Grundsatz der Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlung; Verzicht auf die Beachtung der Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens
Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, FGO § 116 Abs. 3 Satz 3, GVG § 169
Instanzenzug:
Gründe
1 I. Das Finanzgericht (FG) Berlin-Brandenburg hat nach mündlicher Verhandlung am eine Klage der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) gegen Bescheide des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt —FA—) abgewiesen. Die vor dem Sitzungssaal befindliche elektronische Tafel zeigte während der Dauer der mündlichen Verhandlung die Anzeige „nicht öffentliche Sitzung” an. Das wurde nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung von der Sitzungsvertreterin des FA bemerkt. Die Vorsitzende Richterin fragte die Beteiligten daraufhin, ob die Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes gerügt werde, weil die mündliche Verhandlung sonst ggf. wiederholt werden müsse. Die Beteiligten —nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag des FA auch der Prozessvertreter der Klägerin— verneinten das.
2 Die Klägerin beantragt mit ihrer Beschwerde die Zulassung der Revision gegen das FG-Urteil und begründet ihr Begehren mit der Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes.
3 Das FA beantragt, die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.
4 II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Die Klägerin hat den geltend gemachten Zulassungsgrund nicht schlüssig dargetan.
5 1. Die Klägerin macht mit der Verletzung des Grundsatzes der Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlung (§ 155 der Finanzgerichtsordnung —FGO— i.V.m. § 169 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes —GVG—) einen Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) geltend. Zur nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erforderlichen Darlegung eines Verfahrensmangels als Zulassungsgrund muss der Beschwerdeführer die Tatsachen genau angeben, die den Mangel ergeben (, BFH/NV 2000, 1102; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 116 Rz 48, m.w.N.). Daran fehlt es hier.
6 a) Zwar war die von der Klägerin geschilderte Einblendung der Anzeige „nicht öffentliche Sitzung” auf der vor dem Sitzungssaal befindlichen elektronischen Anzeigetafel geeignet, das interessierte Publikum von einem Betreten des Sitzungssaales abzuhalten. Eine Verletzung des § 169 GVG setzt aber voraus, dass der Ausschluss der Öffentlichkeit in Kenntnis oder in verschuldeter Unkenntnis des Gerichts geschieht (vgl. BFH- Beschlüsse vom IV S 21/84, BFHE 143, 487, BStBl II 1985, 551; vom X R 45-46/90, BFHE 161, 427, BStBl II 1990, 1032).
7 Dazu gibt der Vortrag der Klägerin nichts her. Ihm ist nichts dazu zu entnehmen, aus welchen Gründen es —zumindest mutmaßlich— zu der falschen Anzeige gekommen ist und inwiefern entweder das Einschalten oder die unterlassene Korrektur der Anzeige auf einem vorwerfbaren Tun oder Unterlassen der die Verhandlung leitenden Senatsvorsitzenden oder der anderen Senatsmitglieder beruhte. Wäre die Anzeige z.B. versehentlich durch einen Gerichtswachtmeister falsch eingestellt worden, ohne dass dies für die Mitglieder des Spruchkörpers erkennbar gewesen wäre, läge kein Verstoß gegen § 169 Satz 1 GVG vor (Zöller/Lückemann, Zivilprozessordnung, 28. Aufl., § 169 GVG Rz 11; vgl. auch , BGHSt 22, 297).
8 b) Im Übrigen hat die Klägerin dadurch, dass ihr Bevollmächtigter nach der mündlichen Verhandlung auf die ausdrückliche Frage der Vorsitzenden Richterin die fehlende Öffentlichkeit nicht gerügt hat, auf die Rüge verzichtet. Dadurch wurde das FG davon abgehalten, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen (§ 93 Abs. 3 Satz 2 FGO). Da die Prozessbeteiligten im Finanzgerichtsprozess auf die Beachtung der Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verzichten können (BFH-Beschluss in BFHE 161, 427, BStBl II 1990, 1032; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 101, m.w.N.), ist es der Klägerin nach dem Rügeverzicht verwehrt, die Zulassung der Revision auf die Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes zu stützen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2010 S. 1102 Nr. 6
IAAAD-42494