Belastung des Verbrauchers mit den Kosten der Warenzusendung
Leitsatz
Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 und Abs. 2 der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der der Lieferer in einem im Fernabsatz abgeschlossenen Vertrag dem Verbraucher die Kosten der Zusendung der Ware auferlegen darf, wenn dieser sein Widerrufsrecht ausübt.
Gründe
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 und Abs. 2 der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz (ABl. L 144, S. 19).
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Handelsgesellschaft Heinrich Heine GmbH (im Folgenden: Handelsgesellschaft Heinrich Heine) und der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen e. V. (im Folgenden: Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen) über die in Fernabsatzverträgen im Fall eines Widerrufs vorgesehene Belastung der Verbraucher mit den Kosten der Zusendung der Ware.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Der vierte Erwägungsgrund der Richtlinie 97/7 lautet:
"Mit der Einführung neuer Technologien erhalten die Verbraucher einen immer besseren Überblick über das Angebot in der ganzen Gemeinschaft und zahlreiche neue Möglichkeiten, Bestellungen zu tätigen. Einige Mitgliedstaaten haben bereits unterschiedliche oder abweichende Verbraucherschutzbestimmungen für den Fernabsatz erlassen, was negative Auswirkungen auf den Wettbewerb zwischen den Unternehmen im Binnenmarkt zur Folge hat. Es ist daher geboten, auf Gemeinschaftsebene eine Mindestzahl gemeinsamer Regeln in diesem Bereich einzuführen."
Der 14. Erwägungsgrund dieser Richtlinie lautet:
"Der Verbraucher hat in der Praxis keine Möglichkeit, vor Abschluss des Vertrags das Erzeugnis zu sehen oder die Eigenschaften der Dienstleistung im Einzelnen zur Kenntnis zu nehmen. Daher sollte ein Widerrufsrecht bestehen, sofern in dieser Richtlinie nicht etwas anderes bestimmt ist. Damit es sich um mehr als ein bloß formales Recht handelt, müssen die Kosten, die, wenn überhaupt, vom Verbraucher im Fall der Ausübung des Widerrufsrechts getragen werden, auf die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren begrenzt werden. Das Widerrufsrecht berührt nicht die im einzelstaatlichen Recht vorgesehenen Rechte des Verbrauchers, insbesondere bei Erhalt von beschädigten Erzeugnissen oder unzulänglichen Dienstleistungen oder Erzeugnissen und Dienstleistungen, die mit der entsprechenden Beschreibung in der Aufforderung nicht übereinstimmen. Es ist Sache der Mitgliedstaaten, weitere Bedingungen und Einzelheiten für den Fall der Ausübung des Widerrufsrechts festzulegen."
Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 97/7 bestimmt unter der Überschrift "Vorherige Unterrichtung":
"Der Verbraucher muss rechtzeitig vor Abschluss eines Vertrags im Fernabsatz über folgende Informationen verfügen:
...
c) Preis der Ware oder Dienstleistung einschließlich aller Steuern;
d) gegebenenfalls Lieferkosten;
..."
Art. 6 Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie bestimmt unter der Überschrift "Widerrufsrecht":
"(1) Der Verbraucher kann jeden Vertragsabschluss im Fernabsatz innerhalb einer Frist von mindestens sieben Werktagen ohne Angabe von Gründen und ohne Strafzahlung widerrufen. Die einzigen Kosten, die dem Verbraucher infolge der Ausübung seines Widerrufsrechts auferlegt werden können, sind die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren.
...
(2) Übt der Verbraucher das Recht auf Widerruf gemäß diesem Artikel aus, so hat der Lieferer die vom Verbraucher geleisteten Zahlungen kostenlos zu erstatten. Die einzigen Kosten, die dem Verbraucher infolge der Ausübung seines Widerrufsrechts auferlegt werden können, sind die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren. Die Erstattung hat so bald wie möglich in jedem Fall jedoch binnen 30 Tagen zu erfolgen."
Art. 14 ("Mindestklauseln") dieser Richtlinie lautet:
"Die Mitgliedstaaten können in dem unter diese Richtlinie fallenden Bereich mit dem EG-Vertrag in Einklang stehende strengere Bestimmungen erlassen oder aufrechterhalten, um ein höheres Schutzniveau für die Verbraucher sicherzustellen. Durch solche Bestimmungen können sie im Interesse der Allgemeinheit den Vertrieb im Fernabsatz für bestimmte Waren und Dienstleistungen, insbesondere Arzneimittel, in ihrem Hoheitsgebiet unter Beachtung des EG-Vertrags verbieten."
Nationales Recht
§ 2 des Gesetzes über Unterlassungsklagen bei Verbraucherrechts- und anderen Verstößen sieht vor:
"(1) Wer in anderer Weise als durch Verwendung oder Empfehlung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen Vorschriften zuwiderhandelt, die dem Schutz der Verbraucher dienen (Verbraucherschutzgesetze), kann im Interesse des Verbraucherschutzes auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. Werden die Zuwiderhandlungen in einem geschäftlichen Betrieb von einem Angestellten oder einem Beauftragten begangen, so ist der Unterlassungsanspruch auch gegen den Inhaber des Betriebs begründet.
(2) Verbraucherschutzgesetze im Sinne dieser Vorschrift sind insbesondere
1. die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs, die für ... Fernabsatzverträge ... zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher gelten ...
..."
§ 312d Abs. 1 des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs (im Folgenden: BGB) sieht unter der Überschrift "Widerrufs- und Rückgaberecht bei Fernabsatzverträgen" vor:
"Dem Verbraucher steht bei einem Fernabsatzvertrag ein Widerrufsrecht nach § 355 zu. Anstelle des Widerrufsrechts kann dem Verbraucher bei Verträgen über die Lieferung von Waren ein Rückgaberecht nach § 356 eingeräumt werden."
Art. 346 BGB ("Wirkungen des Rücktritts") lautet:
"(1) Hat sich eine Vertragspartei vertraglich den Rücktritt vorbehalten oder steht ihr ein gesetzliches Rücktrittsrecht zu, so sind im Falle des Rücktritts die empfangenen Leistungen zurückzugewähren und die gezogenen Nutzungen herauszugeben.
(2) Statt der Rückgewähr oder Herausgabe hat der Schuldner Wertersatz zu leisten, soweit
1. die Rückgewähr oder die Herausgabe nach der Natur des Erlangten ausgeschlossen ist,
2. er den empfangenen Gegenstand verbraucht, veräußert, belastet, verarbeitet oder umgestaltet hat,
3. der empfangene Gegenstand sich verschlechtert hat oder untergegangen ist; jedoch bleibt die durch die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme entstandene Verschlechterung außer Betracht.
Ist im Vertrag eine Gegenleistung bestimmt, ist sie bei der Berechnung des Wertersatzes zugrunde zu legen; ist Wertersatz für den Gebrauchsvorteil eines Darlehens zu leisten, kann nachgewiesen werden, dass der Wert des Gebrauchsvorteils niedriger war.
(3) Die Pflicht zum Wertersatz entfällt,
1. wenn sich der zum Rücktritt berechtigende Mangel erst während der Verarbeitung oder Umgestaltung des Gegenstandes gezeigt hat,
2. soweit der Gläubiger die Verschlechterung oder den Untergang zu vertreten hat oder der Schaden bei ihm gleichfalls eingetreten wäre,
3. wenn im Falle eines gesetzlichen Rücktrittsrechts die Verschlechterung oder der Untergang beim Berechtigten eingetreten ist, obwohl dieser diejenige Sorgfalt beobachtet hat, die er in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegt.
Eine verbleibende Bereicherung ist herauszugeben."
§ 347 Abs. 2 BGB sieht unter der Überschrift "Nutzungen und Verwendungen nach Rücktritt" vor:
"Gibt der Schuldner den Gegenstand zurück, leistet er Wertersatz oder ist seine Wertersatzpflicht gemäß § 346 Abs. 3 Nr. 1 oder 2 ausgeschlossen, so sind ihm notwendige Verwendungen zu ersetzen. Andere Aufwendungen sind zu ersetzen, soweit der Gläubiger durch diese bereichert wird."
§ 355 Abs. 1 BGB bestimmt unter der Überschrift "Widerrufsrecht bei Verbraucherverträgen":
"Wird einem Verbraucher durch Gesetz ein Widerrufsrecht nach dieser Vorschrift eingeräumt, so ist er an seine auf den Abschluss des Vertrags gerichtete Willenserklärung nicht mehr gebunden, wenn er sie fristgerecht widerrufen hat. Der Widerruf muss keine Begründung enthalten und ist in Textform oder durch Rücksendung der Sache innerhalb von zwei Wochen gegenüber dem Unternehmer zu erklären; zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige Absendung."
§ 356 Abs. 1 BGB sieht unter der Überschrift "Rückgaberecht bei Verbraucherverträgen" vor:
"Das Widerrufsrecht nach § 355 kann, soweit dies ausdrücklich durch Gesetz zugelassen ist, beim Vertragsschluss auf Grund eines Verkaufsprospekts im Vertrag durch ein uneingeschränktes Rückgaberecht ersetzt werden. Voraussetzung ist, dass
1. im Verkaufsprospekt eine deutlich gestaltete Belehrung über das Rückgaberecht enthalten ist,
2. der Verbraucher den Verkaufsprospekt in Abwesenheit des Unternehmers eingehend zur Kenntnis nehmen konnte und
3. dem Verbraucher das Rückgaberecht in Textform eingeräumt wird."
§ 357 BGB ("Rechtsfolgen des Widerrufs und der Rückgabe") legt fest:
"(1) Auf das Widerrufs- und das Rückgaberecht finden, soweit nicht ein anderes bestimmt ist, die Vorschriften über den gesetzlichen Rücktritt entsprechende Anwendung. § 286 Abs. 3 gilt für die Verpflichtung zur Erstattung von Zahlungen nach dieser Vorschrift entsprechend; die dort bestimmte Frist beginnt mit der Widerrufs- oder Rückgabeerklärung des Verbrauchers. Dabei beginnt die Frist im Hinblick auf eine Erstattungsverpflichtung des Verbrauchers mit Abgabe dieser Erklärung, im Hinblick auf eine Erstattungsverpflichtung des Unternehmers mit deren Zugang.
...
(3) Der Verbraucher hat abweichend von § 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Wertersatz für eine durch die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme der Sache entstandene Verschlechterung zu leisten, wenn er spätestens bei Vertragsschluss in Textform auf diese Rechtsfolge und eine Möglichkeit hingewiesen worden ist, sie zu vermeiden. Dies gilt nicht, wenn die Verschlechterung ausschließlich auf die Prüfung der Sache zurückzuführen ist. § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 findet keine Anwendung, wenn der Verbraucher über sein Widerrufsrecht ordnungsgemäß belehrt worden ist oder hiervon anderweitig Kenntnis erlangt hat.
(4) Weitergehende Ansprüche bestehen nicht."
§ 448 Abs. 1 BGB sieht unter der Überschrift "Kosten der Übergabe und vergleichbare Kosten" vor:
"Der Verkäufer trägt die Kosten der Übergabe der Sache, der Käufer die Kosten der Abnahme und der Versendung der Sache nach einem anderen Ort als dem Erfüllungsort."
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
Die Handelsgesellschaft Heinrich Heine ist eine im Versandhandel tätige Gesellschaft. Ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen sehen vor, dass der Verbraucher einen pauschalen Versandkostenanteil von 4,95 Euro trägt. Diesen Betrag hat das Versandunternehmen im Fall eines Widerrufs nicht zu erstatten.
Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, ein Verbraucherverein nach deutschem Recht, erhob gegen die Handelsgesellschaft Heinrich Heine Klage auf Unterlassung, den Verbrauchern im Fall des Widerrufs die Kosten der Zusendung der Waren aufzuerlegen.
Das erstinstanzliche Gericht gab dem Antrag der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen statt.
Die von der Handelsgesellschaft Heinrich Heine gegen dieses Urteil eingelegte Berufung wurde vom Oberlandesgericht Karlsruhe zurückgewiesen.
Auf die hiergegen eingelegte Revision der Handelsgesellschaft Heinrich Heine stellte der Bundesgerichtshof fest, dass das deutsche Recht dem Verbraucher nicht ausdrücklich einen Anspruch auf Erstattung der Kosten der Zusendung der bestellten Ware gewähre.
Wenn aber die Richtlinie 97/7 dahin auszulegen sei, dass sie der Belastung des Verbrauchers, der sein Widerrufsrecht ausübe, mit den Kosten der Zusendung der Waren entgegenstehe, müssten die einschlägigen Bestimmungen des BGB richtlinienkonform dahin ausgelegt werden, dass diese Kosten dem Verbraucher zu erstatten seien.
Nach Meinung des vorlegenden Gerichts lässt sich jedoch nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit feststellen, wie diese Richtlinie, insbesondere ihr Art. 6 Abs. 1 und 2, auszulegen ist.
In diesem Zusammenhang führt der Bundesgerichtshof mehrere Argumente an, die dafür sprechen könnten, dass die Richtlinie einer Regelung wie der im Ausgangsverfahren streitigen nicht entgegenstehe.
Erstens könne die Formulierung "infolge der Ausübung seines Widerrufsrechts" in der deutschen Fassung von Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 97/7 nahelegen, dass diese Bestimmungen nur die durch den Widerruf verursachten Kosten beträfen, nicht dagegen die Kosten der Zusendung der Ware, die zum Zeitpunkt des Widerrufs bereits angefallen seien. Eine solche Auslegung lasse sich auf andere Sprachfassungen der Richtlinie, insbesondere die englische und die französische Fassung, stützen.
Zweitens schließe Art. 6 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 97/7 nicht aus, dass der Unternehmer im Fall des Widerrufs Wertersatz für Leistungen erhalte, die der Verbraucher in Anspruch genommen habe, ihrer Natur nach aber nicht zurückgewähren könne. Die Annahme, dass es sich bei der Lieferung der Ware um eine Leistung handele, für die der Verbraucher dem Unternehmen den Wertersatz in Höhe der Kosten der Zusendung schulde, und sich dessen Rückzahlungsverpflichtung daher entsprechend verringere, sei also mit dieser Vorschrift vereinbar.
Drittens sei nicht sicher, dass der vor allem im 14. Erwägungsgrund der Richtlinie 97/7 zum Ausdruck gebrachte Verbraucherschutzzweck die Erstattung der Kosten der Zusendung der Ware gebiete. Bei einem gewöhnlichen Kauf trage nämlich der Verbraucher die Kosten für das Aufsuchen der Geschäftsräume und müsse zudem die dafür erforderliche Zeit aufwenden.
Unter diesen Umständen hat der Bundesgerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Sind die Bestimmungen des Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 und Abs. 2 der Richtlinie 97/7 dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der die Kosten der Zusendung der Waren auch dann dem Verbraucher auferlegt werden können, wenn er den Vertrag widerrufen hat?
Zur Vorlagefrage
Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen
Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, die spanische, die österreichische und die portugiesische Regierung sowie die Kommission der Europäischen Gemeinschaften sind der Auffassung, die Bestimmungen des Art. 6 der Richtlinie 97/7 stünden einer nationalen Regelung entgegen, nach der dem Verbraucher die Kosten der Zusendung der Ware auferlegt werden könnten, wenn er sein Widerrufsrecht ausübe.
Zunächst sei die Formulierung "die vom Verbraucher geleisteten Zahlungen" in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 97/7 weit auszulegen, so dass sie sämtliche finanziellen Leistungen erfasse, die der Verbraucher dem Lieferer im Rahmen der Durchführung des Vertrags erbracht habe, einschließlich der Kosten der Zusendung der Waren.
Ferner sehe Art. 6 Abs. 1 und 2 der Richtlinie vor, dass dem Verbraucher, der sein Widerrufsrecht ausübe, nur die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren auferlegt werden könnten. Die übrigen Kosten, insbesondere die Kosten der Zusendung der Waren, könnten ihm daher nicht in Rechnung gestellt werden.
Um schließlich den Verbraucher vor den Risiken zu schützen, die sich daraus ergäben, dass er vor Abschluss des Kaufvertrags im Fernabsatz keine Möglichkeit habe, die Ware zu sehen, seien ihm die Kosten zu erstatten, die er für eine Nebenleistung des Versandunternehmens, wie die Versendung der Waren, erbracht habe, an der sein Interesse nach dem Widerruf weggefallen sei.
Nach Auffassung der deutschen Regierung sind dagegen die Bestimmungen des Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 und Abs. 2 der Richtlinie 97/7 dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, wonach die Kosten der Zusendung der Waren dem Verbraucher auch dann auferlegt werden können, wenn er den Vertrag widerrufen hat.
Die deutsche Regierung macht im Wesentlichen geltend, die Richtlinie 97/7 habe zur Frage der Erhebung von Zusendungskosten nach Widerruf des Vertrags durch den Verbraucher keine Regelung getroffen. Daher gehöre die Erhebung dieser Kosten zu den "weitere[n] Bedingungen und Einzelheiten für den Fall der Ausübung des Widerrufsrechts", deren Festlegung, wie im 14. Erwägungsgrund dieser Richtlinie vorgesehen, Sache der Mitgliedstaaten sei.
Die Erstattung der vom Verbraucher "geleisteten Zahlungen" im Sinne des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 dieser Richtlinie betreffe nur die Hauptleistungen, vor allem den vom Verbraucher gezahlten Preis.
Die Richtlinie 97/7 unterscheide zwischen den Kosten, die dem Verbraucher "infolge der Ausübung seines Widerrufsrechts" auferlegt werden könnten, also den Folgekosten des Widerrufs, und anderen Kosten, die im Zusammenhang mit dem Abschluss oder der Durchführung des Vertrags anfielen. Art. 6 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie betreffe nur die Folgekosten des Widerrufs, während die Richtlinie die Regelung der anderen Vertragskosten nicht harmonisiere. Die Kosten der Zusendung fielen jedoch vor Ausübung des Widerrufsrechts und unabhängig davon an. Ihre Erhebung bestimme sich daher nach dem innerstaatlichen Recht des jeweiligen Mitgliedstaats.
Zu den Zielen des Art. 6 der Richtlinie 97/7 macht die deutsche Regierung geltend, diese Bestimmung solle den Nachteil ausgleichen, dass dem Verbraucher die Möglichkeit fehle, die Ware vor Vertragsschluss zu prüfen. Dagegen fänden sich in dieser Zielsetzung keine Hinweise für eine vollständige Umgestaltung des Vertragsverhältnisses.
Im Übrigen könne die Tragung der Zusendungskosten durch den Verbraucher diesen nicht an der Ausübung seines Widerrufsrechts hindern. Zum einen werde er nämlich vor Vertragsschluss über die Höhe dieser Kosten unterrichtet. Zum anderen sei die Entscheidung, den Vertrag zu widerrufen, von diesen Kosten unabhängig, da diese bereits angefallen seien.
Antwort des Gerichtshofs
Vorbemerkungen
Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 97/7, wie sich ihrem vierten Erwägungsgrund entnehmen lässt, auf der Ebene der Europäischen Union eine Mindestzahl gemeinsamer Regeln im Bereich der Vertragsabschlüsse im Fernabsatz einführen soll.
Insbesondere gewährt Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 dieser Richtlinie dem Verbraucher ein Widerrufsrecht, das er innerhalb einer bestimmten Frist ohne Strafzahlung und ohne Angabe von Gründen ausüben kann.
Zu den Rechtsfolgen des Widerrufs sieht Art. 6 Abs. 2 Satz 1 und 2 der Richtlinie 97/7 vor, dass "der Lieferer die vom Verbraucher geleisteten Zahlungen kostenlos zu erstatten [hat]. Die einzigen Kosten, die dem Verbraucher infolge der Ausübung seines Widerrufsrechts auferlegt werden können, sind die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren."
Aus dem 14. Erwägungsgrund dieser Richtlinie ergibt sich jedoch, dass die Rechtsfolgen des Widerrufs nicht vollständig harmonisiert sind und es daher Sache der Mitgliedstaaten ist, "weitere Bedingungen und Einzelheiten für den Fall der Ausübung des Widerrufsrechts festzulegen".
Zur Auslegung der Wendung "vom Verbraucher geleistete Zahlungen"
In der Rechtssache des Ausgangsverfahrens stellt sich die Frage, ob die Auferlegung der Kosten der Zusendung der Waren im Fall des Widerrufs durch den Verbraucher unter Art. 6 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 97/7 fällt oder vielmehr Sache der Mitgliedstaaten ist.
Hierzu ist festzustellen, dass der Wortlaut des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 97/7 dem Lieferer im Fall des Widerrufs des Verbrauchers eine allgemeine Erstattungspflicht auferlegt, die sich auf sämtliche vom Verbraucher anlässlich des Vertrags geleisteten Zahlungen unabhängig von deren Grund bezieht.
Entgegen dem Vorbringen der deutschen Regierung folgt weder aus dem Wortlaut noch aus der allgemeinen Systematik der Bestimmungen des Art. 6 der Richtlinie 97/7, dass der Begriff "geleistete Zahlungen" so auszulegen ist, dass er nur den vom Verbraucher gezahlten Preis unter Ausschluss der diesem entstandenen Kosten bezeichnet.
Gemäß Art. 4 der Richtlinie 97/7 unterscheidet diese nämlich nur im Hinblick auf die dem Verbraucher vor Vertragsabschluss vom Lieferer zur Verfügung zu stellenden Informationen zwischen dem Preis der Ware und den Lieferkosten. Im Hinblick auf die Rechtsfolgen des Widerrufs trifft die Richtlinie dagegen keine derartige Unterscheidung, sondern bezieht sich auf sämtliche vom Verbraucher an den Lieferer geleisteten Zahlungen.
Diese Auslegung wird auch durch die in Art. 6 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie zur Bezeichnung der "unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren" gebrauchte Wendung "[d]ie einzigen Kosten, die dem Verbraucher ... auferlegt werden können" bestätigt. Wie der Generalanwalt in Nr. 32 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, verlangt der Ausdruck "die einzigen Kosten" eine enge Auslegung und macht diese Ausnahme zur einzigen.
Daher erfasst der Ausdruck "geleistete Zahlungen" in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 97/7 vorbehaltlich der Auslegung des Art. 6 Abs. 2 Satz 2 dieser Richtlinie alle vom Verbraucher im Zusammenhang mit dem Vertrag geleisteten Zahlungen.
Zur Auslegung der Wendung "infolge der Ausübung seines Widerrufsrechts"
Wie vorstehend in Randnr. 35 ausgeführt, macht die deutsche Regierung auch geltend, die Wendung "infolge der Ausübung seines Widerrufsrechts" in Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 97/7 betreffe nicht sämtliche zulasten des Verbrauchers gehenden Kosten, sondern nur die mit der Ausübung des Widerrufsrechts im Zusammenhang stehenden Kosten. Daher seien in diesen Bestimmungen nur die durch den Widerruf verursachten Kosten geregelt.
Vorab ist festzustellen, dass der Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 97/7 in bestimmten Sprachfassungen entweder dahin ausgelegt werden kann, dass er sich nur auf die durch den Widerruf verursachten Folgekosten bezieht, oder dahin, dass er sämtliche Kosten im Zusammenhang mit dem Abschluss, der Durchführung oder der Beendigung des Vertrags erfasst, die im Fall des Widerrufs zulasten des Verbrauchers gehen können.
Selbst wenn die deutsche, die englische und die französische Fassung der Richtlinie 97/7 die Begriffe "infolge", "because of" und "en raison de" verwenden, enthalten, wie der Generalanwalt in Nr. 41 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, andere Sprachfassungen der Richtlinie, vor allem die italienische und die spanische, keine entsprechende Wendung, sondern beziehen sich einfach auf den Verbraucher, der sein Widerrufsrecht ausübt.
Nach ständiger Rechtsprechung darf der Text einer Bestimmung wegen der Notwendigkeit einer einheitlichen Auslegung der Gemeinschaftsrichtlinien im Zweifelsfall nicht isoliert betrachtet werden, sondern muss unter Berücksichtigung der Fassungen in den anderen Amtssprachen ausgelegt werden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 2. April 1998, EMU Tabac u. a., C-296/95, Slg. 1998, I-1605, Randnr. 36, vom 17. Juni 1998, Mecklenburg, C-321/96, Slg. 1998, I-3809, Randnr. 29, vom 20. November 2008, Heuschen & Schrouff Oriëntal Foods Trading, C-375/07, Slg. 2008, I-8691, Randnr. 46, und vom , Eschig, C-199/08, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 54). Weichen im Übrigen die verschiedenen Sprachfassungen eines Unionstextes voneinander ab, muss die fragliche Vorschrift nach der allgemeinen Systematik und dem Zweck der Regelung ausgelegt werden, zu der sie gehört (vgl. Urteile vom , EKW und Wein & Co, C-437/97, Slg. 2000, I-1157, Randnr. 42, vom , Schutzverband der Spirituosen-Industrie, C-457/05, Slg. 2007, I-8075, Randnr. 18, und vom 9. Oktober 2008, Sabatauskas u. a., C-239/07, Slg. 2008, I-7523, Randnr. 39).
Die Auslegung von Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 97/7, wonach diese Bestimmungen sämtliche Kosten im Zusammenhang mit dem Abschluss, der Durchführung oder der Beendigung des Vertrags erfassen, die im Fall des Widerrufs zulasten des Verbrauchers gehen können, entspricht der allgemeinen Systematik und dem Zweck dieser Richtlinie.
Für diese Auslegung spricht nämlich zum einen die Tatsache, dass im 14. Erwägungsgrund der Richtlinie 97/7 selbst in den Sprachfassungen, die in Art. 6 den Ausdruck "infolge" oder eine ähnliche Formulierung verwenden, die Kosten genannt werden, die vom Verbraucher "im Fall der Ausübung des Widerrufsrechts" getragen werden. Entgegen dem Vorbringen der deutschen Regierung bezieht sich Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 dieser Richtlinie daher auf sämtliche im Rahmen des Vertrags angefallenen Kosten und nicht nur auf die durch den Widerruf verursachten Folgekosten.
Zum anderen ergibt sich aus dem 14. Erwägungsgrund der Richtlinie 97/7 in Bezug auf die Zielsetzung von Art. 6, dass mit dem Verbot, dem Verbraucher im Fall seines Widerrufs die durch den Vertrag entstandenen Kosten aufzuerlegen, gewährleistet werden soll, dass das in dieser Richtlinie festgelegte Widerrufsrecht "mehr als ein bloß formales Recht" ist (vgl. dazu Urteil vom , Messner, C-489/07, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 19). Da mit Art. 6 daher eindeutig das Ziel verfolgt wird, den Verbraucher nicht von der Ausübung seines Widerrufsrechts abzuhalten, liefe eine Auslegung, nach der es den Mitgliedstaaten erlaubt wäre, eine Regelung vorzusehen, die dem Verbraucher im Fall eines solchen Widerrufs die Kosten der Zusendung in Rechnung stellt, diesem Ziel zuwider.
Wie bereits dargelegt, gestattet es Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 dieser Richtlinie dem Lieferer nur, dem Verbraucher im Fall des Widerrufs die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren aufzuerlegen.
Sollten dem Verbraucher auch die Kosten der Zusendung in Rechnung gestellt werden, liefe eine solche Belastung, die zwangsläufig geeignet ist, ihn von der Ausübung des Widerrufsrechts abzuhalten, der Zielsetzung von Art. 6 der Richtlinie zuwider, auf die bereits vorstehend in Randnr. 54 hingewiesen worden ist.
Im Übrigen stünde eine solche Belastung einer ausgewogenen Risikoverteilung bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz entgegen, indem dem Verbraucher sämtliche im Zusammenhang mit der Beförderung der Waren stehenden Kosten auferlegt würden.
Zudem kann die abschreckende Wirkung, die es auf die Ausübung des Widerrufsrechts durch den Verbraucher hätte, wenn ihm diese Kosten auferlegt würden, nicht dadurch beseitigt werden, dass er vor Vertragsschluss über die Höhe der Zusendungskosten unterrichtet worden ist.
Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 und Abs. 2 der Richtlinie 97/7 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der der Lieferer in einem im Fernabsatz abgeschlossenen Vertrag dem Verbraucher die Kosten der Zusendung der Ware auferlegen darf, wenn dieser sein Widerrufsrecht ausübt.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 und Abs. 2 der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der der Lieferer in einem im Fernabsatz abgeschlossenen Vertrag dem Verbraucher die Kosten der Zusendung der Ware auferlegen darf, wenn dieser sein Widerrufsrecht ausübt.
Fundstelle(n):
XAAAD-42129