Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Unterbliebene Eintragung im Fristenkalender trotz konkreter schriftlicher Einzelanweisung
Leitsatz
Ein Rechtsanwalt ist in der Regel nicht verpflichtet, die Befolgung einer konkreten schriftlichen Einzelanweisung, die er seiner bisher zuverlässigen Büroangestellten erteilt hat, zu überprüfen (Fortführung Senatsbeschluss vom , XII ZB 154/09, MDR 2010, 400 m.w.N.) .
Gesetze: § 233 ZPO
Instanzenzug: Az: 9 UF 1531/08 Beschlussvorgehend AG Fürth (Bayern) Az: 204 F 934/07
Gründe
I.
1Die Beschwerdeführerin wendet sich mit der Rechtsbeschwerde gegen die Verwerfung ihrer befristeten Beschwerde wegen Versäumung der Begründungsfrist.
2Mit Beschluss vom hat das Amtsgericht der Beschwerdeführerin die elterliche Sorge für ihre 2007 geborene Tochter entzogen. Gegen den am zugestellten Beschluss hat sie mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom , der am gleichen Tag bei dem Beschwerdegericht eingegangenen ist, "Berufung" eingelegt. Nachdem das Oberlandesgericht mit Verfügung vom , die am bei der Verfahrensbevollmächtigten eingegangen ist, auf die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist hingewiesen hatte, hat die Verfahrensbevollmächtigte mit am bei dem Oberlandesgericht eingegangenem Schriftsatz vom gleichen Tag die "Berufung" begründet und Wiedereinsetzung in die versäumte "Berufungsbegründungsfrist" beantragt.
3Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrages hat die Beschwerdeführerin vorgetragen: Nach der in der Kanzlei ihrer Verfahrensbevollmächtigten üblichen Vorgehensweise würden die Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist auf der angegriffenen Entscheidung notiert und in den Fristenkalender eingetragen. Im vorliegenden Fall habe die sonst zuverlässige Büroangestellte ihrer Verfahrensbevollmächtigten, Frau K., versehentlich lediglich die Frist zur Berufungseinlegung, nicht jedoch die Frist zur Berufungsbegründung notiert und in den Fristenkalender eingetragen. Bei der Fertigung der Berufungsschrift am habe ihre Verfahrensbevollmächtigte diese Fehler bemerkt und Frau K. in einer Aktennotiz, die sie ihr mit der Akte überreicht habe, angewiesen, die fehlende Frist zur Begründung der Berufung auf den Beschluss und in den Fristenkalender mit der dazu gehörenden Vorfrist einzutragen. Die bisher zuverlässig arbeitende Frau K. habe diese Weisung nicht befolgt.
4Diesen Vortrag hat die Beschwerdeführerin durch anwaltliche Versicherung ihrer Verfahrensbevollmächtigten und eidesstattliche Erklärung der Büroangestellten, Frau K., glaubhaft gemacht.
5Das Oberlandesgericht hat den Antrag der Beschwerdeführerin auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und ihre Beschwerde als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sie sich mit der Rechtsbeschwerde.
II.
6Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
71. Die gemäß §§ 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 621 e Abs. 3 Satz 2 ZPO i.V.m. Art. 111 Abs. 1 Satz 1 FGG-RG statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erforderlich ist (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Dadurch, dass das Beschwerdegericht die befristete Beschwerde der Beschwerdeführerin verworfen und ihr zu Unrecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist verweigert hat, hat es das Verfahrensgrundrecht der Beschwerdeführerin auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt. Es hat ihr den Zugang zur Beschwerdeinstanz ungerechtfertigt versagt.
82. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
9a) Das Oberlandesgericht hat der Beschwerdeführerin die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verweigert, weil ihre Verfahrensbevollmächtigte ein Verschulden an der Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist treffe. Zwar sei ein Rechtsanwalt, der wie hier die Verfahrensbevollmächtigte der Beschwerdeführerin, seiner Büroangestellten eine klare, schriftliche Einzelanweisung erteile, grundsätzlich nicht verpflichtet, die Erledigung dieser Anweisung nachzuprüfen. Dies gelte aber nicht für so wichtige Vorgänge, wie die Eintragung der Rechtsmittelbegründungsfrist mit dazu gehöriger Vorfrist. Diese sei vielmehr vom Rechtsanwalt nachzuprüfen, wenn Anlass hierzu bestehe. Das sei hier der Fall gewesen. Die Verfahrensbevollmächtigte der Beschwerdeführerin habe bemerkt, dass ihre Büroangestellte K. vergessen habe, die Rechtsmittelbegründungsfrist in den Fristenkalender einzutragen. Wegen dieses Versäumnisses der Büroangestellten habe deshalb ein konkreter Anlass bestanden, die Eintragung der Frist nachzuprüfen. Darüber hinaus gehöre zu einer ordnungsgemäßen Büroorganisation auch die stichprobenartige Überwachung der Fristennotierung. Hierzu sei im Wiedereinsetzungsgesuch jedoch weder etwas ausgeführt noch glaubhaft gemacht. Angesichts des festgestellten Fehlers bei der Fristennotierung der Büroangestellten K. habe sich jedoch eine Nachprüfung der Erledigung der erteilten Anweisung geradezu aufgedrängt.
10b) Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
11Grundsätzlich darf ein Rechtsanwalt darauf vertrauen, dass eine Büroangestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung befolgt. Er ist deshalb im Allgemeinen nicht verpflichtet, sich anschließend über die Ausführung seiner Weisung zu vergewissern (st. Rspr. Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 154/09 - MDR 2010, 400 Tz. 16 m.w.N. und vom - XII ZB 189/07 - NJW 2008, 2589, 2590 = FamRZ 2008, 1338, 1339 - Tz. 12 m.w.N.). Dieser Grundsatz gilt, wie das Beschwerdegericht nicht verkennt, allerdings nicht ausnahmslos. Betrifft die Anweisung einen so wichtigen Vorgang wie die Eintragung einer Rechtsmittelfrist, so müssen, wenn sie nur mündlich erteilt wird, ausreichende Vorkehrungen dagegen getroffen sein, dass die mündliche Anweisung in Vergessenheit gerät und die Eintragung der Frist unterbleibt (Senatsbeschluss vom - XII ZB 189/07 - NJW 2008, 2589 Tz. 13; - juris Tz. 9 m.w.N.).
12Diese Gefahr besteht bei einer schriftlich erteilten Anweisung, wie sie hier erfolgt ist, jedoch in der Regel nicht. Im vorliegenden Fall lagen auch keine zusätzlichen Umstände vor, die Anlass zu der Befürchtung gegeben hätten, die Büroangestellte K. werde die schriftlich erteilte Einzelanweisung nicht befolgen.
13Nach dem glaubhaft gemachten Vortrag der Beschwerdeführerin hat ihre Verfahrensbevollmächtigte die Büroangestellte durch einen Aktenvermerk schriftlich angewiesen, die Frist zur Begründung der Beschwerde im Fristenkalender und auf dem angegriffenen Beschluss einzutragen. Da es sich bei der Angestellten K. nach der eidesstattlichen Versicherung der Verfahrensbevollmächtigten der Beschwerdeführerin um eine stets zuverlässige, seit 2003 bei ihr beschäftigte Bürokraft handelte, musste die Verfahrensbevollmächtigte entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts nicht befürchten, dass sie die schriftliche Anweisung zur Eintragung der Fristen nicht ordnungsgemäß befolgen würde.
14Im Hinblick auf die erteilte Einzelanweisung kommt es nicht mehr darauf an, ob eine stichprobenartige Überwachung der Fristennotierung durch allgemeine organisatorische Vorkehrungen bzw. Anweisungen in der Anwaltskanzlei der Verfahrensbevollmächtigten gewährleistet war ( - juris Tz. 7).
153. Der Beschwerdeführerin war somit unter Aufhebung des Beschlusses des Beschwerdegerichts vom Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Begründung der Beschwerde zu gewähren.
Hahne Vézina Dose
Schilling Günter
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
DStR-Aktuell 2010 S. 13 Nr. 23
NJW 2010 S. 10 Nr. 23
NJW 2010 S. 2286 Nr. 31
CAAAD-43682