 87 Nr 16, jeweils RdNr 35).

Soweit die Zulassungsgremien zB dem Umfang der Leistungserbringung durch die bereits zugelassenen Ärzte entscheidende Bedeutung beimessen, muss ihr Beurteilungsergebnis auf ausreichend fundierte Ermittlungen gegründet sein. Ihnen obliegt es, diejenigen Ärzte bzw Praxen, die solche Leistungen möglicherweise bereits erbringen bzw erbringen können, zu befragen und deren Angaben, da diese interessenorientiert sein könnten, anhand ihnen zugänglicher weiterer Unterlagen - insbesondere der sog Anzahlstatistiken - zu verifizieren (BSGE 102, 21 = SozR 4-2500 § 101 Nr 3 RdNr 18, 19, 28). Soweit ein Versorgungsbedarf auch Bereiche umfasst, in denen die Leistungserbringung eine medizinisch-technische Ausstattung und/oder zusätzliche persönliche Qualifikationen erfordert, ist zu ermitteln, ob der Bewerber darüber verfügt (vgl BSG, aaO RdNr 24). Bei der Bewertung, Gewichtung und Abwägung der ermittelten Tatsachen im konkreten Einzelfall haben sie allerdings, wie ausgeführt, einen Beurteilungsspielraum (oben RdNr 15 mit Bezugnahme auf -, aaO RdNr 26). Einen Beurteilungsspielraum haben sie hingegen - entgegen der Ansicht des Beklagten - nicht bei der Frage, wie weit sie ihre Ermittlungen erstrecken. Denn der Umfang ihrer Ermittlungen ist durch § 21 SGB X vorgegeben; die Ermittlung des Sachverhalts muss das nach pflichtgemäßem Ermessen erforderliche Maß ausschöpfen, dh so weit gehen, wie sich weitere Ermittlungen als erforderlich aufdrängen (s § 21 Abs 1 Satz 1 SGB X). In diesem Bereich ist kein Raum für die Annahme eines Beurteilungsspielraums; dies entspricht - entgegen der Ansicht des Beklagten - der Rechtsprechung sowohl der Sozial- als auch der Verwaltungsgerichte (zum Beurteilungsspielraum als Frage des materiellen Rechts und nicht des Verfahrensrechts s zB BVerwGE 59, 213, 215 f; im selben Sinne BSGE 95, 199 = SozR 4-2500 § 106 Nr 11, jeweils RdNr 36).

Die Ermittlungen der Zulassungsgremien zur Bedarfsdeckung müssen sich an der Versorgungsrealität ausrichten. Deshalb kommt Angaben über die Zahl der im betroffenen Planungsbereich zugelassenen Vertragsärzte und deren Fallzahlen allenfalls indizielle Aussagekraft zu. Wenn zB Ärzte bei Anwendung eines statistischen Fallzahlvergleichs nicht ausgelastet sind, zusätzliche Patienten aber nicht versorgen wollen, besteht lediglich ein potenzielles, nicht aber ein reales Versorgungsangebot. Nur eine Versorgung, die den Versicherten tatsächlich zur Verfügung steht, kann ihren Versorgungsbedarf decken. Solange die Versorgung nicht real gewährt wird oder jedenfalls eine Bereitschaft dazu besteht, ist eine Versorgungslücke gegeben, die der Deckung durch Sonderbedarfszulassungen - oder notfalls durch Ermächtigungen - zugänglich ist.

In diesem Rahmen ist es nicht zu beanstanden, wenn die Zulassungsgremien die Ermittlungen zum Vorliegen eines nicht gedeckten Versorgungsbedarfs nicht allein darauf richten, ob die Zahl der im betroffenen Planungsbereich tätigen entsprechenden Ärzte und/oder deren Fallzahlen auf noch freie Kapazitäten schließen lassen. Vielmehr ist es unbedenklich, wenn die Zulassungsgremien - zusätzlich oder alternativ - prüfen, ob und ggf wie lange Wartezeiten bei den Ärzten des in Frage stehenden Fachgebiets tatsächlich bestehen. Dies kann zur Feststellung, inwieweit der Versorgungsbedarf der Versicherten noch nicht gedeckt ist, ein taugliches Kriterium sein. Die Überprüfung der Wartezeit darf sich allerdings nicht auf nur einen Teil der Ärzte beschränken. Vielmehr müssen die Ermittlungen in dem betroffenen Planungsbereich möglichst alle Ärzte des betroffenen - vorliegend: kardiologischen - Fachgebiets erfassen. Denn erhebliche Wartezeiten, die nur bei einzelnen Ärzten oder Praxen bestehen, reichen für die Annahme eines noch nicht gedeckten Versorgungsbedarfs nicht aus. Dementsprechend erfordert die Annahme unzumutbarer Wartezeiten, dass diese im betroffenen Planungsbereich bei der ganz überwiegenden Zahl der Ärzte des entsprechenden ärztlichen Fachgebiets bestehen.

Bei der Bewertung der Leistungserbringung und der Leistungsangebote anderer Ärzte als der zugelassenen Vertragsärzte ist eine differenzierende Bewertung geboten. Wie in § 24 Satz 4 ÄBedarfsplRL ausdrücklich bestimmt ist, hat eine Leistungserbringung in Krankenhäusern außer Betracht zu bleiben. Aber nicht nur die stationären Leistungen der Krankenhäuser, sondern auch deren ambulante Leistungen sind unberücksichtigt zu lassen, soweit diese Leistungserbringung gegenüber derjenigen der niedergelassenen Ärzte nachrangig ist. So müssen Versorgungsangebote von Krankenhausärzten, die gemäß §§ 116 SGB V, 31a Zulassungsverordnung für Kassenärzte (Ärzte-ZV) ermächtigt wurden, bei der Prüfung eines Versorgungsbedarfs für Sonderbedarfszulassungen außer Betracht bleiben, weil die Versorgung aufgrund solcher Ermächtigungen nachrangig ist gegenüber der Versorgung durch niedergelassene Vertragsärzte (vgl BSGE 100, 154 = SozR 4-2500 § 87 Nr 16, jeweils RdNr 14 mwN; ebenso zB - RdNr 21, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen, und - B 6 KA 38/08 R - RdNr 19, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Aus dem gleichen Grund der Nachrangigkeit sind auch Versorgungsangebote aufgrund von Ermächtigungen zB gemäß § 31 Abs 1 Buchst a Ärzte-ZV, § 116a, § 119a SGB V unberücksichtigt zu lassen. Anderes gilt indessen für Ermächtigungen, die bedarfsunabhängig erteilt werden, wie zB im Falle des § 117 SGB V, wonach Hochschulambulanzen nach Maßgabe der Erfordernisse von Forschung und Lehre - unabhängig von einem durch die Vertragsärzte gedeckten oder nicht gedeckten Versorgungsbedarf - zur Erbringung ambulanter vertragsärztlicher Leistungen ermächtigt werden. Die hierdurch erfolgende Bedarfsdeckung ist zu berücksichtigen und kann bei der Prüfung und Feststellung, ob ein nicht gedeckter Versorgungsbedarf besteht, zur Ablehnung einer Sonderbedarfszulassung führen.

c) Die Erteilung einer Sonderbedarfszulassung setzt über das Vorliegen eines entsprechenden Versorgungsbedarfs hinaus voraus, dass der Bedarf dauerhaft erscheint und sich grundsätzlich auf die gesamte Breite des Schwerpunkts, der fakultativen Weiterbildung bzw der besonderen Fachkunde erstreckt (BSGE 102, 21 = SozR 4-2500 § 101 Nr 3 RdNr 18, 25, 29) und für eine wirtschaftlich tragfähige Praxis ausreicht. Auch insoweit haben die Zulassungsgremien einen Beurteilungsspielraum (s zuvor b). Wenn eine dieser Voraussetzungen nicht erfüllt ist, kommt eine Sonderbedarfszulassung nicht in Betracht, sondern stattdessen nur die Erteilung einer Ermächtigung zB an einen entsprechend qualifizierten Krankenhausarzt (vgl hierzu BSG, aaO RdNr 25). Soweit die Beigeladene zu 8. und das LSG einwenden, dass diese Erfordernisse zumindest teilweise durch normative Veränderungen entfallen und/oder rechtlich nicht haltbar seien (siehe dazu insbesondere LSG Nordrhein-Westfalen, MedR 2009, 361, 364 f unter 3.b: "Dieser rechtliche Ansatz findet im Gesetz keine Stütze"; kritisch zB auch Meschke in Bäune/Meschke/Rothfuß, Kommentar zur Zulassungsverordnung für Vertragsärzte und Vertragszahnärzte, 2008, § 16b RdNr 22), vermag der Senat dem nicht zu folgen, wie im Urteil vom im Einzelnen ausgeführt ist (siehe - RdNr 20 bis 22 - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen).

3. Bei Zugrundelegung der vorgenannten Maßstäbe ergibt sich, dass die Entscheidung des Beklagten, der Beigeladenen zu 8. eine Sonderbedarfszulassung zu erteilen, auch unter Berücksichtigung des ihm eingeräumten Beurteilungsspielraums den gesetzlichen Vorgaben nicht in vollem Umfang gerecht wird. Auf der Grundlage der bisherigen Ermittlungen des Beklagten kann nicht festgestellt werden, ob alle Voraussetzungen für die Erteilung der Sonderbedarfszulassung erfüllt sind.

Zutreffend ist, dass die Beigeladene zu 8. eine besondere Qualifikation im Sinne des § 24 Satz 1 Buchst b ÄBedarfsplRL aufweist. Denn sie hat die Qualifikation einer Fachärztin für Innere Medizin mit dem Schwerpunkt Kardiologie erworben (vgl oben RdNr 14).

Nicht zu beanstanden ist auch, dass der Beklagte seine Ermittlungen zum Vorliegen eines nicht gedeckten Versorgungsbedarfs auf das Kriterium unzumutbare Wartezeiten ausgerichtet hat (vgl oben RdNr 18). Zu billigen ist ebenfalls, dass er dabei als Ausgangspunkt zugrunde gelegt hat, dass in kardiologischen Behandlungsfällen Wartezeiten jedenfalls dann, wenn sie im Normalfall mehr als zwei Monate betragen, unzumutbar lang sind. Solche Wartezeiten sind für die Versicherten selbst dann unzumutbar, wenn davon akute und dringliche Fälle ausgenommen sind. Mit der Ungewissheit über die Art der Erkrankung bzw über die genaue Diagnose leben zu müssen, ist schon wegen der damit verbundenen psychischen Belastungen keinesfalls länger als zwei Monate zumutbar. Allerdings muss dabei jeweils zusätzlich festgestellt werden, dass solche langen Wartezeiten nicht nur bei einigen, sondern bei der ganz überwiegenden Zahl der entsprechend spezialisierten Ärzte in dem betroffenen Planungsbereich bestehen (vgl oben RdNr 18).

Diesen Anforderungen tragen die vom Beklagten getroffenen Feststellungen, Patienten in der Stadt N. müssten regelmäßig länger als zwei Monate auf einen Termin für eine kardiologische Untersuchung warten, nicht ausreichend Rechnung. Der Beklagte hat bisher auf systematische Ermittlungen der Wartezeiten verzichtet, sich vielmehr mit punktuellen Informationen begnügt. Allein Hinweise der Krankenkassen, dass bei ihnen Beschwerden über mehrmonatige Wartezeiten erhoben worden seien, und die Mitteilung eines Mitarbeiters des Beklagten, die sich auf Erfahrungen eigener Behandlungen gründet, reichen nicht aus. Solche Informationen müssten konkretisiert werden (zB Angabe der Beschwerden und der [Verdachts-]Diagnose) und können systematische Ermittlungen durch Einholung von Auskünften bei den einschlägigen Arztpraxen im Planungsbereich - evtl durch sog Testanrufe mit der Bitte um einen Arzttermin - ohnehin nur ergänzen, nicht aber ersetzen. Sind Befragungen der Arztpraxen erfolgt, so müssen sie objektiviert und verifiziert sowie bewertet werden.

Bei der Analyse, ob bzw inwieweit Angaben der bereits zugelassenen Ärzte eine ausreichende Grundlage für die Annahme eines nicht gedeckten Versorgungsbedarfs bieten, sind auch Ergebnisse späterer Befragungen, wie die Klägerin (KÄV) sie im Laufe des sozialgerichtlichen Verfahrens eingebracht hat (siehe deren Umfrage vom ), einzubeziehen. Solche Umstände bzw Vorgänge können ungeachtet dessen berücksichtigt werden, dass sie erst aus der Zeit nach der letzten behördlichen Entscheidung (dh derjenigen des Berufungsausschusses) datieren. Denn bei Zulassungsbegehren sind die Grundsätze über Vornahmeklagen anzuwenden; dh, dass alle Tatsachenänderungen bis zur mündlichen Verhandlung der letzten Tatsacheninstanz und alle Rechtsänderungen bis zum Abschluss der Revisionsinstanz zu berücksichtigen sind (vgl zB BSGE 94, 181 = SozR 4-2500 § 103 Nr 2, jeweils RdNr 5; BSG SozR 4-2500 § 101 Nr 2 RdNr 12). Dies gilt auch dann, wenn - wie hier - Gegenstand des Rechtsstreits nicht die Vornahmeklage des Arztes auf Erlangung der Zulassung ist, er vielmehr die Zulassung durch den Berufungsausschuss erhalten hat und er diese gegen die Klage einer KÄV oder von Krankenkassen(-Verbänden) verteidigt (zu deren Rechtsmittelbefugnis s BSG SozR 4-2500 § 116 Nr 3 RdNr 13 mwN). Insofern liegt zwar formal eine andere Konstellation vor, nämlich die Anfechtung durch einen Drittbeteiligten. Der Sache nach handelt es sich aber ebenfalls um eine Vornahmeklage des Arztes: Dieser muss sein Zulassungsbegehren sowohl gegenüber den Zulassungsgremien als auch gegenüber den für die Sicherstellung der Versorgung mitverantwortlichen KÄV und Krankenkassen(-Verbänden) durchsetzen: Er muss zur Erlangung einer bestandskräftigen Zulassung sowohl eine positive Entscheidung der Zulassungsgremien erhalten als auch eventuelle Rechtsmittel von KÄV und Krankenkassen(-Verbänden) erfolgreich abwehren. Beides zusammen ist die Voraussetzung für ein erfolgreiches Vornahmebegehren auf Erlangung der Zulassung (insoweit in der Diktion missverständlich - und hiermit klargestellt - BSG SozR 4-2500 § 117 Nr 2 RdNr 8; - zu alledem Näheres in - RdNr 26 f - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). In Ausnahmefällen kann allerdings die Berücksichtigung nachteiliger Änderungen verwehrt sein, wenn nämlich ein Arzt auf eine Entscheidung aufgrund einer früheren bestimmten Sach- und Rechtslage, die ihm Zulassungschancen bot, vertrauen durfte (vgl hierzu - RdNr 28 mwN - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Derartige Vertrauensschutzaspekte spielen vorliegend indessen keine Rolle, denn nach den bisherigen Feststellungen sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass sich die Bedarfslage zu Lasten der Beigeladenen zu 8. verändert haben könnte.

Wenn die weiteren Ermittlungen des Beklagten zu der Feststellung führen, dass - zB aufgrund unzumutbar langer Wartezeiten - ein nicht gedeckter Versorgungsbedarf für kardiologische Leistungen besteht, so bedarf es noch der Bewertung, ob dieser Versorgungsbedarf auch dauerhaft erscheint sowie ob er sich auf die gesamte Breite dieses spezialisierten Versorgungsbedarfs erstreckt und auch für eine wirtschaftlich tragfähige Praxis ausreicht (hierzu näher - RdNr 19 bis 22 iVm 33, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Sofern keine Anhaltspunkte für Zweifel am Vorliegen einer dieser Voraussetzungen bestehen, bedarf es insoweit allerdings keiner näheren Ermittlungen.

4. Nach alledem hat der Beklagte über die Erteilung der Sonderbedarfszulassung an die Beigeladene zu 8. neu zu entscheiden. Deshalb werden die vorinstanzlichen Urteile und der Bescheid des Beklagten aufgehoben und dieser verpflichtet, den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid des Zulassungsausschusses vom unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.

Die Revision der Klägerin ist hingegen unbegründet - und daher zurückzuweisen -, soweit sie weitergehend die Wiederherstellung der ablehnenden Entscheidung des Zulassungsausschusses beantragt hat.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung von § 155 Abs 1 Satz 1 iVm §§ 154 Abs 3, 162 Abs 3 Verwaltungsgerichtsordnung. Die Kostenverteilung beruht darauf, dass ein ungefähr gleichmäßiges Obsiegen und Unterliegen im Verhältnis der Klägerin einerseits und dem Beklagten und der Beigeladenen zu 8. andererseits vorliegt: Die Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung bedeutet, dass die Klägerin mit ihrem Begehren nach Wiederherstellung der ablehnenden Entscheidung des Zulassungsausschusses unterlegen ist, aber auch, dass der Beklagte und die Beigeladene zu 8. mit ihrer Verteidigung der Sonderbedarfserteilung durch den Beklagten erfolglos geblieben sind. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten der Beigeladenen zu 1. bis 6. ist nicht veranlasst, weil diese im Verfahren - auch vorinstanzlich - keine Anträge gestellt haben (vgl BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, jeweils RdNr 16).

Fundstelle(n):
WAAAD-43700